Lustgewinn altern

Gast-BS

Zum Beginn, meine geliebten Geschwister, muss ich euch gestehen, dass ich ein wenig ängstlich bin, wie diese Zeichnung bei euch aufgenommen werden wird. Sie ist nämlich an sich nur für Männer entstanden. Aber genau das ist es, was es für mich spannend macht, wofür ich euch besonders danke, hier die Meinungen und Stellungnahmen von Frauen dazu zu gewinnen.

Aufgrund der Altersstruktur in meiner Loge, es sind hauptsächlich mittelalterliche Brr. zwischen 40 und 60, war die Angst vor dem „Altwerden“ bei uns zum Thema geworden. Ich kann natürlich nur fühlen wie ein Mann und betone, dass mir klar ist, dass meine Gedanken und Erfahrungen höchstwahrscheinlich für Frauen nur in geringem Maße geeignet sind.

Ganz wichtig ist mir auch, ausdrücklich zu betonen, dass es mir gefühls- und erfahrungsmäßig unmöglich ist, auch Menschen, die ein schweres Schicksal  zu erleiden haben, passende,  trostvolle, positive Gedanken zu schenken, die nicht wie Platituden klingen.

Ich durfte die Zeichnung schon einige Male, in von der Altersstruktur sehr unterschiedlichen Logen vorlegen, aber wie gesagt nur Männerlogen. Quintessenz: Viele der Alten hatten ähnliche Erfahrungen und Gefühle durchlebt, und die Jüngeren waren dankbar und ein wenig hoffnungsfroher.      

„Lustgewinn Alter“ klingt ungewöhnlich – das kann ja nur ein Irrtum sein. Ist es aber nicht – es ist tatsächlich so – zumindest – wie gesagt, bei vielen meiner Brr. und mir.

Meine persönliche Formel ist:

Lustgewinn durch Frustverlust. Frustverlust durch Zufriedenheit. Aber bitte ohne Verlust der Neugierde, der Strebsamkeit, der Tapferkeit und der Disziplin.

Als maurerischer Bruder, der im achtzigsten Lebensjahr bereits auf Überstunden lebt, fühle ich, dass es nicht anmaßend ist, euch meine bescheidene Lebenserfahrung darzulegen. Was die greisenhaft klingende Zahl Achtzig betrifft, habe ich beschlossen, den Achter ganz einfach umzulegen. Dann bedeutet er unendlich – was auch immer unendlich bedeuten mag.    

In diesem Sinne bin ich, wie hoffentlich wir alle, denen es gut geht, ein Workaholic, oder anders gesagt, ein Lebeholic, weil ich noch immer Lust am Leben habe.

Manche Ältere von euch, die es selbst geschafft haben, werden mir Recht geben, dass vieles möglich wird, das einem als junger Mensch unmöglich zu erreichen schien.

Eigentlich ist die Zeichnung aber für euch, meine Jüngeren gedacht, weil jeder Alte trägt bereits sein Binkerl und hat bereits gelernt wie es für ihn am besten zu schleppen ist.

Aber jeder von euch, meine geliebten jüngeren Geschwister, wird sich, wenn er oder sie es überlebt, früher oder später mit dem Altwerden herumschlagen müssen. Euch, geliebte ältere Geschwister lade ich ein, bei der Diskussion den  jungen und mittelalterlichen Geschwistern zu erzählen, wie ihr es geschafft habt oder warum es euch nicht möglich geworden ist, euch im Alter glücklicher und zufriedener zu fühlen als in der Jugend und im Mittelalter.

Schenken wir das gemeinsam aus maurerisch offenem Herzen unseren jüngeren Geschwistern.

Ganz klar und deutlich möchte ich aber betonen, dass all die Gedanken und Fakten, die ich in dieser Zeichnung anspreche, nur dann Gültigkeit haben, wenn der Körper mitspielt. Aber von Herzschrittmachern, Staroperationen, Hörgeräten und eisernen Hüftknochen bis hin zum Viagra gibt es eine unendliche Vielfalt modernster Errungenschaften, die das körperliche Alt sein erträglicher macht als es noch vor wenigen Jahren gewesen ist.

Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, euch mit dieser Zeichnung Gedanken mitzugeben, die einfach ein wenig gut tun – die Zukunftsängste beruhigen.

„Erkenne dich selbst!“

Albert Schweitzer hat geschrieben: „Viele Menschen wissen, dass sie unglücklich sind, aber noch mehr Menschen wissen nicht, dass sie glücklich sein könnten“. Glaubt mir, ihr jungen und mittelalterlichen Geschwister, ihr werdet es können, wenn ihr euch – durch euer derzeitiges „Jetzt“ – durchgelitten haben werdet. Durch diese echt schwere Zeit, in welcher man nicht mehr jung ist, aber auch noch nicht alt. Aber erst die dem Leiden entwachsene Akzeptanz der unabänderlichen Wirklichkeit, führt zu einer Veränderung des Lebensgefühls in einer stetig ansteigenden Kurve. „Weisheit gründe den Neubau“ und findet zum „Lustgewinn alt zu sein“.

Übrigens gilt das für alle, trotz ihrer gewaltigen Unterschiedlichkeit, von Slumbewohnern bis Fürsten, für Gescheite und weniger Gescheite, für Gesunde und Kranke: „Stärke führe es aus“!  

Wenn ihr meine Zeichnung gehört haben werdet, könnt ihr sie ruhig als Fleckerlteppich bezeichnen. Denn natürlich konnte ich aus dem unendlich scheinenden Thema „Bewältigung der Zukunftsangst + Verlieren der Jugend nur auf meinen persönlichen Umgang mit dem Altern zurückgreifen, der – wie wahrscheinlich bei fast allen Menschen – auch für mich eine außerordentlich schwere Zeit im Leben gewesen ist. Ich möchte allen, die noch vor dem Alt sein stehen, ein wenig Trost und Zuversicht dadurch vermitteln, dass ich Euch mein Leben glaubwürdig vorführe, dass und wie es mir gelungen ist den „Lustgewinn Alter“ zu erarbeiten – und täglich zu genießen.

Dass es gute, angenehme Gedanken sein können, die ich euch zu vermitteln versuche, geliebte Geschwister, verdanke ich zu einem bedeutenden Teil allen jenen, die mich in der Loge, durch die vielen Jahre meiner steten Veränderung begleitet haben. Viele von ihnen sind mir in den ewigen Osten vorausgegangen und auch ich beginne schon mein Ränzlein zu schnüren.

Aber vorher will ich, was sie mich gelehrt haben, an andere weitergeben. Wieviel Anteil an meinem geglückten letzten Lebensdrittel, ich euch mitzugeben im Stande sein werde, kann ich natürlich nicht voraussagen. Sagen kann ich euch aber, dass es mir gelungen ist vollkommen glücklich zu sein (kein Schmäh) und ich trotzdem, obwohl ich bereits wirklich sehr alt bin, mit den Gedanken an den baldigen Abmarsch in den ewigen Osten kein Problem habe und voraussichtlich auch keines haben werde.

Zurzeit bin ich mitten im Training, vom Workaholic zum vernünftigen alten Menschen zu werden. Ich habe heuer endlich aufgehört, außer Haus zu arbeiten. Allerdings muss ich noch üben, meine Zeit für mich, meine Familie und meine Freunde zu verwenden. Ganz gelingt es mir noch nicht.  

Dank Vater Staat und meiner Ersparnisse, muss ich meine Zeit aber nicht mehr für Fremde gebrauchen, die einen lediglich mit Geld belohnen. Ein Lustgewinn besonderer Art.

Bei den Überlegungen, wie ich mit dieser Zeichnung Trost spenden könnte, ist mir auch eine alte Sufi-Weisheit eingefallen: Der Lehrling frag den Meister: „ Wie machst du das nur, aus einem rohen Stein einen wunderschönen Löwen zu meißeln?“ „Das ist ganz einfach“ sagt der Meister, „ich entferne alles, was nicht nach Löwe aussieht“.

Und nun zum Glücklich sein.

Nur, dass wir uns richtig verstehen, ich habe natürlich, wie wahrscheinlich alle Menschen, Angst vor dem Sterben – aber wirklich nicht vor dem Tot sein. Das Sterben soll halt nicht allzu unangenehm werden.

