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Heimat bist Du großer Söhne und Töchter

Die Musik, dich ich für mein Baustück gewählt habe, stammt aus einer Aufnahme des Neujahrskonzerts 2003 der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt. Egal, wo ich am 1 Jänner war, wenn ich die Klänge des Walzers an der schönen blauen Donau hörte, fühlte ich mich zu Hause. Daheim!

Ich bin auf dieses Thema gestoßen im Rahmen der letzten Nationalratswahlen. Da tauchte ein Plakat der FPÖ auf, sie sei „die Heimatpartei“. Gleich beim ersten Mal ist mir dieser Ausspruch negativ aufgefallen. Wenn die FPÖ die Heimat vertritt, sollte das heißen, dass alle anderen nicht die Heimat vertreten?

Will ich die gleiche Heimat wie die FPÖ haben?

Zunächst habe ich mich gefragt, was Heimat für mich eigentlich bedeutet? Und warum der Begriff Heimat für mich einen schalen Beigeschmack hat. Da fielen mir zunächst Heimatfilme ein, Alpenglühen, Liebesromanzen, Förster, die Wilderer jagen, Alpenbäche, naja Sisi usw.

Wie auch immer, ich begann über den Begriff Heimat nachzudenken und danach auch zu recherchieren.

Das erste was mir in den Sinn kam, war die Bundeshymne (Text Paula Preradovic).

Ursprünglich „Heimat bist Du großer Söhne“! seit 2011 umgewandelt in: „Heimat bist du großer Töchter und Söhne“.

Die Bundeshymne ist eines unserer Staatssymbole. Wer sie „verächtlich macht oder sonst herabwürdigt“, macht sich nach § 248 StGB wegen „Herabwürdigung des Staates und seiner Symbole“ strafbar. Somit sind auch der Text der Bundeshymne und der Begriff Heimat schützenswert.

Kleiner Exkurs zur Melodie der Bundeshymne, die sich aus dem „Bundeslied“ ableiten soll:

Neunzehn Tage vor seinem Tod soll Wolfgang Amadeus Mozart, Mitglied der Freimaurerloge „Zur Wohltätigkeit“, mit der Freimaurerkantate sein letztes vollendetes Werk geschrieben haben. Am 14. November 1792 brachte der Buchdrucker Joseph Hraschansky in Wien die Partitur in zwei Varianten heraus. Einem Teil der Gesamtauflage war das später sehr bekannte „Kettenlied“ mit dem Text Lasst uns mit geschlungen Händen beigebunden. Der Titel lehnt sich daran, dass die Freimaurer ihre Versammlungen damit beendeten, dass sie das Lied mit verschlungenen Händen als Zeichen ihrer Gemeinschaft sangen.

Spätestens seit den 1960er Jahren wird von Musikforschern die Zuschreibung des als „Bundeslied“ bekannt gewordenen „Kettenliedes“ an Mozart bezweifelt. Nach den Erkenntnissen führender Musikwissenschafter gab es über Jahrzehnte hinweg die These, dass das Bundeslied von „Claviermeister“ Johann Baptist Holzer stamme, einem Logenbruder der Wiener FreimaurerlogeZur wahren Eintracht“. Neuere Forschungen ergaben hingegen, dass der Komponist Paul Wranitzky, Konzertmeister der Wiener Hofoper am Kärntnertor, gleichfalls Logenbruder, aller Wahrscheinlichkeit nach der Urheber dieser Melodie war.

Zusammenfassend dürfen wir feststellen, dass einige Freimaurer an der Melodie unserer Bundeshymne mitgewirkt haben.

Kehren wir aber zum Thema zurück:

Da gab es 2018 einen ideologischen Disput der deutschen Grünen mit der AfD, wer die Heimat tatsächlich vertreten darf und für sich diesen Begriff in Anspruch nimmt.

Und da fällt mir ein, dass unser Ritual vorsieht, nach der Rezeption an der Tafel Toasts auf die Königliche Kunst, auf die Frauen und auf das Vaterland und sein Staatsoberhaupt (siehe Intern. Lexikon der FM unter dem Begriff Vaterland) auszubringen. Somit kennen wir den Begriff der Heimat in der Freimaurerei nicht direkt, sondern nur in Verbindung mit dem Vaterland.

Verwirrung machte sich breit.

Also habe ich versucht, mich systematisch dem Thema „Was bedeutet Heimat?“ zu nähern. Und welchen Konsequenzen hat es, wenn Heimat definiert wird und alles andere und alle anderen, die nicht dazugehören, daher nicht einer Heimat angehören?

Versuch einer Begriffsbestimmung

Zunächst war ich sehr überrascht, wieviel Dissertationen und Habilitationen zum Thema Heimat zu finden sind. Unter anderem die Dissertation von Andrea Bastian „Der Heimat-Begriff“, Tübingen 1995.

Sie führt darin aus, dass der ursprüngliche Begriff erstmals im 15. Jhdt. nachweisbar ist und damit Grundbesitz, Gut, Anwesen gemeint war. Die Weiterentwicklung von Haus, Heim zu Heimat oder englisch „home“.

Definition Heimat im Brockhaus: „Heimat ist zunächst auf einen Ort (auch als Landschaft verstanden) bezogen“.

Im Meyers Enzyklopädischen Lexikon finden wir zu Heimat: „Heimat definiert subjektiv von einzelnen Menschen oder kollektiv von Gruppen, Stämmen, Völkern, Nationen erlebte territoriale Einheit, zu der ein Gefühl besonders enger Verbundenheit besteht“.

Das Erste, das bei all den Annäherungen zu der Begriffsbestimmungen Heimat auffällt, ist, dass es sich immer um eine subjektive Wahrnehmung handelt. Heimat kann daher nicht als objektiver, allgemeingültiger Begriff festgemacht werden, sondern ist für jeden individuell unterschiedlich. Tatsächlich definieren wir mit dem Begriff Heimatgefühl, was für jeden Einzelnen Heimat bedeutet.

Es ist somit nicht einfach, den Begriff Heimat exakt zu deuten, so ähnlich wie es Augustinus in seinen Betrachtungen über das Problem der Zeit gegangen sein muss: Solange mich niemand danach fragt, ist es mir als wüsste ich es, fragt man mich aber und soll ich es erklären, dann weiß ich es nicht mehr“.

Es geht grundsätzlich um eine subjektive Wahrnehmung – das Heimatgefühl. Was vermittelt uns diesen Eindruck:

  • Geruch auftauender Erde im Vorfrühling, Geruch des Wachses eines frisch eingelassenen Fußbodens
  • Anblick eines Gegenstandes oder Gebäude
  • Hören einer bestimmten Melodie oder einer Stimme
  • Bestimmter Wohnort
  • Nahestehende, vertraute Menschen
  • Regelmäßige, wiederkehrende Feste

Der gemeinsame Nenner ist das Gefühl der Vertrautheit, Sicherheit, Zugehörigkeit, Anerkennung und Geborgenheit.

Indem man sich etwas vertraut macht, sei es einen bestimmten Raum (Landschaft/Ort/Elternhaus, in dem heranwachsende Individuen sich Winkel für Winkel vertraut machen) oder einen Menschen, verleiht man ihm Einzigartigkeit und darin ist der Kern des individuellen Heimatgefühles begründet. (Zitat Andrea Bastian)

K. Weigelt in seinem Artikel 1984 zum Thema Heimat (erschienen in den“ Studien zur politischen Bildung“) führt aus: „Heimat ist die Erfahrung, als Mensch angenommen zu sein…, irgendwohin zu gehören, wo man willkommen ist, wo man geliebt und geachtet wird… Geborgenheit kann es nur geben, wo der Mensch in dieser Weise angenommen und sich damit auch in seiner Würde geachtet weiß“.

Konrad Lorenz beschreibt den Zusammenhang von Sicherheitsgefühl und Heimat so: „Wir alle unterschätzen, wie sehr uns die Angst im Nacken sitzt und wie sehr wir uns nach Sicherheit sehnen! Heimatgefühl ist ein qualitativ eigenartiges Lustgefühl, das jeder kennt und das man empfindet, wenn man etwas sehr Vertrautes wiedersieht. Daraus entsteht ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit. Man fühlt sich zu Hause“.

Zusammenfassend kann daher gesagt werden: Heimat ist nur subjektiv definierbar; Heimat ist ein Gefühl, das jeder mit Sicherheit, Vertrautheit, Zugehörigkeit, Anerkennung und Geborgenheit identifiziert.

Ich habe Freunde befragt, was sie spontan zum Begriff Heimat sagen und was Heimat für sie ist.

Viele bezeichnen zunächst das Land aus dem sie stammen, als ihre Heimat. Diesen geographischen Begriff verwendet wohl die Textstelle in unserer Bundeshymne, denn gemeint ist sicher damit die Republik Österreich.

Es gibt daher eine geographische Unterscheidung, die je nach Individuum sehr unterschiedlich ausfällt. Interessanterweise habe ich nur eine Person getroffen, die Europa als ihre Heimat genannt hat…

Gebräuche, Traditionen, Geschmack eines bestimmten Gerichtes oder der Duft lösen heimatliche Gefühle aus. Das heißt, dass wir in unserer Sozialisierung Vertrautes, Sicheres und Geborgenes später dann mit dem Heimatbegriff assoziieren.

Wenn nun von außen suggeriert wird, was für eine bestimmte Gruppe Heimat ist, wird damit auch sehr schnell klar, dass alles was sich außerhalb befindet, möglicherweise als Bedrohung empfunden werden könnte.

Interessant ist, dass dabei Heimat wieder nicht identifiziert wird. Zunächst wird es wohl die Zugehörigkeit zu einem Staat oder vielleicht auch einer Gruppe mit bestimmten Merkmalen sein. Die Angehörigen dieses Staates oder dieser Gruppe genießen bestimmte Vorrechte (aktives/passives Wahlrecht, Sozialleistungen, Reisepass usw.). Offenbar müssen die Rechte dieser Gruppe vor irgendwas geschützt werden?!

Das Territorium Heimat hat offenbar immer auch – bei Mensch und Tier- mit „Überleben“ zu tun, zumindest gewährt die Rückkehr auf ein eigenes oder gemeinsames Territorium Sicherheit und Entspannung.

Aber was bedeutet das für alle diejenigen, die ihr Land verlassen haben? Vielleicht für die Ausbildung, den Job, die Liebe, wegen wirtschaftlicher Notwendigkeit oder Gefahr für ihr Leben und ihrer Familien? Wir erleben seit einigen Jahren „Völkerwanderungen des 20./21. Jahrhunderts“ aus mannigfachen Gründen. Alle diese Menschen, die ihr vertrautes Territorium verlassen haben und in ein neues, anderes Land gezogen sind, haben dieses Gefühl der Sicherheit/Vertrautheit/ Geborgenheit nicht mehr. Teilweise können und gehen sie auch zurück, teilweise wollen sie zurück, können aber nicht. Es gibt sehr viele Gründe, warum Menschen ihre Heimat auf Dauer verlassen.

Zum Teil brauchen wir diese Menschen als Arbeitskräfte oder sie sind Teil unser Familien geworden, weil sie eingeheiratet haben oder schlicht sehr gute Freunde oder Nachbarn sind.

Alle haben das gleiche Recht auf ihr Heimatgefühl, wie ich es für mich in Anspruch nehme. Oder nicht? Natürlich im Rahmen unserer gesetzlichen Bestimmungen und unserer Gebräuche/Kultur und nicht zuletzt unter Respektierung der Freiheit der Anderen.

Schwester Anita hat mich auf ein beindruckendes Buch zu diesem Thema hingewiesen. Isolde Charim: „Ich und die Anderen“.

Klappentext: „Keiner kann heute seine Kultur….Debatte um religiöse Zeichen.“

In ihrem Buch unterscheidet Charim (sehr vereinfacht) drei unterschiedliche Phasen des Individualismus.

Die erste Phase wird von den großen Verbänden wie Staat, Religion usw. geprägt. Es genügt daher, bürgerlich oder christlich zu sein oder auch nur Österreicher, um dieser/diesen Gruppen anzugehören. Der Mensch wurde quasi hineingeboren und musste sich oder die Gruppe nicht in Frage stellen. Die fortschreitende Pluralisierung der Lebensformen brachte es mit sich, dass neue Gruppen auftauchten mit anderen Merkmalen. Es war daher eine Entscheidung einer dieser Gruppen angehören zu wollen (Beispiel Homosexualität, Frauenbewegung und anderen Minderheitenbewegungen). Hier spricht Charim vom zweiten Individualismus. Die Pluralisierung der Bevölkerung bedeutet einen dritten Individualismus. Alle drei Formen bestehen heute nebeneinander.

Sehr vereinfacht dargestellt bedeutet es, dass im 19. und 20. Jahrhundert es relativ einfach war, jeden Einzelnen einer bestimmten Gruppe zuzuordnen, und es auch dem Individuum einfach war, sich eine bestimmte Partei, Religion oder Lebensform zu wählen oder auch nur zu leben. Durch die fortschreitende Pluralisierung haben sich alle diese alten Grenzen, Regeln, Gesetze verändert und der Einzelne müsste für sich definieren, was und wer er/sie ist! Was ungemein komplexer ist, noch dazu, wo die Einflüsse durch Informationen zu allen Bereichen eine schier unendliche Anzahl an Möglichkeiten bietet.

Fixe Zuordnungen, klare Regeln lösen sich auf! Zugunsten eines riesigen Angebotes an möglichen Denkrichtungen, Lebensformen, Philosophien und vieles mehr.

Zurückkommend auf das eingangs erwähnte Heimatgefühl als Sozialisierung, Vertrautheit, Sicherheit. Wie kann in diesem gesellschaftlichen Umbruch ein Gefühl von Heimat entstehen? Oder können neue Heimaten kreiert werden? Die deines Ursprungs und die deines Aufenthaltes/Wohnsitz?

Und so wird es nicht nur eine Heimat geben. Nicht nur für uns, aber auch für jeden, der seine ursprüngliche Heimat verlässt, oder dessen Eltern diese verlassen haben, aber heute noch engste Beziehungen pflegen.

Pluralisierung in diesem Sinn bringt Freiheit. Und eine Gesellschaft, Gruppe oder Land/Nation muss sich davor nicht schützen, denn es droht keine Gefahr, sondern ist eine Bereicherung.

Ich denke, wir sollten sensibel reagieren, wenn bestimmte Gruppen uns suggerieren wollen, was unsere Heimat sein sollte.

Insbesondere als Freimaurer, die wir uns den Gedanke der Aufklärung verschrieben haben (Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit), sollten wir achtsam umgehen, wenn bestimmte Organisationen, Gruppen oder sonst wer beginnt zu definieren, wer dazugehören darf und unter unserem Schutz steht und wer draußen bleiben soll.

Auch wir FM prüfen eingehend, wen wir in unsere Loge aufnehmen oder nicht. Wir machen Interviews, berichten und stimmen ab. Ist daher die Logos für unsere Gruppe die Heimat? Ja sicher, die Gesichter sind uns vertraut, wir fühlen uns anerkannt und sicher. Aber trotzdem reisen wir, besuchen andere Obödienzen und andere Logen. Für uns ist Reisen zu anderen Logen sehr positiv und erweitert den Horizont und unsere Sichtweisen auf unsere Rituale und vieles mehr.

Wenn Heimat nicht der verkitschte Försterfilm ist, sondern ein ehrliches, persönliches Gefühl, das Wohlgefühl vermittelt, dann soll es jedem unbenommen sein, sich daran zu erfreuen.

Wir sollten jedoch sehr vorsichtig sein, wenn bestimmte Interessvertreter plötzlich einen unhinterfragten Heimatbegriff verwenden, um sich von anderen abzugrenzen.

Amae und ihre Geschwister

Jeden Tag, bewusst oder unbewusst. Manchmal aktiv gesteuert, meist leiten sie uns durch den Tag, wir lassen sie passieren, schenken ihnen mehr oder weniger Aufmerksamkeit oder werden von Ihnen gesteuert.

Es sind unsere Gefühle!

Die Maler der Romantik sahen den Himmel voller Emotionen. Das ist der Grund, warum sich die Malerei so intensiv mit der Darstellung des Himmels beschäftigt hat. Oft ging es gar nicht um die dargestellte Landschaft, sondern um die Vermittlung von Gefühlen. Der Himmel als Wohnort des Göttlichen, schien der geeignete Ort, um andere über die eigenen Emotionen zu informieren. Selbstverständlich war es nicht üblich, laut darüber zu sprechen. Eingeweihte wussten die Bilder auf diese Art zu lesen. Es war eine, uns verlorenen gegangene, Version von Kommunikation.

Die Wolken und ihre stetige Veränderung war die Versinnbildlichung menschlicher Gefühle. Wolken fügen sich zusammen, können für einen Moment lang alles einfärben und ein sehr starkes Bild geben. Nur wenige Augenblicke später sind sie gänzlich verschwunden, abgelöst von einem neuen Himmelsbild. Ganz genau so, wie sich Gefühle für uns Menschen anfühlen können. Manche sind wie durchsichtige Fetzen, wir nehmen sie kaum wahr, andere sind tiefrot wie ein Sonnenuntergang und dominieren unser Sein.

Übung 1:

Bitte schließt jetzt Eure Augen, atmet einmal ganz bewusst ein und tief aus und lasst vor Eurem inneren Auge jetzt Euren Wolkenhimmel entstehen.

Wie sieht er jetzt aus? Sind es dünne zarte Wolken, die frei für sich stehen? Oder sind die Wolken stark und intensiv, viele auf einem Fleck, verbunden mit den anderen. Weht der Wind in eurem Wolkenbild? Stark oder ist es nur ein schwaches Lüftchen?

Wie ist es herauszufinden, was ihr gerade fühlt? Ungewohnt? Anstrengend? Oder einfach und vertraut? Wann habt ihr das letzte Mal über Eure Gefühle im hier und jetzt nachgedacht? Tut das gut oder ist das mühsam und nervig?

Was ist inzwischen mit Euren Wolken passiert? Haben sie sich verändert oder sind sie gleich geblieben? Versucht, Euch Euer Wolkenbild einzuprägen und öffnet die Augen mit dem Gefühl, dass Ihr Euch gerade bewusst gemacht habt.

Danke!

Die sogenannte Kommandozentrale unserer Wolken bzw. Gefühle findet sich tief in unserem Gehirn. Im Temporallappen ist ein tropfenförmiges Gebilde, das die Reize der Außenwelt bewertet und entscheidet, ob wir darauf eingehen sollen oder sie besser meiden.

Was da kommandiert wird, wurde von den Menschen in den verschiedenen Jahrhunderten allerdings völlig unterschiedlich gesehen.

Die alten Griechen glaubten z.B., dass wilder Zorn vom üblen Wind herbei-getragen wird und man deshalb die starken Winde meiden sollte.

Bis zum Anfang des 19.Jahrhunderts findet man nirgends Beschreibungen von Emotionen, wie wir sie heute kennen. Dafür findet man Ausführungen von Unfällen der Seele, sittlichen Empfinden, oder man verspürte Leidenschaften von enormer Tragweite.

  1. Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt! (Goethe)
  2. Das Gewissen ist die Stimme der Seele. Die Leidenschaften sind die Stimme des Körpers. (Rousseau)
  3. Deine Begierden und Dein Geschmack sind jetzt deine Tyrannen. Lass es gut sein, man muss sie austoben lassen! Sich Ihnen widersetzen ist Torheit. (Lessing)

Kleiner geschichtlicher Abriss:

Auf den Arzt Hippokrates geht eine Theorie zurück, die sich bis in die Renaissance gehalten hat. Diese Theorie besagt, dass jeder Mensch vier elementare Substanzen im Körper hat, welche für die Ausbildung der Gefühle, der Gemütslage und der Persönlichkeit verantwortlich sind.

1 )Blut

2) Gelbe Galle

3) Schwarze Galle

4) Schleim oder Phlegma

Menschen mit mehr Blut in den Adern, haben demnach ein hitziges Temperament. Wer mehr Schleim aufweist, ist friedfertig. Schwarze und gelbe Galle hingegen bringen das Blut zum Kochen und treiben es in die Gliedmaßen; der Mensch wird angriffslustig oder streitsüchtig.

Bis heute kennen wir den Ausdruck, das Blut zum Wallen bringen oder wir beschreiben jemanden als phlegmatisch – schöne Grüße von Hippokrates.

Charles Darwin hat als erster Emotionen wissenschaftlich untersucht. Er hat Reisenden und Missionaren eine Art ersten Fragebogen mitgegeben. Fast über den ganzen Globus wurden Menschen befragt, was sie bei Trauer und heftiger Erregung verspüren. Sie sollten aufschreiben, welche Bereiche des Körpers davon betroffen sind.

Freud hat den Begriff der „Gefühlstöne“ begründet. Er versuchte damit, die Komplexität zu ergründen, die Gefühle in uns Menschen bewirken. Und was wir alle noch regelmäßig zitieren ist die „Freud‘sche Fehlleistung“- also ein Gefühl, das uns wie ein kleines Teuferl bespringt und unsere Gefühle wie Wut oder Eifersucht aus dem Unterbewusstsein rasch für alle sichtbar werden lässt.

Dass Emotionen auch verschiedenen Kulturen unterliegen ist die jüngste Erkenntnis. Erst im 20. Jahrhundert hat man herausgefunden, dass unsere Gefühle nicht nur durch unseren Körper und unseren Geist geformt werden, sondern auch stark von der uns prägenden Kultur beeinflusst sind.

Übung 2:

Emotionen spüren und verändern! Denkt an etwas Ärgerliches, lasst auch Eurer Körpersprache freien Lauf – denkt an etwas Trauriges und denkt an etwas Schönes – ein richtges Glücksgefühl.

Wie war das? Haben die Gedanken Eure Gefühle dominieren können? War es eine Leitung der Gefühle? Haben sich die Gefühle echt angespürt?

Die Reise in die Welt der Gefühle zeigt:

Gefühle verändern sich offensichtlich stark durch Raum und Zeit.

Das Wahrnehmen durch die Sinne – wir nennen es Gefühle

Gefühl: umgangssprachliche Bezeichnung und Verwendung für einen erlebten Zustand bzw. subjektiven Erlebniszustand.

Auf Gefühle stoßen wir immer dann, wenn wir fragen, ob und wie ein Ereignis, eine Vorstellung oder eine Erinnerung eine Person berührt.

Beim Erwachsenen sind Gefühlszustände überwiegend unwillkürliche, teil-automatisierte Reaktionen, in denen sich jeweils die Art und der Grad des Involviert seins zeigen.

Man erfährt sich beim Erleben von Gefühlen häufig auch als eher passiv; Gefühle erscheinen häufig als spontan, unwillkürlich, wie von selbst, außerhalb der Kontrolle der Person entstehend.

Den größten Teil unseres Lebens nehmen wir sie mehr oder weniger wahr, beschäftigen uns aber nur im Ausnahmezustand damit. Gefühle werden in den extremen Situationen wichtig – etwa wenn wir verliebt sind oder bei Verlust.

Ich habe als junger Mensch gedacht, dass Gefühle für alle Menschen auf der Welt gleich sind, wir das mehr oder weniger selbe Spektrum an Gefühlen zur Verfügung haben – so wie alle Menschen zwei Arme und zwei Beine haben. Hab‘ spannend gefunden zu erfahren und erleben, dass Menschen quer über den Globus völlig unterschiedliche Gefühle haben.

Übung 3:

Unsere Brüder/unsere Schwester werden uns jetzt Gefühle zeigen, und ihr seid aufgerufen, sie zu benennen – genießt bitte den Anblick und ruft dann heraus, welches Gefühl Euch vermittelt wird

Darstellen von Gefühlen:

 Darstellen von Angst:    Laut sagen:   Das ist fürchterlich

Darstellen von Freude:    Laut sagen:      Das ist richtig

Darstellen von Traurigkeit:   Laut sagen:    Das ist traurig

Darstellen von Wut/Ärger:   Laut sagen:      Das ist falsch

 Darstellen von Liebe:    Laut sagen:   Das ist wunderbar

Darstellen von Scham:  Laut sagen:    Ich bin falsch

……..

Darstellung von Ekel:   Laut sagen: Das will ich nicht

Darstellung von Neugier:  Laut sagen:    Das interessiert mich

Ein Gefühl bedeutet: das Bewusstwerden einer vorangegangen Emotion.

Dieser Prozess des Bewusstwerdens ist uns heute geläufig, wir werden dazu aufgefordert und angehalten. Ob wir positive oder negative Gefühle höher bewerten, unterliegt der Kultur und Mode, in der wir groß werden.

In der Renaissance wurde man ermuntert, traurig zu sein, weil dort die Erfüllung des Geistes zu finden sei.

Im 18. Jahrhundert hat man gelehrt, dass ein ernsthafter Künstler nur einer ist, der regelmäßig erschüttert ist.

Die griechischen Philosophen nannten die Fähigkeit zur Ausblendung negativer Gefühle Ataraxie. Ein Begriff, der Gemütsruhe, Seelenfrieden oder auch Gelassenheit umschreibt.

Noch eine Stufe höher steht die Apathie, das komplette Ausschalten von Gefühlen.

Beides galt damals als schwer zu erreichender Idealzustand, wer möchte heute freiwillig apathisch sein?

Der moderne Mensch ist höchst interessiert, die Ataraxie zu erreichen, und viele von uns können dazu bestimmt auch persönliche Erfahrungen liefern, was es Schönes zu fühlen gibt, wenn man in den Zustand der wohltuenden Ruhe ohne negative Belastung gelangt.

Wir arbeiten am rauen Stein – versuchen uns stetig selbst zu beobachten, zu erforschen –, demnach gehört auch das Erfühlen, was uns bewegt, zu unserer Arbeit.

Wenn wir uns selbst erforschen, erliegen wir mit ziemlicher Sicherheit einem Phänomen, das die Psychologie: Selbsterforschungsillusion nennt.

Psychologen aus den unterschiedlichsten Richtungen sind sich in diesem Punkt einig: Die Selbstbeobachtung unserer Gefühle im Jetzt ist fehlerhaft, unzuverlässig, irreführend, sprich meistens falsch.

Stimmungen, Gedankenfetzen und Gefühlregungen führen uns an der Nase herum bzw. in die Irre.

Wollen wir uns selbst erforschen, ist viel wichtiger als den derzeitigen IST-Zustand zu erheben, eine Rückschau zu halten.

Was ist die Bilanz der letzten 30 Jahre?

Welche Themen und Gefühle ziehen sich tatsächlich durch einen großen Teil meines Lebens? Nur das ist aussagekräftig!

Evolutionär gesehen, war es immer wichtiger, die Gefühle des anderen zu erkennen. Das Bewusst machen der eigenen Gefühle war lange überhaupt nicht wichtig, deshalb hat der Mensch darin auch wenig Übung.

Wie sich unser Gegenüber fühlt, war relevant: ist er Freund oder Feind – mir gut gesonnen oder muss ich flüchten.

Das hat auch dazu geführt, dass wir die Gefühle der anderen ununterbrochen gescannt und beobachtet haben. Das haben wir erhalten und können es alle.

Interessanterweise sind meist Freunde oder nahe Verwandte deshalb besser imstande, eine relevante Scala von Gefühlen über uns abzugeben, als man selbst.

Provokantes Fazit: Vertraue Deinen Gefühlen nicht! Sie sind zu unstet!

Als Segler gesprochen: vertraut man seinen Gefühlen, wäre das so, als würde man einem Kompass folgen, der ununterbrochen die Richtung wechselt.

