Warum die Geschichte des Großorients von Österreich und der
Liberalen Großloge von Österreich 1955-2003 die selbe ist.
Die Geschichte des Großorient von Österreich (GOÖ) und der Liberalen Großloge von Österreich (LGL) ist untrennbar miteinander verbunden, da die LGL in vielen Aspekten die Traditionen des GOÖ fortführt und auf den Prinzipien aufbaut, die den GOÖ von 1955 bis 2003 prägten. Die Gründungslogen des GOÖ—UFML, Zu den Neuen Pflichten und Gotthold Ephraim—waren zugleich die Gründungslogen der LGL und bildeten die Basis für die demokratische und inklusive Struktur der neuen Obödienz.
Obwohl sich die LGL 2003 vom GOÖ abspaltete, blieb die freimaurerische Arbeit im Wesentlichen die gleiche. Beide Obödienzen teilen gemeinsame Werte, die sich in der Arbeit der Logen widerspiegeln, und weiterhin in der Verpflichtung zur offenen und inklusiven Freimaurerei, die sowohl Männer als auch Frauen und diverse Personen einbezieht.
Der GOÖ behielt als weiterhin bestehende Organisation die Gründungsmitgliedschaft in der CLIPSAS, was auch die Fortsetzung
eines internationalen Dialogs sicherstellte. Die LGL setzte diese Tradition ebenfalls fort und ist seit 2011 wieder Mitglied der CLIPSAS. Während der LGL die demokratische und moderne Ausrichtung weiter verstärkte,blieb der GOÖ ebenfalls in seiner eigenen Form als traditionellere Obödienz aktiv und besonders auf den internationalenAustausch bedacht.
Die Geschichte der LGL ist also keine Abspaltung oder Neugründung im klassischen Sinne, sondern vielmehr eine Weiterführung und Erweiterung der Prinzipien, die den GOÖ prägten. Beide Organisationen haben denselben ursprünglichen Auftrag, die freimaurerischen Ideale in einer sich ständig verändernden Welt zu bewahren und weiterzugeben. Die Gründung der LGL und die Arbeit des GOÖ haben sich daher geschwisterlich weiterentwickelt, mit dem Ziel, die Freimaurerei in Österreich und weltweit als offene und inklusiv ausgerichtete Gemeinschaft zu fördern


1945-1955 Krisen und Spannungen innerhalb der Großloge von Wien für Österreich und Gründung der UFML
Die Wiedergründung der Großloge von Wien für Österreich
Nach Kriegsende 1945 begannen Überlebende der Freimaurerei, darunter ehemalige Mitglieder und Rückkehrer aus dem Exil, mit der Reorganisation der Freimaurerei in Österreich. Bereits 1946 wurde die Großloge von Wien für Österreich gegründet. Ziel war es, den Freimaurern wieder eine zentrale Organisation zu bieten, die an die Vorkriegstraditionen anknüpfte und gleichzeitig die Werte der Freimaurerei modern interpretierte. Die ersten Jahre der Großloge waren geprägt von:
Rückgewinnung des Vertrauens: Die Großloge bemühte sich intensiv, das Vertrauen der österreichischen Gesellschaft zurückzugewinnen, da sogenannte Geheimbünde wie die Freimaurerei während der NS-Zeit diffamiert wurden. Es wurde eine klare Abgrenzung von politischer Einflussnahme betont, um sich als moralische und soziale Institution zu etablieren.
Rekrutierung neuer Mitglieder: Neben Rückkehrern und Überlebenden wurde aktiv versucht, neue Mitglieder aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten zu gewinnen. Der Schwerpunkt lag auf der Förderung von Bildung, Wissenschaft und sozialem Engagement.
Aufarbeitung der Vergangenheit: Die Mitglieder setzten sich mit der Rolle der Freimaurerei in der Zeit des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus auseinander. Diese Reflexion war wichtig, um eine Basis für die zukünftige Arbeit zu schaffen

Die Gründung der Unabhängigen Freimaurerloge Wien (UFML) 1955
Aus den oben genannten Spannungen entstand 1955 die Unabhängige Freimaurerloge Wien (UFML). Die Gründung war ein bewusster Bruch mit der Großloge von Wien für Österreich und sollte einen Neuanfang für eine moderne und liberale Freimaurerei markieren. Leitideen der UFML bei Gründung waren:
Gewissensfreiheit und Individualität: Die UFML wollte eine Plattform schaffen, die jedem Mitglied größtmögliche Freiheit in der persönlichen Interpretation der freimaurerischen Prinzipien gewährte.
