Die Macht der Geduld

Baustück: Claudia B.   01.06.6023

Die Macht der Geduld

Wieso habe ich schon wieder ein Thema, das sich letztendlich mit der Zeit beschäftigt, gewählt? Und das recht spontan! Vielleicht gehört die Ungeduld zu einer meiner SEHR rauen Kanten und soll daher umso sorgfältiger „bearbeitet“ werden?

So beginne ich mit dem Versuch einer Definition:

dt. Geduld; Verb dulden: Leiden ertragen, zulassen

abgeleitet von thult, über tholon (8.jhr) aus lat. tollere/tolerare, gr. tlenai aus der indogerm. Wurzel *tel(e) – aufheben, wägen, tragen, ertragen, dulden

lat. Patientia

1. leiden

2.  Geduld, Ausdauer, Langmut, Nachsicht, Beständigkeit

s. auch engl. Endurance: Ausdauer – schließt lat. Durum, hart bzw. Mühsal sein

ähnl. lat. Pietas

Sinnbild der europäischen (christlichem) Verständnisses:

die (Madonna della) Pieta im Petersdom (Michelangelo, 1499)

Synonyme: Beharrlichkeit, Ausdauer, Beständigkeit, Impulskontrolle, Gelassenheit, Gleichmut,   Langmut

Geduld ist die Fähigkeit, eine innere Spannung anzunehmen, ohne sich dabei zu ärgern oder zu verspannen. Diese innere Spannung entsteht meistens, wenn sich unsere Wünsche nicht erfüllen und diese mit der Realität auseinanderklaffen. Zusätzlich kommt hinzu, dass diese Spannung dann noch durch einen zeitlichen Faktor bestimmt wird. Ich möchte zum Beispiel jetzt schon etwas haben, muss aber noch warten. Geduldige Personen wissen, dass es sich lohnen kann, nicht jedem Impuls sofort nachzugeben, sondern diesem mittels Disziplin zu widerstehen und dafür in der Zukunft eine größere Belohnung zu erhalten.

Geduld direkt zu definieren, ist wie sich zeigt schwierig. Aber man kann Aspekte, die häufig mit Geduld einhergehen, wie Akzeptanz, Spannungstoleranz und Hoffnung benennen.

Auf jeden Fall handelt es sich bei Geduld um eine wertvolle Fähigkeit die sowohl Ausdauer, Mut als auch Gelassenheit impliziert. Der Schriftsteller Truman Capote beschrieb es so:

GONG: „Der Jammer mit der Menschheit ist, dass die Klugen feige, die Tapferen dumm und die Fähigen ungeduldig sind. Das Ideal wäre die tapfere Kluge mit der nötigen Geduld.“

Neben der Akzeptanz, die ein Bestandteil der Geduld ist, schwingt oft auch Hoffnung mit. Hätten wir keine Hoffnung auf etwas, was wir erwarten, würde sich das Warten ja nicht lohnen. Wir stellen uns nicht in eine lange Schlange und warten bis wir an die Reihe kommen, wenn wir nicht die Hoffnung hätten, dafür etwas Lohnenswertes zu bekommen.

Geduld ist also etwas, dass sich für einen selbst aus der Auseinandersetzung mit spannungsvollen Situationen als erlebter Zustand und Erfahrung definieren muss.

So sind die Aspekte der Geduld:

1. Zeit: etwas dauert länger als man möchte. Viel länger. Geduld ist die Ausdauer im ruhigen, beherrschten, nachsichtigen Ertragen oder Abwarten von etwas.

2. Leid: Oft erfordert die Situation nicht nur das reine Warten, sondern es ist unangenehm, lästig oder furchtbar. Sie verursacht also Leiden, das ertragen werden muss.

3. Gelegenheit: Irgendwann ändert sich schlagartig etwas: eine Gelegenheit tut sich auf. Diese gilt es nun beherzt zu ergreifen. Ob es sich dabei um einen Fehler der Gegenseite handelt (Schach), oder eine deus ex machina-artige äußere Entwicklung (Cinderella), in beiden Fällen heißt es: jetzt zuschlagen: denn sonst war das lange Ertragen des Leidens umsonst.