Aber wie man sich fühlt, wenn man sicher glaubt, jetzt sterben zu müssen, habe ich bereits erlebt. Erlebt, als ich mit einem Linienflugzeug vermeintlich abstürzte, das dann aber nahe dem Boden weiter geflogen ist.

Ein kurzer Schreck, die Erkenntnis, „jetzt ist es so weit – aha -, aber es wird wenigstens schnell gehen“, und dann eine unglaubliche zufriedene Ruhe. – Das war´s also!

Das Leben rast vorüber wie ein Film, und ganz wichtig – der Gedanke: „Ich habe getan so gut ich konnte, um mich in der Schöpfungswirklichkeit, in der Gemeinschaft mit Menschen und Natur anständig zu verhalten“.

Resultat: Ich war mit mir ganz zufrieden und ein wenig neugierig ob und wie es tatsächlich weitergehen würde, was ich weder glaube noch ausschließe.

Soweit zum Unvermeidlichen. Ich will euch einfach erzählen wie ich es gemacht habe und heute noch mache. Bitte nicht als Lehrmeister, sondern als Reporter. Jeder von euch macht es auf seine Weise, aber vielleicht kann ich euch zum Vergleich ein wenig Ergänzungen bieten.  

Wie gesagt, ich bin selbst noch im Training, vom Workaholic zu einem diesbezüglich, aber nur diesbezüglich, vernünftigen alten Menschen. Ich wärme alte Freundschaften auf und beginne, mich endlich wieder ein wenig um die Kulturszene zu kümmern.  

Die Hauptquelle meines Glücksgefühls ist meine Begabung, zufrieden sein zu können, aber trotzdem dabei bezüglich der Lebensgestaltung und der Erkenntnissuche, nicht zufrieden zu sein und deshalb weiter strebsam und vor allem neugierig zu sein.

In meinem Alter und bei meinen Lebensumständen ist das relativ leicht. Leicht weil ich körperlich und geistig noch ganz gut beinan´d bin und in einer Familie lebe, die ich liebe und in der alle mich alle lieben. „Echt“! Und das, weil ich nach zahllosen Fehlversuchen vor nunmehr 15 Jahren in meiner Frau Gitti endlich die richtige Herzenspartnerin gefunden habe.

Ich würde mich aber nicht trauen, über meine positiven Erfolge zu berichten, wenn ich nicht auch überreichlich Schicksalsschläge zu bewältigen gehabt hätte.

Nur durch die Technik, Wirklichkeiten akzeptieren zu können, die ich nicht zu ändern vermag, vor allem ohne diese Wirklichkeit zu verurteilen, ist es mir subjektiv gelungen, mich echt glücklich zu fühlen.

Aber wie sieht das aus, wenn man nicht nur alt ist, sondern auch krank, einsam und mit Geldsorgen? Gerade ihnen meine ich, sollten die alten Menschen die es geschafft haben, ihre Methoden der Altersbewältigung zur Beurteilung anbieten.

Es ist verblüffend, wie zufrieden und glücklich Menschen sein können, die alles verloren haben, denen es miserabel geht und die unter Krankheiten und Behinderungen leiden.

Einfach, weil ich das alles selbst erlebt habe, dreimal alles verloren und gesundheitlich ziemlich bedient, weiß ich wovon ich rede. Auch durch das Vorbild vieler Brüder, deren Altwerden ich in meinem maurerischen Leben miterleben durfte, weiß ich – mit Respekt und Bewunderung –, dass es tatsächlich möglich ist die eigene Wirklichkeit in einem Ausmaß zu akzeptieren, – so dass sich unsere Begabung zum Selbstmitleid unterdrücken lässt.

Religiöse Menschen haben es da etwas leichter, aber es geht auch ohne Religion.    

Ich denke jetzt an einige Menschen, die mir Vorbilder sind. Menschen, deren Lebensumstände bedrückend sind und die es trotzdem schaffen, weil sie gelernt haben, die unabänderliche Wirklichkeit zu akzeptieren. Der extremste Fall ist ein Freund, pensionierter General, der absolut nur seinen Kopf bewegen kann. Er ist ein gelassener heiterer Mensch. Wir haben viel darüber geredet. Er findet seinen Trost in sich selbst.   