Was fühlst Du? – ist eine Frage, die wir als Kind selten gestellt bekamen. Wir aber würden sie mit größerer Wahrscheinlichkeit an unsere Kinder richten.

Über Jahrhunderte hatte es in keiner Gesellschaft Platz gegeben, über Gefühle zu sprechen und schon gar nicht über sie nachzudenken. Das war höchstens Gelehrten und Philosophen vorbehalten.

Und auch die Kunst war die Welt der Gefühle. Sie waren die Basis für den künstlerischen Ausdruck. Künstler räumte man ein, Emotionen zu haben und sie auch für alle sichtbar zu leben.

Das Fühlen hat erst in der modernen Gesellschaft einen Platz bekommen, nicht zuletzt deshalb, weil man erkannt hat, dass auch wesentliche ökonomische Zusammenhänge ableitbar sind.

Die Mode des sogenannten persönlichen Aufarbeitens hat erstaunlicherweise eine Epidemie des „Selbstmitleids“ gebracht, nicht wie man vermutet hat, eine Vielfalt von Gefühlen.

Schon Seneca warnte davor und sprach vom „Unglück der Selbstzerfleischung“.

Senecas Lösung:

  Akzeptiere, dass das Leben nicht perfekt ist – Du tust Dir um einiges leichter!

 Woran liegt der Sinn unglücklich zu sein, nur weil man unglücklich war – fragt Seneca weiter?

Die Art, wie wir empfinden, ist nicht nur von uns selbst geprägt, sondern auch immer mit Erwartungen und Vorstellungen der jeweiligen Kultur verwoben, in der wir leben. Rund um 1900 war in Wiens intellektueller Welt nur der ernst zu nehmen, der missmutig war. Lebensfrohe Menschen hielt man für oberflächlich und ganz bestimmt ungebildet.

Emotionen scheinen derart signifikant zu sein, dass sich die Menschen mit ihren vielen Nuancen dazu eigene Einteilungen gezimmert haben.

Die Pintupi, ein Volk in Westaustralien, kennt zum Beispiel 15 verschiedene Arten von Angst und hat dafür nicht nur eigene Wörter, sondern auch Rituale um sie auszudrücken.

In Peru gibt es zum Beispiel kein Wort für unseren Begriff Sorge.

Um 1500 v. Chr. kannte man bei den Veden schon das Gefühl Abhiman. Abhiman ist der Schmerz und die Wut, die in uns aufkommen, wenn uns eine Person verletzt, die wir lieben oder von der wir erwarten, dass sie uns freundlich behandelt.

In Indien gilt Abhiman als eines der wichtigsten Gefühle innerhalb von Familien, wenn ungeschriebene Gesetzte nicht eingehalten werden.

Malu ist ein Gefühl, für das es in Indonesien Rituale und Kultur gibt. Malu ist das Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir Menschen höheren Ranges begegnen. Würdenträger, der Chefetage und wem auch immer. In der westlich orientierten Welt würden wir uns als Versager fühlen, wenn wir im Erwachsenen sein noch immer das Gefühl des Unterlegen seins empfinden oder rot werden und zu stottern beginnen. In Indonesien gilt es als gute Manieren, malu zu zeigen. Es ist so selbstverständlich, wie bei uns „danke“ zu sagen.

Diese Liste würde sich noch lange fortsetzen lassen.

Mein liebstes Gefühl auf meiner Spurensuche, möchte ich jetzt mit Euch teilen.

Abschlussübung:

Bitte alle aufstehen, dreht Euch zu einander. Bitte zu zweit zusammen gehen.

Nehmt einander in die Arme und schließt Eure Augen.

Amae hat bei uns keinen Namen.

Amae ist in Japan zu Hause.

Amae ist das Gefühl, jemanden innig umarmen zu wollen. 

Handwerkzeug – Denkwerkzeug

Bei der Themenauswahl für mein Baustück über die Freimaurer habe ich mich sehr schnell an meine alte Frage erinnert, die da lautet:  wie kann aus einer Handwerkszunft eine Vereinigung von Menschen werden, deren Inhalt das Denken ist?

Welcher Mechanismus lässt aus einer Handwerkszunft eine mystische Gesellschaft werden, die gefürchtet und bewundert wird, mit Verschwörungstheorien aller Art in Zusammenhang gebracht wird und der sogar das Streben nach der Herrschaft über diese Welt unterstellt wird.

In unserer Zeit haben Freimaurer und Steinmetze nicht mehr viel miteinander zu tun, historisch sind sie jedoch eng miteinander verbunden. Die Freimaurerei hat sich im Jahre 1717 aus den Steinmetzzünften entwickelt. Während die Steinmetze die Werkzeuge praktisch nutzten, haben die Freimaurer sie zu geistigen Werkzeugen gemacht.

Wenn wir gemeinsam zurückschauen, finden wir das Regius-Manuskript oder Halliwell-Manuskript von 1390 als die älteste bekannte Zunftordnung der Steinmetzbruderschaften, genannt das „Maurerische Gedicht“. Es enthält in 794 Reimen auf Mittelenglisch eine Darstellung der Entstehung der Steinmetzzunft in England.

Viele Bauwerke auf der ganzen Welt, die in den Zeiten der Hochkulturen dieser Regionen errichtet worden waren, verweigern uns bis heute das exakte Wissen über die Technik, die ihre Errichtung möglich gemacht hat, und für viele dieser Bauten existieren keine Pläne.

Bestes Beispiel ist die weltgrößte Dom-Kuppel mit 45 Metern Durchmesser. Dieser Kuppelbau wurde erst im Jahre 1420 begonnen und 1436 fertig gestellt, obwohl der Baubeginn des Domes von Florenz bereits 1296 erfolgte.

Und damit niemand auf die Idee kommen konnte, den neuen, kühnen Plan der Kuppel von 1367 zugunsten älterer, einfacherer Lösungen zu verlassen und damit den neuen Machtanspruch von Florenz zu reduzieren, vernichtete man alle älteren Dokumente, die sich mit dem Dombau befassten.

Man hat also gleichsam alle Brücken hinter sich abgebrochen. Entweder diese neue Kuppel mit bisher noch nie erreichter Höhe – oder gar keine. Daher ist nur unzulänglich bekannt, wie sich die Architekten (Arnolfo di Cambio und seine frühen Nachfolger) den Dom eigentlich vorgestellt hatten.

Aber niemand konnte die geplante gigantische Kuppel errichten, da das „Alte Wissen“ verloren gegangen war und erst Brunelleschi – ein gelernter Goldschmied – behauptete, den Bau ausführen zu können. Er, der in Sichtweite des Domes aufgewachsen war, sich von klein auf mit den Problemen des Kuppelbaues auseinander gesetzt hat und die alten Bauten  – im Besonderen das Pantheon in Rom – studiert hat, war, wie man liest, sehr aufsässig in der Behauptung, er alleine könne  diese Kuppel konstruieren und erbauen. Obwohl er nie genaue Pläne vorgelegt hat, hat er den Auftrag mangels anderer Anbieter bekommen.

Brunelleschi hatte panische Angst davor, dass andere ihm seine Ideen stehlen könnten, denn es gab damals noch kein Patentrecht. Er wusste, dass er der einzige war, der so etwas konnte und behielt sein Wissen für sich. Wenn er Pläne aufzeichnete, bediente er sich einer eigenen Geheimschrift, die niemand anderer lesen konnte. Bis heute wissen wir daher nicht, wie die Konstruktion genau aussieht.

Zu wissen, wie man große Steinbauten wie Pyramiden, Tempel, Dome, Schlösser und Burgen errichtet, hat jedem dieser Baumeister eine besondere gesellschaftliche Stellung – ausgestattet mit Hochachtung, Einfluss, Macht und Geld – verliehen und es war unabdingbar notwendig, dieses Wissen zu sichern, um sich vor Nachahmern und Konkurrenz zu schützen.

Damit sich niemand Fremder in die Bauhütten einschleichen konnte, wurden geheime Erkennungszeichen   eingeführt und schon die Lehrlinge zum Schwur, sich lieber die Kehle durchschneiden zu lassen als ein Wort aus der „Arbeitswelt“ hinauszutragen, gezwungen.

Die Art und Weise zu schreiten, um den Tempel zu betreten,  stammt möglichweise aus der Lehre, wie man auf hohen, schmalen Mauern  ̶  ohne Gerüst und Handlauf – geht, die 90°-Stellung der Füße zueinander ist die beste Methode, um das Gleichgewicht nach vorne und hinten sowie nach links und rechts zu halten.

Das Zeichen der Verschwiegenheit und die Fähigkeit, in luftigen Höhen ungesichert über eine schmale Mauer gehen zu können, haben die Lehrlinge als solche der Steinmetzzunft erkennen lassen.

War diese Frage geklärt und die Tore fest verschlossen, konnten die Meister annehmen, in „Sicherheit“ vor ungewollter Verbreitung ihres Wissens zu arbeiten mit dem Ziel, die Kathedrale zu bauen, ohne die Geheimnisse des Kathedralen-Baues preiszugeben.

Die Werkzeuge, die sich über Jahrhunderte bewährt haben, um die größten Bauwerke zu errichten, sind Symbole des Dauerhaften und wurden als solche für Denkprozesse und Verhaltensweisen eingesetzt.

Diese Symbole dienen aber nicht, wie oft vermutet, der geheimen Erkennung untereinander, sondern sind Bild-Zeichen, die das eigenständige und freie Denken anregen sollen. Das freie Denken ist das Ziel der Freimaurerei. Eine fertige Morallehre wird von den Freimaurern weder vorgegeben noch akzeptiert.

Aus diesem Grund hat auch die römisch-katholische Kirche[7]  die Zugehörigkeit zur Freimaurerei als mit ihr unvereinbar erklärt. Aber auch die Islamische Weltliga erklärte 1974 in Mekka die „Freimaurerei als unvereinbar mit dem Islam“ und fordert alle Muslime, die einer Loge angehören, zum Austritt auf.

Die Handwerksgilden waren auch soziale Treffpunkte. Dort haben sich einerseits die Handwerker und Baumeister gerne mit den hohen Herrschaften, den Adeligen, den reichen Bürgern und Geldgebern geschmückt, andererseits diese wieder mit den Handwerkern, vor allem aber auch mit der geistigen Elite geschmückt. Es entstand eine Symbiose, die es den Baumeistern ermöglichte, an die Meinungsträger (wo soll eine Kathedrale gebaut werden) und die Geldgeber heranzukommen und den Geldgebern ermöglicht, vom Glanz der geistigen Elite mit Kontakt zum Himmel beleuchtet zu werden.

Das Prinzip der Verschwiegenheit haben die „Profanen“ gerne übernommen, hat es doch allen ermöglicht, nicht nur ehrenhafte Diskussionen mit offenen Worten zu führen, sondern auch – kurz gesagt – jede Form der Korruption oder feiner gesagt, der „Vorteilsgestaltung“, gefahrlos zu organisieren.

Auch Musiker, Dichter, Schauspieler, Ärzte, Juristen benötigen Aufträge und wollen Karriere machen.

Jemand hat jedoch für Ordnung gesorgt und „ Pflichten“ eingeführt, um schlechten Sitten den Platz in den Logen zu verweigern.

Die Organisationsformen der Dom-Bauer haben ihre Funktion bewiesen und ihre Strukturen beizubehalten war, nachdem die Dom-Bauer mangels Aufträgen ihre Bedeutung und ihr Dasein verloren haben,  naheliegend, um eine stabile, weltliche Gemeinschaft mit positiven Zielen zu errichten.

Die physischen Werkzeuge der Steinmetze waren also zu metaphorischen Denkwerkzeugen geworden. Es waren aber nur wenige Werkzeuge, denen man viele Begriffe des Lebens zuordnen musste, und möglichweise beruhen darauf auch die verschiedenen Deutungen dieser Symbole. Erklärungen für diese Symbole sind daher eher als Orientierungshilfe zu verstehen, deren Bedeutung vor allem wir Lehrlinge uns erst selbst erarbeiten müssen.

Eines der Hauptsymbole der Freimaurer ist der biblische Tempel des Königs Salomo – er gilt als der erste Tempelbau zu Ehren des einen Gottes. In der Freimaurerei ist er Symbol für die menschliche Gesellschaft, wo jeder einzelne Mensch (als einzelner Stein) mit seinen Nebenmenschen als Ganzheit ein kunstvolles Bauwerk darstellt. Deshalb nennen wir Freimaurer unsere Zusammenkünfte in der Loge auch „Tempelarbeit“, weil wir am „Tempel der Humanität“ bauen.

Das maurerische Menschenbild hat im europäischen Denken, eine Sonderstellung.

Rein philosophische Systeme und Religionen neigen dazu, sich voneinander abzugrenzen, ihre Gegensätze zu betonen und damit ihre Mitwelt in Befürworter und Gegner zu trennen. Maurerisches Denken ist ganz auf das Verbindende und Integrierende ausgerichtet.

ABER wie kann man Menschen verbinden?

Es war ein Österreicher, der als Schöpfer der Bildsprache gilt und der durch seine „Wiener Methode der Bildstatistik“ und dem von ihm gegründetem ISOTYPE Institut, die Bildungsschranke zwischen arm und reich durchbrochen hat.

OB ER – Otto Neurath – einem maurerischem Gedankengut die Entwicklung seiner berühmten „Bildsprache“ verdankt, konnte ich nicht herausfinden. Tatsächlich hat er bewusst versucht, den „Ungebildeten“, die nicht lesen oder schreiben konnten, eine Schrift zu geben, die sie verstehen und anwenden konnten.

Einzelne Zeichen aus denen die Vermittlungsbilder des Otto Neurath zusammengesetzt waren, sind uns heute in ihrer einfachsten Form als Piktogramme oder Icons auf öffentlichen Plätzen und sonst wo allgegenwärtig und haben sich als Massenkommunikationsmittel etabliert.

Bemerkenswert an diesem Herrn Neurath ist, dass er 1919 – in seiner Funktion als Präsident des Zentralwirtschaftsamtes in der Bayrischen Räterepublik –, wegen Hochverrates verhaftet wurde und zwar, weil er versucht hat, das Bargeld abzuschaffen!! Ein Thema, das uns heute in ganz besonderem Ausmaß beeinflussen könnte, und darauf komme ich auch noch zurück.

Viele kluge Leute haben in tausenden Jahren über das Denken philosophiert und versucht, Denkprozesse zu verstehen, die Grundlagen des Denkens zu erkennen, die unterschiedlichen Resultate dieser Prozesse zu erklären und Mechanismen zu beschreiben, wie und warum wir zu richtigen oder falschen Denk-Ergebnissen kommen.

Die ältesten, an den weit verbreitetsten und in der Masse erfolgreichsten Denkmodellen sind die Religionen. Bitte erlaubt mir hier eine ultimative Kurzfassung:

Das Christentum arbeitet mit Angst, Verboten und Geboten, der Hinduismus mit Reinkarnation (Mischreligion in 3500 Jahren entstanden), der Islam ist eine Religion der Unterwerfung, des sich Hingebens an Gott mit Normvorgaben die als Scharia bezeichnet werden. Der Buddhismus bezieht seine Glaubenslehren auf umfangreichen philosophisch-logischen Überlegungen, ebenso wie der Daoismus und Konfuzianismus.

Jetzt möchte ich zum wesentlichen Punkt meines Baustückes zu kommen.

Die Denkschulen der modernen Zeit frei denkender Menschen kennen genau zwei grundlegende Denkwerkzeuge – genannt divergierendes und konvergierendes Denken. Ich erkläre jetzt sofort was gemeint ist.

Divergierendes Denken und konvergierendes Denken gehören zusammen, müssen aber ausnahmslos völlig getrennt und hintereinander ablaufen.

Alle weiteren Denkwerkzeuge bauen auf diesen beiden auf.

Jetzt zur Erklärung:

DAS DIVERGIERENDE DENKEN unterliegt Regeln. Die wichtigste davon lautet: Beurteilung eines Gedankens zurückstellen – keine Wertung eines Gedankens, einer Idee – nur die Masse der Gedanken zählt, nicht deren Güte (das ist Aufgabe des konvergierenden Denkens).

Viele Menschen lassen divergierendes Denken gar nicht zu und setzen sofort ein beurteilendes Filter ein, bevor der Gedanke überhaupt beendet ist.

Mir erscheint dieses Verhalten die Basis nahezu aller Probleme zu sein, da nicht mehr gedacht wird, sondern der erste und völlig unreflektierte Gedanke „sogar als vermeintlicher Geistesblitz“ bewertet und hirnlos umgesetzt wird – eine Prüfung des Gedankens wird nicht einmal erwogen.

Im divergierenden Denken wird nicht nur nicht bewertet, sondern vor allem auch nach verrückten Ideen gesucht, die Assoziationen auslösen, die sonst nie auftreten würden.

Ein sehr einfaches Beispiel: eine Gruppe in einem Unternehmen ist auf der Suche nach Ideen, die für eine lockere Stimmung während der Besprechungen sorgen sollen; ein Mitarbeiter meint: wir könnten ja am Anfang jeder Besprechung Drogen verteilen – natürlich ein völlig aberwitziger Gedanke, aber er löst eine gangbare Idee aus. Ein anderer Mitarbeiter, der auch die Beurteilung zurück-gestellt hat, meint: wir könnten ja am Anfang der Besprechungen Schokolade verteilen…

Jede Idee, jeder Gesichtspunkt, egal von wem dieser kommt, dient im divergierenden Denken als Ausgangspunkt.

Leider werden oft gute Ideen abgeschmettert und so der Dienlichkeit zur Sache entzogen, weil sie von einem vermeintlichen Gegner kommen. Typisches Verhalten der Politiker – in meinen Augen eine sträfliche Verfehlung, weil gerade im Aufnehmen fremder Gedanken die Basis zu Kompromissen und Lösungen begründet liegt.

Wenn mein größter Feind den besseren Gedanken hat, werde ich diesen sofort übernehmen, weil es der bessere Gedanken ist! Wer ihn geäußert hat, interessiert mich nicht.

Zusammenfassend ist die wesentliche Grundlage des divergierenden Denkens,

über eine bereits gefundene Antwort hinaus weitere Antworten zu suchen, zu finden, in Betracht zu ziehen !!      

Die Türe der Gedanken muss offen bleiben.

Was mache ich aber jetzt mit dem riesigen Berg unsortierter Ideen und Gedanken?

Deren Inhalt müssen wir in der zweiten Basis-Phase des Denkens sortieren und daraus die wenigen wirklich guten Optionen herauslösen.

Das Werkzeug dazu ist das konvergierende Denken: in langsamer, bedachter Weise überlegen wir – immer das Ziel vor Augen und den Neuigkeitswert im Sinne –, durch positive Herangehensweise aus den vielen Ideen die stärksten Potentiale herauszufinden und tolle Ideen auch zu fertigen Lösungen zu entwickeln.

Die „positive Auseinandersetzung“ wird deshalb so hervorgehoben, weil ansonsten das Gefahrenzentrum in unserem Gehirn bei allem Neuen – und das entwickeln wir ja gerade – automatisch die Suche nach möglichen Problemen beginnt und uns zeigen möchte, warum etwas nicht funktionieren kann.

Nach dem Motto: lass es, dann passiert dir nichts…

Der schlimmste Satz lautet: da können wir gar nichts machen…

Die alten Wiener sind ja das Paradevolk für Sätze wie: das haben wir noch nie so gemacht, das kann nicht sein, alles gut und schön, aber das wird nichts und so schon gar nicht, das werden wir jetzt nicht ändern.

In Kurzfassung:

Divergierendes Denken öffnet alle Tore und sorgt für Aufmerksamkeit und neue Ideen, konvergierendes Denken trennt die Spreu vom Weizen, damit eine wertvolle Entwicklung gewährleistet ist.

Was mich wirklich beschäftigt, sind Dinge, die ich nicht verstehe, und dafür habe ich mir ein eigenes Denkwerkzeug erschaffen, indem ich im ersten Schritt positive und negative Aspekte des Problems aufliste.

Das darf ich kurz am Beispiel der drohenden Abschaffung des Bargeldes vorführen: Positiv

Niemand kann Bargeld stehlen, es macht auch keinen Sinn, jemandem des Geldes wegen zu berauben, die kürzeren Wartezeiten an den Kassen sind auch eine gute Auswirkung dieses Vorhabens. Wie ich ohne Bargeld meine Putzfrau oder kleine handwerkliche Tätigkeiten bezahlen soll, wird schon zum Problem, auch steuerschonende Maßnahmen entfallen und jedes Glas Wein ist nicht nur auf der Rechnung ersichtlich, sondern durch den Zwang mit meine Bankkarte zu bezahlen eindeutig meiner Person zuzuordnen.

Dann öffnet man eines Tages zuhause die Post und sieht sich plötzlich einer geschmalzenen Nachforderung der Krankenkasse wegen ungesunden Lebenswandels gegenüber; ganz frustriert geht der Betroffene „auf ein Bier“. Der Wirt „steckt“ seine Bankkarte und gibt seine Bestellung ein und plötzlich ertönt ein grauenhafter Computerwarnton und am Display steht  – für alle gut lesbar – Bier-Ausgabe für diesen Gast wird abgelehnt – trinkt zu viel – es wird ein Bußgeld in Höhe von 5 Euro zur Förderung der absatzschwachen Milchwirtschaft eingehoben – ein Einspruch ist nicht möglich.

…und dann überlege ich was wäre, wenn dieses „Unverständliche“ die Abschaffung des Bargeldes schon das Denkergebnis ist, das Denkergebnis ganz böser Menschen ist??

Was wollen die Bösen? Alles, alles Geld, alle Macht, alle Grundstücke, alle Häuser, einfach alles, vor allem auch, dass ihre Befehle sofort und widerspruchslos befolgt werden. Aber wie soll das gehen?

Wenn wir kein Bargeld haben, können die ganz Bösen unser Konto einfach auf null stellen.

Das würden sie nicht machen???

ES wurde schon gemacht: ZYPERN 2013: Enteignung der Bankguthaben (2-3 Jahre zuvor war dieses Vorgehen in Österreich geplant). 30% aller Sparguthaben sollten eingezogen werden,

und das geht ganz einfach, wenn es kein Bargeld gibt – es ist nur ein simpler Computerbefehl –, man kann das Konto auch ins Minus schreiben und dann Zahlung verlangen, und wir sind völlig wehrlos,  DENN, man kann Königen und selbst Diktatoren den Kopf herunterschlagen, nicht aber im ewigen Eis der Antarktis oder Grönland liegenden, gut gekühlten riesigen Computeranlagen.

DAS KÖNNEN WIR NIE WIEDER RÜCKGÄNGIG MACHEN.

Und jetzt noch die Gegenprobe für derart ungeheuerliche Behauptungen. Ich überlege, welche Vorkommnisse dafür sprechen und erinnere mich an Jean Claude Junckers verhöhnende Aussage 1999:

„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurückmehr gibt!!!!

Viele weitere Denkwerkzeuge wurden für spezielle Anforderungen und Ziele entwickelt, die jeder für sich heraussuchen möge.

Beispiele sind visionäres Denken, strategisches Denken, diagnostisches Denken, Ressourcenanalyse, Interviews, SWOT-Analyse (strengths, weakness, opportunities, threats), Cluster-Methode als Fortsetzung des konvergierenden Denkens, die Optionen zu kategorisieren. Aber auch Werkzeuge wie Computerprogramme – Excel, Powerpoint, SAP und in der Musik die Harmonielehre,  die aus einfachen Begriffen wie Thema (Melodie), Akkorde, Dur, Moll, Quintenzirkel, Modulation, Spiegelung eines Themas oder dessen Krebsgang in ganz genau definierten und mathematisch überprüfbaren Regeln Werke erschaffen lässt, die aus meiner Sicht, die Menschen, die das regelmäßig hören, besser machen. 

Unsere wichtigsten Aufgabe sind – zumindest die beiden grundlegenden Denkwerkzeuge divergierendes und konvergierendes Denken –, einfach gesagt Gedanken zulassen, abzuwägen und auszusortieren und in unserem profanen Leben unbemerkt – die Mächtigen sehen das ja nicht gerne – aber mit Nachdruck zu verbreiten.

Wir haben jetzt viel zu tun.

Lustgewinn altern

Gast-BS

Zum Beginn, meine geliebten Geschwister, muss ich euch gestehen, dass ich ein wenig ängstlich bin, wie diese Zeichnung bei euch aufgenommen werden wird. Sie ist nämlich an sich nur für Männer entstanden. Aber genau das ist es, was es für mich spannend macht, wofür ich euch besonders danke, hier die Meinungen und Stellungnahmen von Frauen dazu zu gewinnen.

Aufgrund der Altersstruktur in meiner Loge, es sind hauptsächlich mittelalterliche Brr. zwischen 40 und 60, war die Angst vor dem „Altwerden“ bei uns zum Thema geworden. Ich kann natürlich nur fühlen wie ein Mann und betone, dass mir klar ist, dass meine Gedanken und Erfahrungen höchstwahrscheinlich für Frauen nur in geringem Maße geeignet sind.

Ganz wichtig ist mir auch, ausdrücklich zu betonen, dass es mir gefühls- und erfahrungsmäßig unmöglich ist, auch Menschen, die ein schweres Schicksal  zu erleiden haben, passende,  trostvolle, positive Gedanken zu schenken, die nicht wie Platituden klingen.

Ich durfte die Zeichnung schon einige Male, in von der Altersstruktur sehr unterschiedlichen Logen vorlegen, aber wie gesagt nur Männerlogen. Quintessenz: Viele der Alten hatten ähnliche Erfahrungen und Gefühle durchlebt, und die Jüngeren waren dankbar und ein wenig hoffnungsfroher.      

„Lustgewinn Alter“ klingt ungewöhnlich – das kann ja nur ein Irrtum sein. Ist es aber nicht – es ist tatsächlich so – zumindest – wie gesagt, bei vielen meiner Brr. und mir.

Meine persönliche Formel ist:

Lustgewinn durch Frustverlust. Frustverlust durch Zufriedenheit. Aber bitte ohne Verlust der Neugierde, der Strebsamkeit, der Tapferkeit und der Disziplin.

Als maurerischer Bruder, der im achtzigsten Lebensjahr bereits auf Überstunden lebt, fühle ich, dass es nicht anmaßend ist, euch meine bescheidene Lebenserfahrung darzulegen. Was die greisenhaft klingende Zahl Achtzig betrifft, habe ich beschlossen, den Achter ganz einfach umzulegen. Dann bedeutet er unendlich – was auch immer unendlich bedeuten mag.    

In diesem Sinne bin ich, wie hoffentlich wir alle, denen es gut geht, ein Workaholic, oder anders gesagt, ein Lebeholic, weil ich noch immer Lust am Leben habe.

Manche Ältere von euch, die es selbst geschafft haben, werden mir Recht geben, dass vieles möglich wird, das einem als junger Mensch unmöglich zu erreichen schien.

Eigentlich ist die Zeichnung aber für euch, meine Jüngeren gedacht, weil jeder Alte trägt bereits sein Binkerl und hat bereits gelernt wie es für ihn am besten zu schleppen ist.

Aber jeder von euch, meine geliebten jüngeren Geschwister, wird sich, wenn er oder sie es überlebt, früher oder später mit dem Altwerden herumschlagen müssen. Euch, geliebte ältere Geschwister lade ich ein, bei der Diskussion den  jungen und mittelalterlichen Geschwistern zu erzählen, wie ihr es geschafft habt oder warum es euch nicht möglich geworden ist, euch im Alter glücklicher und zufriedener zu fühlen als in der Jugend und im Mittelalter.