GONG: „Geduld ist die Kraft, die uns ermöglicht, unser Schicksal zu ertragen, ohne es zu ändern.“ – Søren Kierkegaard

In der Literatur wird Geduld oft als eine Tugend dargestellt, die notwendig ist, um Herausforderungen zu meistern und erfolgreich zu sein. In vielen Fällen wird gezeigt, dass Geduld belohnt wird, indem die Charaktere ihre Ziele erreichen oder Probleme lösen.

Ein bekanntes Beispiel aus der Literatur ist die Geschichte von „Ali Baba und die 40 Räuber“ aus „Tausendundeiner Nacht“, in der Ali Baba Geduld hat und wartet, bis die Räuber in die Höhle zurückkehren, bevor er den Eingang verschließt und die Räuber tötet.

Auch in der Bibel finden sich viele Beispiele von Geduld, wie zum Beispiel in dem Gleichnis vom Senfkorn (Matthäus 13,31-32) Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte. Es ist das kleinste von allen Samenkörnern; sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten.

UND auch Johann Wolfgang von Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ ist ein klassisches Beispiel für die transformative Kraft der Geduld im Zusammenhang mit der persönlichen Entwicklung. Während seiner Reise lernt Wilhelm, wie wichtig Geduld ist, sowohl im Umgang mit anderen als auch für seine persönliche Entwicklung.

Eines der stärksten Beispiele für die Bedeutung der Geduld in Wilhelm Meisters Lehrjahre ist die Figur der Mignon. Mignon ist ein junges Mädchen, das von Wilhelm aufgenommen wird und zu einer zentralen Figur in seinem Leben wird. Trotz ihrer Jugend besitzt Mignon eine tiefe Weisheit und innere Stärke, die es ihr ermöglichen, großes Leid und große Entbehrungen zu ertragen. Ihre Geduld und Unverwüstlichkeit sind eine Quelle der Inspiration für Wilhelm und helfen ihm, ein tieferes Verständnis für die menschliche Erfahrung zu entwickeln.

Goethe erkennt an, dass persönliches Wachstum ein allmählicher und schrittweiser Prozess ist, der Geduld und Ausdauer erfordert. Dies spiegelt sich in der Betonung des Zeitablaufs im Roman wider, da Wilhelms Reise sich über viele Jahre erstreckt und ein breites Spektrum an Erfahrungen und Herausforderungen umfasst.

Auch in Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ spielt Geduld eine große Rolle. Tamino muss eine künstlich auferlegte Prüfung der Geduld bestehen, indem er trotz seiner starken Liebe zu Tamina nicht mit ihr sprechen darf. Diese Prüfung soll zeigen, ob er in der Lage ist, seine Gefühle zu beherrschen, geduldig zu sein und seine wahre Motivation geheim zu halten, um seine Eignung für den Tempel zu beweisen.

GONG:   „Geduld und Zeit erreichen mehr als Kraft und Gewalt.“ – Jean de La Fontaine

ABER: Es ist wichtig zu betonen, dass Geduld nicht bedeutet, dass man sich nun jeder Situation ergeben oder ausliefern soll und alles mit sich geschehen lassen soll. Es heißt nur zu akzeptieren, dass die Dinge im Moment so sind wie sie sind. Und man sich aus einer geduldigen und gelassenen inneren Haltung heraus entscheiden kann, ob man es dabei belässt oder man aktiv etwas an der Situation ändern möchte. Wer geduldig ist, sieht oft klarer, was als nächstes zu tun ist- auch wenn das vielleicht erst einmal bedeutet, nichts zu tun.

Ein wichtiger Faktor für Geduld ist, sich die Zukunft vorstellen zu können.

 Es gibt viele symbolische Darstellungen der Geduld in verschiedenen Kulturen und Traditionen.

Einige bekannte Symbole der Geduld sind:

  Der Elefant: Der Elefant wird oft als Symbol der Geduld und Ausdauer betrachtet, da er für seine lange Lebensdauer und seine Fähigkeit bekannt ist, schwere Lasten zu tragen.

    Der Baum: Der Baum wird oft als Symbol der Geduld und Durchhaltevermögen betrachtet, da er jahrelang wächst und sich den Herausforderungen der Natur stellt.

