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Bruder? Cagliostro

Ingeborg A. 02.11.2023

Cagliostro – eine zwielichtige und vielschichtige Persönlichkeit. Von vielen seiner Zeitgenossen des 18. Jh. als Arzt, Wunderheiler, Prophet, Mystiker und erleuchteter Meister hochverehrt, man sah ihn sogar als zweiten Messias an, von anderen als Betrüger, Scharlatan, Kurpfuscher und Hochstapler verdammt – insbesondere von der Katholischen Kirche, der allein schon sein Freimaurertum aufs Äußerste verdächtig war. Wer war nun dieser Cagliostro? Aber lassen wir ihn doch selbst erzählen:

Verehrter Großkophta!

Liebe masonischen Brüder und Schwestern!

Liebe Maurer-Söhne und –töchter!

In dubio contra reo !! – Im Zweifel gegen den Angeklagten!

Ein erprobtes Regular des Heiligen Offiziums – der Inquisition:

Stets halte sich der Inquisitor an diese Regel. Zeugnisse aus dem Kreise der Angehörigen eines der Ketzerei Bezichtigten – also seines Weibes, seiner Kinder, seiner Verwandten oder Dienstleute – mögen gegen ihn gehört werden, aber nicht für ihn. Als Schutzzeugen sind die bezeichneten Personen durch die Stimme des Blutes, der Anhänglichkeit oder des Interesses beeinflusst nicht zugelassen.

Der Inquisitor beachte daher wohl: Wenn die erste Aussage eines Angehörigen oder Hausgenossen zu Ungunsten des Angeschuldigten geht und die zweite ihn entlastet, so ist nur der ersteren Wert beizulegen, nicht der zweiten… Im Notfall muss sich das Wort der Schrift bewähren: „Des Menschen Feinde sind seine Hausgenossen.“

Mein Stand vor dem „Unheiligen Tribunal“ war von Vornherein klar umrissen, eine mögliche Einstellung des Verfahrens oder gar ein Freispruch im Reich meiner Träume angesiedelt. Meine Antwort auf die Frage, wie ich denn mit wirklichem Namen hieße – reine Form – hieß mich das Heilige Offizium verhöhnen, in dem ich antwortete:

Ich bin, der ich bin!

Ich bin das Gestern. Ich bin das Heute. Ich bin das Morgen. Mein Name ist Geheimnis!

Mein Inquisitor, Seine Magnifizenz, Francesco Valerio de Zelada, Erster Kardinal-Staatssekretär und Minister der vatikanischen Regierung seiner Heiligkeit, Pius VI., konterte:

Zelada: Wenn Er uns nicht sagen will, wie Er mit richtigem Namen heißt und wo Er geboren, dann werden wir es Ihm sagen: Der angebliche Spross eines arabischen Sultans, der unter dem Namen Acharat am Hofe des Großmufti in Medina erzogen wurde und der später unter dem erlauchten Titel Graf Alessandro di Cagliostro ganz Europa heimsuchte – dieses den Märchen von „Tausendundeiner Nacht“ entsprungene Fabelwesen heißt mit bürgerlichem Namen Giuseppe Balsamo, von Beruf Federzeichner, geboren am 2. Juni 1743 zu Palermo, Sohn der Wäscherin Felicia Balsamo, geborene Bracconieri, und des Krämers Pedro Balsamo.

Seine Akte, die Akte Cagliostro, eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten und Schriftstücken, ist umfassend. Wir haben Ihn über Jahre hinweg observiert und seine Akte in verschiedene Rubriken geordnet.

Cagliostros freimaurerische Logentätigkeiten und andere Zeugnisse seines ketzerischen Treibens – Berichte über Cagliostros Kuren und Wunder – Cagliostros alchemistische Operationen – Der Großkophta und die ägyptische Bewegung – Cagliostro und die Halsband-Affaire, usf.

Also genügend Beweise, Ihn hierher vor das Hl. Offizium zu bringen.

Der Erste Kardinal-Staatssekretär war also willens, einen exemplarischen Inquisitionsprozess zu führen – nicht gegen einen kleinen häretischen Dumm- oder Querkopf, sondern gegen mich, angeblich den gefährlichsten und berüchtigtsten Abenteurer, Magier, Ketzer, Freimaurer und Illuminaten des Jahrhunderts.

Während Zelada seine „Beweise“ auf mich – den Inquisiten – einwirken ließ, dachte er wohl erneut über seine Beweggründe nach:

Zelada:

Dieser Prozess wird eine heilsame und abschreckende Wirkung auf das gesamte europäische Freimaurer- und Illuminatenwesen haben. Doch nicht nur das, denn seit die Pariser Volksmassen die Bastille gestürmt hatten, herrscht in Frankreich die Anarchie.

Überall werden, meist unter dem Schirme geheimer Freimaurer-Gesellschaften, Komplotte gegen die Souveräne und geistlichen Oberhäupter geschmiedet, auch im römischen Kirchenstaat.

Die Welt hat sich verändert, viele Menschen scheinen nicht mehr bereit, sich dem Diktat der Kirche und den von ihr aufgestellten Dogmen zu unterwerfen.

Der römische Machtanspruch ist auf das Äußerste gefährdet. Die seit beinahe 18. Jahrhunderten fest verankerten Grundpfeiler der katholischen Kirche drohen aus ihren Fundamenten gerissen zu werden. Wie wäre es um die Kirche bestellt, wenn alle Welt zu freiem, kritischem Denken aufgerufen, nicht mehr an Sünde, ewige Verdammnis glaubt?

