Wie wirkt sich die Corona-Krise in meinem beruflichen Umfeld aus?

In meinem Beruf als Wirtschaftsprüfer beurteile ich im Auftrag der Eigentümer oder des Aufsichtsrates die Ordnungsmäßigkeit des Jahresabschlusses und der Buchführung von Unternehmen, Stiftungen und auch von Vereinen. Der Jahresabschluss umfasst die Bilanz, also eine Übersicht über Vermögensgegenstände, Eigenkapital und Schulden sowie eine Gewinn- und Verlustrechnung, also die Zusammenfassung der Erträge und Aufwendungen für das abgelaufene Geschäftsjahr. Daneben sind in einem Anhang zum Jahresabschluss die Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätze sowie ergänzende Angaben für den Jahresabschluss darzustellen, um ein möglichst getreues Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens zu vermitteln. Bei größeren Unternehmen ist zusätzlich ein Lagebericht über den Geschäftsverlauf mit wesentlichen Kennzahlen, einer Beschreibung der wesentlichen Risiken, denen das Unternehmen ausgesetzt ist sowie einem Ausblick auf das nächste Geschäftsjahr zu erstellen.

Unser Prüfungsurteil bildet Grundlage für unternehmerische Entscheidungen der Geschäftsführung und der Eigentümer, aber auch anderer Stakeholder wie Banken, Investoren und Arbeitnehmervertreter und soll das Vertrauen der Kapitalgeber in die Finanzberichterstattung der Unternehmen stärken.

Wie wirkt sich nun die Krise in meinem beruflichen Umfeld aus?

Die Abschlussprüfungen führen wir nach entsprechender Planung und Vorbereitung vor Ort bei unseren Kunden durch. Dabei analysieren wir Zahlen aus der Buchhaltung und anderen IT-Systemen, sehen uns Berechnungen und Belege an und besprechen sie mit unseren Kunden. Mit 16. März war alles anders: ab da wurde für alle unsere Mitarbeiter Home-Office verordnet und der persönliche Kontakt, sowohl zu unseren Teams als auch zu unseren Kunden,  war schlagartig nicht mehr möglich. Nachdem alle unsere Mitarbeiter über Laptops, Smartphones und Internet-Verbindung zu unseren Bürosystemen verfügen, war das Weiterarbeiten von zuhause aus technisch kein Problem. Der fehlende persönliche Kontakt in unserem engeren Team von rund 70 Mitarbeitern musste mit vielen Telefonaten, Telefon-  und Videokonferenzen kompensiert werden, um das Level an erforderlicher Information, des Coachings und der Motivation, aber auch des Arbeitsfortschrittes aufrecht zu erhalten. Das hat für mich die Arbeitstage um Einiges verlängert, wo ich doch absolut kein Frühaufsteher bin! Das Arbeiten über zwölf bis dreizehn Stunden vor dem Bildschirm und das ohne viel Bewegung habe ich als anstrengend empfunden. Da ist Selbstdisziplin gefragt!

Unsere vorwiegend junge Mannschaft ist damit im Großen und Ganzen sehr gut zurechtgekommen und kann sich auch künftig die Arbeit von zuhause aus sehr gut vorstellen, die Work-Life-Balance kommt da offenbar nicht zu kurz. Seit 18. Mai ist unter bestimmten Einschränkungen die Arbeit im Büro wieder möglich, doch der befürchtete Ansturm blieb gänzlich aus: lediglich rund 15% der auf die Hälfte reduzierten Arbeitsplätze wurden täglich besetzt.

Die Zusammenarbeit mit unseren Kunden hat in dieser Zeit flächendeckend sehr gut funktioniert, bis auf wenige, allerdings davor bekannte  Ausnahmen („aus den Augen, aus dem Sinn“). Die Prüfungen konnten virtuell sowohl inhaltlich als auch zeitlich weitgehend planmäßig abgewickelt werden, Flexibilität war natürlich auf beiden Seiten gefragt. Erste Kundenbesprechungen finden nun auch wieder persönlich statt.

Langjährige gute persönliche Kontakte haben die Umstellung  erleichtert, aber alle haben die neue Arbeitsweise als eine Herausforderung angesehen, die es gemeinsam zu bewältigen galt. Virtuelle Besprechungen wurden gut angenommen und gelebt. Dies gilt auch für Aufsichtsratssitzungen oder eine Angebotspräsentation vor einem 25-köpfigen Entscheidungsgremium, indirekt mein erster Berührungspunkt mit der Krise, als das physische Treffen Ende Februar ganz kurz davor abgesagt wurde.