    Der Löwe: Der Löwe wird oft als Symbol der Geduld und Selbstbeherrschung betrachtet, da er in der Lage ist, seine Beute zu jagen, ohne sich von seiner Gier leiten zu lassen.

Im Buddhismus ist Geduld (Khanti) eine der wichtigsten Tugenden und eine der sogenannten „Vier unbesiegbaren Waffen“ (catvari acala-viriya), zusammen mit Einsicht (dassana), Energie (viriya) und Konzentration (samadhi). Geduld wird als unerlässlich angesehen, um spirituelle Fortschritte zu machen und den Weg zur Erleuchtung zu gehen. Sie beinhaltet auch Nachsicht, Vergeben und Toleranz (mit sich selbst und anderen). Sie drückt sich aus als gelassene Haltung in inneren und äußeren Stresssituationen und befähigt einen Menschen, den Strom der Ereignisse mit Gleichmut hinzunehmen.

Die Geduld wird als die Fähigkeit verstanden, das Leiden zu ertragen, ohne zu klagen oder sich zu beklagen. Es ist die Fähigkeit, Probleme und Schwierigkeiten mit Gelassenheit und innerer Ruhe zu begegnen, anstatt sich von Emotionen wie Wut, Angst oder Frustration leiten zu lassen.

Jon Kabat-Zinn, ein amerikanischer Professor, hat einen immensen Beitrag geleistet, Achtsamkeit und Meditation in den Westen und in die Psychologie zu integrieren. Er beschreibt Geduld als ein inneres Wissen.

„Sie bringt zum Ausdruck, dass wir verstehen und akzeptieren, wenn Dinge ihre eigene Zeit brauchen, um sich zu entfalten“ Jon Kabat-Zinn 2013[1]

GONG: „Geduld ist die Wurzel aller Tugenden.“ – Clive Staples Lewis

Das Gegenteil von Geduld ist Ungeduld. Jemand der ungeduldig ist, nimmt die Möglichkeit, dass vielleicht „Nichtstun“ die richtige Entscheidung ist, gar nicht bewusst wahr. Ungeduld geht dabei oft mit diversen körperlichen Beschwerden einher. Diese können zum Beispiel erhöhte Herz- und Atemfrequenz, muskuläre Anspannung und allgemeine körperliche Unruhe sein, typische  Anzeichen einer Stressreaktion. Unter Stress sind wir aber eher auf Überlebensmodus geschaltet und weniger in der Lage, vernünftige Entscheidungen zu treffen.

Jetzt denkt ihr euch wahrscheinlich schon, bitte erzähle doch einmal etwas Neues!

Ja, es ist tatsächlich schwierig zu diesem Thema noch neue Aspekte und Erkenntnisse aufzuzeigen. Deswegen werde ich nun versuchen Freimaurerisches, Persönliches und Wissenschaftliches einzubringen, in der Hoffnung etwas Neues zu erzählen.

In der Freimaurerei wird Geduld oft als Symbol für die Fähigkeit verstanden, die Schwierigkeiten des Lebens zu ertragen und sich auf die spirituelle Reise zu konzentrieren, anstatt von äußeren Umständen abgelenkt zu werden. Es wird auch als die Befähigung betrachtet, andere mit Toleranz und Mitgefühl zu behandeln, ohne zu urteilen. Der Geselle übt sich in Geduld und schult sein Sozialverhalten. Geduld wird auch als wichtiges Element in der Arbeit an sich selbst betrachtet, indem man sich Zeit nimmt, um seine Fehler zu erkennen und sich zu verbessern, anstatt sich selbst unter Druck zu setzen.

GONG: „Ungeduld und Stolz gehören zu den Haupthindernissen auf dem Pfad.“ (Dalai Lama)

Im Zusammenhang mit meiner persönlichen Entwicklung spielt die Geduld, bzw. Ungeduld eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, dass ich mit der Zeit wachsen und mich weiterentwickeln soll(te). Ich sehe die persönliche Entwicklung auch im Zusammenhang als Freimaurer, als einen Prozess, mich, in Bezug auf innere Qualitäten wie Selbsterkenntnis, emotionale Intelligenz und Widerstandsfähigkeit, selbst zu verbessern. Geduld sollte es mir ermöglichen, Ziele im Auge zu behalten, auch wenn ich nur langsam vorankomme, oder Rückschläge erleide, und die Ausdauer und Entschlossenheit zu entwickeln, die für eine dauerhafte Veränderung notwendig sind.