Für euch, geliebte Geschwister, die Ihr noch nicht die Schwelle zum letzten Lebensabschnitt überschritten habt, für die die Zeichnung ja wie gesagt eigentlich gedacht ist, noch eine kleine Info:

Sehr befreiend ist, dass einen das höhere Alter in die glückliche Lage versetzt, das Meiste noch zu können, aber nicht mehr zu müssen. Das macht frei! Und später dann, noch bevor es nicht mehr geht, auch nicht zu wollen. Gilt auch für den Sex. Ja, das ist bemerkenswert und spart viel Kummer. Ja, das ist nicht nur bemerkenswert, sondern eigentlich höchst erfreulich. Also ein Lustgewinn, um zum Titel der Arbeit zurückzufinden.

Ich persönlich finde es aber auch höchst erfreulich, dass man die Lust verliert, zu tun was man nicht mehr kann oder aufgrund der Würde des Alters nicht mehr tun sollte. Das funktioniert vom Sport angefangen über den Workaholic-Wahn bis zu gesundheitlichen Einschränkungen und Diäten.

Trotzdem empfehle ich eine Ausnahme zu machen.

Nämlich dann, wenn es darum geht, sich den Wünschen der Partnerin, des Partners anzupassen und nicht egoistisch selbstbezogen zu werden. Und jetzt, geliebte Brüder, lacht bitte nicht: Zum Beispiel eure Frauen zu verwöhnen. Nämlich das Geld für das sau-teure Viagra zu spendieren, wenn es nicht mehr so richtig klappt. Eure Partnerin sollte euch das wert sein, auch wenn sich der eigene Lustgewinn –no na – in Grenzen hält. Eine halbe Pille genügt für 4 Stunden.           

Aber zurück zum Text: Es ist schon prächtig eingerichtet, das von selbst kommende „Loslassen“ ohne zu leiden.

Hofmannsthal war offenbar noch nicht alt genug, um das erkannt zu haben, als er im „Rosenkavalier“ die Marschallin jammern lässt, dass Gott, wenn er sie schon alt werden lässt, wenigstens so gnädig sein soll, sie dabei nicht zuschauen zu lassen.

Als alter Mensch, hätte er das sicher nicht geschrieben. Denn dann hätte er gewusst, dass ab einem gewissen – allerdings hohen Alter – der Körper viel an Bedeutung verliert. Da trennt sich das Ich von dem optisch fremd gewordenen Körper. Das „Ich“ macht sich selbstständig.

So habe ich es für die Brüder geschrieben und bin neugierig, was Ihr liebe Schwestern dazu sagt.

Das „Ich“ empfiehlt seinem Körper, dankbar zu sein. Weil die Klugheit ihm sagt, dass man ja seinen Körper dringend benötigt, um in der Form existieren zu können, die sich ihm zu leben lohnt.    

Man soll das Alter ehren! Darum begrüße ich den alten Herren immer sehr höflich, der mir in der Früh im Badezimmer im Spiegel entgegenschaut. Er nickt immer höflich zurück.

Aber mit mir, der körperlichen Summe aus Kind, Jüngling, und Erwachsenem besteht meiner Meinung nach kaum mehr Ähnlichkeit.     

Anders beim geistigen Leben:

Da fühle ich, von meiner Erziehung ausgehend, die ich durch die Familie und meine Lehrer bekommen habe, aber auch durch die Bereicherung die ich durch die vielen „Du’s“ erfahren konnte, die mich geformt haben,  und ganz besonders durch die Arbeit am Rauen Stein und die mithelfenden Brüder, ein glücklich machendes Gemisch, in dem keiner meiner Lebensabschnitte zu kurz kommt. Auch wenn manches dabei ist, für das ich mich einst geschämt habe und das ich heute nicht oder anders machen würde.    

Einer der Lustgewinne ist für mich, dass die Schamfähigkeit beim Alt werden abnimmt. Auch zum Beispiel, dass Anerkennung und nicht anerkannt werden durch andere nur noch einen niedrigen Stellenwert bekommen haben. Angenehm auch, dass die Neigung zum „Angeben“ abnimmt. Diese zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber der Beurteilung durch andere Menschen macht frei. Frei für das nicht eigennützige positive Bemühen um andere – im Sinne aktiver allgemeinen Menschenliebe. Der Hauptgewinn dieser Lebensqualität ist für mich, dass ich befreit bin von den vielen Ängsten, die jungen Menschen aus ihrem sozialen Umfeld entstehen.