Schenken wir das gemeinsam aus maurerisch offenem Herzen unseren jüngeren Geschwistern.

Ganz klar und deutlich möchte ich aber betonen, dass all die Gedanken und Fakten, die ich in dieser Zeichnung anspreche, nur dann Gültigkeit haben, wenn der Körper mitspielt. Aber von Herzschrittmachern, Staroperationen, Hörgeräten und eisernen Hüftknochen bis hin zum Viagra gibt es eine unendliche Vielfalt modernster Errungenschaften, die das körperliche Alt sein erträglicher macht als es noch vor wenigen Jahren gewesen ist.

Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, euch mit dieser Zeichnung Gedanken mitzugeben, die einfach ein wenig gut tun – die Zukunftsängste beruhigen.

„Erkenne dich selbst!“

Albert Schweitzer hat geschrieben: „Viele Menschen wissen, dass sie unglücklich sind, aber noch mehr Menschen wissen nicht, dass sie glücklich sein könnten“. Glaubt mir, ihr jungen und mittelalterlichen Geschwister, ihr werdet es können, wenn ihr euch – durch euer derzeitiges „Jetzt“ – durchgelitten haben werdet. Durch diese echt schwere Zeit, in welcher man nicht mehr jung ist, aber auch noch nicht alt. Aber erst die dem Leiden entwachsene Akzeptanz der unabänderlichen Wirklichkeit, führt zu einer Veränderung des Lebensgefühls in einer stetig ansteigenden Kurve. „Weisheit gründe den Neubau“ und findet zum „Lustgewinn alt zu sein“.

Übrigens gilt das für alle, trotz ihrer gewaltigen Unterschiedlichkeit, von Slumbewohnern bis Fürsten, für Gescheite und weniger Gescheite, für Gesunde und Kranke: „Stärke führe es aus“!  

Wenn ihr meine Zeichnung gehört haben werdet, könnt ihr sie ruhig als Fleckerlteppich bezeichnen. Denn natürlich konnte ich aus dem unendlich scheinenden Thema „Bewältigung der Zukunftsangst + Verlieren der Jugend nur auf meinen persönlichen Umgang mit dem Altern zurückgreifen, der – wie wahrscheinlich bei fast allen Menschen – auch für mich eine außerordentlich schwere Zeit im Leben gewesen ist. Ich möchte allen, die noch vor dem Alt sein stehen, ein wenig Trost und Zuversicht dadurch vermitteln, dass ich Euch mein Leben glaubwürdig vorführe, dass und wie es mir gelungen ist den „Lustgewinn Alter“ zu erarbeiten – und täglich zu genießen.

Dass es gute, angenehme Gedanken sein können, die ich euch zu vermitteln versuche, geliebte Geschwister, verdanke ich zu einem bedeutenden Teil allen jenen, die mich in der Loge, durch die vielen Jahre meiner steten Veränderung begleitet haben. Viele von ihnen sind mir in den ewigen Osten vorausgegangen und auch ich beginne schon mein Ränzlein zu schnüren.

Aber vorher will ich, was sie mich gelehrt haben, an andere weitergeben. Wieviel Anteil an meinem geglückten letzten Lebensdrittel, ich euch mitzugeben im Stande sein werde, kann ich natürlich nicht voraussagen. Sagen kann ich euch aber, dass es mir gelungen ist vollkommen glücklich zu sein (kein Schmäh) und ich trotzdem, obwohl ich bereits wirklich sehr alt bin, mit den Gedanken an den baldigen Abmarsch in den ewigen Osten kein Problem habe und voraussichtlich auch keines haben werde.

Zurzeit bin ich mitten im Training, vom Workaholic zum vernünftigen alten Menschen zu werden. Ich habe heuer endlich aufgehört, außer Haus zu arbeiten. Allerdings muss ich noch üben, meine Zeit für mich, meine Familie und meine Freunde zu verwenden. Ganz gelingt es mir noch nicht.  

Dank Vater Staat und meiner Ersparnisse, muss ich meine Zeit aber nicht mehr für Fremde gebrauchen, die einen lediglich mit Geld belohnen. Ein Lustgewinn besonderer Art.

Bei den Überlegungen, wie ich mit dieser Zeichnung Trost spenden könnte, ist mir auch eine alte Sufi-Weisheit eingefallen: Der Lehrling frag den Meister: „ Wie machst du das nur, aus einem rohen Stein einen wunderschönen Löwen zu meißeln?“ „Das ist ganz einfach“ sagt der Meister, „ich entferne alles, was nicht nach Löwe aussieht“.

Und nun zum Glücklich sein.

Nur, dass wir uns richtig verstehen, ich habe natürlich, wie wahrscheinlich alle Menschen, Angst vor dem Sterben – aber wirklich nicht vor dem Tot sein. Das Sterben soll halt nicht allzu unangenehm werden.

Aber wie man sich fühlt, wenn man sicher glaubt, jetzt sterben zu müssen, habe ich bereits erlebt. Erlebt, als ich mit einem Linienflugzeug vermeintlich abstürzte, das dann aber nahe dem Boden weiter geflogen ist.

Ein kurzer Schreck, die Erkenntnis, „jetzt ist es so weit – aha -, aber es wird wenigstens schnell gehen“, und dann eine unglaubliche zufriedene Ruhe. – Das war´s also!

Das Leben rast vorüber wie ein Film, und ganz wichtig – der Gedanke: „Ich habe getan so gut ich konnte, um mich in der Schöpfungswirklichkeit, in der Gemeinschaft mit Menschen und Natur anständig zu verhalten“.

Resultat: Ich war mit mir ganz zufrieden und ein wenig neugierig ob und wie es tatsächlich weitergehen würde, was ich weder glaube noch ausschließe.

Soweit zum Unvermeidlichen. Ich will euch einfach erzählen wie ich es gemacht habe und heute noch mache. Bitte nicht als Lehrmeister, sondern als Reporter. Jeder von euch macht es auf seine Weise, aber vielleicht kann ich euch zum Vergleich ein wenig Ergänzungen bieten.  

Wie gesagt, ich bin selbst noch im Training, vom Workaholic zu einem diesbezüglich, aber nur diesbezüglich, vernünftigen alten Menschen. Ich wärme alte Freundschaften auf und beginne, mich endlich wieder ein wenig um die Kulturszene zu kümmern.  

Die Hauptquelle meines Glücksgefühls ist meine Begabung, zufrieden sein zu können, aber trotzdem dabei bezüglich der Lebensgestaltung und der Erkenntnissuche, nicht zufrieden zu sein und deshalb weiter strebsam und vor allem neugierig zu sein.

In meinem Alter und bei meinen Lebensumständen ist das relativ leicht. Leicht weil ich körperlich und geistig noch ganz gut beinan´d bin und in einer Familie lebe, die ich liebe und in der alle mich alle lieben. „Echt“! Und das, weil ich nach zahllosen Fehlversuchen vor nunmehr 15 Jahren in meiner Frau Gitti endlich die richtige Herzenspartnerin gefunden habe.

Ich würde mich aber nicht trauen, über meine positiven Erfolge zu berichten, wenn ich nicht auch überreichlich Schicksalsschläge zu bewältigen gehabt hätte.

Nur durch die Technik, Wirklichkeiten akzeptieren zu können, die ich nicht zu ändern vermag, vor allem ohne diese Wirklichkeit zu verurteilen, ist es mir subjektiv gelungen, mich echt glücklich zu fühlen.

Aber wie sieht das aus, wenn man nicht nur alt ist, sondern auch krank, einsam und mit Geldsorgen? Gerade ihnen meine ich, sollten die alten Menschen die es geschafft haben, ihre Methoden der Altersbewältigung zur Beurteilung anbieten.

Es ist verblüffend, wie zufrieden und glücklich Menschen sein können, die alles verloren haben, denen es miserabel geht und die unter Krankheiten und Behinderungen leiden.

Einfach, weil ich das alles selbst erlebt habe, dreimal alles verloren und gesundheitlich ziemlich bedient, weiß ich wovon ich rede. Auch durch das Vorbild vieler Brüder, deren Altwerden ich in meinem maurerischen Leben miterleben durfte, weiß ich – mit Respekt und Bewunderung –, dass es tatsächlich möglich ist die eigene Wirklichkeit in einem Ausmaß zu akzeptieren, – so dass sich unsere Begabung zum Selbstmitleid unterdrücken lässt.

Religiöse Menschen haben es da etwas leichter, aber es geht auch ohne Religion.    

Ich denke jetzt an einige Menschen, die mir Vorbilder sind. Menschen, deren Lebensumstände bedrückend sind und die es trotzdem schaffen, weil sie gelernt haben, die unabänderliche Wirklichkeit zu akzeptieren. Der extremste Fall ist ein Freund, pensionierter General, der absolut nur seinen Kopf bewegen kann. Er ist ein gelassener heiterer Mensch. Wir haben viel darüber geredet. Er findet seinen Trost in sich selbst.   

Für euch, geliebte Geschwister, die Ihr noch nicht die Schwelle zum letzten Lebensabschnitt überschritten habt, für die die Zeichnung ja wie gesagt eigentlich gedacht ist, noch eine kleine Info:

Sehr befreiend ist, dass einen das höhere Alter in die glückliche Lage versetzt, das Meiste noch zu können, aber nicht mehr zu müssen. Das macht frei! Und später dann, noch bevor es nicht mehr geht, auch nicht zu wollen. Gilt auch für den Sex. Ja, das ist bemerkenswert und spart viel Kummer. Ja, das ist nicht nur bemerkenswert, sondern eigentlich höchst erfreulich. Also ein Lustgewinn, um zum Titel der Arbeit zurückzufinden.

Ich persönlich finde es aber auch höchst erfreulich, dass man die Lust verliert, zu tun was man nicht mehr kann oder aufgrund der Würde des Alters nicht mehr tun sollte. Das funktioniert vom Sport angefangen über den Workaholic-Wahn bis zu gesundheitlichen Einschränkungen und Diäten.

Trotzdem empfehle ich eine Ausnahme zu machen.

Nämlich dann, wenn es darum geht, sich den Wünschen der Partnerin, des Partners anzupassen und nicht egoistisch selbstbezogen zu werden. Und jetzt, geliebte Brüder, lacht bitte nicht: Zum Beispiel eure Frauen zu verwöhnen. Nämlich das Geld für das sau-teure Viagra zu spendieren, wenn es nicht mehr so richtig klappt. Eure Partnerin sollte euch das wert sein, auch wenn sich der eigene Lustgewinn –no na – in Grenzen hält. Eine halbe Pille genügt für 4 Stunden.           

Aber zurück zum Text: Es ist schon prächtig eingerichtet, das von selbst kommende „Loslassen“ ohne zu leiden.

Hofmannsthal war offenbar noch nicht alt genug, um das erkannt zu haben, als er im „Rosenkavalier“ die Marschallin jammern lässt, dass Gott, wenn er sie schon alt werden lässt, wenigstens so gnädig sein soll, sie dabei nicht zuschauen zu lassen.

Als alter Mensch, hätte er das sicher nicht geschrieben. Denn dann hätte er gewusst, dass ab einem gewissen – allerdings hohen Alter – der Körper viel an Bedeutung verliert. Da trennt sich das Ich von dem optisch fremd gewordenen Körper. Das „Ich“ macht sich selbstständig.

So habe ich es für die Brüder geschrieben und bin neugierig, was Ihr liebe Schwestern dazu sagt.

Das „Ich“ empfiehlt seinem Körper, dankbar zu sein. Weil die Klugheit ihm sagt, dass man ja seinen Körper dringend benötigt, um in der Form existieren zu können, die sich ihm zu leben lohnt.    

Man soll das Alter ehren! Darum begrüße ich den alten Herren immer sehr höflich, der mir in der Früh im Badezimmer im Spiegel entgegenschaut. Er nickt immer höflich zurück.

Aber mit mir, der körperlichen Summe aus Kind, Jüngling, und Erwachsenem besteht meiner Meinung nach kaum mehr Ähnlichkeit.     

Anders beim geistigen Leben:

Da fühle ich, von meiner Erziehung ausgehend, die ich durch die Familie und meine Lehrer bekommen habe, aber auch durch die Bereicherung die ich durch die vielen „Du’s“ erfahren konnte, die mich geformt haben,  und ganz besonders durch die Arbeit am Rauen Stein und die mithelfenden Brüder, ein glücklich machendes Gemisch, in dem keiner meiner Lebensabschnitte zu kurz kommt. Auch wenn manches dabei ist, für das ich mich einst geschämt habe und das ich heute nicht oder anders machen würde.    

Einer der Lustgewinne ist für mich, dass die Schamfähigkeit beim Alt werden abnimmt. Auch zum Beispiel, dass Anerkennung und nicht anerkannt werden durch andere nur noch einen niedrigen Stellenwert bekommen haben. Angenehm auch, dass die Neigung zum „Angeben“ abnimmt. Diese zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber der Beurteilung durch andere Menschen macht frei. Frei für das nicht eigennützige positive Bemühen um andere – im Sinne aktiver allgemeinen Menschenliebe. Der Hauptgewinn dieser Lebensqualität ist für mich, dass ich befreit bin von den vielen Ängsten, die jungen Menschen aus ihrem sozialen Umfeld entstehen.

Resultat ist eine gewisse Zufriedenheit mit der Wirklichkeit, sogar was den greisenhaften, fremdgewordenen Körper betrifft. Mich einfach zu akzeptieren wie ich bin und mich zu freuen, über das, was noch zu machen ich imstande bin. Aber stets die Würde des Alters zu bewahren.

Ob meine männlichen Gedanken auch für Frauen möglich sind, ist ein anderes Kapitel. Das Baustück ist für Männer geschrieben. Es wäre verwegen zu behaupten, dass alle meine Gedanken für Frauen Gültigkeit haben. „Hab ich damals geschrieben. Bin schon neugierig“.

Quintessenz: Gut tut, anzunehmen was ist – was war – und was kommen wird.

Anzunehmen ja, aber ACHTUNG! Natürlich nicht vergreisen, sondern weiter nach Möglichkeiten zu suchen, wie ich das Leben altersoptimal gestalten kann. Möglichkeiten erarbeiten, die mich berühren, fröhlich und lebendig leben lassen.

Das gelingt ganz gut, wenn ich nicht ständig woanders als im Hier und Jetzt nach einem imaginären Glück fahnde, sondern an diesem Tag, zu dieser Stunde mir des Glücks bewusst zu sein, vieles nicht mehr zu müssen, aber den freien Willen gebrauchen kann, Änderungen zu überlegen und durchzuführen, auszuscheiden, wegzuwerfen, was nicht zu meinen Altherrnvorstellungen zu passen scheint.

Aber bitte behutsam, nicht egoistisch, sondern in liebevoller, respektvoller allgemeiner und personenbezogenen Menschenliebe. Für andere sollte man auch als Alter „wie hier durch das Wort, im Leben durch die Tat“ nach besten Kräften auch „TUN und Lassen“.

Guttun auch: „Haltung“, Selbstdisziplin, Güte. Meine Mutter hat immer wieder gepredigt, sogar bis zu ihrem Tod in sehr hohem Alter:  „Lebe immer so, dass du auf dich stolz sein kannst“.  

Ob so zu leben schwer ist oder leicht, das hängt davon ab, ob mir aufgegangen ist, dass ich voraussichtlich nur dieses eine Leben habe, dass so zu leben nicht gelingt, wenn ich immer nur nachdenke was ich im Leben nicht zusammen gebracht habe und ob andere das überhaupt für in Ordnung finden.

Wo ist da die Demut“, könnte jemand fragen?

Die Demut ist, möchte ich antworten, ist dadurch absolut nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil, man lernt Geschwisterliebe, allgemeine Menschenliebe und die Achtung vor Mensch und Natur weit besser, aktiver und erfolgreicher, wenn man aufgrund seiner Haltung gelernt hat, „über seinen eigenen Schatten zu springen“.  

Irgendwann muss es aber brennen in uns. Brennen mit Leib, Herz und Geist. Muss dieses Feuer uns mit Leib, Herz und Geist erleben, erfahren, begreifen lassen, dass nur die Annahme des kompletten Lebens, des jungen, späteren und alten Lebens zu einem vollen Leben führen kann.

Ich kann denen von euch, die es noch nicht wissen verraten, „alt ist wie jung – nur besser“

Älter werden wir schließlich ab unserer Zeugung. In meiner Kindheit habe ich dies hochgeschätzt und konnte das Altern nicht abwarten.

Ich habe es als Gewinn empfunden weil ich durchpulst vom Erlebnis, immer mehr zu können und zu verstehen, durchpulst von tausenden Hoffnungen ungeduldig vermeinte, nicht früh genug zu der ganzen Fülle möglicher Lebenslust kommen zu können.

Doch irgendwann, schleichend, wurde für mich das Älter werden zum Problem. Das begann um die 50, als ich merkte, bei der Arbeit eine Mittagspause machen zu müssen. Mich nicht mehr traute für die Dachreparatur selbst auf das Eternitdach zu klettern oder zum Beispiel mich nicht mehr traute, bei Sturm zu segeln. Den Höhepunkt erreichte das seelisch- körperliche Problem als ich den 60. Geburtstag hatte. Pensionierung, Krankheiten, Einsamkeit nach der Trennung von meiner damaligen Frau, Gefühle der Wertlosigkeit, des Angewiesen seins auf andere etc. Ich war ein anderer Mensch geworden.

Zurückgeholt zu mir haben mich nicht zuletzt die Brüder meiner Loge.

Heute fällt es mir leicht einzusehen, dass mein Körper (der mir immer viel Lebens und Lustfreude ermöglicht hat), dass mein Körper altert. Er ist inzwischen wie gesagt 80 Jahre alt, ich aber bin im Gegensatz zu meinem Körper nach wie vor noch wesentlich jünger!

Ich weiß, das sagt jeder! Und es wird wohl auch so sein.

Der Geist – meiner zumindest – altert nämlich auf seine eigene ganz besondere Art. Er wird weiser, weiter, tiefer, großzügiger, ja, und überraschender Weise sogar lebendiger.

Wie sich das auswirkt?

Zum Beispiel so, dass ich gelassener bin als früher, dass ich mehr lache (das ist natürlich auch Verdienst meiner geliebten Familie), dass ich manches nicht mehr ganz so ernst nehme und eine früher  nicht bekannte Neugier entwickle, kennen zu lernen, was mich immer schon interessiert hat, aber aus Zeitmangel nicht drankommen konnte.  

Ich möchte mit diesem Baustück werben, werben für das Leben im Alter. Für euch, die Ihr vielleicht angesichts unserer Zeit fragt, „wie wird das einmal für mich werden“ und es gar nicht leicht habt, Antworten zu finden.

Werben möchte ich auch für den herausfordernden Gedanken, der auf Erfahrung gründet, dass vieles, was uns im Leben nicht gefällt, nicht schicksalhaft ist, sondern die Folge eines Lebensfehlers, in dem man zu seinem Dasein nicht Ja sagt, sondern Jein oder Nein.

Und ich möchte euch alle davon überzeugen, dass das Leben sinnvoll sein kann bis zum Tod, weil es keine überflüssige Zeit gibt. Auch wenn das recht anstrengend werden kann.

Macht Zeitbehalt statt Zeitvertreib.

Wie macht man das?

Indem man es nicht so macht wie die meisten unserer Elterngeneration, sondern in sich selbst ein Ja zur jetzt erlebbaren Zeit findet. Auch wenn das aufgrund der sich rasend schnell verändernden technischen Möglichkeiten momentan etwas anstrengend ist.    

Jeder Lebensabschnitt hat seine Art und seinen eigenen Wert. Keine Zeit ist mit einer anderen vergleichbar. Keine Zeit hat mehr Glück in sich und keine nur Unglück. Die Gefühle des Loslassens sollen wir nicht als bittere Notwendigkeit empfinden, sondern wir sollten üben, diese Gefühle einfach als selbstverständlich anzusehen. Das könnte helfen, dass wir ernstlich drangehen uns innerlich nichts vorzujammern, sondern versuchen, uns beizubringen, durch die Akzeptanz des Unabänderlichen, die grimmige Wirklichkeit zu lindern.

Ein Trick, der mir gut gelingt: Wenn ich in den Schalen der Waage meines Befindens keine Balance zusammen bringe, verschiebe ich den Waagbalken und mein Leben ist wieder in der Balance.

Es gibt Fähigkeiten, die man in jeder Lebensphase braucht, die jedoch besonders in der dritten wichtig werden. Details und Kleinigkeiten treten zurück, Schwierigkeiten von früher gewinnen eine weit geringere Bedeutung. Gelassenheit nimmt zu, ohne dass ich mich darum bemühen muss oder die Welt nicht mehr ernst nähme.

Diese Technik ist gut geeignet für Leid-Akzeptanz ohne Hilfe von Religion. Aber alles in Grenzen, denn Leben ohne Leid, wäre Widernatürlich und nach Meinung der Wissenschaft nicht zu ertragen.

Bis jetzt habe ich über das praktische Leben berichtet. Aber da gibt es noch etwas, das mich beschäftigt, nämlich das eigentliche Ich – mein Geist.

Motto: Leben ist Veränderung – Stillstand ist Tod.

Ich halte nichts von der Einstellung mancher Menschen, vor allem mancher alter:

 „Das Leben ist wie es ist“. Basta.  

Das ist Unsinn, denn es gibt immer etwas Neues, das vor uns liegt; es ist nur notwendig es zu entdecken.    

Geliebte Geschwister, mein Vorhaben, denjenigen von uns, die noch nicht alt sind, Hoffnung und Trost für die Zukunft zu geben, die sich klarerweise noch nicht oft mit dem Alt werden auseinander gesetzt haben und natürlich  nicht erfühlen können, möchte ich die Sorge um ihre zukünftige Wirklichkeit nehmen, die sie – sollten sie das Glück haben alt zu werden – durchleben müssen und dürfen.

Für die Überlebeden gilt bekanntlich: Achtung: Man ist viel länger alt als jung.

Da lohnt es sich schon, sich darauf vorzubereiten. Für mich war das auslösende Moment, mich mit dem Thema näher zu beschäftigen, die Erhebung in den dritten Grad. Ich bin mir ganz sicher, dass es mir jetzt im hohen Alter nicht so gut ginge, hätte ich mich nicht der angenehmen Mühe unterzogen, mich maurerisch fortzubilden und dauernd den schon einigermaßen behauenen Stein fein glatt zu kriegen, aber auch weiter anzupassen und zu formen.   

Wenn die Ziele der jungen Jahre mehr oder weniger verwirklicht worden sind, wenn die Niederlagen verdaut sind, wenn die Aufmerksamkeit vieler Lebensjahre der Entwicklung von Familie, Freundschaften und Beruf galt, tut es gut, sich im dritten Lebensabschnitt mehr als bisher dem Inneren zuzuwenden. Dann drängen sich nämlich, zuerst kaum merklich, aber immer deutlicher, innere Veränderungen auf.

Da sind dann andere Fragen dran als früher; Fragen wie zum Beispiel diese:

Wie bin ich geworden?

Wer bin ich jetzt?

Wer könnte ich sein?

Was habe ich versäumt, kann ich es noch nachholen?

Was war und ist noch immer sinnvoll?

Was habe ich bisher erreicht und was will ich in den nächsten Jahren noch erreichen?

Die Antworten auf solche Fragen brauchen Zeit und Geduld. Aber Zeit hat man ja endlich.

Ich bin überzeugt davon, dass der Geist das Wichtigste ist, das wir haben. Wunderbarer Weise stelle ich dankbar fest, dass mein Geist und meine Seele sich bisher in überraschendem Ausmaß weiterentwickeln. Es ist wie Abheben in Gefilde, die mit meinem konkreten Leben nichts zu tun haben, und ich danke dem Schicksal bei jeder kleinen Abendmeditation – die ich Gebet nenne – dafür, dass mir beschieden ist, noch immer in der Weise leben zu können, die ich als lebenswert erfühle.  

Aber ich bin auch auf das Schlimmste gefasst, was immer es sein könnte und habe deshalb ein Baustück geschrieben, das sich maurerisch mit Tod und Suizid beschäftigt.

Zum Abschluss eine kleine Abendmeditation, basierend auf den Lehren die mir das Leben geschenkt hat.

Was würde ich anders machen?

Ich würde mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen.

Ich würde versuchen, nicht so perfekt zu sein.

Ich würde riskieren, mehr Fehler zu machen.

Ich würde mich mehr entspannen.

Ich wäre noch ein bisschen verrückter als ich es eh schon bin.

Ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen, wie ich es tat.

Ich würde nicht so gesund leben und nicht zu rauchen aufhören.

Ich würde überhaupt noch mehr riskieren als ich es eh schon tue.

Ich würde noch mehr Sonnenaufgänge betrachten.

Ich würde mehr segeln, bergsteigen und jagen.        

Zu meinem 90er werde ich euch berichten, was sich in den nächsten 10 Jahren abgespielt haben wird. – Wenn ihr mich erinnert, falls ich vergesse.

Sommerjohannis – Werte und Symbolik

Meine Motivation, dieses Baustück für heute zu halten, war primär eine Sorge, und zwar die Sorge,  dass es im Lauf der Zeit seine ursprüngliche Bedeutung einbüßen könnte oder sich sein Stellenwert in unserer gemeinsamen obödienziellen Tradition abschwächen könnte.

Doch dann fragte ich mich: haben wir überhaupt – in Bezug auf das Sommerjohannisfest – eine bestimmte Tradition in unserer Obödienz?

Welchen Wert hat das Sommerjohannisfest für jeden Einzelnen von uns?

Aufgrund der angesagten Hitze für den heutigen Abend habe ich dieses Baustück ein wenig verkürzt und dann in kleinere Teile gegliedert, und zwar in bewusst in 5 Teile, die uns – wie die 5 Blütenblätter der Rosen – den Abend versüßen sollen.

Wir feiern heute unser gemeinsames Sommerjohannisfest.

Doch was feiern wir überhaupt?

LL1:

„Heute feiern wir den Geburtstag von Johannes dem Täufer. Der Heilige Johannes ist der Schutzpatron der Freimaurer. Mit seiner überlieferten Lebensweise gilt er als Vorbild an Tugend, Demut, und Bescheidenheit. Er gilt als Wegbereiter zu einem höheren Leben… Johannes der Täufer war schon der Schutzpatron der alten Steinmetze, und nach ihm haben wir auch die Johannislogen benannt, die drei Grade der Freimaurerei.“

Ich:

Aber wollen wir heute überhaupt noch einen Schutzpatron haben? Uns an diesem Tage noch so sehr auf jenen Heiligen beziehen, der den nahenden Messias, das Reich Gottes ankündigte? Ist das eigentlich noch zeitgemäß in der Zeit der Glaubenskrisen, der Kirchenaustritte, im Kreise der vielen Agnostiker und Atheisten? Der Droit Humain hat in Berufung auf seinen Laizismus seine Johannisfeste schon umbenannt in „Sommersolstitium und Wintersolstitium“, und in Deutschland heißt dieses Fest heute meist einfach das „Rosenfest“…

LL2:

„ Die Denkströmungen, die die Freimaurerei beeinflusst haben, reichen viel weiter zurück – der heutige Festtag gehört zu den ältesten Festbräuchen der Menschheit. Denn schon vor dem Entstehen des Christentums wurde der Tag des höchsten Sonnenstandes gefeiert, und schon die ägyptischen Hochkulturen berechneten die Sonnenwende auf die Zeit zwischen den 21. und den 24. Juni.“

Ich:

Am Tag der Sommersonnenwende steht auf der Nordhalbkugel der Erde die Sonne senkrecht über dem so genannten Wendekreis der Erde. Das ist meist am 21. Juni der Fall. Aber der Ehrentag des Johannes des Täufers ist am 24. Juni! Das ist ja nicht derselbe Tag?