Das heißt, zuerst muss ich den Ist-Zustand ermitteln: was macht mich denn so ungeduldig?

Gedanken wie „Ich verschwende hier nur meine kostbare Zeit“, „Wenn das so weitergeht, wird das nie was“, oder sogar „Warum sind die alle so unfähig“ lösen keine Probleme, aber sie lösen Stress und teilweise auch eine feindliche und abwertende Stimmung in mir aus. Gerade in dem Extremfall, wenn es anfängt, feindlich zu werden, zeigen sich die weitreichenden Konsequenzen. Wenn ich die Leute in der Warteschlange, die Kassierer, die anderen Verkehrsteilnehmer oder meine Mitarbeiter innerlich abwerte und zu Feinden mache, wird das auch für die Welt um mich herum spürbar und unangenehm. Ich mache mich selbst im schlimmsten Fall zum Feind für meine Umwelt. Von daher lohnt es sich, diese Gedanken in Ruhe zu betrachten und auf ihren objektiven Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Dies kann anfangs in einer stressigen Situation schwierig sein.

Dabei sind die Dinge, die wir statt des Schlangestehens tun würden meist nicht so wichtig, dass man sie nicht auch eine Stunde später erledigen könnte. Es ist der vorherrschende Optimierungswahn, der uns etwas Anderes suggeriert, wie Studien von Stressforschern immer wieder belegen: Nicht trödeln, bloß keine Zeit verplempern, alles muss immer schneller, immer besser werden. Diese allgemeine Lebens-Ungeduld bedingt die Ungeduld im Alltag. Sich an der Kasse anstellen zu müssen, passt da nicht rein, denn es zwingt uns Langsamkeit auf, die wir nicht wollen – für viele Menschen unerträglich. Schuld ist unser Gehirn, das ständig nach Belohnung, Spaß und guten Gefühlen schreit. Von denen gibt es im Stau ziemlich wenige, wenn wir sie nicht aktiv herbeidenken und dem linken präfrontalen Kortex sein Wohlfühlfutter geben. Tut man das nicht, gilt für den auf Steinzeit gepolten Denkapparat „Katastrophe kommt vor Vergnügen“, wie Ilona Bürgel[2] , Diplom-Psycholgin und Autorin, erklärt. „Wir sind ständig mit unseren Gedanken woanders, ärgern uns über das, was gestern war, machen uns Sorgen über Dinge, die wir hören und lesen und die (noch) gar nicht real sind.“ Dieses „katastrophische Gehirn“ hat einst das menschliche Überleben gesichert. Es sorgte dafür, dass man nicht vor lauter Freude über das schöne Wetter den Säbelzahntiger übersah, und gefressen wurde.

GONG: „Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern.“ Konfuzius

Wie sieht sie nun aus, die Arbeit an meinem rauen Stein?

1.  Dankbar sein

Eine Studie, die von David DeSteno, Leah Dickens und Jennifer Lerner im Jahr 2014[3] erschienen ist, untersuchte, ob es einen Zusammenhang zwischen Dankbarkeitsübungen und Geduld gibt. Dabei wurden Teilnehmer unterschiedlichen Gruppen zugeteilt. Eine Gruppe sollte über ein Ereignis schreiben, dass ihren Alltag wiedergibt. Die zweite Gruppe über eine Erinnerung, bei der sie sich sehr glücklich gefühlt haben und die dritte Gruppe über eine Erinnerung, bei der sie viel Dankbarkeit empfunden haben. Danach wurde allen Teilnehmern eine kleine Summe Geld angeboten, die sie gleich bekommen könnten oder eine größere Summe Geld, wenn sie zwischen einer Woche und sechs Monate warten würden und sich so also in Geduld üben. Die Gruppe mit der Dankbarkeitserinnerung schnitt am besten ab, da in dieser sich mehr Teilnehmer entschieden, länger zu warten.

Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass eine Beschäftigung mit den Dingen, für die wir dankbar waren und dankbar sind, einen Einfluss auf unsere Fähigkeit geduldig zu sein haben.

2. Warten üben: Eine neue Einstellung zum Warten zu bekommen, ist ebenfalls eine wichtige Voraussetzung, um geduldiger zu werden. Es hilft, meine Denkmuster zu ändern und die Zeit stattdessen für etwas Sinnvolles zu nutzen, wie zum Beispiel: die Wartezeit für Gehirnjogging, Musik hören zu nutzen?

3. Lernen, still zu sein: zB. meditieren

4. Geduld in Gesprächen

Um geduldiger in Gesprächen zu werden, hat es sich gezeigt, dass es sich lohnt genauer zuzuhören und dabei ein ehrliches Interesse unserem Gegenüber zu vermitteln oder zu entwickeln. Um das mit schwierigen Gesprächspartnern zu erreichen, können wir, also ich J , versuchen einen Perspektivwechsel anzustreben und zu versuchen, die Dinge aus der Sicht des Gesprächspartners zu sehen.

Grundsätzlich sollten sich ungeduldige Zeitgenossen mit einer Belohnung motivieren. „Das Gehirn stellt eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf und der Nutzen muss überwiegen“, sagt Bürgel. „Wenn ich mich zu etwas überrede, muss das einen Sinn für mich ergeben.“ Also: Wer brav den Stau erträgt, ohne ins Lenkrad zu beißen, bekommt zu Hause ein Eis, ein gutes Buch, eine Folge seiner Lieblings-Serie – womit auch immer man sich selbst eben am besten motivieren kann.

Zum Schluss möchte ich über eine sehr bekannte Studie, samt Folgestudien berichten: Der Marshmallow-Effekt von Walter Mischel[4],[5] ; Wie Willensstärke unsere Persönlichkeit prägt

Walter Mischel setzte 4-6-jährige Kinder in einen kargen Untersuchungsraum an einen Tisch. Darauf stand ein Teller mit einem Marshmallow, sonst nichts. Während das Kind begierig auf die klebrige Süßigkeit starrte, erklärte Mischel ihm, dass es das Marshmallow sofort essen könnte – oder aber eine Weile warten und dafür später zwei bekommen.

Er verließ den Raum und beobachtete durch einen Einwegspiegel, was die Kinder anstellten, bis er 15 Minuten später zurückkam. Einige der Kinder schafften es, unter Aufbietung all ihrer Kräfte zu warten. Andere konnten oder wollten nicht – und das Marshmallow war vom Teller verschwunden, als Mischel zurück ins Zimmer kam. Der Psychologe war sehr zufrieden. Die Zeit, die bis zum Aufessen verging, war ein gutes Maß für die Willenskraft der Kinder, fand er. Was er aber nicht ahnte: Sein einfaches Marshmallow-Experiment, das er mit über 500 Kindern mit unterschiedlichen Belohnungen und Wartezeiten durchführte, würde legendär werden. Denn als er die Kinder 13 Jahre später nochmals einlud, gab es erstaunliche Ergebnisse. Jene, die schon im Vorschulalter hatten warten können, waren als junge Erwachsene zielstrebiger und erfolgreicher in Schule und Ausbildung. Außerdem konnten sie besser mit Rückschlägen umgehen, wurden als sozial kompetenter beurteilt und waren seltener drogenabhängig als jene, die dem Marshmallow vor ihrer Nase damals nicht hatten widerstehen können. Die Ungeduldigen dagegen waren emotional instabiler und schnitten in der Schule schlechter ab – obwohl sie nicht weniger intelligent waren.

GONG: „Geduld ist nicht die Fähigkeit zu warten, sondern die Fähigkeit, sich während des Wartens zu behaupten.“ – Martin Luther King Jr.

In „Die Entdeckung der Geduld – Ausdauer schlägt Talent“, berichtet Matthias Sutter[6] , Wirtschaftsforscher, zwar auch vom Marshmallow-Experiment und seinen Folgen für den einzelnen Menschen – doch sein Interesse gilt den Folgen, die die Forschungserkenntnisse für das Funktionieren einer ganzen Gesellschaft haben.