Resultat ist eine gewisse Zufriedenheit mit der Wirklichkeit, sogar was den greisenhaften, fremdgewordenen Körper betrifft. Mich einfach zu akzeptieren wie ich bin und mich zu freuen, über das, was noch zu machen ich imstande bin. Aber stets die Würde des Alters zu bewahren.

Ob meine männlichen Gedanken auch für Frauen möglich sind, ist ein anderes Kapitel. Das Baustück ist für Männer geschrieben. Es wäre verwegen zu behaupten, dass alle meine Gedanken für Frauen Gültigkeit haben. „Hab ich damals geschrieben. Bin schon neugierig“.

Quintessenz: Gut tut, anzunehmen was ist – was war – und was kommen wird.

Anzunehmen ja, aber ACHTUNG! Natürlich nicht vergreisen, sondern weiter nach Möglichkeiten zu suchen, wie ich das Leben altersoptimal gestalten kann. Möglichkeiten erarbeiten, die mich berühren, fröhlich und lebendig leben lassen.

Das gelingt ganz gut, wenn ich nicht ständig woanders als im Hier und Jetzt nach einem imaginären Glück fahnde, sondern an diesem Tag, zu dieser Stunde mir des Glücks bewusst zu sein, vieles nicht mehr zu müssen, aber den freien Willen gebrauchen kann, Änderungen zu überlegen und durchzuführen, auszuscheiden, wegzuwerfen, was nicht zu meinen Altherrnvorstellungen zu passen scheint.

Aber bitte behutsam, nicht egoistisch, sondern in liebevoller, respektvoller allgemeiner und personenbezogenen Menschenliebe. Für andere sollte man auch als Alter „wie hier durch das Wort, im Leben durch die Tat“ nach besten Kräften auch „TUN und Lassen“.

Guttun auch: „Haltung“, Selbstdisziplin, Güte. Meine Mutter hat immer wieder gepredigt, sogar bis zu ihrem Tod in sehr hohem Alter:  „Lebe immer so, dass du auf dich stolz sein kannst“.  

Ob so zu leben schwer ist oder leicht, das hängt davon ab, ob mir aufgegangen ist, dass ich voraussichtlich nur dieses eine Leben habe, dass so zu leben nicht gelingt, wenn ich immer nur nachdenke was ich im Leben nicht zusammen gebracht habe und ob andere das überhaupt für in Ordnung finden.

Wo ist da die Demut“, könnte jemand fragen?

Die Demut ist, möchte ich antworten, ist dadurch absolut nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil, man lernt Geschwisterliebe, allgemeine Menschenliebe und die Achtung vor Mensch und Natur weit besser, aktiver und erfolgreicher, wenn man aufgrund seiner Haltung gelernt hat, „über seinen eigenen Schatten zu springen“.  

Irgendwann muss es aber brennen in uns. Brennen mit Leib, Herz und Geist. Muss dieses Feuer uns mit Leib, Herz und Geist erleben, erfahren, begreifen lassen, dass nur die Annahme des kompletten Lebens, des jungen, späteren und alten Lebens zu einem vollen Leben führen kann.

Ich kann denen von euch, die es noch nicht wissen verraten, „alt ist wie jung – nur besser“

Älter werden wir schließlich ab unserer Zeugung. In meiner Kindheit habe ich dies hochgeschätzt und konnte das Altern nicht abwarten.

Ich habe es als Gewinn empfunden weil ich durchpulst vom Erlebnis, immer mehr zu können und zu verstehen, durchpulst von tausenden Hoffnungen ungeduldig vermeinte, nicht früh genug zu der ganzen Fülle möglicher Lebenslust kommen zu können.