Moderne Werte und soziale Verantwortung: Die Loge setzte sich aktiv mit zeitgenössischen Herausforderungen auseinander, darunter Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Geschlechtergleichheit und der Umwelt.
Abkehr von Hierarchien: Die UFML betonte flache Strukturen und die Gleichwertigkeit aller Mitglieder.
Abkehr von dogmatischen Traditionen: Rituale wurden vereinfacht, und es wurde ein größerer Fokus auf den intellektuellen Diskurs gelegt. Die Loge sah sich als Denkwerkstatt, die sich auf die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen konzentrierte.
Integration neuer Mitglieder: Die UFML betonte die Offenheit für Mitglieder unabhängig von Geschlecht, Religion oder sozialem Status, was später zur Aufnahme von Frauen in die Freimaurerei führte.
Gesellschaftliches Engagement: Die Loge wollte sich aktiv in gesellschaftliche Reformen einbringen und Themen wie soziale Gerechtigkeit und Bildung in den Mittelpunkt rücken.
Der Geist dieser Ideen wirkt bei und in allen aus der UFML entstandenen Logen und Großlogen bis heute.
Krisen und Spannungen innerhalb der Großloge von Wien für Österreich
Trotz des anfänglichen Erfolgs kam es in den 1950er Jahren zu internen Spannungen innerhalb der Großloge von Wien für Österreich. Diese Spannungen resultierten aus unterschiedlichen Ansichten über die Ausrichtung und die Arbeit der Freimaurerei:
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Unzufriedenheit mit starren Strukturen: Kritiker bemängelten, dass die Großloge zu sehr an traditionellen Strukturen und Ritualen festhielt, die aus ihrer Sicht nicht mehr zeitgemäß waren. Sie forderten eine stärkere Öffnung gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen und eine Modernisierung der freimaurerischen Arbeit.
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Mangelnde Effizienz:Einige Mitglieder empfanden die Arbeit der Großloge als ineffizient und von überholten Prozessen geprägt. Insbesondere jüngere Freimaurer wünschten sich eine intensivere Auseinandersetzung mit aktuellen Themen wie sozialen Reformen, Umweltschutz und Menschenrechten.
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Philosophische Divergenzen: Es gab Meinungsverschiedenheiten über den Stellenwert von Ritualen und Symbolik im Verhältnis zu praktischen gesellschaftlichen Beiträgen. Während konservativere Mitglieder auf die Bedeutung der traditionellen Logenarbeit bestanden, plädierten Reformorientierte für eine stärkere Betonung von Bildung und sozialer Verantwortung.

1955-1960 Die Arbeit, Entwicklung und Tätigkeit der UFML in den ersten Jahren
Grundlegende Themen und Rituale
In der Zeit zwischen 1955 und 1960 beschäftigte sich die Unabhängige Freimauerloge Wien (UFML) intensiv mit der
Konsolidierung und Weiterentwicklung ihrer freimaurerischen Prinzipien sowie mit der Ausarbeitung eines modernen, liberalen Selbstverständnisses. Die UFML war eine Reaktion auf die ideologischen Spannungen zwischen der traditionellen Freimaurerei
und einer freieren, an Aufklärung und gesellschaftlichen Fortschritt orientierten Interpretation.
Rituale als Ausdruck der Prinzipien
Es wurde besonderes Augenmerk darauf gelegt, Rituale an die Werte der Aufklärung und der universellen Menschenrechte anzupassen. Dies betraf sowohl die formale Ausführung als auch die Interpretation der freimaurerischen Symbole und Traditionen.
Die Arbeit an den Ritualen zielte darauf ab, eine stärkere Verbindung zwischen der philosophischen Dimension der Freimaurerei und den gesellschaftlichen Herausforderungen der Zeit herzustellen.
Die Lehrlings- und Gesellenrituale wurden mit einem Schwerpunkt auf die Persönlichkeitsentwicklung und die Rolle des Individuums innerhalb der Gemeinschaft gestaltet. Im Zentrum stand die Idee, dass wahre Individualität erst durch das Miteinander in der Gemeinschaft erreicht werden kann.
Förderung der Gewissensfreiheit und Toleranz
Toleranz als Kernprinzip: Die UFML setzte sich aktiv dafür ein, Toleranz nicht nur als Akzeptanz anderer Meinungen zu begreifen, sondern als aktives Engagement für die Vielfalt innerhalb und außerhalb der Logen.