Er meint: „Geduld heißt: Ich verzichte auf heutigen Konsum, um in der Zukunft mehr davon zu haben. Wir investieren heute in Bildung, damit wir morgen bessere Berufschancen haben, wir sparen heute, damit wir in der Zukunft eine Pension haben, wir investieren heute, damit wir morgen mehr produzieren können.“ Sutter zeigt, wie Menschen, die bereits als Kinder nicht sonderlich geduldig sind und eine Belohnung in der Gegenwart einer in der Zukunft bevorzugen, mit den ganz praktischen Untiefen des Lebens umgehen. So haben die Ungeduldigen später durch eine kürzere Ausbildungszeit nicht nur ein geringeres Einkommen, sie tendieren auch deutlich mehr dazu, kein oder nur sehr wenig Geld zu sparen und stattdessen Schulden anzuhäufen.

All das verursacht nicht nur individuelle Probleme, sondern belastet die Wirtschaft und damit die Funktionsfähigkeit einer ganzen Gesellschaft. Das geht weiter, wenn man die gesundheitlichen Folgen von Ungeduld betrachtet, so der Ökonom. Wie Sutter in eigenen Experimenten zeigen konnte, geben Ungeduldige mit höherer Wahrscheinlichkeit Geld für Zigaretten und Alkohol aus als Geduldige. Auch japanische Forscher fanden einen Zusammenhang zwischen der Entscheidung zu rauchen und der Ungeduld eines Menschen.

In Regionen mit geduldigen Einwohnern wird deutlich mehr verdient, zeigt auch eine Studie von Ökonom Thomas Dohmen[7].

(Jene, die Belohnungen schnell zu ihrer Verfügung haben wollten, waren häufiger sportlich untätig und hatten einen bedeutsam höheren Body-Mass-Index als die geduldigen Versuchsteilnehmer. Und dieser ist ein möglicher Vorläufer für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – in Europa, USA die Erkrankung, an der die meisten Menschen sterben. Angesichts der erschlagenden Liste von Konsequenzen scheint die Geduld eine geradezu schicksalsbestimmende Eigenschaft im Leben eines Menschen zu sein – nur gut also, wenn man sie hat.)

GONG: „Gib das, was dir wichtig ist, nicht auf, nur weil es nicht einfach ist.“ (Albert Einstein)

„Unsere größte Schwäche liegt im Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg ist immer, es noch einmal zu versuchen.“ (Thomas Alva Edison)

Eine Untersuchung der Psychologin Betty Jo Casey[8] von der Cornell University in New York hatte im Jahr 2011 gezeigt, dass die Kinder der Marshmallow studie mit weniger Geduld bis ins Erwachsenenalter mehr Zeit benötigen, um irrelevante Informationen beiseitezuschieben, und dabei auch mehr Fehler machen.

Walter Mischel konnte zusammen mit seinem Kollegen Marc Berman vom Rotman[9] Research Institute in Toronto erste Indizien für die Vermutung vorlegen, dass Geduld zumindest teilweise genetisch veranlagt ist. Die Forscher fanden heraus, dass sich ein hohes Maß an Selbstkontrolle aus der Gehirnaktivität ablesen lässt. Teilnehmer mit guter Selbstkontrolle nutzen ihre neuronalen Netzwerke effizienter als jene mit geringerer Selbstkontrolle. Das Besondere an der Studie: Bei den Probanden handelte es sich erneut um Teilnehmer der allerersten Marshmallow-Experimente in Stanford.

„Es ist bemerkenswert, dass unsere Versuchsteilnehmer selbst nach 40 Jahren eine so ausgeprägte neuronale Signatur tragen, die möglicherweise einen biologischen Marker für die Fähigkeit zur Selbstkontrolle darstellen könnte“, so die Wissenschaftler.

Niemand schaffe es immer, geduldig zu sein. Aber dass man Geduld trainieren kann, daran glauben die Wissenschaftler. Das sei auch ein Unterschied zum Intelligenzquotienten, den Kritiker gern mit der Fähigkeit zur Selbstkontrolle gleichsetzen. „Den IQ und auch das elterliche Umfeld kann man nicht einfach ändern, das ist ja nun einmal so, aber Geduld ist erlernbar – und kann schlechtere Startbedingungen im Leben kompensieren.“

Dass Menschen ihre eigenen Wege finden, Zeiten der Entbehrungen für einen späteren Erfolg zu überbrücken, kann man bereits bei den Vorschulkindern aus dem Marshmallow-Experiment sehen. Sie alle nutzen zwar die gleichen Methoden wie Erwachsene, nämlich Ablenkung und die Konzentration auf die Belohnung – aber jedes Kind erreicht das auf andere Art und Weise.