Doch irgendwann, schleichend, wurde für mich das Älter werden zum Problem. Das begann um die 50, als ich merkte, bei der Arbeit eine Mittagspause machen zu müssen. Mich nicht mehr traute für die Dachreparatur selbst auf das Eternitdach zu klettern oder zum Beispiel mich nicht mehr traute, bei Sturm zu segeln. Den Höhepunkt erreichte das seelisch- körperliche Problem als ich den 60. Geburtstag hatte. Pensionierung, Krankheiten, Einsamkeit nach der Trennung von meiner damaligen Frau, Gefühle der Wertlosigkeit, des Angewiesen seins auf andere etc. Ich war ein anderer Mensch geworden.

Zurückgeholt zu mir haben mich nicht zuletzt die Brüder meiner Loge.

Heute fällt es mir leicht einzusehen, dass mein Körper (der mir immer viel Lebens und Lustfreude ermöglicht hat), dass mein Körper altert. Er ist inzwischen wie gesagt 80 Jahre alt, ich aber bin im Gegensatz zu meinem Körper nach wie vor noch wesentlich jünger!

Ich weiß, das sagt jeder! Und es wird wohl auch so sein.

Der Geist – meiner zumindest – altert nämlich auf seine eigene ganz besondere Art. Er wird weiser, weiter, tiefer, großzügiger, ja, und überraschender Weise sogar lebendiger.

Wie sich das auswirkt?

Zum Beispiel so, dass ich gelassener bin als früher, dass ich mehr lache (das ist natürlich auch Verdienst meiner geliebten Familie), dass ich manches nicht mehr ganz so ernst nehme und eine früher  nicht bekannte Neugier entwickle, kennen zu lernen, was mich immer schon interessiert hat, aber aus Zeitmangel nicht drankommen konnte.  

Ich möchte mit diesem Baustück werben, werben für das Leben im Alter. Für euch, die Ihr vielleicht angesichts unserer Zeit fragt, „wie wird das einmal für mich werden“ und es gar nicht leicht habt, Antworten zu finden.

Werben möchte ich auch für den herausfordernden Gedanken, der auf Erfahrung gründet, dass vieles, was uns im Leben nicht gefällt, nicht schicksalhaft ist, sondern die Folge eines Lebensfehlers, in dem man zu seinem Dasein nicht Ja sagt, sondern Jein oder Nein.

Und ich möchte euch alle davon überzeugen, dass das Leben sinnvoll sein kann bis zum Tod, weil es keine überflüssige Zeit gibt. Auch wenn das recht anstrengend werden kann.

Macht Zeitbehalt statt Zeitvertreib.

Wie macht man das?

Indem man es nicht so macht wie die meisten unserer Elterngeneration, sondern in sich selbst ein Ja zur jetzt erlebbaren Zeit findet. Auch wenn das aufgrund der sich rasend schnell verändernden technischen Möglichkeiten momentan etwas anstrengend ist.    

Jeder Lebensabschnitt hat seine Art und seinen eigenen Wert. Keine Zeit ist mit einer anderen vergleichbar. Keine Zeit hat mehr Glück in sich und keine nur Unglück. Die Gefühle des Loslassens sollen wir nicht als bittere Notwendigkeit empfinden, sondern wir sollten üben, diese Gefühle einfach als selbstverständlich anzusehen. Das könnte helfen, dass wir ernstlich drangehen uns innerlich nichts vorzujammern, sondern versuchen, uns beizubringen, durch die Akzeptanz des Unabänderlichen, die grimmige Wirklichkeit zu lindern.

Ein Trick, der mir gut gelingt: Wenn ich in den Schalen der Waage meines Befindens keine Balance zusammen bringe, verschiebe ich den Waagbalken und mein Leben ist wieder in der Balance.

Es gibt Fähigkeiten, die man in jeder Lebensphase braucht, die jedoch besonders in der dritten wichtig werden. Details und Kleinigkeiten treten zurück, Schwierigkeiten von früher gewinnen eine weit geringere Bedeutung. Gelassenheit nimmt zu, ohne dass ich mich darum bemühen muss oder die Welt nicht mehr ernst nähme.

Diese Technik ist gut geeignet für Leid-Akzeptanz ohne Hilfe von Religion. Aber alles in Grenzen, denn Leben ohne Leid, wäre Widernatürlich und nach Meinung der Wissenschaft nicht zu ertragen.