Öffnung für verschiedene Glaubens- und Weltanschauungen: Anders als die konservative Freimaurerei war die UFML nicht an einen Glauben an einen „Großen Baumeister aller Welten“ gebunden, sondern betonte die Gewissensfreiheit jedes Einzelnen


1960-1963 Gründung des ersten Großorients, CLIPSAS,
Appell von Straßburg und Schlafendlegung
Gründung des ersten Großorients von Österreich 1960
Ende 1960 spaltete sich die UFML in drei Logen auf, die gemeinsam den Großorient von Österreich bilden sollten. Diese Teilung war sowohl eine organisatorische als auch eine ideologische Weiterentwicklung. Die neuen Logen (Van Svieten, Sonnenfels) bauten auf den Prinzipien der UFML auf, gingen aber auch eigene Wege in ihrer Arbeit. Ziele der Teilung und Gründung des Großorients waren:
Stärkung der Unabhängigkeit: Die Bildung mehrerer Logen ermöglichte es den Mitgliedern, ihre Arbeit differenzierter und spezifischer auszurichten.
Förderung der Vielfalt: Jede Loge konnte eigene thematische Schwerpunkte setzen und unterschiedliche gesellschaftliche Fragestellungen bearbeiten.
Schaffung eines Großorients: Durch die Bündelung der Logen unter einer gemeinsamen Dachorganisation sollte die liberale Freimaurerei in Österreich eine stärkere Stimme erhalten und sich auch international besser positionieren
Demokratische Organisation: Die Struktur des Großorients war demokratisch angelegt, mit einem Schwerpunkt auf Mitbestimmung und Transparenz. Alle Logen waren gleichberechtigt und konnten eigene Themen in die Arbeit des Großorients einbringen.
Moderne Themen und soziale Verantwortung: Die Arbeit des Großorients richtete sich auf zeitgenössische Herausforderungen wie Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Bildung und Umweltschutz.
Begründung der CLIPSAS 1961
Im Jahr 1961 nahm der Großorient von Österreich eine führende Rolle bei der Gründung von CLIPSAS ein. Diese Organisation wurde ins Leben gerufen, um die Zusammenarbeit liberaler Freimaurerlogen weltweit zu fördern. Der „Appell von Straßburg“ war das ideologische Fundament dieser Vereinigung. Die Gründung der CLIPSAS setzte die Prinzipien des Appells von Straßburg in eine organisatorische Struktur um. Die wichtigsten Ziele waren:
Internationale Vernetzung: CLIPSAS diente als Plattform für den Austausch und die Zusammenarbeit liberaler Obödienzen weltweit. Ziel war es, eine starke, globale Gemeinschaft zu schaffen, die für die Werte der liberalen Freimaurerei eintritt.
Förderung liberaler Prinzipien: Die Organisation sollte die Verbreitung und Verteidigung der im Appell von Straßburg definierten Prinzipien sicherstellen, insbesondere die Gewissensfreiheit und die Inklusivität.
Solidarität und Unterstützung: CLIPSAS unterstützte ihre Mitgliedsobödienzen in politischen oder gesellschaftlichen Konflikten, um sicherzustellen, dass die Freimaurerei als eine moralische und humanitäre Kraft bestehen konnte.
Stärkung der Position der Freimaurerei: Die Organisation setzte sich dafür ein, die Freimaurerei in der Öffentlichkeit als eine fortschrittliche, universelle und inklusive Bewegung zu positionieren.

Schlafendlegung des ersten Großorients von Österreich und Weiterarbeit als UFML 1963
Die Schlafendlegung des ersten Großorients von Österreich im Jahr 1963 und die Weiterarbeit als Unabhängige Freimaurerloge Wien (UFML) bis 1985 waren das Ergebnis einer Kombination interner und externer Herausforderungen. Während die formale Struktur des Großorients aus organisatorischen und personellen Gründen aufgegeben wurde, lebte seine Arbeit und sein Geist innerhalb der UFML weiter. Dabei wurde der Zusatz „Großorient von Österreich“ im Vereinsrecht weiterhin geführt, um die Verbindung zu den ursprünglichen Idealen und der internationalen Vernetzung zu bewahren. Gründe für die Schlafendlegung des Großorients waren:
Personelle Schwächung: Die Mitgliederzahl des Großorients sank Anfang der 1960er Jahre erheblich, was vor allem durch das Ausscheiden und den Tod mehrerer führender Brüder sowie durch die geringe Neumitgliederaufnahme verursacht wurde. Damit war die Voraussetzung für den Betrieb von drei eigenständigen Logen und die Funktionsfähigkeit des Großorients nicht mehr gegeben.
Mangelnde Eigenständigkeit der Logen: Obwohl der Großorient ursprünglich aus drei Logen bestand, konnte nur die Loge UFML auf Dauer eine aktive und eigenständige Arbeit gewährleisten. Die anderen Logen wurden schrittweise inaktiv und letztlich „schlafend gelegt“.