Ich arbeite vor allem mit Handelsunternehmen oder Konsumgüterherstellern zusammen, das können Familienunternehmen oder internationale Konzerne sein. Dementsprechend unterschiedlich waren und sind diese Unternehmen von der Krise betroffen: während sich Hersteller von Toilettenpapier, Snackprodukten, Würsten oder Brettspielen sogar an Umsatzzuwächsen erfreuen konnten, blieb vor allem der Textilhandel auf seiner Ware sitzen. Ganz schlimm hat es Unternehmer getroffen, die am Flughafen auf nicht vorhandene Gäste warten müssen, wie z.B. den Autohandel.  Das wird wohl noch eine Weile so bleiben und sich nur sehr langsam erholen.

Praktisch alle betroffenen Kunden haben die wirklich tolle Unterstützung der Hilfsprogramme der österreichischen Bundesregierung in Anspruch genommen, vor allem die Kurzarbeitsbeihilfe und nun den Fixkostenzuschuss. Dabei wurde Solidarität mit den Arbeitnehmern gezeigt, Kündigungen gab es praktisch keine.

Was kann nach der Krise besser werden, was wird bleiben?

Werte wie Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft, einschließlich des Carings für die Kunden als Menschen auch in deren privatem Umfeld  haben aus meiner Erfahrung an Bedeutung gewonnen und führen zu einer Intensivierung der persönlichen Beziehungen. Auch mit meinen Kunden habe ich durch die gemeinsam durchlebte Krisensituation ein Zusammenrücken und mehr emotionale Nähe erlebt. Ich wünsche mir, dass sich dieses Mehr an Menschlichkeit auch im beruflichen Umfeld erhalten kann.

Darüber hinaus ist in einer virtuellen Umgebung eigenverantwortliches Handeln hoch gefragt, der Blick muss über den Tellerrand erhoben werden!

Der Anteil der Arbeit im Home Office wird nach der Krise deutlich höher sein als davor, in unserem Unternehmen rechnen wir mit einem Anstieg von 5% auf 20 bis 25%. Gleichzeitig wird es mehr Desk-Sharing in den Büros geben und es wird weniger Bürofläche pro Mitarbeiter benötigt. Heißt das auch, dass es weniger neue Bürotürme geben wird? Mehr Home Office hat auch Auswirkungen auf die Wohnsituation, junge Familien wollen zunehmend im Grünen wohnen und arbeiten.

Die Krise als schöpferische Zerstörung (nach Josef Schumpeter) hat zu einem Neudenken und Überdenken von Geschäftsmodellen geführt, wie z.B. beim Gastronomen, der auf Lieferservice umstellte oder das kleine Buchgeschäft, das schnell einen Online-Shop aufbaute. Diese Online-Aktivitäten werden weiter stark zunehmen und nicht nur von den Jungen sehr gut angenommen. Die Krise wirkt wie ein Turbo auf die Digitalisierung und Innovationen. So wünschen sich manche meiner Kunden für die Zukunft die Beibehaltung der virtuellen Abschlussprüfung.

Manche Unternehmen haben in der Krise die Nachteile der Globalisierung hautnah erlebt, etwa wenn Lieferungen aus China plötzlich ausgeblieben sind und sie selbst nicht mehr produzieren oder liefern konnten. Es ist noch zu früh, eine Rücknahme der globalen Produktions- und Lieferketten zu erkennen, aber ist es notwendig, dass eine Jeans im Laufe der vielen Produktionsschritte bis zur letztbestimmten Verwendung 60.000 km zurücklegt?

Das Profitdenken wird man nicht verbieten können, aber wenn sich Kostenvorteile auch global ausgleichen (können) oder es grundsätzlich um die Lieferfähigkeit und damit auch Versorgungssicherheit geht, wird die Regionalität an Bedeutung gewinnen, ebenso wie verlässliche Geschäftspartner. Hier müssen die großen Lebensmittelhändler achtgeben, das „leben und leben lassen“ nicht noch mehr zulasten ihrer Lieferanten zu verschieben.

Mein Fazit aus der Krise: so aufregend die Umstellung der Arbeitsweise auf Home-Office auch war, die Menschen auf Kundenseite und unsere Mitarbeiter freuen sich aufrichtig wieder auf persönliche, wertschätzende Kontakte, die durch eine virtuelle Umgebung nicht ersetzt werden können. Vor allem aber haben menschliche Werte an Bedeutung gewonnen und man ist trotz Abstand halten näher zusammen gerückt.