LL3:

Nach der Christianisierung hat die Kirche lange versucht, die „heidnische Tradition des großen Feierns der Sonnenwende“ abzuschaffen, aber alle Versuche scheiterten. Gleichzeitig war nach dem julianischen Kalender das antike Datum der Sonnenwende sowieso die Zeit zwischen dem 22. und 24. Juni. Als die Kirche den Gedenktag für Johannes den Täufer auf dieses Datum legte, hat sie  heidnische Gebräuche wie z.B. das Anzünden der Feuer einfach übernommen und so durften diese Gebräuche auch im Christentum beibehalten werden.

Johannes’ Geburtstag ist natürlich nicht zufällig gewählt: er war als genau 6 Monate älter als Jesus. Er ist es ja, der das Erscheinen von Jesus ankündigt und ihn auch tauft. Ein Satz in der Bibel von Johannes ist hier besonders richtungsweisend (Johannes 3,Vers 30 ): Als er im Hinblick auf die Ankündigung Jesu sagte, Jesus müsse wachsen, er aber – Johannes – müsse abnehmen.  Dies stellt eine weitere Analogie zur den Sonnenstunden des Tages her, die ab diesem Tage wieder abnehmen.

Nochmal LL1 :

Wir feiern heute den Tag des längsten Licht und des kürzesten Schattens. Es ist HOCHMITTAG des Jahres. Heute und hier steht die Sonne besonders nah bei uns, das Licht leuchtet heller und länger als sonst und dadurch ist dieser Tag für uns besonders.

Denn: Wir Freimaurer sind Suchende nach dem Licht.

Was dem Auge das Licht ist, ist dem Geist die Wahrheit.

Nochmal LL2:

Dieser besondere Tag hat in der freimaurerischen Geschichte schon viele besondere Feiern erlebt. So wurde der Überlieferung nach genau am 24. Juni vor 302 Jahren die erste Großloge in England gegründet, und damit gilt dieser Tag  als das  offizielle Gründungsdatum der heutigen Freimaurerei.

Und nicht zu vergessen: am 24. Juni vor 12 Jahren wurde auch unsere Großloge gegründet.

Mein heutiges Baustück heißt: Sommerjohannisfest. Werte und Symbolik.

Ich habe Euch eingangs schon nach dem Wert gefragt, den das Sommerjohannisfest für Euch hat. Diese Frage muss nun jeder für sich selbst beantworten – wie alle Fragen, die sich uns im Verlauf unserer maurerischen Entwicklung stellen. Zusammen aber sollten wir nachdenken, was unsere gemeinsame Tradition zum Sommer- und auch zum Winterjohannisfest ausmachen soll, bzw.: Wollen wir als Obödienz überhaupt eine gemeinsame Tradition haben?

So komme ich nun meinem ERSTEN Blütenblatt:

Die TRADITION

Die Freimaurerei bietet uns im Ritual Elemente aus verschiedenen spirituellen und philosophischen Systemen an. Jeder Einzelne kann diese Angebote für sich selbst annehmen, muss aber nicht. Hier ist Platz für sämtliche spirituelle oder weltanschauliche Sichtweisen. Jeder und jede ist anders, alle sind verschieden, und doch sind wir unserer masonischen Auffassung nach vereint – durch unsere Toleranz.

Und wie wir am Bau des Tempels arbeiten, so arbeiten wir eben auch an dieser Toleranz: im Akzeptieren des Andersseins, der anderen Weltanschauung, der unterschiedlichen Ansichten – auch über ganz profane Dinge wie Reinigungskräfte, etc.

Genau diese gedankliche Freizügigkeit ermöglicht uns jenen Prozess des gegenseitigen Achtens und Verstehens, der uns in der Kette die Hände reichen lässt und uns zu einer Geschwisterkette eint.

Doch mit den vielen Möglichkeiten, den individuellen Freiheiten entsteht auch ein Pluralitätsdilemma: wenn wir dem Anderen seine Werte lassen und akzeptieren, so müssen auch wir uns immer wieder aufraffen, uns auf einen gemeinschaftlichen Konsens, auf GEMEINSAME WERTE, einigen.

TEIL 2: WERTE

Zurück zum meinem Thema: Was bedeuten uns die jährlich immer wiederkehrende Feste wie Sommer- und auch Winterjohannis? Was bedeuten uns überhaupt noch Feste, die wir selbst nicht festlegen, die quasi „vorgegeben“ sind, zu feiern – und dann auch den Geburtstag eines Heiligen? Letztendlich gelten in der katholischen Kirche nur 3 Geburtstage als feierwürdig, und zwar Jesus, Maria und Johannes. Aber müssen wir sie auch feiern, ob wir wollen oder nicht?

Um Weihnachten kommt keiner herum – jedenfalls in der westlichen Welt, was immer es für einen selbst bedeuten mag. So hat der heutige Wert für die meisten Menschen unserer westlichen Welt nun eine andere Bedeutung als die ursprüngliche bekommen. Und doch wird zumindest der Geburtstag Jesu wohl auf immer ein Feiertag bleiben, nicht zuletzt, um das wirtschaftlich einträgliche Weihnachtsgeschäft nicht zu verderben. Doch die anderen christlichen Geburtstagsfeste? Entspricht die Tradition des Feierns des Geburtstag von Johannes überhaupt noch dem Lebensgefühl und dem Selbstverständnis der modernen Freimaurerei?

Die Entwicklung der spekulativen Freimaurerei ist in Bezug auf ihre Haltung zur Religion insofern einheitlich, als dass jedem Einzelnen überlassen wird, wie er zur Religion steht. In den Alten Pflichten wurde lediglich der Glaube an ein „Supreme being“ gefordert. Später dann haben einige Großlogen zunächst den „ABAW“ aus ihrem Ritual gestrichen, zunächst der Großorient von Frankreich, der seit dem Konvent von 1877 seinen Logen freistellte, ob sie diese Formel führen wollte. Bekanntlich brach die Großloge von England darauf die Beziehungen zum Grand Orient ab , und später haben sich andere  Großlogen noch weiter von den christlichen Ursprüngen distanziert.

Auch den Logenentscheidungen unserer LGL gingen intensive Diskussionen voraus, ob wir nun als erstes „Großes Licht“ die Bibel beibehalten, ein weißes Buch auflegen oder die Menschenrechte aufschlagen. Wenn wir uns für die Bibel entschieden haben, so schlagen wir sie natürlich beim Beginn des Johannisevangeliums auf: „Im Anfang war das Wort, ….“.

In unserem kulturellen Selbstverständnis wurden wir und werden wir von der Bibel beeinflusst, auch wenn immer weniger Menschen der westlichen Welt an der Religion, in der sie in unserer Generation meist noch hineingeboren wurden, noch etwas liegt.

Doch gerade wir als LGL, die wir das Glück haben, nicht von einer anderen, übergeordneten Großloge abhängig zu sein, haben die Freiheit, diese Verhältnisse unabhängig, selbst definieren zu können.

Aber sollen wir die Jahrhunderte alte Namens-Tradition einfach so verlassen? Das Sommerjohannisfest umbenennen, in Rosenfest oder Sommersolstitium?

Hierzu muss man erst einmal überlegen, was die Tradition in der Freimaurerei eigentlich ausmacht.

Das Wesentliche, das alle Logen der Welt Verbindende, ist unser Ritual. Unser Ritual und unsere Symbolik stellen die gemeinsame Basis aller Freimaurer dar und überwinden selbst die unterschiedlichen Sprachen.

TEIL 3:  DAS RITUAL

Unser Ritualablauf und unsere eigenen Bewegungen im Tempel sind untrennbar mit der Ordnung des Kosmos verbunden.

Denn so wie die Sonne im Kosmos ihrem Lauf folgt, so bestimmt ihr Lauf das Jahr, unser Arbeitsjahr. Die Sonne teilt das masonische Jahr in ein Anschwellen und Abfallen seines Standes, in ein Stirb und Werde. In den meisten Logen ist die Zeit des Sommerjohannis das Ende des Arbeitsjahres. In der kleineren Einheit teilt sie unsere Arbeitszeit ein: in die Zeit zwischen Hochmittag und Hochmitternacht. Am heutigen Tag steht uns das LICHT DER SONNE am nächsten. Auch daher ist dieses Fest, das wir heute feiern, so besonders.

Das Ritual enthält Erfahrungen und Erkenntnisse, die bis auf die Weisheiten der Mysterien-Bünde des Altertums zurückreichen. Jedem Schritt, jedem Wort, jedem Gegenstand ist eine bestimmte Bedeutung bzw. Symbolik zugeordnet.

Mit dem Überschreiten der Schwelle beim Eintreten in den Tempel begeben wir uns in einen Ort jenseits von Zeit und Raum, der durch verschiedene Kunstgriffe quasi magisch transformiert wird und dadurch den masonischen Kosmos symbolisiert. Denn in diesem Raum werden die Himmelsrichtungen virtuell belegt, eine virtuelle Zeitrechnung eingeführt und dadurch eine veränderte Realität erschaffen. Der Meister vom Stuhl sitzt im Osten und symbolisiert das Licht, die aufgehende Sonne. Wir treten in den Tempel und orientieren uns nach ihm, nach dem Licht, nach dem Osten. Daher kommt das Wort ORIENTieren – wir beschreiten quasi „den Pfad zum Licht“. Wir „streben aus der Nacht der Unwissenheit zum Licht der Erkenntnis“. Damit ist sowohl die individuelle Entwicklung des Lehrlings zum Meister gemeint als auch unsere gemeinsame Entwicklung während des Ritualablaufes. Hierbei umschreiten wir die Mitte im Sonnenlauf.

Unser Tempel ist von einer Ordnung durchströmt, die nach Osten ausgerichtet ist, dort, wo der MvSt seinen Platz hat, und die Bewegungen im Kosmos sind (annähernd) kreisförmig. Der Kreis ist das Symbol des Ewigen, mit seiner unendlichen Peripherie,  und in das Unendliche im Kreis wird eine endliche Peripherie hineinkonstruiert. Indem wir den Kreis rechtwinklig beschreiten, bekommen wir die Endlichkeit in der Unendlichkeit, vielleicht nicht die unmögliche Quadratur des Kreises, aber doch eine Annäherung zweier durch den Verstand allein nicht zu vereinbarenden Formen.

In diesem Spannungsfeld der Dualität beschreiten wir mittels Gefühl, Herz und Verstand die vermeintliche Irrationalität, und wir erleben dadurch letztendlich tief in uns selbst eine Bewegung.

Unser Ritual hat einen immer gleichen Aufbau: zunächst hat es die Aufgabe der Einstimmung der Teilnehmer und der Installierung des oben beschriebenen symbolischen Raumes, dann kommt es zum zentralen Geschehen und danach erfolgt wieder die Auflösung des symbolischen Raumes und der rituelle Schluss.

Dieses Ritual erleben wir in sich immer wiederholender Weise, in alter Ordnung, aus alter Tradition heraus. Das Ritual entfaltet durch dieses Sich-Nicht-Verändern und durch seine Wiederholungen seine Kraft und Wirkung.

Das Ritual und sein Ablauf haben sich seit Jahrhunderten bewährt. Gerade in der schnelllebigen modernen Zeit stellt  dieser Gleichklang des Rituals einen wichtigen harmonisierenden und stabilisierenden Faktor dar, und deshalb entfaltet dieses alte Ritual, gerade in der heutigen Zeit, noch immer seine Wirkung.

Besonders, indem es nicht nur den Verstand, sondern auch unser Herz anspricht. Manche Großlogen haben ein eigenes Ritual oder besondere Symbole für die Johannisfeste.

Indem wir uns in diese unsere Ritual versenken, entsteht die starke Wechselwirkung der Symbolik mit unserer Psyche, und jeder hat trotz derselben Symbole und desselben Rituals sein ureigenes Erlebnis. Somit ist die Tradition für uns meiner Meinung nach nicht entwicklungshemmend, sondern sogar bestärkend. Mehr noch: Ich zitiere das Internationale Freimaurerlexikon (Lennhoff, Posner et.al.): “Tradition ist die Voraussetzung jeglicher kulturellen Entwicklung, jeglichen Fortschritts“{…}. Und weiter: „Tradition ist eine besondere, vom Gemeinschaftsleben produzierte Art von Wahrheit, die alles Gemeinsame, das,  was wert sei, eine Generation zu überleben, selektioniere und durch seine Konservierung die Stetigkeit des kollektiven Geschehens sichere.“

Der Name des Johannisfestes spiegelt eine lange Tradition wider.

Ist er es uns als LGL wert, weiter erhalten zu bleiben?

Noch einmal zurück zur  Zeitmäßigkeit der freimaurerischen Tradition allgemein. Diese liegt ja auch darin begründet, dass sie sowohl jene tiefen Menschheitsfragen, wie die nach dem Sinn des Lebens und des Sterbens, aufgreift, als auch unsere ureigene persönliche Entwicklung anstößt.

Dasselbe gilt auch für die freimaurerischen Symbole, die den Grundstein unserer gemeinsamen Verständigung darstellen.

TEIL 4: DAS SYMBOL

Symbolik bestimmt unser Leben, in der Freimaurerei wie im Profanen, im Bewussten und im Unbewussten, ob nun gewollt oder ungewollt, geliebt oder sogar verachtet – wir kommen an Symbolen nicht vorbei.

Doch die Symbole waren vorher schon da, vor der Freimaurerei, entweder in der Menschheitsgeschichte belegt oder als Variationen desselben Themas, Deutungen derselben Symbolik. Der Urgrund dieser Symbole war schon in uns, noch bevor wir der Freimaurerei beitraten. Es sind letztlich nur die zugeordneten Metaphern, auf die wir uns neu eingestimmt haben, wie z.B. die der Steinmetzwerkzeuge oder die Handlungen, die eine Sinnübertragung erlangt haben, wie das Bilden der Kette (als Weiterentwicklung vom Sich- die-Hand im Kreise zu reichen). Der Inhalt des Symbols beruht auf einer „unserer Psyche immanenten archetypischen Entsprechung“ (C.G. Jung).

Das Symbol an sich ist uns a priori verständlich, so wie auch Jung seine archetypischen Symbolik versteht: denn jeder weiß mit dem Symbol des Herzes, der Schlange oder auch der Figur der Jungfrau oder der bösen Hexe etwas anzufangen. Und doch…,  hat ja jede und jeder von uns sein individuelles „Erfahrungswissen“, das durch die eigene Aufnahmefähigkeit und das persönliche Erinnerungsvermögen gebildet wird; jede und jeder hat sein eigenes „Erkenntniswissen“, das beschränkt ist durch das eigene Denkvermögen und – nicht zu vergessen – durch die eigene Einsichtigkeit.

Durch dieses Unterschiedliche Erfahrungswissen und unterschiedliche Erkenntniswissen brauchen wir Brücken, die uns verbinden und Brücken, die die Außenwelt mit unseren individuellen Innenwelten verbinden.

Diese entstehen durch das Symbol.

Durch seine Anschaulichkeit, durch das sich selbst Erklärende des Symbols, eröffnet es uns innere Welten, die uns ohne Symbol vielleicht verschlossen geblieben wären. Direkter noch ausgedrückt ist dies im Int. FM Lexikon, wo steht: „Der freimaurerische Bund besteht auf so breiter Grundlage und vereint so viele geistige Entwicklungsstufen, dass das Symbol auch ein Mittel zum Zweck ist.“

Nehmen wir nur mal das Symbol der Kette: Es wirkt sowohl als Bild als auch als Handlung. So ist nicht nur die Vorstellung des Zusammenhangs gleichartiger Glieder gemeint, sondern auch das ungestörte harmonische geistige Zusammenwirken der einzelnen Mitglieder in der Kette (frei nach Helmuth Reinalter). Und seine Wirkung ist tief, ein Symbol ist, Zitat Reinalter: „Verhüllung und Offenbarung zugleich“. Für die Wirkung eines Symbols im engeren Sinn ist es nicht wichtig, dass es „verstanden wird“, es muss demzufolge auch nicht „erklärt“ werden, es genügt, wieder Zitat Reinalter „sich mit ihnen immer wieder zu beschäftigen und über sie nachzudenken“.

Das Symbol schafft also eine Atmosphäre der Gleichartigkeit des Denkens.

Dadurch beruht das Symbol eben gerade nicht auf einem Basiskonsens und es gibt -entgegen der Meinung vieler Logengeschwister – in der Freimaurerei keine Instanz, die festlegt, was durch die Symbolik in ihrer spezifischen Auslegung in der Freimaurerei nun vermittelt werden soll. Auch dadurch wird verständlich, warum Freimaurerei absolut undogmatisch ist. Und dadurch wird auch jede Einzelne und jeder Einzelne von uns anders an die Grundfragen unseres Seins herangeführt: nicht verbal, sondern in einer Art „Verinnerlichung“.

TEIL 5: DAS SYMBOL der Rose

Das wichtigste Symbol des heutigen Johannisfestes ist die Rose.

Die Rose gilt seit Urzeiten als Sinnbild der Liebe und der Schönheit, der Freude –

die Königin aller Blumen.

In Ägypten und Griechenland war die Rose auch Symbol der Verschwiegenheit. Das mit der Rose Geschmückte – sub rosa – musste Geheimnis bleiben.

Die Römer legten sie bei ihren Totenfesten, den Rosalien, auf ihre Gräber.

Bei den Griechen wurde die Rose Attribut der Aphrodite, Symbol der Schönheit und der Liebe; die Bauleute des Mittelalters schmückten den Bau als  Zeichen der Vollkommenheit mit einer Rose aus Erz und  Stein“ (Int. FM-Lexikon).

Seit jeher entfaltet auch die Symbolik des Vergänglichem, die auch in der Rose steckt, eine fast mystische Faszination.

Die Rose stellt mit ihrer Knospe, mit der in voller Blüte stehenden Blume und dem Verwelken den Wandel und Wechsel des Lebens dar, und sie weist uns damit auf unsere eigene  Vergänglichkeit hin.

So ist für uns die Rose ein Symbol der Wandlung, nämlich der Sehnsucht des Menschen nach einem höheren Leben. Schon in den alten Initiationsriten wie z.B. der Isis-Weihe, ist durch die magische Kraft der Rose eine mögliche Neugeburt aus dem halbtierischen in das menschliche Dasein beschrieben.

Als Freimaurer begleiten uns Rosen ein  ganzes Leben lang. Von der Aufnahme, über Sommer-Johannisfeste  und als letzten Gruß auf den Sarg gelegt. Ihre Farben sind weiß, rosa und rot. Es ist die Bedeutung der drei Rosen als Licht, Leben und Liebe, die wir weiter geben. Manche von unseren Geschwistern tragen noch Schurze, auf denen Rosen abgebildet sind, und wir als Großloge haben die drei freimaurerischen Rosen auch auf der Rückseite unseres Bijous abgebildet.

Wie die anderen Symbole entfaltet auch die Rose bei jedem von uns eine besondere Wirkung. Meine persönliche, „meine Rosen-Faszination“, ist die der Vereinigung von Gegensätzlichem:

  • die Härte des Stammes versus die Zartheit der Blütenblätter
  • die Farben grün und rot
  • die Empfindsamkeit einer Einzelnen – im Gegensatz zur Wehrhaftigkeit als Hecke
  • die gefährlichen Stacheln im Gegensatz zum süßen Duft

Aber gerade diese Vereinigung der Gegensätze macht die Rose so besonders.

Rilke hat sich für seinen Grabstein folgende wunderschöne Zeilen ausgedacht:

Rose,
oh reiner Widerspruch,

Lust, niemandes Schlaf
zu sein unter so viel Lidern.

Heute, zur Zeit der Sommersonnenwende des Johannisfestes, steht die Rose jedenfalls in voller Blüte. So, wie die Rose als wichtigstes Symbol des heutigen Tages so viele Gegensätze in sich vereint, hat sie auch als Symbol die Kraft, uns alle, die wir zum Teil sehr gegensätzliche Individuen sind, zu einem zusammengehörigen Ganzen zu vereinen.

Aus dieser Bedeutung heraus möchte ich euch heute beim Verlassen des Tempels, gemeinsam mit dem Bruder Erster Aufseher, symbolisch jedem eine Rose überreichen, eine Johannisrose, ganz im Sinne der ALTEN TRADITION.

Und welche Zeit haben wir jetzt?

20´´ Pause

Was ist nun los? Hat es ihr die Sprache verschlagen? Die Zeit verrinnt!

Nun, das waren gerade einmal 20 Sekunden. Aber vielen ist es sicher viel länger vorgekommen. Womit wir gleich beim ersten Merkmal der Zeit wären. Sie ist relativ.

Großvater pflegte zu sagen: „ Das Leben ist erstaunlich kurz. Jetzt in der Erinnerung drängt es sich mir so zusammen, dass ich zum Beispiel kaum begreife, wie ein junger Mensch sich entschließen kann, ins nächste Dorf zu reiten, ohne zu fürchten, dass – von unglücklichen Zufällen ganz abgesehen- schon die Zeit des gewöhnlichen, glücklich ablaufenden Lebens für einen solchen Ritt bei Weitem nicht hinreicht“ dieser Ausspruch von Franz Kafka in „Ein Landarzt“, steht stellvertretend für unser Gefühl, unsere Wahrnehmung, dass die Zeit so unterschiedlich vergehen kann.

Schon in der Antike unterschied man die messbare Zeit von der gefühlten und wies ihnen zwei Gottheiten zu: Chronos und Kairos. (siehe auch Stangl, 2019).

Gott Chronos findet in unserer Sprache Verwendung in den Begriffen Chronologie, Chronometer oder auch chronisch und steht für das Verstreichen der Zeit, einem Zeitverlauf, für den Abschnitt von Beginn bis Ende. Er drückt sich aus in der Natur vom Aufblühen bis zum Verwelken, in der Lebenszeit der Menschen oder dem Bestehen des Universums seit dem Urknall. Ähnlich wie wir unsere Zeit oft beurteilen, war auch der Gott Chronos grausam, hart, quälend.

Zeus jüngster Sohn Kairos steht für den rechten Augenblick, den Moment. Niemand weiß, wann er wo sein wird und ist er da, ist er auch schon wieder weg. Ganz markant ist sein Haarschopf und sein kahler Schädel, sowie das messerscharfe Rasiermesser in seiner Hand. Durch Kairos wurde die Redewendung geprägt „Die Gelegenheit am Schopfe packen“, was bedeutet, dass man vorbereitet sein sollte für den rechten Augenblick, dann kann man zugreifen oder wenn nicht zeitig genug zugegriffen am kahlen Hinterkopf abrutschen. Kairos gibt der Zeit eine völlig neue Dimension. Er verleiht ihr Tiefe, eine Qualität. Mit Mut und Entscheidungsfreude, geht man ins freudvolle Handeln. Geht ein Risiko ein, irrt, sammelt Erfahrung, übernimmt Verantwortung für sich, den Gedanken und Gefühlen, dem eigenen Leben. In Kairos und somit dem rechten Augenblick, dem verantwortlichen mutigen Handeln, liegt der Schlüssel zum Glück. (Anita Schmitt)

Ich habe mir die Zeit genommen, einige meiner Tätigkeiten in „Echtzeit“, damit meine ich, die Zeit, die Uhren messen zu berechnen. Was aber messen Uhren? Sie geben Antwort auf die Frage nach der Position von Ereignissen auf einer Skala, es geht also um den Zeitpunkt und die Dauer eines Geschehens, zB. Sand, der durch die Sanduhr läuft. Womit früher die Zeit doch recht genau gemessen werden konnte. Heute wird die Zeit mit Atomuhren gemessen, was auch der Anlass war die Definition der Zeiteinheit über atomare Vorgänge zu geben: Seit 1967 ist eine Sekunde als das 9 192 631 770-fache der Periodendauer der Strahlung definiert, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes des Cäsium133- Atoms entspricht. Daher wird sie als Atomsekunde bezeichnet.

Unter dieser Definition kann ich mir nicht wirklich etwas vorstellen, bzw. sie nachvollziehen. Da ist mir die „alte“ Sonnensekunde wohl geläufiger (bis in die 1950er Jahre): Der Bruchteil, nämlich 1⁄86 400 des mittleren Sonnentages. Diese Festlegung wurde eingeführt, damit ein durchschnittlicher Sonnentag 24 · 60 · 60 Sekunden lang ist.

Zurück zu meinen Berechnungen (bezogen auf 50 Lebensjahre, der einfachen Rechnung halber) wofür ich bis jetzt wieviel Zeit aufgebracht habe und wie ich sie wahrnahm:

Als die Zeit im Flug verging: Kino, Theater: 7 Monate; spielen: 6 Monate; Tagträumen: 3 Monate; interessante Gespräche führen: 7Monate; TV: 2 Jahre (gesamt 4 Jahre); Arbeiten: 3,5 Jahre (gesamt 4,5 Jahre), Essen: 1 Jahr (gesamt 2 Jahre).

Als die Zeit stehenblieb: Küssen: 200 Stunden; Autounfall: 10 Sekunden; Schlafen: 16 Jahre (wo bin ich denn da und wie lange? darauf werde ich später noch kurz eingehen)

Als die Zeit nicht und nicht verging: Auto-, Bahnfahrten: 2 Jahre; Warten auf irgendwen oder – was: 125 Tage; TV: 2 Jahre (gesamt 4 Jahre); Arbeiten: 1 Jahr (gesamt 4,5 Jahre); Essen: 1 Jahr

(gesamt 2 Jahre)

Wenn wir im Alltag auf die Zeit achten, dann scheint sie mal an uns, bzw. mit uns vorbeizurasen, mal zieht sie sich in die Länge

Hier eine der physiologischen Erklärungen dazu:

Je mehr man erlebt und sich daran auch erinnern kann, desto länger kommt einem eine Zeitspanne später vor. Ein abwechslungs- und ereignisreicher Urlaub erscheint daher länger als der gleiche Zeitraum in der Monotonie des Alltags. So vergeht das Leben für uns subjektiv wohl auch deshalb immer schneller, weil wir – verglichen mit Kindheit und Jugend – im Lauf des Älterwerdens immer weniger neuartige Erlebnisse haben und die Routine des immer Gleichen zunimmt.

In Schrecksekunden tritt ein Zeitlupeneffekt ein, bei dem sich die Abläufe scheinbar verlangsamen. Das ist durch das stark erhöhte Erregungsniveau des Körpers in einer „kämpfe oder flüchte „-Situation bedingt, wodurch physiologische und mentale Vorgänge vergleichsweise schneller ablaufen; der ganze Organismus ist auf eine möglichst rasche Überlebensreaktion ausgerichtet (Hudson Hoagland). Man nimmt an, dass das Auge in derselben Zeiteinheit mehr Einzelbilder „aufnimmt“ und dadurch die Zeit gedehnt wird.

Wir kennen dieses Phänomen auch wenn wir Fieber haben. Unsere innere Uhr läuft durch die erhöhte physiologische Aktivität beim Fieber schneller ab, was die Zeit subjektiv betrachtet dehnt.