(Manche singen oder flechten Zöpfe. Andere stehen vom Tisch auf und reden sich selbst gut zu, und wieder andere verstecken das Marshmallow. Manche stellen sich sogar schlafend. Und einige, die ganz gerissenen, knabbern das Marshmallow an. Ein kleines bisschen nur, von der unteren Seite. Dann stellen sie es zurück auf den Teller. Man muss ja schließlich wissen, worauf man wartet.)

GONG: „Geduld ist die Seele der Weisheit.“ – Immanuel Kant

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kraft der Geduld ein wesentliches Element sowohl der Erleuchtung als auch der persönlichen Entwicklung ist. Geduld ermöglicht es uns, Widerstandsfähigkeit, emotionale Intelligenz und ein tieferes Verständnis für uns selbst und die Welt um uns herum zu entwickeln. Indem wir Geduld als Leitprinzip in unser Leben aufnehmen, können wir ein größeres Selbstbewusstsein, emotionale Widerstandsfähigkeit und innere Stärke kultivieren und letztlich ein erfüllteres und sinnvolleres Leben erreichen und auch unsere Gesellschaft

Liebe Schwestern und Brüder, ich danke Euch für Eure Geduld, für Eure Aufmerksamkeit und freue mich auf Eure Gedanken.

Kettenspruch:

Siehe eine Sanduhr: Da lässt sich nichts durch Rütteln und Schütteln erreichen, du musst geduldig warten, bis der Sand, Körnlein um Körnlein, aus dem einen Trichter in den andern gelaufen ist.[10] Christian Morgenstern

Einzug: Wagner  Tannhäuser – Ouvertüre

Entzünden der Lichter: Arvo Pärt- Spiegel im Spiegel

Zwischenmusik: Erik Satie – Gnossienne No2

Zwischenmusik: The Painted Veil Soundtrack ♪ River Waltz

Zwischenmusik: Ludovico Einaudi – Ascolta

Auszug: Moondog- Bird´s Lament


[1] Kabat-Zinn, J. (2013). Gesund durch Meditation: das große Buch der Selbstheilung mit MBSR. OW Barth eBook.

[2] Ilona Bürgel; Schokologie: Was wir vom Schokolade-Essen fürs Leben lernen können. Südwest Verlag (23. September 2013) ISBN-10 ‏ : ‎ 3517089524

[3] DeSteno, D., Li, Y., Dickens, L., & Lerner, J. S. (2014). Gratitude: A tool for reducing economic impatience. Psychological science, 25(6), 1262-1267

[4] Mischel, W. (2014). The Marshmallow Test: Mastering self-control.

[5] Mischel, W., & Ebbesen, E. B. (1970). Attention in delay of gratification. Journal of Personality and Social Psychology, 16 (2), 329.

[6] ‎ Matthias Sutter; ecoWing; 2. Aufl. Edition (22. Juni 2018) ISBN-10 : ‎ 3711000541

[7] T.Dohmen, A. Falk, U. Sunde, B. Enke, D. Huffmann und G. Meyerheim ist als Discussion Paper bei ECONtribute erschienen: https://selten.institute/RePEc/ajk/ajkdps/ECONtribute_035_2020.pdf

[8] www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1108561108; Behavioral and neural correlates of delay of gratification 40 years later

[9] Willpower, over the life span: decomposing self-regulation Soc Cogn Affect Neurosci. 2011 Apr; 6(2): 252–256.Published online 2010 Sep 18. doi: 10.1093/scan/nsq081

[10] Christian Morgenstern (1871 – 1914), deutscher Schriftsteller, Dramaturg, Journalist und Übersetzer; Quelle: Morgenstern, Stufen. Eine Entwicklung in Aphorismen und Tagebuch-Notizen, 1918 (posthum). 1909