Verwaltungslast: Die administrativen Anforderungen des Großorients erwiesen sich als zunehmend belastend. Protokolle und Berichte aus den Jahren 1961 bis 1963 zeigen, dass die Verwaltung zunehmend dominierte, während die eigentliche freimaurerische Arbeit in den Hintergrund trat


1963-1985 Weiterarbeit der UFML und die Neuen Pflichten
Weiterarbeit der UFML (1963–1985)
Nach der Schlafendlegung des Großorients zog sich die verbleibende Bruderschaft in die UFML zurück, die fortan als einzige aktive Loge die freimaurerische Arbeit fortführte. Dabei blieb der Zusatz „Großorient von Österreich“ im Vereinsrecht erhalten, um die Tradition und die internationalen Verbindungen zu wahren.
Beibehaltung der liberalen Prinzipien: Die UFML setzte die Arbeit des Großorients inhaltlich fort, insbesondere die Betonung von Gewissensfreiheit, Inklusivität und einer nicht-dogmatischen Haltung.
Experimentelle Arbeit: Die UFML entwickelte sich zu einer Plattform für freimaurerische Experimente und Innovationen. Insbesondere die „Neuen Pflichten“, die in den 1970er Jahren erarbeitet wurden, sind ein Beispiel für diese dynamische Weiterentwicklung.
Internationale Vernetzung: Obwohl die formale Struktur des Großorients aufgegeben wurde, blieb die UFML ein aktiver Teil der internationalen liberalen Freimaurerei und setzte die Kontakte zu CLIPSAS und anderen liberalen Obödienzen fort.
Die „Neuen Pflichten“ (1974)
Die „Neuen Pflichten“ wurden 1974 von der UFML entwickelt, um die freimaurerischen Prinzipien an die Herausforderungen
der modernen Gesellschaft anzupassen. Sie ergänzten die traditionellen „Alten Pflichten“ der Andersonschen Konstitution
und waren Ausdruck eines progressiven, liberalen Verständnisses von Freimaurerei. Die Arbeit an den „Neuen Pflichten“
begann in den frühen 1970er Jahren. Angesichts gesellschaftlicher und technischer Veränderungen sah sich die UFML
in der Pflicht, ihre Prinzipien zu erneuern und auf die drängenden Probleme der Zeit zu reagieren, darunter Umweltzerstörung, soziale Ungleichheit und ideologische Polarisierung. Die „Neuen Pflichten“ stellen eine Erweiterung und Präzisierung der traditionellen Pflichten dar und orientieren sich an den aktuellen sozialen, politischen und ökologischen Gegebenheiten. Sie umfassen mehrere zentrale Themenbereiche:
Freiheit der Meinungsäußerung: Während in früheren Zeiten die Freiheit des Denkens und Redens in vielen Regionen unterdrückt wurde, betonen die „Neuen Pflichten“ die Bedeutung der freien Meinungsäußerung in einer modernen Gesellschaft. Der Zwang, Gedanken nur indirekt oder verschlüsselt zu äußern, wie es in den alten Pflichten der Fall war, wurde durch die neue Freiheit ersetzt, in der jeder Freimaurer seine Überzeugungen ohne Angst vor Repression offen darstellen kann. Die „Neuen Pflichten“ setzen sich also für eine aktive und verantwortungsvolle Teilnahme am öffentlichen Diskurs ein und fordern, dass Freimaurer als Bürger und Denker sich der offenen und kritischen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft nicht entziehen.
Verantwortung gegenüber der Gesellschaft: Die „Neuen Pflichten“ betonen die Bedeutung des gesellschaftlichen Engagements und die Verantwortung jedes Einzelnen für das Gemeinwohl. Sie fordern die Freimaurer auf, in der Gesellschaft aktiv Verantwortung zu übernehmen und sich für eine bessere Welt einzusetzen. Dazu gehört auch der Umgang mit den ökologischen Herausforderungen wie Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit und Klimawandel. Die Freimaurer sollen ihre sozialen und moralischen Verpflichtungen nicht nur innerhalb ihrer Logen, sondern auch in der breiten Gesellschaft umsetzen.
Ethik und persönliche Verantwortung: Die „Neuen Pflichten“ erweitern die traditionellen Verpflichtungen um den Aspekt der persönlichen Verantwortung gegenüber der Umwelt und der Gesellschaft. Sie stellen klar, dass die Freimaurer nicht nur in ethischen Fragen innerhalb ihrer Gemeinschaft, sondern auch im Alltag Verantwortung übernehmen müssen. Die Verpflichtung zur Wahrung der Menschenwürde und zur Unterstützung der Menschenrechte ist ein zentrales Anliegen, ebenso wie die Förderung des Dialogs und der Verständigung zwischen den Kulturen und Weltanschauungen.