Über diese physiologischen Vorgänge (neuronale Aktivität, die in der vorderen Inselrinde kulminiert, sowie über nachgeschaltete Hirnareale wie dem anterioren zingulären Kortex in der Mittellinie des Gehirns, die physiologische und Verhaltensreaktionen anstoßen) , entsteht demnach ein Ich, das sich seiner selbst und seiner Präsenz in Zeit und Raum bewusst ist. Dieses gefühlte Ich ist untrennbar verbunden mit den sich verändernden Körperzuständen und damit dem Gefühl des Zeitverlaufs. Die Ich-Vorstellung und das Zeit-Erleben gehen somit Hand in Hand: Eine intensivere Ich-Wahrnehmung läuft mit dem Gefühl eines langsameren Zeitverlaufs parallel; ein weniger ausgeprägtes Ich-Empfinden korrespondiert mit einer erlebten Beschleunigung des Zeitverlaufs. (Marc Wittmann)

Verschiedene Bewusstseinszustände verdeutlichen diese Zusammenhänge:

So sind wir in der Langeweile des Wartens ganz auf uns zurückgeworfen und spüren uns selbst intensiv – und die Zeit will einfach nicht vergehen.

Anders das so genannte Flow-Erleben: Bei ihm führen stark fordernde Tätigkeiten, die sich aber mit den eigenen Ressourcen bewältigen lassen, zu beschleunigtem Zeitempfinden. Beispiele sind etwa das Musizieren, Schreiben eines Textes, oder Basteln. Die Absorption in der Beschäftigung reduziert die Ich-Wahrnehmung stark, und neben ihr verliert sich auch das Zeitgefühl. (Marc Wittmann)

Der Schlaf und Halluzinogene lassen Zeit und Ich verschwinden.

Der Philosoph Heraklit konstatierte: Die Wachen/Munteren haben eine einzige gemeinsame Welt, im Schlaf wendet sich jeder der eigenen zu, und ich ergänze: bei unseren Arbeiten zwischen Hochmittag und Hochmitternacht wenden wir uns unserer freimaurerischen Welt, dem inneren Licht zu.

Die Zeit und das Bewusstsein, diese Geschwister, die ohne einander nicht sind und sein können. Denn wer würde denn über Zeit philosophieren und nachdenken, wenn nicht unser Ich UND wo wäre denn unser ICH ohne Zeit, ohne Anfang und Ende, Geburt und Tod?

Dieser Erkenntnis, so neu sie auch nicht ist, gewahr, ist es nun mein Plan, meinen Alltag mit vielen neuen Handlungen zu spicken. Die vielzitierte Achtsamkeit führt dann zur ebenso viel zitierten Entschleunigung und dies wiederum zu einer mir subjektiv langsam vergehender Lebenszeit. Womit wir beim Zeit gewinnen wären:

Der Aufruf: Carpe diem soll dieses Wertschätzen der uns nur endlich zur Verfügung stehenden Zeit in Erinnerung rufen.

Gewinne ich Zeit, wenn ich entschleunige, also das Gegenteil von beschleunige, demnach bremse?

„Die Zeit verweilt lange genug für denjenigen, der sie nutzen will“ meinte schon Leonardo da Vinci. Soll ich nun verweilen, bremsen, die Zeit dehnen? Denn es gibt doch Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen, sagte schon Mahatma Gandhi.

Ein Widerspruch unserer Zeit, unserer Gesellschaft ist unter vielen anderen genau dieser: Einerseits ist das Handeln pro Zeiteinheit, die Effizienz, das Maß aller Dinge. Andererseits wird viel über das vorher erwähnte Entschleunigen berichtet und in diversen Lebensratgebern der Wohlstandsgesellschaft als DIE Erkenntnis für ein glücklicheres Leben dargestellt.

Wir haben alle 24 Stunden Zeit. Jeden Tag. Das ganze Jahr. Unser ganzes Leben lang. Es geht also nicht darum, wie wir mehr Zeit gewinnen können, sondern vielmehr darum, was wir aus diesen 24 Stunden neben Schlafen und gelegentlich Essen tun. Statt „Ich habe keine Zeit“ sollte ich lieber „Ich habe Zeit für andere Dinge“ sagen. Damit bin ich Herrin meiner Zeit.

Manchmal lasse ich mir einfach bewusst noch eine Minute länger Zeit. Tick tack

Jetzt habe ich noch gar nicht über den physikalischen, philosophischen oder gar den maurerischen Aspekt gesprochen, wiewohl alle miteinander verknüpft sind.

Denn ein maurerische Symbol, der 24-zöllige Maßstab leitet uns an, über die Zeit nachzudenken und den Tag bewusst und weise zu planen. Er symbolisiert die 24 Stunden (schöne Primzahlzerlegung und glz. Produkt der ersten natürlichen Zahlen 1x2x3x4=24) des Tages die der Maurer folgendermaßen einteilen soll:

Sechs Stunden zur Arbeit, sechs Stunden um Gott zu dienen, sechs Stunden um einem Bruder oder Freund zu dienen, soweit es in seinen Kräften steht und sechs Stunden zum Schlafe.

Dies wiederum auf die heutige Zeit umgelegt entspricht einer Einteilung der Wachzeit in drei Abschnitte: Arbeitszeit, Sozialzeit –die Zeit mit Familie und Freunden – und Individualzeit –die Zeit mit sich selbst.

Natürlich soll diese Zeiteinteilung symbolisch begriffen werden. Sicherlich ist damit nicht eine pedantische Zeiteinteilung unseres Tagesablaufs gemeint. Wir sollten damit vielmehr darauf hingewiesen werden, für alles ein rechtes Maß zu pflegen und die Dinge zur rechten Zeit in angemessener Qualität zu tun. Sowohl im Ritual, also auch zu den gemeinschaftlichen Abenden und Vorträgen ruft uns der Meister zur Arbeit. Diesem Aufruf sollten die Maurer auch nachkommen und pünktlich ihre Arbeit aufnehmen.

Ich weiß ja nicht, inwieweit eure Zeiteinteilung weise ist, meine muss definitiv noch verbessert werden. Zuviel Arbeit, zu wenig Zeit für Familie und Freunde und viel zu viel Zeit „verschwendet“ mit TV! Nichts Neues, aber allein dieses Wieder-Bewusstmachen, Zeit-Prioritäten neu zu setzen war es wert dieses Baustück zu erarbeiten.

Ein weiterer Aspekt, der mir immer bewusster wird: Es kommt nicht auf die Menge der erledigten Aufgaben an, sondern auch, wie bewusst ich sie erledige, erlebe und wertschätze. Das gilt in der Arbeit genauso, wie für den Augenblick, wenn ich morgens das Schlafzimmerfenster öffne und mehrmals tief durchatme. Ich bemühe mich den Dingen die Zeit, die sie brauchen, zu geben.

Und welche Zeit haben wir jetzt?

Halbzeit des Baustücks? Profan: 20:02? Weltenkritisch: 5 vor 12? Maurerisch: 6019 (oder doch eher 6023?), bzw. HochNACHmittag?

Nun gut, mit der Jahreszahl 6019 kann ich schon etwas anfangen, aber bitte was bedeutet denn Hochmittag? Ziemlich sicher nicht highnoon. Obwohl – eine Definition gefällt mir: erfolgreichster, aufregendster Zeitabschnitt, Höhepunkt einer Periode. So soll unsere Arbeit doch sein.

Die Übersetzung indes lehrt: es lautet korrekt: High twelve.

Die Definition im Freimaurer-wiki: Der Begriff „Hochmittag“ wird im englischen Ritual folgendermaßen gegeben: „Da die Erde sich ständig um ihre Achse und um die Sonne dreht, und die Freimaurerei allgemein über ihre Oberfläche verbreitet ist, so folgt daraus, dass die Sonne immer in ihrem Meridian in Beziehung zur Freimaurerei sein muss.“

Die symbolischen Arbeiten vollziehen sich in zeitlicher Ausdehnung von Hoch-Mittag bis Hoch- Mitternacht. Damit ist der Sonnenlauf der symbolische Rahmen für den zeitlichen Ablauf der zeremoniellen Handlung. Ein also nicht näher definierter, nicht abgegrenzter, sich je nach Stand- Gesichtspunkt und Erkenntnis ausdehnender, wachsender Zeit-Raum. Ein Heraustreten aus der realen Zeit in eine Dimension, in der das Wirklichkeit wird, was nie geschieht und immer ist.

Diese Dimension wird von jeder unserer maurerischen Gemeinschaften bei jeder Feier geschaffen, wenn sie sich auf sich selbst, ihren Charakter und ihre Aufgaben besinnen und unserem Sein einen übergreifenden Sinn geben möchte.

Ich soll meine befristete Lebenszeit rechtschaffen einteilen und sie bestmöglich nutzen. „Meine Arbeit gelingt nur dann, wenn sie zur rechten Zeit geschieht und das klarste Licht des Mittags meinen Werkplatz erhellt“.

Aber, bei all dieser vernünftigen Zeiteinteilung und –nutzung, sollte auch Platz bleiben für genussvolles Verweilen, Spontanität, Offenheit für flexible Zeitrochaden, eine sinnvolle Zeitverschwendung. Denn sonst kommen wir, also ich zumindest, wieder in die Alltagszeitspirale, die mein Leben im Sauseschritt (und nicht in „Saus und Braus“) vorbeizischen lässt.

Denn und das muss hier auch erwähnt werden, die Zeit unterscheidet sich von den anderen Dimensionen (Oben/Unten, Links/Recht, Vorne/Hinten) grundsätzlich, da sie nur in eine Richtung geht. D’ Alembert schrieb 1754 in Diderots berühmter Enzyklopädie unter dem Stichwort „Dimension“, lange vor Einsteins vierdimensionaler Raumzeit: „Ein schlauer Bekannter von mir glaubt, dass man eine Zeitspanne als vierte Dimension betrachten kann; diese Idee mag man kritisieren, aber sie besitzt meiner Ansicht nach einen gewissen Wert, und sei es, dass sie neu  ist“.

Keine Umkehr ist möglich. Keine Zeitreise. Ein herunterfallendes Glas zersplittert und die Splitter setzen sich nicht wieder zum Glas zusammen: das ist die unumkehrbare Gerichtetheit eines Vorgangs, von der Unwahrscheinlichkeit einer gegebenen Ordnung zur Wahrscheinlichkeit ihrer Auflösung, der Entropie (Rüdiger Safranski).

Der Zeit wohnt also eine Richtung inne, durch welche sich die Vergangenheit von der Zukunft unterscheidet.

Sehr schön ist das von Friedrich Schiller in Worte gefasst worden:

Dreifach ist der Schritt der Zeit:

Zögernd kommt die Zukunft hergezogen, Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,

Ewig still steht die Vergangenheit.

Unser Leben wird immer mehr von der Zeit bestimmt, von einer Zeit, die unser Leben einteilt, unsere Verfügbarkeit diktiert, die immer knapper wird und nicht zuletzt immer globaler. Aber nicht nur die Simultaneität der Weltzeit bestimmt unser Denken, wenn wir zum Beispiel an die Bewegungen der internationalen Märkte denken.

An dieser Stelle kam mir in den Sinn mich mit der Zeit, in der wir gerade leben, auseinanderzusetzen. Allerdings stürmten so viele Gedanken gleichzeitig auf mich ein: wie Werteverlust, Nationalismus, Klimawandel, Wohlstandsverwahrlosung, Turbokapitalismus, (Plastik)-vermüllung, künstliche Intelligenz, Asylpolitik, Digitalisierung, Umweltschutz, Bevölkerungsexplosion. Dies wären Themen für mindestens 10 weitere Baustücke.

So bleibe ich heute doch bei der Zeit als solcher.

Es ist uns schon seit einiger Zeit bewusst geworden, dass man mit der Zeit ein besonderes Problem hat: Anders als der Raum, der sich in aller Stille betrachten und vermessen lässt, hat die Zeit die unangenehme Eigenschaft, ihre eigene Betrachtung zu unterminieren. Wie der Meisterdenker des Deutschen Idealismus Hegel schon feststellte, vergeht Zeit, während wir über sie nachdenken. Man kann nicht sagen: „jetzt“, denn schon ist das gegenwärtige „jetzt“ zum vergangenen „jetzt“ geworden. Die subjektiv erlebte Gegenwart umfasst z.B.in der Physiologie eine Zeitspanne von 2,7 sec. Die Schwelle, ab der zwei Ereignisse als getrennt erkannt werden (Fusionsschwelle), ist vom jeweiligen Sinnesorgan abhängig. So müssen optische Eindrücke 20 bis 30 Millisekunden auseinander liegen, um zeitlich getrennt zu werden, während für akustische Wahrnehmungen bereits 3 Millisekunden ausreichen (Gerstbach).

Wie können wir das Jetzt erfassen? „Die Physik hat keine Begriffe, keine Methoden, um diesen unendlich kurzen Moment zwischen Vergangenheit und Zukunft zu beschreiben“, so der Physiker Gernot Münster. „Sie möchte allgemeingültige Aussagen treffen. Die Zukunft liegt offen vor uns, die Vergangenheit unveränderlich, wie ‚gefroren‘, hinter uns. Der Moment des Gefrierens aber hat sich im Augenblick der Beschreibung schon wieder verändert.

Andere Kulturen haben eine ganz andere Zeitauffassung. Würden wir Hopi-Indianer aus Nordamerika fragen, stießen wir mit unserer Zeitreihung auf Unverständnis: »Vergangenheit« und »Zukunft« kommen in ihrer Sprache nicht vor (Benjamin Lee Whorf). Wie viele andere Bauernkulturen leben die Hopi in einer praktisch zeitlosen Welt. Ihr Tageslauf ist an die natürlichen Erscheinungen gekoppelt, und so wie die Jahreszeiten sich wiederholen, wiederholt sich auch die Zeit. Jahreszahlen sind unbekannt und natürlich auch Bezeichnungen für kleinere Intervalle wie Minuten oder Sekunden. Die Sprache der Hopi enthält keinen Verweis auf die Zeit, weder explizit noch implizit, sie leben in einem Zustand des immer währenden Jetzt.

Das Jetzt »verdunstet« auf unendlich kleinem Raum und in unendlich kurzer Zeit. Vielleicht hatte Albert Einstein dies im Sinn, als er sagte: »Der Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist eine Illusion, wenn auch eine hartnäckige. « Zen-Meister Seppo formuliert diese Einsicht so: »Wenn du wissen willst, was Ewigkeit bedeutet – sie ist nichts weiter als eben dieser Moment. Wenn du sie nicht in diesem gegenwärtigen Moment erfassen kannst, wirst du sie nie erhaschen.«

So komme ich als leidenschaftliche Naturwissenschaftlerin auch nicht ohne Bemerkungen zur Relativität der Zeit umhin. Sehr einfach erklärte der Meister der Relativität, Albert Einstein, ebendiese: „Zeit hängt von der Bewegung ab. Draußen fällt ein Fahrrad um, hinten platzt ein Schlauch im Garten. Für den, der mittendrin sitzt, passiert das gleichzeitig. Für jemanden, der mit 30 Kilometern pro Stunde vorbei fährt, fällt erst das Fahrrad um, dann platzt der Schlauch. Das ist Relativität“.

Mit anderen Worten: Der Ablauf der Zeit, genauer gesagt der Gang von Uhren, hängt davon ab, wie sich der Beobachter und die Uhr relativ zueinander bewegen. Eine Uhr, die sich relativ zu uns mit einer gewissen Geschwindigkeit bewegt, geht langsamer als eine ruhende Uhr. Hält Laufen daher jung? Ja, aber nicht wegen der Relativität J, außer ich bewege mich mit Lichtgeschwindigkeit.

Die Relativität der Zeit wird gerne im so genannten Zwillingsparadoxon veranschaulicht: Ein Zwilling verlässt die Erde in einem Raumschiff, welches mit hoher Geschwindigkeit ins Weltall fährt und nach ein paar Jahren wieder zurückkehrt. Während der auf der Erde verbliebene Zwilling zum Greis gealtert ist, entsteigt dem Raumschiff seine deutlich weniger gealterte Schwester. Zwar liegt die Realisierung dieser Geschichte weit außerhalb der heutigen Möglichkeiten, der Effekt wurde jedoch mit Hilfe von Atomuhren in Flugzeugen experimentell bestätigt. Für gewöhnliche Geschwindigkeiten ist der Effekt natürlich äußerst gering. Der Faktor, um den eine bewegte Uhr langsamer geht, beträgt für einen Radfahrer 1 Sekunde in 200 Millionen Jahren. Erst bei Geschwindigkeiten, die mit der Lichtgeschwindigkeit von 300.000 km/sec vergleichbar sind, wird der Effekt nennenswert.

.Die aus der Relativitätstheorie folgenden Effekte sind keineswegs esoterische Phantasiegebilde der Wissenschaftler, sondern spielen in vielen Bereichen der heutigen Physik und Technik eine Rolle. Als Beispiel sei das GPS (Global Positioning System) genannt. Ohne Berücksichtigung der Relativitätstheorie würde sich in den GPS-Geräten täglich ein Fehler von 10 km aufsummieren.(Gernot Münster).

Die Fülle der Antworten auf die Frage „Nun was ist ‚Zeit‘, hat unermesslich zugenommen, und dennoch sind wir so ratlos wie zuvor: ja, je weiter wir in das Geheimnis der Zeit einzudringen scheinen, umso mehr wird das Phänomen zum Rätsel.

Insofern ist es kein Wunder, dass die Philosophie seit über 100 Jahren vom Thema der Zeit fasziniert ist, genauer, dass sie versucht, den allmächtigen Seinsfaktor Zeit neu und angemessener zu bestimmen. Zeit vergeht, aber sie dauert auch an: Ein Paradox, das der französische Philosoph Henri Bergson zu seinem Untersuchungsfeld gemacht und beschrieben hat. Zur Veranschaulichung dieses Fließens der Zeit greift Bergson gern zu einem musikalischen Beispiel, der Melodie. Auch bei ihr hören wir einzelne Töne, aber erst im Verschmelzen erkennen wir die Melodie.“

Bei Kant hingegen war die Zeit a priori gegeben, demnach von der Erfahrung unabhängig („Kritik der reinen Vernunft“,1781). Die moderne Physik jedoch lehrt uns, dass Zeit unauflöslich mit dem Raum verbunden ist. Daher muss sie genauso wie der Raum erfahren werden.

Naturwissenschaftler pflegen sich oft unbefangener auszudrücken. Der Physiker John A. Wheeler hat die Zeit gerne so charakterisiert, wie er es in einem Graffito in der Herrentoilette des Old Pecan Street Cafe in Austin, Texas, 1976, fand: „Zeit ist die Methode der Natur, zu verhindern, dass alles auf einmal passiert! (Time is nature’s way to keep everything from happening all at once.“)

„Du musst die Veränderung sein, die du in der Welt sehen willst.“, sagte einst Gandhi. Wenn du dir also ein Umfeld wünschst, in dem jeder weniger Stress und dafür mehr Zeit hat, beginne am besten bei dir selbst. Du allein entscheidest, was für dich wichtig ist und wofür du dir Zeit nehmen willst. Alle anderen kannst du ohnedies nicht ändern.

Steve Jobs: Ihre Zeit ist begrenzt, also verschwenden Sie sie nicht damit, das Leben eines anderen zu leben. Lassen Sie sich nicht von Dogmen in die Falle locken. Lassen Sie nicht zu, dass die Meinungen anderer Ihre innere Stimme ersticken. Am wichtigsten ist es, dass Sie den Mut haben, Ihrem Herzen und Ihrer Intuition zu folgen. Alles andere ist nebensächlich.

Thich Nhat Hanh: Unser wahres Zuhause ist der gegenwärtige Augenblick. Wenn wir wirklich im gegenwärtigen Augenblick leben, verschwinden unsere Sorgen und Nöte und wir entdecken das Leben mit all seinen Wundern.

Dalai Lama:  Der Mensch opfert seine Gesundheit, um Geld zu machen. Dann opfert er sein Geld, um seine Gesundheit wieder zu erlangen. Und dann ist er so ängstlich wegen der Zukunft, dass er die Gegenwart nicht genießt; das Resultat ist, dass er nicht in der Gegenwart lebt; er lebt, als würde er nie sterben, und dann stirbt er und hat nie wirklich gelebt.

Werden wir mit der Zeit lernen, wie wir am besten mit der Zeit umgehen? Kommt der Rat weiterhin, wenn die Zeit kommt?

Wird die Zeit weiterhin alle Wunden heilen?

Oder laufen wir weiterhin mit der Zeit um die Wette?

Literatur:

Franz Kafka: Ein Landarzt – Kleine Erzählungen, Vitalis 2007. Stangl, W. (2019). Gehirn und Zeit. werner stangl´s arbeitsblätter

Anita Schmitt, Akademie Heiligenfeld GmbH, https://www.kongress-heiligenfeld.de/chronos- und-kairos-goetter-der-zeit/Hudson Hoagland, amerikanischer Neurowissenschaftler Marc Wittmann, Gefühlte Zeit, C.H Beck Verlag, Aug. 2016

Marc Wittmann, Wenn die Zeit stehen bleibt: Kleine Psychologie der Grenzerfahrungen, C.H Beck Verlag, März 2015

Zitat von Heraklit von Ephesos (Philosoph, Grundthese: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ (Griechenland, 550 – 480 v. Chr.)

Friedrich v. Schiller, Sprüche des Konfuzius

Rüdiger Safranski, Zeit: Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen, Carl Hanser Verlag,2015 ISBN 978-3-446-25011-6

Gernot Münster, Institut für Theoretische Physik, WWU Münster; Was ist Zeit?

Gottfried Gerstbach: Analyse persönlicher Fehler bei Durchgangsbeobachtungen von Sternen in: Geowissenschaftliche Mitteilungen, Band 7, S. 51–102, TU Wien 1975, ISSN 1811-8380.

Henri Bergson: Dauer und Gleichzeitigkeit. Über Einsteins Relativitätstheorie. Hamburg 2015 Philo Fine Arts, Fundus-Bücher 218

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Der transzendentalen Ästhetik , Zweiter Abschnitt, Von der Zeit, 1781

Benjamin Lee Whorf , Hopi time controversy, 1936 „An American Indian model of the Universe“

Was ist ein winkelgerechtes Leben?

Br.: GERHARD S.

Wie einige von euch wissen, gehöre ich im profanen Leben seit mehr als 30 Jahren dem Berufsstand der Notare an, bin also ein „Öffentlicher Notar“ – in Österreich so etwas wie ein Mittelding zwischen Gerichtsbarkeit und Vollziehung, was nicht unwesentlich ist für das Thema des heutigen Abends.

So nebenbei bekleide ich ein paar Ehrenämter, wie etwa – seit fast 12 Jahren – einen der drei Vorstände der Stiftung des Wiener Volkstheaters, des ehemals größten Sprechtheaters im deutschsprachigen Raum. Auch dieses wird in meinem Baustück eine entscheidende Rolle spielen.

Aber jetzt zu unserem heutigen Thema:

Es ist die Geschichte von Franz und Walter. Zwei profane historische Persönlichkeiten, die sich nie begegneten und wohl nichts gemeinsam hatten – außer dass sie zur selben Zeit lebten.

Wir begeben uns daher in die Vergangenheit, es ist die Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert – Fin de Siècle – ein Abschied.

Franz und Walter lebten eine zeitlang in derselben Epoche. Walter war allerdings älter als Franz und er überlebte ihn auch um 22 Jahre. Es hätte aber auch anders sein können.

Walter ist Deutscher, geboren 1886 in der Nähe von Danzig als Sohn eines Apothekers, gutbürgerliches Familienleben, zunächst studiert er in München Chemie, bricht jedoch das Studium ab und beschließt, fortan eine künstlerische Karriere einzuschlagen. Er wird Schauspieler.

1908 steht er im niederschlesischen Schweidnitz zum ersten Mal auf der Bühne. Weitere Engagements bringen ihn nach Zittau, Detmold und Breslau. Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges folgt er dem Ruf des Schauspielhauses in Dresden und mimt dort den „jugendlichen Charakterliebhaber“.

Franz kommt erst 1907 zur Welt, in einer ländlichen Umgebung in Oberösterreich, als lediges Kind einer Bauernmagd wird er von der Großmutter aufgezogen. Die Schusterswitwe Elisabeth Huber hatte 13 Kinder vom Ertrag einer Kleinlandwirtschaft zu ernähren. Das Umfeld von Franz ist geprägt von barocker Frömmigkeit. Die ärmlichen Verhältnisse verhindern eine höhere Bildung. Er besucht die einklassige Volksschule seines Heimatortes, wo ein einziger Lehrer 7 Jahrgänge mit bis zu 60 Kindern in einem Raum unterrichtete.

In einem späteren Mundartgedicht erinnert sich Franz an die Benachteiligung in der Schule aufgrund seiner Armut:

„Dass i a armer Bua bloß

des is ma kemma in mein Sinn.

Hab glernt so guat und brav

habns mir die Dreier zuwidraht.“

Zwei Menschen also, die verschiedener nicht sein konnten. Und so verschieden sie waren, so verschieden verhielten sie sich in ihrem Leben. Mit unterschiedlichem Ansatz und unterschiedlichem Ausgang.

Doch zunächst wechseln wir die Zeit. Es herrscht so etwas wie Aufbruchstimmung. Wir sind in den 20er-Jahren.

Walter ist also Schauspieler. In Dresden spielt er in Jedermann, Die Räuber, Kabale und Liebe. Beeindruckt vom Wirken Max Reinhardts übernimmt er immer öfter die Regiearbeit und verblüfft so manche Kollegen mit seiner „diktatorischen Art“. Der Deutsche Gewerkschaftsbund wirft ihm sogar „asoziales Verhalten“ vor und nennt ihn einen Despoten.

Er heiratet eine Sopranistin der Dresdner Hofoper. Als begnadete Wagner-Interpretin in der Gesellschaft bereits bestens integriert, freundet sich das Ehepaar in Bayreuth mit Siegfried und Winifred Wagner an. 1924 wird Walter Generalintendant des Fürstlichen Hoftheaters in Gera und inszeniert dort zahlreiche Klassiker, aber auch Zeitgenossen, wie Brecht und Zuckmayer.

Im Jahrbuch des Theaters in Gera beschreibt Walter seine Vorstellungen von einem Ensemble:

„Ensemble heißt für mich die sorgfältige Zusammenstellung verschiedenartigster Begabungen und körperlicher Erscheinungen, die, in richtiger Abstimmung zueinander, sich zu einer brennend interessierten Gemeinschaft, zu einer Einheit steigern lassen“.

Nationale Ideologien sind für ihn kein Thema.

Wie ging es mit Franz weiter?

Er verdingt sich als Knecht und Bergarbeiter. Seine Situation verändert sich schlagartig, als seine Mutter einen Landwirt heiratet. Franz wird von seinem nunmehrigen Stiefvater adoptiert. Dieser hat ein Zeitungsabonnement und besitzt viele Bücher. Franz beginnt zu lesen, denn (Zitat) „ein Mensch, der nichts liest, wird sich nie so recht selbst auf die Füße stellen können, er wird sehr oft nur zum Spielball der Meinung anderer“. Von seinem Lohn als Arbeiter am Erzberg kauft er sich ein Motorrad. Das erste im Ort. Franz ist jetzt wer.

Zudem stirbt bald danach der Stiefvater und Franz erbt seinen Hof. Er wird selbst Bauer und das Schicksal wiederholt sich: Eine seiner Mägde bekommt ein Kind von ihm. Franz kümmert sich sehr um das Mädchen, das – so wie einst er – von der Großmutter aufgezogen wird. Geheiratet wird aber nicht. Denn Franz will eigentlich ins Kloster. Auch eine junge Frau aus dem Nachbarort will Novizin werden. Ihr Name ist Franziska. Bevor die beiden ihren Entschluss in die Tat umsetzen, lernen einander Franz und Franziska kennen – und lieben. Es wird geheiratet. Die Hochzeitsreise geht nach Rom. Beide sind tief im Glauben verwurzelt.