Bis jetzt habe ich über das praktische Leben berichtet. Aber da gibt es noch etwas, das mich beschäftigt, nämlich das eigentliche Ich – mein Geist.

Motto: Leben ist Veränderung – Stillstand ist Tod.

Ich halte nichts von der Einstellung mancher Menschen, vor allem mancher alter:

 „Das Leben ist wie es ist“. Basta.  

Das ist Unsinn, denn es gibt immer etwas Neues, das vor uns liegt; es ist nur notwendig es zu entdecken.    

Geliebte Geschwister, mein Vorhaben, denjenigen von uns, die noch nicht alt sind, Hoffnung und Trost für die Zukunft zu geben, die sich klarerweise noch nicht oft mit dem Alt werden auseinander gesetzt haben und natürlich  nicht erfühlen können, möchte ich die Sorge um ihre zukünftige Wirklichkeit nehmen, die sie – sollten sie das Glück haben alt zu werden – durchleben müssen und dürfen.

Für die Überlebeden gilt bekanntlich: Achtung: Man ist viel länger alt als jung.

Da lohnt es sich schon, sich darauf vorzubereiten. Für mich war das auslösende Moment, mich mit dem Thema näher zu beschäftigen, die Erhebung in den dritten Grad. Ich bin mir ganz sicher, dass es mir jetzt im hohen Alter nicht so gut ginge, hätte ich mich nicht der angenehmen Mühe unterzogen, mich maurerisch fortzubilden und dauernd den schon einigermaßen behauenen Stein fein glatt zu kriegen, aber auch weiter anzupassen und zu formen.   

Wenn die Ziele der jungen Jahre mehr oder weniger verwirklicht worden sind, wenn die Niederlagen verdaut sind, wenn die Aufmerksamkeit vieler Lebensjahre der Entwicklung von Familie, Freundschaften und Beruf galt, tut es gut, sich im dritten Lebensabschnitt mehr als bisher dem Inneren zuzuwenden. Dann drängen sich nämlich, zuerst kaum merklich, aber immer deutlicher, innere Veränderungen auf.

Da sind dann andere Fragen dran als früher; Fragen wie zum Beispiel diese:

Wie bin ich geworden?

Wer bin ich jetzt?

Wer könnte ich sein?

Was habe ich versäumt, kann ich es noch nachholen?

Was war und ist noch immer sinnvoll?

Was habe ich bisher erreicht und was will ich in den nächsten Jahren noch erreichen?

Die Antworten auf solche Fragen brauchen Zeit und Geduld. Aber Zeit hat man ja endlich.

Ich bin überzeugt davon, dass der Geist das Wichtigste ist, das wir haben. Wunderbarer Weise stelle ich dankbar fest, dass mein Geist und meine Seele sich bisher in überraschendem Ausmaß weiterentwickeln. Es ist wie Abheben in Gefilde, die mit meinem konkreten Leben nichts zu tun haben, und ich danke dem Schicksal bei jeder kleinen Abendmeditation – die ich Gebet nenne – dafür, dass mir beschieden ist, noch immer in der Weise leben zu können, die ich als lebenswert erfühle.  

Aber ich bin auch auf das Schlimmste gefasst, was immer es sein könnte und habe deshalb ein Baustück geschrieben, das sich maurerisch mit Tod und Suizid beschäftigt.

Zum Abschluss eine kleine Abendmeditation, basierend auf den Lehren die mir das Leben geschenkt hat.

Was würde ich anders machen?

Ich würde mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen.

Ich würde versuchen, nicht so perfekt zu sein.

Ich würde riskieren, mehr Fehler zu machen.

Ich würde mich mehr entspannen.

Ich wäre noch ein bisschen verrückter als ich es eh schon bin.

Ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen, wie ich es tat.

Ich würde nicht so gesund leben und nicht zu rauchen aufhören.

Ich würde überhaupt noch mehr riskieren als ich es eh schon tue.

Ich würde noch mehr Sonnenaufgänge betrachten.

Ich würde mehr segeln, bergsteigen und jagen.        

Zu meinem 90er werde ich euch berichten, was sich in den nächsten 10 Jahren abgespielt haben wird. – Wenn ihr mich erinnert, falls ich vergesse.