Toleranz und weltanschauliche Offenheit: Ein weiterer zentraler Bestandteil der „Neuen Pflichten“ ist die Förderung von Toleranz und das respektvolle Nebeneinander unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen. Anders als in der Vergangenheit, in der die Freimaurerei selbst oft bestimmte Glaubenssysteme förderte, ist in den „Neuen Pflichten“ Toleranz gegenüber allen Weltanschauungen gefordert. Die Loge wird als ein Ort des respektvollen Dialogs verstanden, in dem verschiedene Meinungen und Glaubensrichtungen aufeinander treffen können, ohne dass diese zu Konflikten führen. Hierbei wird auch betont, dass religiöse Überzeugungen privat bleiben sollen und nicht die Gemeinschaft der Loge beeinflussen dürfen.
Individuelle Freiheit und soziale Verantwortung: Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Verbindung von individueller Freiheit mit sozialer Verantwortung. Die „Neuen Pflichten“ betonen, dass der einzelne Freimaurer seine persönlichen Freiheiten nicht nur zum Vorteil seiner selbst, sondern auch zum Wohl der Gemeinschaft und der Gesellschaft als Ganzes einsetzen soll. Dabei geht es nicht nur um persönliche Selbstverwirklichung, sondern auch um das Bewusstsein, dass individuelles Handeln stets in einen größeren sozialen Kontext eingebettet ist.


1985-2003 Erweckung des Großorients, Aufnahme von Frauen, Wachstum
Erweckung des Großorients
Die Wiedererweckung des Großorients war kein spontaner Prozess, sondern das Ergebnis eines über Jahre gereiften Entwicklungsprozesses. Der gesellschaftliche Wandel in den 1980er Jahren, die internen Diskussionen über die Rolle der Freimaurerei in der modernen Gesellschaft sowie die Herausforderungen und Chancen, die sich daraus ergaben, trugen zur Wiedererweckung bei. Die 1980er Jahre waren von einer tiefen gesellschaftlichen Umwälzung geprägt. Themen wie Gleichberechtigung, Emanzipation und gesellschaftliche Teilhabe gewannen zunehmend an Bedeutung.
Die liberale Freimaurerei erkannte, dass sie ihre eigenen Prinzipien der Brüderlichkeit und Toleranz nur glaubwürdig vertreten konnte, wenn sie den Frauen ebenfalls Zugang gewährte. Es herrschte die Überzeugung, dass die Freimaurerei nur dann als moralische Kraft in der Gesellschaft wirken könne, wenn sie auch die Veränderungen der Gesellschaft reflektierte.
Viele Brüder der UFML waren der Meinung, dass der Ausschluss von Frauen im Widerspruch zu den Idealen stand, für die die Freimaurerei eintrat. Dies führte zu einem Umdenken, das schließlich die Gründung von Logen ermöglichte, die auch Frauen offenstanden.
Bereits in den 1970er Jahren hatte die UFML mit den „Neuen Pflichten“ ein progressives Dokument geschaffen, das den Grundstein für eine modernere und an der Realität der Gegenwart orientierte Freimaurerei legte.Die „Neuen Pflichten“ formulierten eine erweiterte Verantwortung für die Brüder, insbesondere im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit, ökologische Verantwortung und die Anerkennung universeller Menschenrechte. Die Diskussionen um die „Neuen Pflichten“ führten zwangsläufig zur Frage der Geschlechtergleichstellung. Wenn die Freimaurerei den Anspruch hatte, eine Bewegung zu sein, die alle Menschen in ihrer Menschlichkeit anerkennt, dann musste dies auch die Aufnahme von Frauen umfassen. Diese Überlegungen bereiteten den Boden für die spätere Wiedererweckung des Großorients und die damit verbundene Öffnung der Logen
Um den unterschiedlichen Ansichten und Bedürfnissen innerhalb der Bruderschaft gerecht zu werden, wurde die UFML 1985 in drei eigenständige Logen aufgeteilt:
"UFML": Diese Loge setzte die Arbeit als reine Männerloge, mit Besuchsrecht für Frauen, fort und blieb der traditionellen Linie treu. 2004 entschloss sich auch die UFML Frauen aufzunehmen und ist heute eine gemischte Loge.
„Zu den Neuen Pflichten“: Diese Loge nahm Frauen auf und basierte in ihrer Arbeit auf den Prinzipien der „Neuen Pflichten“, die in den 1970er Jahren entwickelt worden waren.