Franz besucht fortan regelmäßig die Gottesdienste, liest intensiv die Bibel und andere religiöse Literatur, besonders Heiligenbeschreibungen. Eines Nachts träumt er von einem Zug, in den immer mehr Menschen einsteigen und im Hintergrund eine Stimme, die sagt: „Dieser Zug fährt in die Hölle!“

Franz und Walter sind in der dunklen Zeit angekommen.

Walter ist inzwischen Generalintendant der Städtischen Bühnen und des Schauspielhauses in Düsseldorf. Er engagiert Schauspieler wie Will Quadflieg, Karl Paryla und Leon Askin, sowie den ukrainisch-jüdischen Dirigenten Jascha Horenstein und Leopold Lindberg, ebenfalls jüdischer Abstammung. Walter fördert die Avantgarde, spielt sog. „moderne Opern“ von Hindemith, Strawinsky, Weill und Krenek und verpflichtet die jüdische Choreographin Ruth Loeser in sein Haus.

„Verjudung des Deutschen Theaters“ wird ihm vorgeworfen. Fortan sollen Wagner, Mozart und Richard Strauss gespielt werden. Walter fügt sich dem Diktat nur zögerlich. Die Gauleitung der Düsseldorfer NSDAP verlangt nach einem deutschen Spielplan.

Bereits im April 1933 stellt der Theaterausschuss der Stadt Düsseldorf an den Oberbürgermeister den schriftlichen Antrag, den Dienstvertrag des Generalintendanten zu kündigen und ihn sofort vom Dienst zu suspendieren. Als Begründung wird angeführt, dass er erklärt habe, ohne Juden künstlerisch nicht arbeiten zu können. Weiters habe er in der Karwoche die „Fledermaus“ mit „Niggertanz“ und die jüdische Revue-Operette „Im Weißen Rössl“ gespielt.

„Deutsche Künstler sind den Juden voranzustellen!“

„Wir wollen den deutschen Künstler, der sich als Diener und Gestalter deutschen Kulturgutes fühlt!“

„Wir sind es leid, beste deutsche Kunst in einer jüdischen Manier verborgen zu sehen!“

Das sind nur einige der Vorwürfe, denen Walter ausgesetzt ist. Doch er beweist Mut und verfasst eine 9-seitige Verteidigungsschrift, die er an die Gauleitung übermittelt. Der Kernsatz hieraus ist wohl der folgende:

„Gerade in den reproduzierenden Künsten gibt es zahlreiche Juden, die mit aufrichtiger Liebe und Bewunderung dem deutschen Wesen zugetan sind und die sich in den Dienst deutscher Kunstwerke stellen. Gerade der Fremde kann unser Wesen in manchem besser erkennen als wir selbst.“

Doch die Zeiten sind kompromisslos. Auch für Franz.

Für ihn kam die dunkle Zeit zwar erst 5 Jahre später, aber dann gleich mit voller Wucht.

Franz soll Bürgermeister seines Heimatortes werden. Er lehnt ab. Bei der Volksabstimmung über den „Anschluss“ Österreichs an Deutschland gibt er als einziger eine NEIN-Stimme ab. Sie wird von der Wahlbehörde unterschlagen. Franz zieht sich aus dem öffentlichen Leben zurück. Als er zum Wehrdienst eingezogen wird, leistet er zwar den Fahneneid auf Hitler, aber eher aus der Überzeugung „dass es eine Sünde sei, den Befehlen des Staates nicht zu gehorchen“. Um Aufschub seiner Einberufung hat er bei der Ortsparteileitung nicht angesucht, denn (Zitat) „zum Spielball der politischen Leiter dürfen wir uns nicht herablassen. Ich glaube, wir werden noch öfters einen festen Willen brauchen“. Er kann dennoch zunächst zurück auf seinen Hof und zur Familie. Mit Franziska hat er inzwischen drei Töchter.

Er wird Mesner in seiner Pfarrkirche und feiert täglich die Heilige Messe mit. Weil die Nazis die Kirche verfolgen und wegen ihres Euthanasieprogramms sowie durch intensives Studium der Bibeltexte fasst er den Entschluss, nicht wieder zum Militär einzurücken.

Familie, Freunde, der Pfarrer – alle versuchen, ihn zur Umkehr zu bewegen. Seine Frau Franziska hält letztendlich zu ihm – trotz der zu erwartenden Konsequenzen für sie und die Kinder. Dies wurde ihr später heftig vorgeworfen. Doch sie rechtfertigte sich damit, „dass der Franz ja dann gar niemanden gehabt hätte, der zu ihm hält“.

Er erinnert sich an seinen Traum vom Zug in die Hölle: „Ich möchte eben jedem zurufen, der sich in diesem Zug befindet: Springet aus, ehe dieser Zug in seine Endstation einfährt, wenn es dabei auch das Leben kostet!“

Am 1. März 1943 erklärt Franz vor der Militärbehörde, den Wehrdienst zu verweigern. Er wird verhaftet, zuerst in Linz eingesperrt und dann nach Berlin verfrachtet, wo man ihm vor dem Reichskriegsgericht den Prozess macht. Am 6. Juli 1943 wird Franz wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tod verurteilt und am 9. August 1943 in Brandenburg hingerichtet.

In einem seiner Briefe aus der Haft schrieb er: „Besser die Hände gefesselt als der Wille“.

Und Walter?

Er beugt sich dem Diktat und entlässt seine jüdischen Ensemblemitglieder. Ja er bewirbt sich sogar um die Mitgliedschaft in der NSDAP, die ihm aber wegen seiner „liberalistisch-marxistischen Gesinnung“ verwehrt wird. Der NS-„Hofpoet“ Hanns Johst ist ein alter Freund. Für ihn inszeniert Walter das – laut Völkischem Beobachter – „erste Drama der deutschen Revolution“, das Propagandastück „Schlageter“, welches in der Folge an über 100 deutschen Bühnen aufgeführt wird. Bei der Premiere in Düsseldorf ist sogar Goebbels anwesend – und beeindruckt.

Der Vertrag in Düsseldorf wird aber nicht mehr verlängert. Zu groß und unüberbrückbar ist die ideologische Distanz zu den ortsansässigen Kulturpolitikern. Walter fährt nach Berlin – zu Goebbels. Er findet Unterstützung beim Propagandaminister, doch nach Düsseldorf kann er trotz Fürsprache nicht mehr zurück.

Es scheint, als wäre die Karriere von Walter vorbei.

Am sogenannten „Deutschen Volkstheater“ in Wien versucht gerade der bisherige Direktor Rolf Jahn sich in einem überschießenden Ausbruch von Opportunismus bei den neuen Machthabern beliebt zu machen. In Windeseile gestaltet er das traditionsreiche Haus in einen KdF (Kraft durch Freude) Freizeittempel um.

Doch diese „Schleimereien“ sind selbst den Nazis zuviel. Sie besetzen das Volkstheater neu.

Mit Walter.

Offensichtlich hat Goebbels die Hand im Spiel. Und Walter setzt einen bewundernswerten Schachzug: Er verschafft sich ein ruhiges Klima im Haus, engagiert Größen wie O.W.Fischer, Curd Jürgens, Gerd Fröbe, Paul Hubschmid, Judith Holzmeister und Inge Konradi.

Er schafft es, mit seinem Spielplan linientreues Propagandatheater mit kritischer Opposition so zu verknüpfen, dass es den Machthabern gar nicht sonderlich auffällt.

Das Volkstheater wird ein Ort stillen Widerstands und ein Hort für Verfolgte.

Eines seiner Ensemblemitglieder ist die Schauspielerin Dorothea Neff. Walter kennt sie aus seiner Zeit in Gera und holt sie nach Wien. Sie versteckt in ihrer Wohnung vier Jahre lang ihre jüdische Freundin Lili Wolff. Walter weiß dies und deckt Neff. Bis zum Kriegsende.

Am 1. September 1944 wird das Deutsche Volkstheater kriegsbedingt geschlossen. Walter bemüht sich bis zuletzt erfolgreich, die von der Partei geplante Entfernung „nichtarischer“ Künstler aus den Annalen und der Galerie des Hauses zu verhindern.

Ja und er selbst versteckt in seiner Wohnung 6 Monate lang seinen Dresdner Freund, den Architekten Fritz Naumann, der von der Gestapo wegen „defätistischer Reden“ gesucht wird.

Walter wird nach dem Krieg Intendant des Nürnberger Theaters, jedoch wegen seiner Nahebeziehung zur NSDAP kurze Zeit später wieder entlassen. Im Jahr 1949 wird er allerdings entlastet und ihm bescheinigt, dass er in der sog. „Judenfrage“ eine „mutige Haltung“ eingenommen hat.

Zwischendurch als Theaterdirektor in Braunschweig kehrt er schließlich 1951 in „sein“ Düsseldorf zurück.

Er stirbt 1965.

Geliebte Schwestern und Brüder.

Den einen habt ihr ja wohl erkannt. In der katholischen Kirche ist er heute ein Seliger und dereinst vielleicht ein Heiliger.

Franz Jägerstätter

Der andere ist heute völlig unbekannt. Und er wird auch nie ein Heiliger werden. Doch sein Portrait hängt in der Galerie der Intendanten des Wiener Volkstheaters vorbehaltlos neben allen anderen – und das zu Recht.

Sein Name: Walter Bruno Iltz.

Warum vergleiche ich diese beiden Menschen?

Jägerstätter hat seine Überzeugung gelebt. Ohne Wenn und Aber und ohne Rücksicht auf seine engsten Mitmenschen, seine Frau, seine Kinder. Er hat – so mag man meinen – einen exakten rechten Winkel beschritten.

Was hat es ihm gebracht?

Genugtuung für ihn selbst, seiner Überzeugung bis zum Tod treu geblieben zu sein? Er möge ein Mahner sein, aber kann sein Leben für uns auch ein Vorbild sein?

Ich habe früher Franz Jägerstätter in seinem Verhalten nicht verstanden, ja sogar das eine oder andere Mal verachtet, weil er seine Familie, seine kleinen Kinder im Stich gelassen hat. Beim genaueren Studium seines Lebens habe ich jedoch erkannt, dass er gar nicht anders hätte handeln können. Er wäre am Bruch seiner Überzeugung im Leben gescheitert.

Auch Iltz hat seine Überzeugung gelebt. Aber anders, eben vielleicht nicht gerade rechtwinkelig. Seine Gratwanderung zwischen regimekritischer Opposition einerseits und Linientreue andererseits hat zumindest einigen Menschen Vorteile gebracht und diese vor Verfolgung und möglicherweise Tod bewahrt. Kann er für uns ein Vorbild sein?

Gibt es überhaupt ein einzig wahres, vorbildhaftes und winkelgerechtes Leben?

Ich denke mir oft in meinem Beruf, ob ich es zustande bringen könnte, gegen meine Überzeugung verordnete staatliche Vorschriften zu vollziehen. Mein beruflicher Eid verpflichtet mich dazu. Und haben wir als Freimaurer nicht alle bei unserer Aufnahme gelobt, „die Landesgesetze zu beachten“? Wie sollen wir mit „ungerechten“ Gesetzen umgehen?

In meiner Zeit als Rechtspraktikant in den 80er-Jahren verbrachte ich drei Monate am damals noch existierenden Jugendgerichtshof in der Rüdengasse.

Mein Ausbildungsrichter Dr. Ott – er ist bereits verstorben – sagte einmal zu mir:

„Ich liebe meinen Beruf und würde ihn um nichts auf der Welt aufgeben. Außer, wenn in Österreich wieder die Todesstrafe eingeführt wird.“

Ich habe über diese Einstellung lange nachgedacht und überlegt, ob es nicht erst recht wichtig wäre, in solch einer Situation „an den Hebeln der Macht“ zu bleiben, um vielleicht den einen oder anderen Unglücklichen vor der Todesstrafe zu bewahren. Einen gewissen Spielraum in der Urteilsfällung gibt es immer.

Andererseits müsste ich zwischendurch bei eindeutiger Schuldfrage dann doch wieder gegen meine Gesinnung Todesurteile fällen, was mein Gewissen wohl nicht zulassen würde. So gesehen hatte Dr. Ott vermutlich Recht.

Im Zusammenhang mit diesem Gewissenskonflikt gibt es sogar ein konkretes Beispiel – zufälligerweise in Verbindung mit dem Fall Jägerstätter:

Der Vorsitzende des Senats im Reichskriegsgericht, welcher das Todesurteil gegen Franz Jägerstätter gefällt hat, Gerichtsrat Werner Lueben, der bereits für mehr als 100 Todesurteile mitverantwortlich war, entzog sich am 28. Juli 1944 einem weiteren offensichtlichen Unrechts-Urteil durch Selbstmord. Er hätte an diesem Tag auf Druck von Himmler drei katholische Priester zum Tod verurteilen sollen. Im Laufe des Verfahrens hatte Lueben versucht, die Beweiskraft der Gestapo-Protokolle in Zweifel zu ziehen und den Prozess wenigstens anhand der damaligen Rechtsvorschriften durchzuführen.

Die Hinrichtung der drei Priester konnte er trotzdem nicht verhindern. Sie verzögerte sich lediglich um ein paar Monate.

Gerade in der heutigen Zeit der Umbrüche, globalen Katastrophen, Migrationen,  des Terrors und der Weltwirtschaftskrisen denken wir vermehrt an die Szenarien autoritärer Machtverhältnisse. Und von dieser Möglichkeit bleibt im Ernstfall unser Land sicher nicht verschont.

Was tun mit unserem Gelöbnis, „die Landesgesetze zu beachten“?

Sollen wir wie Franz der Überzeugung wegen unsere Existenz und Handlungsfähigkeit verlieren oder wie Walter das Unrecht zum Vorteil benützen – auch unter der Gefahr, damit das Unrecht zu fördern?

Jägerstätter schreibt in einem Brief an sein Patenkind: „Wir haben schon in der Schule gelernt, dass der Mensch einen Verstand und einen freien Willen hat und besonders auf unseren freien Willen kommt es an, ob wir ewig glücklich oder ewig unglücklich werden wollen“.

Ich denke, dass jeder Mensch seine Überzeugungen und Ideale so leben soll, wie es ihm seine Fähigkeiten und sein Gewissen erlauben.

Da kann der rechte Winkel dann vielleicht auch einmal stumpf sein.

Hauptsache ist: MENSCHLICH MUSS ER SEIN!

Die Bürgschaft

BS von Br. Richard Mach, GOÖ, 2011

Schon als Kind mochte ich diese „großen“ Balladen, (von denen wir alle zumindest wissen, dass es sie gibt); ich musste sie damals zwar abschreiben, um meine Handschrift zu verbessern, doch faszinierten mich diese langen Gedichte seltsamen Inhalts und so lernte ich sie während des Abschreibens auch gleich auswendig…

Was ich als Kind auswendig konnte, hatte allerdings Lücken bekommen, und so begann ich einfach so, zum Spaß, wieder Vers um Vers zu repetieren, und als Erwachsener, als Freimaurer, sah ich die Ballade plötzlich in einem neuen Licht …

Die Bürgschaft

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande: Ihn schlugen die Häscher in Bande,

„Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!“

Entgegnet ihm finster der Wüterich.

„Die Stadt vom Tyrannen befreien!“

„Das sollst du am Kreuze bereuen.“

Damon, oder eine Gruppe hinter ihm – wir wissen es nicht – stellt die herrschende Regierung mehr als in Frage, und die Lösung lautet: Königs-Mord.

Heiligt der Zweck die Mittel?

Auch wenn wir davon ausgehen, dass der Tyrann ein grausamer selbstsüchtiger Machthaber ist – und wer hätte nicht schon dann und wann daran gedacht, ein Attentat emotional nicht doch vielleicht rechtens finden zu können, wie etwa bei Khomeini, Ceaucescu, Milosevics Saddam Hussein, Bush, Putin, Berlusconi…? , so wissen wir doch dass ein Mord ethisch nicht vertretbar ist …

Wer sind die Guten, wer die Bösen? Wer entscheidet, was der richtige Weg ist? Und wer schützt sich vor wem? Wer rechtfertigt sein Verhalten, seine Aufrüstung, seine Schutzanzüge nicht mit dem Verhalten, der Aufrüstung, den chemischen Kampfstoffen der anderen?

Und wir selbst in unserem kleinen Umkreis? Wir reagieren ja auch nur auf unser Gegenüber     So wie dieser wiederum auf sein Gegenüber – auf uns selbst – und es gibt so viele richtige Wirklichkeiten … und jeder hat recht. Nur das Recht, über einen anderen zu urteilen und diesen dann infolge dessen zu sanktionieren, das Recht hat niemand. So wie z.B. die Amerikaner die orientalische Lebensart und deren Weltbild nicht verstehen, so können auch wir mit anderen Menschen und deren Art zu leben und zu denken nur bedingt übereinstimmen. Dabei stimmt unsere Sprache, unser kulturelles und soziales Umfeld und vieles mehr überein; aber wir kennen selten die Hintergründe und Umstände warum jemand anderer so ist, so denkt, sich so benimmt.

Hier helfen Neugier, Toleranz und Vertrauen. Wir wissen ja: … DIE EIGENE MEINUNG NICHT FÜR DIE EINZIG

WAHRE ZU HALTEN… und uns immer wieder daran zu erinnern. Das ist manchmal schwierig und da „Recht haben“ „überleben können“ bedeutet, im Kleinen wie im Grossen, und jeder überleben will, haben wir hier eine wichtige Aufgabe: den Mut zu entwickeln, gegen den Ur-Instinkt auch in der Sicht des anderen einmal im Unrecht sein zu können …Denn bei einem persönlichen Konflikt, der ungeschickt zwischen 2 Parteien ausgetragen wird, gibt es immer 2 Opfer, aber auch 2 Agressoren und meistens auch 2 Verlierer…

„Ich bin“, spricht jener, „zu sterben bereit Und bitte nicht um mein Leben:

Doch willst du Gnade mir geben, Ich flehe dich um drei Tage Zeit,

Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit…

Viel tut sich in diesen Zeilen: Damon übernimmt Verantwortung für sein Tun – er steht zu dem Anschlag, denn er ist überzeugt, dass sein beabsichtigter (Königs)- Mord zum Wohle vieler anderer gewesen wäre…

Er akzeptiert die Konsequenz seines Handelns, ohne Ausrede, ohne Wahrheitskorrektur… Doch er hat noch eine unerledigte Verpflichtung: Er muss noch seine Schwester verheiraten…

.. .oder was auch immer – nicht so wichtig. Wichtig ist für mich dabei, dass es für ihn Verpflichtungen gibt, denen er sich auch angesichts dieser verschärften Umstände nicht entziehen will. Dabei würden wir sicher verstehen, wenn er sich ab diesem Moment aller Verpflichtungen entbunden hätte fühlen können – er wird hingerichtet werden, was zählt da sonst noch?

Warum will er das vorher noch erledigt wissen? Für mich unter anderem aus 2 Gründen: Aus Liebe zu seiner Schwester, und aus Pflichtbewusstsein.

…und dann knallt dieser Damon dem Tyrannen rotzig den Satz hin:

Ich lasse den Freund dir als Bürgen, Ihn magst du, entrinn‘ ich, erwürgen.“

Na toll! Was macht der Wahnsinnige?

Reitet einen Freund ‘rein? Ist das mit dem Freund abgesprochen? Ist er womöglich bereit, ihn zu opfern? Wie kann er so handeln?

Er will sich die Zeit, die er für die Erfüllung seiner Pflicht benötigt, erkaufen, und bietet dafür dem Herrscher als Pfand ein anderes Leben an – das seines Freundes! Also ich würde mich bedanken, als Freund, wenn über mich so verfügt werden würde – und dafür muss es mir noch nicht mal ans Leben gehen. Oder es ist ein Trick, um einfach ab- hauen zu können, aber das würde er doch nicht…oder würde er doch…?

Das denkt sich auch der Tyrann:

Da lächelt der König mit arger List Und spricht nach kurzem Bedenken:

„Drei Tage will ich dir schenken; Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist,

Eh‘ du zurück mir gegeben bist, So muß er statt deiner erblassen, Doch dir ist die Strafe erlassen.“

Der König schließt von sich auf den anderen: Er geht davon aus, dass sich Damon aus dem Staub machen wird. Seine Grausamkeit besteht darin, dass er durch die eventuelle Exekution des (unschuldigen) Freundes Damon noch härter bestrafen kann. Denn er weiß, dass Damon seine

Schuld daran gegebenenfalls bis an sein Ende mit sich herumtragen wird. „Komm zurück und stirb oder fliehe und trage Schuld am Tod des Freundes“

– das ist der Deal, er überlässt Damon die selbstgewählte Verantwortung, den – wie er glaubt – Gewissenskonflikt, das Dilemma.

Und er kommt zum Freunde:

„Der König gebeut,

Daß ich am Kreuz mit dem Leben Bezahle das frevelnde Streben.

Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; So bleib du dem König zum Pfande,

Bis ich komme zu lösen die Bande.“

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund

Und liefert sich aus dem Tyrannen;

Jetzt erst teilt er seinem Freund die Ereignisse und seine Entscheidung mit, und dieser akzeptiert es, Pfand in diesem brisanten Abkommen zu sein – schweigend! Und die schweigende Umarmung symbolisiert Verständnis und Zustimmung, Mitgefühl, Liebe und Vertrauen.

Keine Fragen? Keine Diskussionen? Das Ge- dicht berichtet darüber nichts… Aber was lässt den Freund dieses Vabanque-Spiel mitspielen?

Ich vermute, der Freund war in Damons Ab- sicht, den Tyrannen zu töten, eingeweiht und die Nachricht von Gefangennahme und Verurteilung Damons kam nicht wirklich überraschend für Ihn. Er ist sicherlich auf eine gewisse Art Komplize. Und er weiss, wenn Damon einen solchen Handel eingeht, dass dieser alles tun wird, um sein Versprechen, wiederzukommen, einzulösen. Denn es gibt zwischen ihnen einen Ehrenkodex. Er weiss, dass Damon dies nicht tun würde, ohne einen für ihn triftigen Grund, und in Ihrem Verhältnis zueinander existiert aufgrund des Kodex unbedingtes Vertrauen, er VERTRAUT seinem Freund, er vertraut ihm sein Leben an.

Auch wir Freimaurer haben Kodizes. Ich will hier gar nicht die halben alten und vieles aus den neuen Pflichten abschreiben, aber auf sie verweisen. Und ich möchte gerne anregen, dass wir sie uns immer wieder ansehen, um uns zu erinnern… Und auch zu prüfen, ob wir selbst uns danach verhalten. (DENN ES GIBT EINEN RICHTER, DEM NICHTS VERBORGEN BLEIBT… ) Damon muss seinerseits dem Tyrannen vertrauen, dass dieser nicht schon vor Ablauf der Frist den Freund hinrichten lässt. Nur der Tyrann braucht niemandem zu vertrauen – das hat er schon so eingefädelt. Herzlos wäre er zufrieden wenn irgend jemand stürbe. Aber das Spiel, in dem er hofft, die Schlechtigkeit der Menschen einmal mehr bewiesen zu finden, macht ihm natürlich noch viel mehr Spass – eine nette Abwechslung im Einerlei des tyrannischen Alltags.

Und dann geht alles sehr schnell:

Der andere ziehet von dannen.

Und ehe das dritte Morgenrot scheint,

Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,

Eilt heim mit sorgender Seele, Damit er die Frist nicht verfehle.

Damon hatte keinen Moment den Gedanken, nicht mehr zurückzukehren – was ja zu vermuten war, nachdem er sogar Angesichts seines bevor- stehenden Todes die Pflicht seiner Schwester gegenüber wahrzunehmen sehr ernst genommen hat.

Doch auf seiner Rückreise treten Schwierigkei- ten auf – hier jetzt der Mittelteil zusammengefasst:

Kaum ist er auf dem Weg, …

„…da gießet unendlicher Regen herab…“

…den weit über seine Ufer angeschwollenen reissenden, tosenden Strom überwindet er angst- voll/mutig und mit Gottes Hilfe. Die Zeit verrinnt und auf seiner weiteren Wanderung besteht er, mit der Kraft der Verzweiflung, den Kampf gegen eine Bande von Wegelagerern.

Und drei, mit gewaltigen Streichen Erlegt er, die andern entweichen.

Erschöpft und durstig ist er danach der sen- genden Sonne ausgeliefert, findet jedoch zum Glück eine Quelle, sich zu laben:

Und freudig bückt er sich nieder

Und erfrischet die brennenden Glieder.

Drei mal könnte er in Versuchung geraten, die Schwierigkeiten zum Anlass zu nehmen, aufzugeben. Drei Prüfungen, hatte also unser Protagonist zu überwinden: jede für sich Grund genug, sich um das eigene Überleben zu kümmern, und nicht mehr zurückzukehren an den Ort, wo ihn nach der Erfüllung seiner Pflicht der Tod erwartet. Weil er den Strom, die Räuber, die Erschöpfung als Hindernisse hatte, das hätte es begründet, aufzugeben.

„Weil“ ist ein vielstrapaziertes Wort: So begin- nen Ausreden. Und das war für Damon nicht akzeptabel. Er setzte alles daran, die Probleme auf seiner Reise zu lösen, und versteckte sich nicht hinter „Weil’s“.

Oft können wir nicht zur Logenarbeit kommen, oder auf ein Seminar fahren, weil… Geht mir genauso. Ich arbeite viel und kämpfe mit 2 Händen und einem Kopf um mein berufliches Überleben. Wie viele von uns. Doch wenn ich in mich hineinhöre, dann spüre ich, ob mir diese „Weils“ gerade recht kommen, oder ob ich es bedaure, verhindert zu sein. Ich bin bemüht, mit Klienten und Kunden meine Termine so zu legen, dass ich erst als letzte Möglichkeiten die Termine unserer R.A. anderweitig vergebe. Ja, das geht nicht immer, vieles kommt unverhofft und manches über Nacht und alles ist wichtig…

Aber ist es wirklich jedes einzelne Mal, wo wir ausfallen, so unmöglich, es doch zu schaffen? Lasst uns um Lösungen bemüht sein, statt Gründe zu haben, warum wir wieder einmal nicht an der Arbeit teilnehmen können!

Langsam geht die Sonne unter, Damon nähert sich endlich der Stadt – und scheint zu spät zukommen. Und der im Gedicht als „redlich“ bezeichnete Hüter des Hauses, der ihm entgegeneilt – als eine weitere Instanz des Gewissens – sogar er empfiehlt ihm:

„Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, So rette das eigene Leben!

Den Tod erleidet er eben.

Von Stunde zu Stunde gewartet‘ er Mit hoffender Seele der Wiederkehr, Ihm konnte den mutigen Glauben

Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“

Damit würde Damon auch von dieser Seite her Absolution zuteil, wenn er aufgeben würde, doch er kämpft weiter darum, den Vertrag zu erfüllen, ja, sogar falls der Freund schon hingerichtet worden ist.

…Er schlachte der Opfer zweie Und glaube an Liebe und Treue!“

Während der für seine Zuversicht verhöhnte Freund auf Damons Wiederkehr hofft, – sicher hatte er grauenhafte Angst, doch grundsätzlich glaubte er an seinen Freund, sonst hätte er sich nicht auf all dies eingelassen, dringt Damon zum mit Schaulustigen überfüllten Richtplatz vor:

Am Seile schon zieht man den Freund empor…

Uff! Gerade noch rechtzeitig.