„Gotthold Ephraim“: Diese Loge, assoziativ benannt nach dem Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing, fokussierte sich auf literarische und kulturelle Arbeit und war ebenfalls offen für Frauen
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Die Teilung der UFML war Ausdruck eines Kompromisses, um sowohl den traditionellen Brüdern, die am Männerbund festhalten wollten, als auch den progressiveren Brüdern, die die Aufnahme von Frauen forderten, Raum zu geben. So entstand eine Organisationsstruktur, die beiden Ausrichtungen gerecht wurde und die liberale Freimaurerei in Österreich weiter stärkte.
Struktur und Ziele des wiedererweckten Großorients von Österreich
Der wiedererweckte Großorient von Österreich (GOÖ) im Jahr 1985 übernahm die Rolle einer Dachorganisation für die drei Logen UFML, Zu den Neuen Pflichten und Gotthold Ephraim. Diese Struktur ermöglichte es, die Freimaurerei in Österreich auf eine breitere Basis zu stellen und gleichzeitig unterschiedliche Schwerpunkte und Ansätze innerhalb der Bruderschaft zu berücksichtigen.
Der GOÖ verband traditionelle Werte mit einer modernen Ausrichtung, die den Herausforderungen der Zeit gerecht wurde.
Öffnung für alle Menschen: Der Großorient richtete sich bewusst an alle, unabhängig von Geschlecht, Religion, ethnischem Hintergrund oder sozialem Status. Frauen, die zuvor keinen Zugang zur Freimaurerei hatten, wurden in zwei der drei Logen aufgenommen, was ein historischer Schritt für die österreichische Freimaurerei war. Diese Öffnung basierte auf den Prinzipien der „Neuen Pflichten“, die Gleichberechtigung und universelle Brüderlichkeit in den Mittelpunkt stellten.
Bewahrung der Grundprinzipien:Trotz der Öffnung betonte der GOÖ, dass die grundlegenden freimaurerischen Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht aufgegeben würden. Die Aufnahme von Frauen wurde nicht als Bruch mit der Tradition, sondern als konsequente Weiterentwicklung der Ideale verstanden.
Mitgliedschaft bei CLIPSAS: Der GOÖ war Teil der internationalen Organisation liberaler Freimaurer, die sich den Prinzipien des „Appells von Straßburg“ verpflichtet hatte. Dies ermöglichte eine enge Zusammenarbeit mit anderen liberalen Obödienzen weltweit und förderte den Austausch von Ideen und Projekten.


Aufnahme von Frauen in den Logen „Zu den Neuen Pflichten“ und „Gotthold Ephraim“
Die Entscheidung, Frauen in die freimaurerische Arbeit zu integrieren, stellte eine historische Neuerung in der von der Großloge von Wien für Österreich über die UFML entstandene liberale österreichischen Freimaurerei dar. Diese Öffnung wurde vor allem von den Logen „Zu den Neuen Pflichten“ und „Gotthold Ephraim“ getragen, die 1985 im Zuge der Wiedererweckung des Großorients von Österreich gegründet wurden. Beide Logen sahen die Aufnahme von Frauen nicht nur als einen symbolischen Schritt, sondern als eine konsequente Umsetzung der freimaurerischen Prinzipien von Brüderlichkeit, Gleichheit und universeller Toleranz.
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In den 1980er Jahren hatte die gesellschaftliche Diskussion um Gleichberechtigung und Geschlechterrollen ihren Höhepunkt erreicht. Die Brüder der Logen „Zu den Neuen Pflichten“ und „Gotthold Ephraim“ erkannten, dass die Freimaurerei durch die Integration von Frauen ihre Relevanz in einer modernen Gesellschaft stärken und neue Impulse gewinnen konnte.
Die Öffnung für Frauen war das Ergebnis eines jahrzehntelangen Diskurses innerhalb der liberalen Freimaurerei in Österreich, insbesondere innerhalb der UFML. Die Diskussionen gewannen durch die „Neuen Pflichten“ in den 1970er Jahren an Dynamik.
Diese betonten die Notwendigkeit, die Freimaurerei an die gesellschaftlichen Realitäten anzupassen und Barrieren, wie etwa Geschlechtergrenzen, zu überwinden.
Heute sehen es alle Logen der Liberalen Großloge als selbstverständlich an, "gemischt" zu arbeiten, jedoch werden auch reine
Männer- oder Frauenlogen als solche anerkannt.
1985- 1999 Aufschwung und Wachstum
Nach der Wiedererweckung des GOÖ im Jahr 1985, getragen von den Logen UFML, Zu den Neuen Pflichten und Gotthold Ephraim, etablierte sich der Großorient als dynamische Obödienz innerhalb der liberalen Freimaurerei. Die drei Gründungslogen repräsentierten unterschiedliche Ansätze: Die UFML als reine Männerloge, „Zu den Neuen Pflichten“ als gemischte Loge mit starkem Fokus auf gesellschaftliche Verantwortung, und „Gotthold Ephraim“ mit ihrer humanistisch-kulturellen Ausrichtung.
Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 eröffnete neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen liberalen freimaurerischen Obödienzen, insbesondere in Mitteleuropa. Der GOÖ erkannte früh die Notwendigkeit, die Brücken zwischen den Logen Österreichs und den wiedererstarkenden freimaurerischen Bewegungen in den ehemaligen Ostblockstaaten zu stärken. Die 1990er Jahre waren für den GOÖ eine Zeit des Wachstums. Der Umzug in ein neues, Logenhaus im Jahr 1995 symbolisierte diesen Aufbruch. Zugleich wurde der Großorient zum zentralen Anlaufpunkt für Brüder und Schwestern, die neue Wege in der Freimaurerei suchten.
Gründung der Ausbildungs- und Forschungsloge „Perpetuum Mobile“ (1990): Diese Einrichtung diente von Anfang an als Plattform für den Austausch zwischen Logen verschiedener Obödienzen und wurde zu einem Vorreiter der freimaurerischen Bildungsarbeit. Sie bot und bietet Seminare und Vorträge an, die sowohl praktische als auch theoretische Aspekte der Freimaurerei behandelte. Ein zentrales Ziel war die Förderung der intellektuellen und rituellen Kompetenz von Brüdern und Schwestern, um eine fundierte Basis für die freimaurerische Arbeit zu schaffen.
Zu den Drei Spiegeln“ (1998): Diese Männerloge brachte einen traditionelleren Ansatz in die Obödienz ein, während sie gleichzeitig die Grundprinzipien der liberalen Freimaurerei vertrat. Die Loge wurde schnell zu einem wichtigen Bestandteil der rituellen Arbeit des Großorients.
Sapientia Cordis“ (1999): Als gemischte Loge mit dem Schwerpunkt auf intellektuellem und spirituellem Austausch legte „Sapientia Cordis“ besonderen Wert auf die Integration von Frauen und die Verbindung von Ritualarbeit mit philosophischer Reflexion. Der Name („Weisheit des Herzens“) spiegelt ihre Orientierung auf die ethische Entwicklung ihrer Mitglieder wider.


2000-2003 rituelle Vielfalt und Pluralismus
Die Aufnahme neuer Logen in den frühen 2000er Jahren erweiterte die rituelle Bandbreite und den kulturellen Horizont des Großorients.
„H.I.R.A.M.“ (2001): Diese Loge wurde für ihre Arbeit im Schottischen Ritus bekannt. Ihre Aufnahme markierte einen wichtigen Schritt zur Förderung ritueller Pluralität innerhalb des GOÖ. Der Schottische Ritus, mit seinen reichen symbolischen und spirituellen Inhalten, bot eine Ergänzung zu den bestehenden Arbeitsweisen.
„Zur Königlichen Kunst“ (2003): Diese Loge brachte den französischen Ritualstil (in deutscher Sprache) in den Großorient ein. Ihr Ziel war es, die ästhetische und intellektuelle Dimension der Freimaurerei stärker zu betonen und die Rolle von Kunst und Kultur in der rituellen Arbeit hervorzuheben.
2003-2007 Auszug aus dem Großorient und Gründung der Liberalen Großloge von Österreich
Auszug aus dem Großorient (2003-2007)
Die Entstehung der LGL begann mit den Gründungslogen des GOÖ, den Logen UFML, Zu den Neuen Pflichten und Gotthold Ephraim, die sich 2003 aufgrund von räumlichen Engpässen und organisatorischen Unstimmigkeiten vom Großorient von Österreich abspalteten. Diese Logen waren ursprünglich Teil des GOÖ und spielten eine entscheidende Rolle in dessen Entwicklung. Nachdem jedoch die jüngeren Logen des GOÖ in ein neues Logenhaus umzogen und die älteren Logen in den bisherigen Räumen verblieben, kam es zu Differenzen, die schließlich in der Gründung einer neuen Großloge mündeten.