„Rechtzeitig“ ist ein gutes Wort: Es bedeutet zur rechten Zeit etwas zu tun oder am vereinbarten Ort zu sein. „Rechtzeitig“ ist das Wort des 24-zölligen Maßstabs:

UM SICH DIE ZEIT MIT WEISHEIT EINZUTEILEN

Man bedenke: Unpünktlichkeit hätte dem Freund das Leben gekostet. Hier und heute ist es nicht so extrem; heute kostet Unpünktlichkeit nur die Zeit der anderen. Aber das ist ja nicht so schlimm, oder?

… und wie er auf seiner Ersten Reise den Strom bezwingt, so

… zertrennt er gewaltig den dichten Chor:

„Mich, Henker“, ruft er, „erwürget! Da bin ich, für den er gebürget!“

Nein – das ist Fiktion. Kein Mensch ist so konse- quent und würde, egal ob sinnvoll oder sinnlos, zum Preise seines Lebens in dieser Situation sei- nen Idealen treu bleiben…

Obwohl … behaupten nicht auch wir, dass wir uns „…LIEBER DIE KEHLE DURCHSCHNEIDEN LIESSEN, ALS DIE GEHEIMNISSE ZU VERRATEN, DIE UNS ANVERTRAUT WURDEN…“

Was beinhaltet dieses Versprechen?

Einander zu schützen! Für einander das Beste zu wollen. Die Gemeinschaft über das Ego zu stel- len. Einander „schweigend als treue Freunde zu umarmen …“. Mit jedem einzelnen Male, wo wir ins Zeichen gehen, geloben wir das aufs neue. Mit diesem Zeichen sind wir Bürgen unserer Gemeinschaft.

Abgesehen von unseren Paten hatte jeder von uns 3 + 1 Bürgen:

AUS DEM REZEPTIONSRITUAL:

MVST: WER BÜRGT FÜR SIE ?

VM:    ICH SELBST IM EIGENEN NAMEN SOWIE

IM NAMEN VON DREI MEISTERN DER LOGE

Hier übernehmen die 3 Interviewer die Bürg- schaft sowie der Vorbereitende Meister, der den Suchenden in die Loge führt. Es ist eine Aufgabe für andere zu bürgen, es ist Verantwortung.

Wie verstehen wir diese Verantwortung? Der Bürge garantiert der Loge, dass der Suchende wirklich ein freier Mensch von gutem Ruf und ein wahrhaft Suchender ist.

Und was wenn nicht? Wenn der eingebrachte neue Bruder falsch eingeschätzt wurde. Wie geht es dann denen, die für ihn gebürgt haben? Und was geschieht mit ihnen? Ans Kreuz genagelt werden sie nicht…

Für wen wir bürgen, das wirft auch auf uns ein bestimmtes Licht; es erzählt auch über unseren Charakter und unsere eigene Meisterschaft etwas. Und wenn Brüder nicht mehr in die Loge kommen, oder die Loge verlassen – wie fühlen sich deren einstige Bürgen?

Ging vielleicht irgend etwas zu schnell? War vielleicht zu wenig Zeit zum Kennenlernen? Wollten wir vielleicht gerne aus bestimmten Gründen einen Suchenden als Bruder gewinnen? Vorsicht, bezüglich der eigenen Motive!

Für manchen meiner Brüder bürge ich der Loge gegenüber. Ich habe behauptet, und mich dabei auf Informationen und meine Intuition und auf meine Erfahrung verlassen, – „Dieser hier ist ein freier Mensch von guten Sitten“ – und meine Loge vertraut meinem Urteil, das ich nicht leichtfertig abgebe. Ich weiss, dass dieser neue Bruder, wie auch jeder andere, bestrebt sein wird, das in ihn gesetzte Vertrauen zu bestätigen. Das schmälert aber nicht meine eigene Verantwortung. Noch ist das für mich mehr als eine symbolische Geste. Ich werde auch künftig nicht vorschnell handeln und urteilen. Denn es braucht nun einmal eine gewisse Zeit, um jemanden kennenzulernen, ein Stück seiner Seele zu sehen und ein wenig mehr zu erkennen, als die geschönte Oberfläche, die wir einander lieber zeigen, besonders in den Momenten, in denen wir exponiert sind.

Die Patenschaft geht für mich über die Bürg- schaft noch hinaus: Als Pate bürge ich der Loge gegenüber und auch meinem „Patenkind“ gegenü- ber für die Rechtschaffenheit meiner Loge. Ich bürge als Meistermaurer dafür, ihn bis zur Meisterschaft zu begleiten. Zur Verantwortung kommt noch dazu, Beistand, Anlaufstelle für Fragen und Probleme zu sein, maurerisches Vorbild zu sein. All das erfordert Vertrauen von allen Seiten..

Und dieses Vertrauen gibt es bei Damon und seinem Freund: Damon hat sich also durch die Menge gedrängt und bietet sein Leben an, um den Freund auszulösen. Alle sind überwältigt und berührt und so werden beide vor den König gebracht:

Dieser

…blicket sie lange verwundert an. Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen;

Und die Treue,

sie ist doch kein leerer Wahn –

So nehmet auch mich zum Genossen an: Ich sei, gewährt mir die Bitte,

In eurem Bunde der Dritte!“

Das hat ihn einfach umgehauen! Und ein Idiot dürfte er nicht gewesen sein, unser Tyrann, denn er erkennt sehr schnell, welche Kraft in dem gegenseitigen Vertrauen der Freunde liegt. Er konnte dieses Vertrauen auch mit seinem grausamen Spiel nicht zerstören:

(Des rühme der blut’ge Tyrann sich nicht, Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht, …)

Es wird ihm klar, dass er diese Nähe und Zugehörigkeit noch nie erlebt hat, und an TREUE BIS ÜBER DAS nicht geglaubt hat – dass diese Loyalität in seiner Wirklichkeit nicht existiert hat, und doch kein leerer Wahn zu sein scheint!

Und dieser verhärtete Mann beweist seinerseits grossen menschlichen Mut: er bittet um die Aufnahme in diesen Bund! Er erklärt sich damit bereit, die Sitten und Gebräuche dieser Gemeinschaft zu akzeptieren und danach zu leben.

Er hatte den Mut umzudenken, zu erkennen, einzusehen. Er hatte die Weisheit, nicht recht ha- ben zu müssen und die Größe, das zuzugeben…

Das wünsche ich mir, dieses Vertrauen unter den Menschen, dass wir einander nicht misstrauen oder Grund zu Misstrauen geben… Vertrauen erreicht das Herz und macht den Menschen wieder offener und lässt uns sicher fühlen.

Misstrauen beginnt bei einem selbst, denn oft projizieren wir etwas aus den Niederungen unseres eigenen Charakters auf den Anderen und nehmen Negatives an und vorweg.

Wenn ich schon so ein Schltzohr bin, was muss ich dann erst vom Anderen annehmen…?

BONMOT „SCHLITZOHR“: Wer stiehlt, verliert seine Ehrbarkeit und den Ohrring. Früher wurde er dem Gesellen ausgerissen, der dann auf ewig als

„Schlitzohr“ gekennzeichnet war.

Ich denke, Misstrauen ist Angst. Angst, „gelinkt“, über den Tisch gezogen, benachteiligt zu werden. Als der Blöde dazustehen…

Ja, dann fehlt dort das (sich) Selbst-Vertrauen! Sich Selbst-Vertrauen verringert das eigene

Misstrauen und ermöglicht einem inneren Frieden.

Wenn man aufhört, zu vertrauen, kann man zwar nicht mehr so enttäuscht werden – dafür enttäuscht man andere… Es geht nicht darum, blindes Vertrauen zu haben, sondern klaren Blickes willens zu sein, zu vertrauen. Und einander nicht zu missinterpretieren.:

„Wenn wir etwas gesagt oder getan haben, das man auf zwei Arten interpretieren kann; und eine Art davon macht dich traurig oder böse, dann meinten wir wahrscheinlich die andere.“

Soll heissen: „Gib der positiven Interpretation eine Chance, trau’ mir eher das Gute als das Schlechte zu!“

EPILOG

Dieses Gedicht ist für mich in vielerlei Hinsicht von maurerischen Tugenden durchdrungen:

Es ist eine Geschichte über Vertrauen, Menschenliebe, Zuverlässigkeit, Pflichtgefühl, Treue, Loyalität, Liebe, Läuterung, Umdenken, Verzeihen und vielem mehr. Und Selbstveredlung. Klingt fast schon wie ein Hollywoodfilm – ja, Patriotismus (…die Stadt vom Tyrannen befreien…) ist auch drinnen…

Alles übersteigert, damit man’s auch kapiert. Soll aber nicht als Ausrede dienen, in so eine Situation sowieso nicht kommen zu können: es gibt viele kleine Attentate, so manchen kleinen„Mord“… und auch viele kleine Kriege, unter Freunden, unter Geschwistern…

Ich kann die Kriege der Welt nicht beenden, das ist zu gross für mich, für jeden von uns, oft so- gar zu gross für die Beteiligten. Was aber für keinen von uns zu gross ist, das ist unsere eigene Einstellung, unsere eigene Achtsamkeit – im Kleinen, im Persönlichen, im Zwischenmenschlichen – unsere Bereitschaft, unsere eigenen Kriege zu be- enden, denn es ist kein Frieden möglich, ohne die Bereitschaft zu vertrauen.

                                  Vertrauen ist einer der Schlüssel zum Frieden als Zustand des Seins!

DIE BÜRGSCHAFT · FRIEDRICH SCHILLER

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande: Ihn schlugen die Häscher in Bande,

„Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!“ Entgegnet ihm finster der Wüterich.

„Die Stadt vom Tyrannen befreien!“

„Das sollst du am Kreuze bereuen.“

„Ich bin“, spricht jener, „zu sterben bereit Und bitte nicht um mein Leben:

Doch willst du Gnade mir geben, Ich flehe dich um drei Tage Zeit,

Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; Ich lasse den Freund dir als Bürgen,

Ihn magst du, entrinn‘ ich, erwürgen.“

Da lächelt der König mit arger List Und spricht nach kurzem Bedenken:

„Drei Tage will ich dir schenken;

Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist, Eh‘ du zurück mir gegeben bist,

So muß er statt deiner erblassen, Doch dir ist die Strafe erlassen.“

Und er kommt zum Freunde:

„Der König gebeut,

Daß ich am Kreuz mit dem Leben Bezahle das frevelnde Streben.

Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; So bleib du dem König zum Pfande,

Bis ich komme zu lösen die Bande.“

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund Und liefert sich aus dem Tyrannen;

Der andere ziehet von dannen.

Und ehe das dritte Morgenrot scheint,

Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,

Eilt heim mit sorgender Seele, Damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießt unendlicher Regen herab, Von den Bergen stürzen die Quellen, Und die Bäche, die Ströme schwellen.

Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab, Da reißet die Brücke der Strudel herab,

Und donnernd sprengen die Wogen Dem Gewölbes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand: Wie weit er auch spähet und blicket

Und die Stimme, die rufende, schicket.

Da stößet kein Nachen vom sichern Strand,

Der ihn setze an das gewünschte Land, Kein Schiffer lenket die Fähre,

Und der wilde Strom wird zum Meere.

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht, Die Hände zum Zeus erhoben:

„O hemme des Stromes Toben!

Es eilen die Stunden, im Mittag steht Die Sonne, und wenn sie niedergeht Und ich kann die Stadt nicht erreichen, So muß der Freund mir erbleichen.“

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut, Und Welle auf Welle zerrinet,

Und Stunde an Stunde ertrinnet.

Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut Und wirft sich hinein in die brausende Flut Und teilt mit gewaltigen Armen

Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort Und danket dem rettenden Gotte; Da stürzet die raubende Rotte

Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,

Den Pfad ihm sperrend, und schnaubert Mord Und hemmet des Wanderers Eile

Mit drohend geschwungener Keule.

„Was wollt ihr?“ ruft er vor Schrecken bleich,

„Ich habe nichts als mein Leben, Das muß ich dem Könige geben!“

Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:

„Um des Freundes willen erbarmet euch!“ Und drei mit gewaltigen Streichen

Erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand, Und von der unendlichen Mühe

Ermattet sinken die Kniee.

„O hast du mich gnädig aus Räubershand,

Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land, Und soll hier verschmachtend verderben,

Und der Freund mir, der liebende, sterben!“

Und horch! da sprudelt es silberhell, Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen, Und stille hält er, zu lauschen;

Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell, Und freudig bückt er sich nieder

Und erfrischet die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün Und malt auf den glänzenden Matten

Der Bäume gigantische Schatten;

Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn, Will eilenden Laufes vorüber fliehn,

Da hört er die Worte sie sagen:

„Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.“

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß, Ihn jagen der Sorge Qualen;

Da schimmern in Abendrots Strahlen Von ferne die Zinnen von Syrakus, Und entgegen kommt ihm Philostratus, Des Hauses redlicher Hüter,

Der erkennet entsetzt den Gebieter:

„Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, So rette das eigene Leben!

Den Tod erleidet er eben.

Von Stunde zu Stunde gewartet‘ er Mit hoffender Seele der Wiederkehr, Ihm konnte den mutigen Glauben

Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“

„Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht, Ein Retter, willkommen erscheinen,

So soll mich der Tod ihm vereinen.

Des rühme der blut’ge Tyrann sich nicht, Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,

Er schlachte der Opfer zweie Und glaube an Liebe und Treue!“

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor, Und sieht das Kreuz schon erhöhet,

Das die Menge gaffend umstehet;

Am Seile schon zieht man den Freund empor, Da zertrennt er gewaltig den dichter Chor:

„Mich, Henker“, ruft er, „erwürget! Da bin ich, für den er gebürget!“

Und Erstaunen ergreifet das Volk umher, In den Armen liegen sich beide

Und weinen vor Schmerzen und Freude. Da sieht man kein Augen tränenleer,

Und zum Könige bringt man die Wundermär‘; Der fühlt ein menschliches Rühren,

Läßt schnell vor den Thron sie führen,

Und blicket sie lange verwundert an. Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen;

Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn – So nehmet auch mich zum Genossen an:

Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der Dritte!“

Der Bürge als Bürde

Der Bürge als eine Bürde wie soll das gemeint sein? Ist der Bürge nicht eine Person, welche in einen anderen Menschen so viel Vertrauen setzt, dass er sogar an seiner Stelle bis in den Tod gehen würde? Der kann doch keine Last, eine Bürde, sein?

Wir alle erinnern uns mal mehr, mal weniger noch an unsere Schulzeit und an die Bürgschaft von Friedrich Schiller, welche wir wahrscheinlich alle lernen durften, wo es heißt:

„Und schweigend umarmt ihn der treue Freund

Und liefert sich aus dem Tyrannen.

Der andere zieht von dannen.“

Doch wofür bürgt der treue Freund? Nun, im Text bürgt er für die Rückkehr seines Freundes. Er gibt sich als Pfand für seinen Freund.

Unzweifelhaft lässt sich erkennen, dass es sich hier quasi um ein Geschäft dreht. Ein zugegebenermaßen makabres.

Geschlossen von zwei Menschen, zwischen welchen ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehen muss. Würdet ihr für einen euch Wildfremden bürgen, nachdem was ihr nun wisst?

Nun, ich werde euch jetzt nicht die Bürgschaft von Bruder Schiller zitieren.

Dazu gibt es ein unübertreffbares Baustück von Bruder Richard, der sich leider schon i.e.O. befindet. (ZUM NACHLESEN IST ES DIESEM BAUSTÜCK ALS ANHANG ANGEHÄNGT)

Wie wir nun gehört haben, liegen die juristische Bürgschaft und das Pfandrecht sehr nahe beieinander.

Gemein ist beiden, dass ein anderer oder eine andere Sache für eine Schuld herhalten muss, wenn sie der Schuldner nicht begleicht.

Soweit man es rechtshistorisch fassen kann, ist man auf schriftliche Quellen angewiesen. Die Bürgschaft, aber auch das Pfand, stellten in allen alten Kulturen ein „heiliger“ Akt dar.

Diesen physischen Akt, mit dem eine Bürgschaft, sprich die Übernahme einer Schuld eines anderen gegenüber einem Dritten, zustande kam, kennen und verwenden wir noch heute. Es war und ist der Handschlag, mit dem eine Bürgschaft besiegelt wurde.

Zu finden bereits im alten Testament: Ich verbürge mich für ihn, aus meiner Hand magst du ihn zurückfordern. Gen. 43,9 EU oder „Aus dem Buch der Sprichwörter“ [Salomo]: Mein Sohn, wenn du Bürge geworden bist für deinen Nächsten, für einen anderen deine Hand eingeschlagen hast, bist du verstrickt durch die Worte deines Mundes, gefangen durch die Worte deines Mundes.

Weiters aus dem Buch der Sprichwörter „Wer für einen Fremden bürgt, ist übel daran; wer den Handschlag ablehnt, geht sicher“ (Spr 11,15)

In diesem Fall eignet sich die Bibel gut als historisches Dokument – deckt sich hier mit vielen Dokumenten aus vorgriechischer Zeit. Leider ist es mir nicht möglich, jetzt alle vorgriechischen Quellen mit Verweisen auf Bürgschaften und Pfandrechte zu erklären. Dies würde den Rahmen sprengen. Nur so viel sei gesagt, aus jeder Rechtskultur, die uns Schriften hinterlassen, sind diese Institute bekannt.

Im alten Griechenland diente die Bürgschaft (engýisi) neben dem Pfandrecht (enéchyru) ebenfalls der Besicherung. Auch steckt im griechischen Wort für Bürgschaft εγγύηση, engýisi der Handschlag in Form des Wortteiles εγγύ – griechisch für „in die Hand“.

Auch heute spricht man von Handschlagqualität, wenn man meint, dass ein Mensch auch ohne schriftlichen Vertrag zu seinen Zusagen steht.

In die Runde gefragt: Wer denkt nicht an einen Handschlag, wenn er ein Geschäft fixieren will oder anders, welche Gefühle kommen bei euch auf, wenn euch ein anderer den Handschlag verweigert?

Später in römischer Zeit wurde die Bürgschaft mehr und mehr zu einer sakralen Angelegenheit. Man denke nur an die römische sponsio, deren großer Nachteil es war, dass sie nur von römischen Bürgen geleistet werden konnte. Der Gläubiger fragte den Bürgen:

Idem quod Maevius promisit spondesne? Versprichst du dasselbe, was Mavius versprochen hat? Der Bürge antwortete:  Spondeo, ich verspreche. Der Bürge tritt als eine Art Gesamtschuldner für den Hauptschuldner ein. Bei Nichterfüllung einer Sponsionsbürgschaft verfiel der Bürge an die Schwurgottheit. Soweit ich das in Erfahrung bringen konnte war das Jupiter.

Daneben gab es die weit praktikableren fidepromissios (Treueversprechen) und auch noch die fideiussios (akzessorischen Bürgschaften), da diese auch von nichtrömischen Bürgen geleistet werden konnten.

Im Kern ist die Bürgschaft wie auch das Pfandrecht seit der griechisch-römischen Antike mehr oder weniger unverändert in unserem Rechtsbestand geblieben.

Sie ist bis heute die Übernahme / Garantie für ein Versprechen eines anderen gegenüber einem Drittem.

Doch wer ist der Mensch, der für einen anderen bürgt?

Der einzige Vorteil, den man aus einer Bürgschaft ziehen kann, ist, dass sich die Bande zwischen Bürgen und demjenigen, für den er sich verbürgt, vertiefen.

Ein finanzieller oder anderer materieller Mehrwert springt meistens für den Bürgen nicht heraus. Er war und ist auch nicht vorgesehen.

Unter dem Strich zahlt sich die Bürgschaft für denjenigen, für den gebürgt wird, weit mehr aus als für den Bürgen.

Damit ist die Bürgschaft ein ziemlich einseitiges Geschäft. Dem Bürgen werden alle Pflichten auferlegt, wie sie derjenige hat, für den er sich verbürgt.

Da kommt einem doch die Frage in den Sinn: Wer geht so ein Geschäft als Bürge für einen anderen ein?

Der muss wahnsinnig sein oder aber ein treuer Freund.

Doch was bedeutet die Bürgschaft in der Freimaurerei?

Vieles dazu ist ungeschrieben und quasi Gewohnheitsrecht. Auch hat sich die freimaurische Bürgschaft in den letzten 300 Jahren stark verändert. Doch gibt es schriftliche Quellen? Sehen wir uns doch einmal unsere geschriebenen Gesetze der Maurerei an (es sind nicht viele):

Nun in den Alten Pflichten von 1723 findet sich ein erster Hinweis:

Bewerber mögen nur wissen: Ein Meister soll einen Lehrling nur dann annehmen, wenn er ausreichende Beschäftigung für ihn hat. Damit könnte implizit eine Bürgschaft gemeint sein.

Der Appell von Straßburg aus 1961? Fehlanzeige!

Die Neuen Pflichten von 1974 schweigen sich zu diesem Thema aus und verweisen nur auf die Alten Pflichten.

Mehr schriftliche Regelwerke kennt unsere Maurerei nicht. Doch gibt es niedergeschriebenes Gewohnheitsrecht?

Nun, ein erster Hinweis findet sich im Freimaurerlexikon unter „Bürge“.

Quint Essenz:

Es ist de facto logen- bzw. systemautonom wie die Bürgschaft ausgestaltet ist.

Ein paar konkrete Punkte werden dennoch erwähnt:

  • Der Bürge verpflichtet sich, nur Menschen (ja, es heißt „Männer“) von gutem Ruf der Loge zuzuführen
  • Bei manchen haftet der Bürge auch für die materiellen Verpflichtungen seines Mündels.(wenn aufgenommen)
  • Die Bürgschaft erlischt mit der Aufnahme in den Meistergrad
  • Nur Meister können bürge

Nicht gerade ergiebig aber ein Anfang.

Etwas weiter geht hier das ältere Handbuch der Freimaurerei von Lennings (1900):

Bürge wird derjenige Meistermaurer genannt, der seiner Loge gegenüber sich für die Würdigkeit eines Bewerbers um die Aufnahme in den Bund ausspricht, dabei die Verpflichtung übernimmt, an seine Teile den Aufgenommenen zu erinnern und zu ermahnen, wenn er nach der Aufnahme seinen Verpflichtungen nicht nachkommen sollte.

Dieses Verhältnis besteht fort bis die Aufgenommene in den Meistergrad befördert (sic) ist.

Bei der großen Sorgfalt die bei der Aufnahme neuer Mitglieder beobachtet wird ist der Bürge vor allem verpflichtet zu bedenken, ob er den, den er empfiehlt, genau kennt und ob er sicher überzeugt ist er werde im Bunde Befriedigung finden und zugleich dem Bunde zur Ehre gereichen.

Soweit wie möglich muss er Beweggründe des Aufnahmesuchenden erproben und darf bei der Empfehlung keinerlei Rücksichten auf seine außermaurischen Verhältnisse nehmen.

Wie sieht es nun bei uns in der LGL und Logos aus? Wir wissen nun aus der Literatur, dass es logenautonom oder systemautonom ist mit ein paar wenigen weiteren Eckpunkten.

Nun ein erster Blick in die Konstitution der Großloge war nicht sehr ergiebig. Da heißt es nur:

Die inneren Angelegenheiten der Mitgliedslogen (im Besonderen die Wahl des Rituals, die Wahl der aufzunehmenden Srr und/oder Brr) liegen in der Entscheidung und Verantwortung jeder Mitgliedsloge.

Damit der direkte verweis auf die Logenautonomie:

Als nächstes der Blick in das Hausgesetz der LL.: Logos, wo es heißt:

Art 4. Wer Freimaurer oder neues Logenmitglied werden will, muss – als allgemeine Voraussetzung – ein freier Mensch, unbescholten, von gutem Ruf und mindestens 24 Jahre alt sein sowie durch Vermittlung eines Bürgen aus der Loge, der aktiver Meistermaurer sein muss, ein Ansuchen um Aufnahme stellen.

Weiter unter 4.1.

Jeder Bürge übernimmt nach bestem Wissen und Gewissen auf Maurerwort die Verantwortung dafür, dass der Suchende den Anforderungen der Freimaurerei und der Loge entspricht und willens und in der Lage ist, die Verpflichtungen eines Freimaurers in geistiger und materieller Hinsicht zu erfüllen und über die anlässlich der Aufnahme anfallenden und laufenden Kosten informiert ist.

ART 7.1 Der/die namhaft gemachte/n Bürge/n, jedenfalls aber die logeninternen, müssen der 1. Lesung beiwohnen und sind ebenso wie alle anwesenden aktiven Logenmitglieder zur Stellungnahme einzuladen; in Folge ernennt der MvSt drei aktive Meistermaurer der Loge als Befrager des Ansuchenden.

ART 7.3 Ein Suchender wird unmittelbar nach der Ballotage, Entscheidung des MvSt oder des BR von einem seiner logeninternen Bürgen über den faktischen Ausgang, nicht aber formellen Ablauf der Ballotage informiert und gegebenenfalls vom Aufnahmetermin in Kenntnis gesetzt.

Auch unser Hausgesetz ist sehr weit gehalten und lässt viel Interpretationsspielraum offen.

Doch wie steht es im Ritual? In unserem Ritual zur Aufnahme heißt es:

Vor dem Einlassen der Suchenden in den Tempel fragt der

MvSt:      Wer bürgt für sie?

VM:         Ich, im eigenen Namen und im Namen von 3 ordentlichen Meister-Mitgliedern dieser gerechten und vollkommenen Loge.

Jeder von uns, der hier einen Platz eingenommen hat ,für den haben 4 Meistermaurer gebürgt zumindest rituell. Eine simple Inkonsistenz zwischen Ritual und HG? Oder bewusst die Trennung vom „profanen“ HG und rituellen Ritual? Ich habe es nicht herausgefunden!

Sonst schweigt sich auch das Ritual zum Bürgen aus.

Einen letzten Hinweis gibt uns der Suchenden-Leitfaden.

Viele Fakten hab ich euch jetzt präsentiert.  Die juristische Bürgschaft sowie die maurische soweit in Texte gefasst. Auch habt ihr von mir ein paar Texte bekommen.

Doch was ist die maurische Bürgschaft? Ist sie ein Symbol, welches dazu gehört oder aber eine aktive Angelegenheit? Ein Symbol oder eine echte Arbeit.

Ich erzähle euch gerne gradgrecht, was die Bürgschaft für mich darstellte:

Es war so im Herbst 2014, ich war wie so oft in einem kleinen dunklen burgenländischen Sportverein. Da traf ich jemanden, der auch nicht in diese Höhle passte. Wir waren beide ein wenig verschieden zum Rest. Ich mit meinen 25 Jahren sowieso und er – nun, es fällt mir schwer, es zu definieren, was es war – es war einfach ein Gefühl.

Eines Samstagnachmittags im Herbst fragte er mich, ob ich an Vorträgen interessiert sei.

Das Thema war ein Buchvortrag über Wirtschaft. Das Thema für mich hoch spannenden und horizonterweiternd. Menschen, die zuhörten und diskutieren konnten. Das war was Neues für mich.

Das passte gar nicht zu dem Ort, wo wir ein paar Tage vorher noch waren.

Auf dem Heimweg fragte mich diese Person, ob ich den wüsste, wer da dahintersteckte. Ich musste gestehen, dass ich keine Ahnung hatte.

Er sagte es mir und ich war sprachlos.

In diesem Moment gingen mir so einige Sachen durch den Kopf.

Warum ich? Wie komme ich dazu? Was siehst du in mir? Der Ort des Kennenlernens passte so überhaupt nicht zu dem soeben Erlebten.

Neben diesen Fragen stand ein seltsames Gefühl des Angekommenseins.

Einen Satz werde ich auch nie vergessen: „Ich will dein Bürge sein“.

Nach all dem, was ich damals über Bürgschaften wusste, vertraute mir mein Gegenüber wohl sehr.

Natürlich kam in mir die Frage auf: „Kann ich diesem Vertrauen gerecht werden? Was wird von mir erwartet?“.

Unglücklicherweise ist mein Bürge ein Meister der Schweigekunst.

Die Antworten auf viele auch nicht gestellte Fragen lautete immer O-Ton: Das wirst du noch rausfinden und viel schlimmer Du kannst es Googlen, aber willst du dir die Freude verderben?

Es brach das Jahr 2015 an, mein „Bürge“ – wie er jetzt für mich hieß – meinte, ich soll ein Ansuchen schreiben und einen Lebenslauf, er wird das weitere veranlassen. Tröpfchenweise kamen die Informationen, wie der weitere Weg nun aussehen werde, zurück. Gespickt mit vielen, vielen Fragen.

Auch im heute genannten Profanen stand er mir bei, sei es mich und ohne meine Ballbegleitung nach Hause zu fahren oder einen gemeinsamen Segeltörn zu planen. Er war da.

Dann im Frühjahr bekam ich Besuch von drei Geistern – wie ich sie damals nannte.

Den ersten Geist erwartete ich vor Aufregung gleich eine Woche zu früh.

Beim zweiten Geist kam ich zu spät ins Café

und mit dem dritten Geist wurde es dunkel.

Nervös war ich nach jedem Mal. Was denken die wohl von mir? Wurde ich meinem Bürgen gerecht. Wusste ich doch, dass dieser für mein Verhalten gegenüber anderen wohl einstehen musste.

Jedes Mal, wenn ich Angst bekam, wer war da, er, mein Bürge.

Sei es, diese Peinlichkeiten zu teilen oder manch anderes, er hörte mir immer zu und gab mir gute Ratschläge und neue Blickwinkel.

Dann der große Moment der Aufnahme. Ich wieder einmal so nervös, dass ich 18:00 mit 19:00 verwechselte und nach einem Anruf meines Bürgen, wo ich den sei, vom Büro in Richtung Hofburg lief.

Ein guter Anfang, schon wieder zu spät., dachte ich mir, auch wenn es nicht meine Art ist.

Aber keine Worte des Tadels, sondern nur Worte der Sorge um mich kamen von meinem Bürgen. Die Aufnahme war schließlich da, und es war wundervoll. Jeder von euch – glaub ich-  kennt noch dieses Gefühl.

Am Nachhauseweg – wieder zwei Uhr in der Früh in meiner Tiefgarage -kamen dann aber wieder die mahnenden Worte:

Auch du wirst Baustücke halten müssen. Das erste ist ein Ich über mich, das wird nicht kommentiert, da kannst du reden was du willst. Mach aber keinen Lebenslauf, den kennen schon alle. Sag was über dich.

Das zweite wird was aus der Werklehre sein. Da schlafen eh immer alle, wenn man zum x-ten Mal den Spitzhammer hört. Das ist auch noch leicht, da hast du auch noch Welpen-Bonus. Halte dich an die Werkslehre, dann wird nichts schief gehen. Aber dann, dann zu deinem ersten freien Baustück musst du dich auf Wiederworte gefasst machen. Schreib also gute Baustücke und überlege gut was du schreibst.

Gefühlt blieben mir zwei Baustücke zum Leben.

Bevor es maurerisch weiterging, flog ich mit meinem Bürgen auf den lang ersehnten profanen Segeltörn in die Karibik. Auch dort mahnende Worte und viel Beistand bei all meinen Problemen, die ich so hatte und machte.

Geldbörse und Kreditkarten auf mehreren Inseln verstreuen.

Wetterbericht abhören, funken lernen, mit einer schwedischen Stewardess einfach so eine Nacht am Strand verbringen, ohne was zu sagen,

und vielem mehr. Bei all dem, er war einfach da oder ein aktiver Grund dafür.

Wieder zurück in Europa die erste Rituelle Arbeit in der eigenen Loge.

Noch schnell vom Bürgen nach dem Tempelaufbau die Sitzordnung erklärt bekommen.

Lehrlinge im Norden, Gesellen im Süden und Meister, wo sie wollen.

Auf meine Frage, wie er sich den entscheide, wo er als Meister sitzen will, sagte er:

Wenn ich am Rauen Stein Arbeiten will im Norden, wenn ich am anderen Stein Arbeiten will im Süden.

Wie es der Abend so wollte, saß ich im Norden und er im Süden strengen Blickes in meine Richtung, ob ich auch richtig im Zeichen stehe oder nicht usw.

Ich wusste, dass nach dem Baustück Wortmeldungen erlaubt waren, doch was soll ich sagen und vor allem wie?

Da war es wieder das Gefühl der Erwartungshaltung. Mein Bürge hat mich doch hierhergebracht mit einer gewissen Erwartungshaltung; was ist, wenn ich diese nicht erfülle?

Da kam mir der heutige Titel in den Sinn.

Der Bürge als Bürde. Auf dem Hauptschuldner liegt die moralische Last, sich und den Bürgen nicht zu enttäuschen. Doch wie schafft man das?

Muss ich jetzt immer einer Meinung mit meinem Bürgen sein, um diese Schuld zu begleichen, damit die Bürgschaft nicht schlagend wird?

Ein Gedanke der mich fesselte. Wusste ich doch um die Schwierigkeiten meines Bürgen mit einzelnen Themen. Doch wie handeln, was soll ich tun ,noch dazu jung und neu?

Es dauerte bis ich draufkam, dass ich einem fundamentalen Denkfehler aufgesessen bin. Ich habe die dritte Person der Bürgschaft vergessen. Den Gläubiger.

Der Gläubiger ist hier die Loge. Meine einzige „Schuld“, die besteht, ist die dem Gläubiger gegenüber. In diesem Fall, ein ordentliches Mitglied der Loge zu werden. Der Bürge übernimmt nur die Verpflichtung, dass ich eines werde und nicht welches.

Nun, aber auch ich war glaube, ich für meinen Bürgen eine Bürde.

Eine Fernbeziehung eingehen und so sein Gehalt mitzufinanzieren war ja noch erträglich, aber modernste Technik wie E-Books abzulehnen oder manch anderes wie autonome Autos, das ging gar nicht.

Aber stehts war er da mit offenen Worten, sei es profan als auch maurerisch und brachte mich so weiter nach vorne.

Wann und ob die Bürgschaft endet ist bei uns nicht klar definiert. Der Suchenden-Leitfaden gibt es so als Brauch wieder. Manche sagen mit Erhebung in den Meistergrad.

Meine erste Bürgschaft erlosch früher. Ich wurde Waise. Mein Bürge wechselte die Loge. (Wegen ein wenig Druckerschwärze auf weißen Papier.)

Für mich nicht nur der Verlust meines Taxis nach Hause, wobei ich zugeben muss am Motorrad als Mitfahrer fühle ich mich bis heute nicht wohl. Besonders dann, wenn man um Mitteinacht beim Zentralfriedhof vorbeifährt und die Totenglocke läuten hört.

Nein es war mehr viel mehr, was verloren ging. Ein treuer Freund ging verloren.  Eines hat er mir immer klar vermittelt und aus dem konnte ich Kraft schöpfen. Bleib dort wo du dich wohl fühlst. Lass dich nicht beeinflussen.

Auch das Wissen, dass er ja in der Kette bleibt machte es mir leichter.

Waise blieb ich zum Glück nicht lange. Schon bald danach, beim Tempelabbau fragte mich ein Bruder, ob ich schon einen neuen Bürgen hätte und wenn nicht würde er das gerne übernehmen, wenn es für mich in Ordnung geht.

Es war für mich ein wunderschönes Gefühl des Angekommenseins.

Nicht nur einer, sondern auch ein anderer war für mich ein treuer Freund geworden.

Ich kann in dieser Arbeit leider nicht mehr über den weiteren Weg mit meinem neuen Bürgen schreiben – es wäre nicht gradgerecht. Nur so viel sei gesagt: mein „neuer“ Bürge hat mich ebenso gut zur Meisterschaft gebracht wie mich mein alter in die Freimaurerei.

Ihr seid mir beide gute Bürgen und ich hoffe, ich bin für euch immer ein guter Hauptschuldner unserem gemeinsamen Dritten gegenüber.

Die Verkettung von Widersprüchen – das musivische Pflaster

Der Mensch kann ohne Symbole nicht leben. Er braucht sie, um seine Welt zu ord­nen, um die Erfahrungen seines Lebens und der transzendenten Welt auszudrücken. Die Symbole sind die Grundlage der Freimaurerei. Sie kennzeichnen die freimaureri­sche Sprache und Ausdrucksweise und sind das wichtigste Ausdrucksmittel im Ritu­al. Ein Symbol ist ein konkretes Bild, ein Gegenstand oder eine Handlung, stellvertre­tend für eine dahinterstehende, nicht direkt wahrnehmbare Idee, etwas Gedachtes oder Geglaubtes. Symbole wenden sich weniger an den Intellekt, sie sprechen viel­ mehr das Unbewusste an. Es geht eine seelische Wirkung vom Symbol aus, die ein inneres Erlebnis vermittelt. Das Symbol besitzt eine Kraft, die sich auf den Menschen überträgt. Für den Freimaurer sind die Symbole eine Kraftquelle, die ihn stützt.  Eines der freimaurerischen Symbole ist das musivische Pflaster. Nach der Literatur kommt das Wort „musivisch“ (gr. Lithostrotos) erstmals in Sophokles‘ ,,Antigone“ (ca. 440 v. Chr.) vor, ferner je einmal beim Geographen Strabo und beim Historiker Appi­an. Im Evangelium nach Johannes (19, 13) bildet das musivische Pflaster den Boden des Richtplatzes, auf dem Jesus von Pilatus verurteilt wurde (Hochpflaster, hebrä­isch Gabbatha). Die Freimaurer könnten es – wie vieles andere -den Schriften des jüdischen Historikers Flavius Josephus (um 79 n. Chr.) entnommen haben.

Der Lateinische Begriff „opus musivum“ diente als Bezeichnung für ein Boden- oder ein Wandgemälde welches aus vielen kleinen, meist quadratischen Steinen oder Glasstücken zusammengesetzt ist. Heute kennen wir den Begriff Mosaik für solche Arbeiten.

Das musivische Pflaster im maurerischen Sinne ist ein Mosaik, das aus regelmäßi­gen, quadratischen schwarzen und weißen Flächen zusammengesetzt ist. Nach ei­ner alten maurerischen Tradition war der Salomonische Tempel mit schwarzen und weißen Steinen gepflastert. Aus der Bibel lässt sich diese Information nicht gewin­nen. Im Talmud jedoch heißt es, dass ein solcher Fußboden im Konklave des salo­monischen Tempels bestanden hat und die «Grundfeste des Tempels deckt». Damit sei der alte Tempel gemeint, der mit dem musivischen Fußboden bedeckt ist.Die Meister der Bauhütten in England – und natürlich auch auf dem Festland – ha­ben ihre Entwürfe und auch den Unterricht für die Lehrlinge auf Platten oder Perga­menten gemacht, auf welchen sie Pläne für den Kathedralenbau entwickelten, die sie auf diesem geometrischen System aus Kreisen und Quadraten aufbauen konnten.

Aus diesem Grundmuster hat sich dann das musivische Pflaster entwickelt.

Dieses wurde als eines der Geheimnisse gehütet und auf den ältesten bekannten Arbeitstafeln und deren Vorgängern als ein maßgebliches Symbol der Freimaurerei aufgezeichnet.

Im asiatischen Raum findet sich die 64 als Zahl der Vollkommenheit (8 mal 8): die 64 Hexagramme (Strichbilder) des chinesischen Weisheitsbuches I Ging (Buch der Wandlungen) sind Ausdruck der Welterfahrung wie auch der Vielfalt menschlichen
Schicksals und beschreiben Kräfte, Situationen oder Aufgaben, Familie, persönliche Eigenschaften oder Fähigkeiten, konkrete Tätigkeiten und politische Phasen. Ähnliche Bedeutung dürfte ursprünglich auch das aus Indien stammende Schach­ spiel mit seinen 64 Feldern gehabt haben. Der Kampf der beiden auf dem Schach­brett aufgestellten Heere hat den Kampf der Devas und Asuras, der Götter und Dä­ monen, zum Vorbild. Das Schachbrett symbolisiert je nach Daseinsstufe, auf die man es bezieht, ein Schlachtfeld, die Erde oder das ganze Weltall.

Das Schachbrett dient als Grundriss indischer Tempel. Es ist dort als Mandala ge­ dacht, als ein Bild, das zur Meditation dient. Für das Mandala gilt ebenfalls der Wechsel zwischen Kreisform und Quadrat.

Damit wird als erwiesen angesehen, dass unser musivisches Pflaster weit älteren Ursprungs ist als der Messgrund der Steinmetze. Der Tempel gilt in allen Kultformen als Symbol der Welt. So liegt es nahe, dass ein gleiches Symbol seinen Grund aus­ füllte, ein Symbol, welches sich auf Grund seiner Struktur auch als Messgrund eigne­ te. Das musivische Pflaster prägt auch heute noch die Mitte vieler Freimaurertempel; zumindest wird es mit dem Tapis aufgelegt.

Hieber beschreibt im Leitfaden durch die Ordenslehre, 1922, den Fußboden, der die Grundlage bildet, als ein Bild der sichtbaren Welt, in die der Mensch als Teil hinge­ stellt ist und in der sich sein Leben abspielt. So wie in dem Mosaik die hellen und dunklen Dreiecke abwechseln, so ist auch in der Natur und im Menschenleben ein steter Wechsel von Licht und Finsternis, von Entstehen und Vergehen, von Freude und Schmerz, von Glück und Unglück, von Leben und Tod. Dadurch aber, dass die­ses Mosaik eine vollkommene Regelmäßigkeit in seiner Abwechslung von hellen und dunklen Dreiecken zeigt, soll der Lehrling sich gewöhnen, das irdische Dasein nicht als ein Spiel des blind waltenden Zufalls, sondern als etwas von ewigen Gesetzen in die Bahnen der Entwicklung zum Vollkommenen hin Geleitetes zu betrachten.

Auf seinem symbolischen Weg zum Licht muss der Lehrling die Gegensätze und die Dualität erkennen, beherrschen und überwinden, will er auf dem Weg zur Meister­schaft voranschreiten. Das musivische Pflaster zeigt nach Horneffer die Welt wie sie ist, als eine ursächli­che Verkettung von Gut und Böse. Es ist also ein Symbol unseres täglichen Lebens mit seiner Polarität.

Dunkle und helle Felder wechseln einander absolut paritätisch ab, kein dunkles be­rührt das helle und dennoch hängen beide Farbtöne zusammen und dergestalt von­ einander ab. Weiß beinhaltet das ganze Spektrum des Lichts und Schwarz absor­biert das gesamte Spektrum des Lichts. Beide sind alles und eins. So bilden sie großartig vereinfacht das universelle Spiel der Gegensätze. Gegensätze können sich ausdrücken in der Polarität, dem „Sowohl als auch“ (konträ­rer Gegensatz) oder in der Dualität, dem „Entweder-Oder“ (kontradiktorischer Ge­gensatz).

Die Polarität stellt Gegensatzpaare zusammen, die einander bedingen, die sich er­ gänzen und zum Ganzen verbinden können. Dabei kann zwischen den beiden Polen ein Mittleres oder über ihnen ein übergeordnetes stehen. So ergibt sich aus Vater und Mutter das Kind, aus Sommer und Winter der Jahresablauf.

In der Freimaurerei treten verschiedene polare Symbolpaare auf: Sonne – Mond / unbehauener Stein – vollkommener Kubus / rechte und linke salomonische Säule. Der Mensch ist dabei meist in die spannungsgeladene Mitte gestellt. Und viele Be­griffspaare, die das Urprinzip der Polarität verdeutlichen, treten im freimaurerischen Sprachgebrauch auf: oben – unten / Licht – Schatten / Mann – Frau / Freude – Leid / Leben – Tod. Ihre voneinander abhängigen und aufeinander bezogenen Pole bilden eine Ganzheit und bewirken die das Leben ermöglichende Spannung, die auch Vo­raussetzung des Schöpferischen ist.

Der Dualismus hingegen bedingt unüberwindbare Gegensatzpaare, die sich unver­söhnlich gegenüberstehen. Man muss sich für das eine oder das andere entschei­ den, muss ja oder nein sagen. Eine Vermittlung ist nicht möglich.

Dualismus ist die Lehre von der Zweiteilung und Gegensätzlichung, die durch unsere Ratio, manchmal auch durch die Moral, einander entgegengesetzt werden. Gegen­ sätze sind unvereinbare, einander bekämpfende Größen, sie spalten die Wirklichkeit. Das dualistische Entweder-Oder ist die säkularisierte und rationalistische Form des polaren Sowohl-als-auch.

Gut und Böse, Diesseits und Jenseits, Furcht und Hoffnung, schön und hässlich, Ausbeuter und Ausgebeutete sind beispielsweise unüberwindbare Gegensätze. Der Dualismus, die Zweiteilung und Gegensätzlichung haben zumeist zerstörenden Cha­rakter, ausgenommen dort, wo sie echte Alternativen setzen und zu Entscheidungen herausfordern oder sie erzwingen.

Wie kann ich nun die Gegensätze und Polaritäten erkennen?

In der Zwei teilt sich das Eine, die Zwei schließt sich zusammen und wird Eins. Das Schöpferische und das Empfangende vereinigen sich und erzeugen die Welt. So sagt Laotse, dass die Eins die Zwei erzeugt, die Zwei erzeugt die Drei, und die Drei erzeugt alle Dinge.

Wenn es das Eine gibt, gibt es zwingend auch das Andere, wie Oben und Unten, Links und Rechts – sowie alle weiteren Gegensätze durch das Ausweiten der Eins entstehen. Solange wir uns in der Polarität befinden, ist uns diese gar nicht bewusst. Erst durch das Heraustreten aus der Polarität auf einen dritten Punkt wird es mög­ lich, die beiden anderen Punkte als Pole wahrzunehmen und zu erkennen, woraus sie entstehen. Damit erkennen wir die Ursache für ein Geschehen. Eine Verände­ rung des Standortes ermöglicht uns eine neue Sicht und Überblick. Das Gesetz der Polarität prägt uns Menschen wesentlich und weist eine enorme Tie­fe und Tragweite für unser tägliches Leben auf.

Wir teilen Geschehnisse, Ereignisse, Menschen und Gedanken in „positiv“ oder „ne­gativ“ ein. Menschen befinden sich in einem ständigen Spannungsfeld zwischen po­ sitiver und negativer Bewertung dessen, was sie gerade erleben oder sich vorstellen.

Sehr angenehme Erfahrungen bewertet unser Ego als „positiv“ und klammert sich an sie bzw. sucht nach mehr davon oder stellt sie als etwas Allein-Gültiges heraus. Un­-angenehme Erfahrungen werden als „negativ“ bewertet und abgelehnt. Wir befinden uns im Widerstand und wollen so schnell wie möglich wieder einen „positiven“ Zu­stand erreichen.

Die positiven und negativen Kräfte werden je nach Orientierung des Bewusstseins dem Menschen mit seinen Interessen und Denkweisen mitgegeben. Eine alte Le­gende indianischen Ursprungs erklärt das mit zwei Wölfen, welche in jedem von uns wohnen. Der dunkle Wolf verfügt über die Kräfte Zorn, Neid, Gier, Überheblichkeit, Vorurteile, Misstrauen, Gram, Stolz, das Ego. Der helle Wolf wird von Liebe ange­ trieben, von Hoffnung, Heiterkeit, Wohlwollen, Großzügigkeit, Zutrauen, dem Mitge­ fühl. Diese beiden Jäger ringen in unserer Seele ununterbrochen miteinander. Wer ist von beiden der Stärkere? Der Großvater antwortet auf die Frage des Jüngeren: „Derjenige wächst, den du fütterst.“

Betont man den einen Pol, folgt zwingend der andere, wie wir beim Ein- und Ausat­ men ständig erfahren. Je stärker die Bewertung – das Bestreben zum einen und Ab­ lehnen des anderen, desto stärker ist die Spannung zwischen den Polen. Je stärker die Ablehnung, desto mehr kommt einem der Gegenpol durch äußere Umstände, durch „Fremd-Einwirkung“ entgegen. Wir kennen den großen Knall, der immer dann folgt, wenn man Konflikten über einen längeren Zeitraum konsequent aus dem Weg gegangen ist.

Jeder kennt das Zeichen von Yin und Yang. Zwei Tropfen, die sich geschmeidig um­ armen, ineinander geschwungen zu einem perfekten Kreis verschmelzen und sich dennoch voneinander klar unterscheiden.

Yin und Yang sind „Ein und dasselbe“ und sind doch genau ihr jeweiliges Gegenteil. Sie sind in erster Linie ein Konzept zu beschreiben, dass alles miteinander verbun­ den ist und nur durch das Vorhandensein von Gegensätzen die Möglichkeit zur Viel­ falt besteht.

Die Daoisten im alten China suchten nach allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten hin­ ter den Dingen. Ihre Antworten versuchten sie auch durch Beobachtung der Natur zu ergründen. Der Wechsel zwischen Tag und Nacht, der Jahreszeiten, Ebbe und Flut, Sonne und Mond, Geburt und Tod, Helligkeit und Dunkelheit, etc. Jeder Rhythmus kann nur existieren, wenn seine Gegensätze sich einander abwechseln. Keiner von beiden kann ohne den anderen und sie sind gleichwertig.

Yin und Yang drückt sich im Spiel ihrer Gegensätze aus. Wir könnten nicht wissen, was Stille bedeutet, wenn wir nicht ihr Gegenteil erlebt hätten. Es gibt keine Vorstel­lung von Gut, wenn wir nicht Böses im Leben erfahren. Das Böse trägt allerdings gleichzeitig den Keim der Verwandlung in sich. Nach dem Prinzip von Yin und Yang birgt eine große Krise ein riesiges Potenzial in sich, in Glück gewandelt zu werden.

Für mich bedeutet dies, das Leben auf eine Art und Weise zu führen, bei dem alle ,,Aufs“ und „Abs“ willkommen sind. Mit dem Bewusstsein, dass alles im Wandel ist, habe ich die Möglichkeit, durch Höhen und Tiefen zu lernen und mich nicht als Spiel­ball des Lebens zu sehen.

Es gibt dann keine Unterscheidung mehr zwischen Gut und Böse, sondern alles hat seine Berechtigung zu existieren. All meine Charakterzüge, ob ich sie mag oder nicht, machen mich genau zu dem Menschen, der ich gerade bin. Und meine Unzu­länglichkeiten kann ich als Chance sehen, zu einer größeren Persönlichkeit zu wer­ den. Sich selbst so zu akzeptieren wie man ist, bildet die Grundlage für eine tiefgrei­fende Veränderung, um meine Schwächen und Leidenschaften und schlechten Ge­wohnheiten zu beseitigen, also am rauen Stein zu arbeiten.

In unserem Rezeptions-Ritual heißt es: ,,In dir, in deinem Wesen, in deinem Denken und Handeln, in deinem Tun und Lassen spiegelt sich das Wesen der Welt.“ Erkenne dich selbst! Beherrsche dich selbst! Veredle dich selbst!Licht und Schatten sind zwei Gegensätze, die uns in unserer Umwelt und genauso in uns selbst ständig umgeben. Diese zwei Pole sind Teil der Natur. Trotzdem wollen wir uns immer wieder auf die helle Seite konzentrieren und flüchten oft vor den dunk­len Seiten in uns selbst, die wir nicht mögen oder in die dunkelste Ecke unseres Be­ wusstseins verdrängt haben. Allerdings können wir durch die Flucht vor der Dunkel­ heit nicht wirklich ins Licht gelangen. Alles, was ich bekämpfe, wird größer. Alles, was ich verdränge, verfolgt mich. Es gibt keine Abkürzungen im Leben.

Gegensätze oder Widersprüche sind also gut für uns und für unsere Entwicklung. Nur wenn wir uns mit Widersprüchen und ihren Extremen – ihren Polen – ernsthaft auseinandersetzen, erhalten wir ein möglichst vollständiges Bild der Welt. Ein Mensch, der bemüht ist, immer nur auf der bequemen Seite des Lebens zu agieren und der seine Grenzen nicht sucht, dem wird ein Teil seines Ichs verborgen bleiben. Wer sich dem Pol des Bewahrens voll und ganz verschreibt und jede Veränderung ausschließt, der wird ein langweiliges Leben führen. Die stabilen Phasen mögen sich gut anfühlen, aber Entwicklung passiert hier nicht. Ich bleibe in diesen Wohlfühlzeiten immer die Person, die ich schon war. Es vergrößert sich nur mein Erfahrungsschatz und die Anzahl der Gewohnheiten, die mich durch das Leben bringen. Erst eine unvorhergesehene Situation verhilft uns dann dazu, den anderen Pol der Veränderung zu erkennen. Da dies unter Zwang erfolgt, ist die Veränderung oft mit großen Schmerzen und viel Leid verbunden. Wahrscheinlich sind wir besser beraten, wenn wir den Widerspruch nicht durch eine Entscheidung zu lösen versuchen, son­dern lernen, mit dem Widerspruch zu leben und beide Pole erkunden.

In Diskussionen und bei jeder Verhandlung liegen die Möglichkeiten zwischen den Extrempositionen. Zwischen heiß und kalt liegt die angenehme Temperatur, zwi­schen Groß und Klein die richtige Dimension, zwischen schnell und langsam die an­ gemessene Geschwindigkeit. Zwischen beiden Polen spielt sich das Leben ab.Schwarz und Weiß sind nur die Leitplanken, unsere äußeren Begrenzungen im Den­ken.

Auch Vielfalt und Toleranz kann im musivischen Pflaster gesehen werden. Was wä­ren die hellen Flächen des Schachbretts ohne die dunklen, die weißen Figuren ohne die schwarzen? Dieses Spiel funktioniert nur deshalb, weil es beide gibt. Was tragen Menschen zu meiner Entwicklung bei, die meine Meinung haben, die mir sehr ähn­lich sind, die es mir leicht machen, sie zu mögen oder ihnen zu folgen? Weitaus mehr lernen kann ich von den anderen, auch über mich selbst. Von jenen, die mir anstrengend sind, deren Interaktion mir etwas abverlangt. Schwarz und weiß bedingen einander, erst ihr Kontrast zueinander verschafft uns Orientierung und die Mög­lichkeit zu Weiterentwicklung. Wie bei Yin und Yang.

Es wäre daher unvernünftig, das Anderssein zu verurteilen, wie man seit einiger Zeit auf mehreren Ebenen sieht, obwohl wir das schon überwunden geglaubt haben. To­leranz ist daher mehr denn je gefragt, Andersartigkeit ist notwendig. Das musivische Pflaster steht daher auch für ein ausgewogenes, tolerantes Miteinander.

Aber auch für Geschwisterlichkeit – für die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern (Mann und Frau). Und im Rosenritual finden wir den Gegensatz von Geburt und Tod.

All das sind Grundlagen für unseren Auftrag, in Weisheit, Stärke und Schönheit am Gebäude der Menschlichkeit zu arbeiten – mit (und an) uns selbst. Wie hier drinnen durch das Wort, so im Leben durch die Tat.