Die LGL wurde als demokratischere und inklusivere Obödienz ins Leben gerufen, die es ermöglichte, die Prinzipien der Freimaurerei zu modernisieren und für die Zukunft zu wahren. In dieser Phase wurden die ersten Strukturen der LGL geschaffen. Besonders hervorzuheben ist die Einführung einer auf starken check and balances basierenden Leitstruktur , die sicherstellt, dass Entscheidungen transparent getroffen wurden und dass alle Mitglieder die Möglichkeit hatten, sich an den Prozessen zu beteiligen.
Diese demokratische Struktur stellte sicher, dass die Grundprinzipien der Brüderlichkeit und Gleichberechtigung innerhalb der LGL weitergeführt wurden, während gleichzeitig der Weg für eine moderne Ausrichtung der Freimaurerei geebnet wurde. Die Gründung der LGL war somit nicht nur eine organisatorische Neugründung, sondern ein symbolischer Akt der Fortführung der Traditionen des GOÖ, die sich durch Vielfalt, Offenheit und Modernität auszeichneten


Erste Jahre und Konsolidierung (2007-2013)
Nach ihrer Gründung im Jahr 2007 nahm die LGL die Arbeit auf, um sich zu etablieren und eine solide Struktur zu schaffen. Die ersten Jahre waren geprägt von der Konsolidierung der internen Organisation und der Festlegung grundlegender Prinzipien und Arbeitsweisen. Die drei Gründungslogen der LGL, die direkt aus dem GOÖ hervorgingen, bildeten die treibende Kraft, die die Entwicklung der neuen Großloge vorantrieben. Die LGL setzte in dieser Zeit insbesondere auf die Stärkung des demokratischen Charakters, der stark betont wurde.
Ein bedeutender Schritt in der weiteren internationalen Positionierung der LGL war der (Wieder-) Beitritt zur CLIPSAS (Confédération des Loges et Obédiences Libérales et Adogmatiques) im Jahr 2011. Dieser Beitritt ermöglichte der LGL eine stärkere internationale Vernetzung und den Austausch mit anderen liberalen Freimaurerorganisationen weltweit. Die Mitgliedschaft in CLIPSAS unterstrich die Verpflichtung der LGL zu den liberalen Prinzipien der Freimaurerei, insbesondere zu Freiheit, Gleichberechtigung und Brüderlichkeit.
Gleichzeitig nahm die LGL 2011 mit der Loge Epicure in Bratislava eine weitere Loge auf. Diese Entscheidung unterstrich die internationale Ausrichtung der LGL und war ein Ausdruck des Wunsches, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit innerhalb der europäischen Freimaurergemeinschaft zu intensivieren. Die Aufnahme dieser Loge führte zu einer weiteren Verstärkung der LGL als Teil eines größeren internationalen Netzwerks, was für ihre zukünftige Entwicklung von entscheidender Bedeutung war
Etablierung und Wachstum der LGL (2013-Heute)
In den Jahren von 2013 bis Heute erlebte die LGL eine Phase des Wachstums und der etablierten Struktur. In dieser Zeit stieg die Mitgliederzahl kontinuierlich, und die LGL nahm mehrere neue Logen auf, die die Vielseitigkeit und Internationale Ausrichtung der Organisation unterstrichen. Einige bedeutende Ereignisse und Entwicklungen in dieser Phase umfassen:
2013 Die Loge Europa trat der LGL bei. Diese Loge hatte das Ziel, die Zusammenarbeit und den Austausch innerhalb der europäischen Freimaurerei zu stärken und die LGL als Teil der europäischen Freimaurer-Gemeinschaft zu positionieren.
2014 Die Loge Logos wurde aufgenommen, die sich auf philosophische und intellektuelle Arbeit konzentrierte und einen weiteren wichtigen Akzent in der Arbeit der LGL setzte. Diese Loge stellte sicher, dass die LGL auch weiterhin als eine denkende und diskursive Organisation wahrgenommen wurde.
2023 Die erste englischsprachige Loge, Isaac Newton, trat der LGL bei. Dies war ein wichtiger Schritt, der die internationale Dimension der LGL weiter ausbaute und ihre Verbindungen zu anderen englischsprachigen Freimaurerorganisationen vertiefte.
2024 Die Schweizer Loge Fidelitas trat der LGL bei, was die geografische und kulturelle Diversität der Organisation stärkte und ihr internationales Netzwerk weiter erweiterte.
Während dieser Jahre setzte die LGL ihren Fokus auf die Integration neuer Logen und die Förderung der internationalen Zusammenarbeit. Zudem wurde das demokratische Prinzip weiterhin stark betont, und es wurden regelmäßig internationale Seminare und Workshops veranstaltet, die den interkulturellen Austausch förderten und die LGL als zukunftsorientierte und weltweit vernetzte Organisation etablierten.