Wie schon vor dem Kriegskabinett Pius VI. ausgeführt, das einen einzigen Tagesordnungspunkt zum Thema hatte, nämlich die Cautio criminalis Cagliostro, vermag der Teufel in vielerlei Gestalt, unter vielerlei Verkleidungen aufzutreten.

Seine verführerischste und gefährlichste Gestalt aber ist die des Heilkünstlers, Magus und Propheten. Unter dieser täuschenden Maskerade und dem usurpierten Titel eines Grafen von Geblüt hat sich Cagliostro in allen Ländern Europas eine ungeheure Zelebrität verschafft, mit seinen angeblichen Wunderheilungen und Weissagungen, seinen gottlosen und abergläubischen Doktrinen Abertausende von Menschen in seinen Bann gezogen und vergiftet.

Vor allem in Frankreich hat er mit Erfolg seine Netze gespannt und vermittels eines weitverzweigten freimaurerischen Logensystems nach dem ägyptischen Ritus zahllose Proselyten gemacht.

Selbst höchste geistliche Würdenträger, unter ihnen der Kardinal Rohan aus Straßburg, huldigen diesem falschen Messias und seinem ketzerischen Ritus. Eine Schande für die Heilige Mutter Kirche und das Papsttum.

Während man mich, den Inquisiten (meine Frau hielt man ebenfalls gefangen), wieder in das bestgesicherte Verlies in der Engelsburg verbrachte und mich mein Inquisitor Zelada mitsamt seinen Überlegungen verließ, erinnerte ich mich meiner aus rotem Saffian-Leder gebundenen Mappe. Beamte der Inquisition hatten sie im Hause des französischen Malers Belle, wo ich meine ägyptische Loge abzuhalten pflegte, in einem Geheimfach entdeckt und sogleich konfisziert. Die Mappe enthielt mein Manuskript, das den Titel trug:

Lach, Satan!

Bekenntnisse des Allesandro Conte di Cagliostro. Von eigener Hand im Kerker der Bastille verfasst‘. (Man hatte mich inhaftiert wegen der unseligen Halsbandaffaire.)

Es ist müßig, zu fragen: Wer war ich, Cagliostro, wirklich? Je nach dem Standpunkt und Blickwinkel des Betrachters wird immer ein anderer Cagliostro zum Vorschein kommen. Doch zweifellos war ich ein Mensch mit Charisma, großer Überzeugungskraft und überragender Schauspielkunst. Als Kultfigur an zahlreichen europäischen Höfen, verstand ich, Fürsten, Könige und Königinnen in meinen Bann zu ziehen.

Von vielen meiner Zeitgenossen als zweiter Messias, Arzt und Wunderheiler, Prophet, Magier, Alchemist, Illusionist und Logengründer vergöttert, von anderen, kritischen Geistern als Scharlatan, Blender und Betrüger verdammt, wie beispielsweise die „Nachrichten von des berüchtigten Cagliostro Aufenthalt in Mitau“ der Elisabeth Gräfin von der Recke an Dorothea Herzogin von Kurland zeigten. Mein Aufenthalt in Kurland nämlich (1779) hatte binnen weniger Monate eine derartige Faszination meiner Person auf die Hofgesellschaft ausgeübt, dass mir – vermittels einer Palastrevolution – die Regierungsgewalt in diesem kurländischen Herzogtum angetragen werden sollte.

Also, mir, Alessandro Conte di Cagliostro, geborener Giuseppe Balsamo. – Haben mich also viele Zeitgenossen bewundert und verehrt, mit den armseligen Verhältnissen, in denen ich aufgewachsen bin, hätte wohl keiner von ihnen tauschen mögen. Der frühe Tod meines Babbos ließen meine Mammina, meine Schwester und mich des Nötigsten zum Überleben beraubt, zurück, so dass wir nunmehr von der Gnade meiner Onkel abhängig waren. –

Meine Kinder- und Jugendjahre in Palermo beschäftigen mich nur noch am Rande, eines ist jedoch gewiss, hier ward die Plattform geschaffen für meinen späteren Aufstieg:

Ausgezeichnet mit vielerlei Talenten, lernte ich bereits als Kind von Gauklern die mannigfaltigsten Kunststücke und Taschenspielertricks. Das Phänomen der menschlichen Sinnes-, Wahrnehmungs- und Denktäuschungen faszinierte mich Zeit meines Lebens. Und wie ich dieses Phänomen gelebt habe… ja, eigentlich bestand ich nur aus Täuschung und letztendlich täuschte ich mich auch selbst.

Ursprünglich vorgesehen für die geistliche Laufbahn – die billigste Lösung, hatte man doch einen Esser weniger, verbrachte mich meine Familie zunächst in das Seminar San Rocco, später in das Kloster der Brüder der Fatebenefratelli in Caltagirone Dort erfuhr ich zunächst als Apothekerlehrling erste Begegnungen mit der wundersamen Welt der Alchemie. Später dann in ebendiesem Kloster teilte man mich dem Bruder Krankenpfleger als Lehrling und Gehilfen zu.

Nach meiner Flucht vor den (w)armen Brüdern jener von Fatebenefratelli nahm ich Zeichenunterricht, wurde Federzeichner und schließlich Gehilfe bei einem meiner Onkel, der als Advokat tätig war. Dass ich mein spärliches Salär durch gewisse Transaktionen aufbesserte, wurde mir letztendlich zum Verhängnis, was meine Flucht nach Neapel zur Folge hatte. Die darauffolgende einjährige Lehrzeit bei Dottore Ambrosio legte gewissermaßen den Grundstein für meinen weiteren Weg als Arzt und Wunderheiler und vieles mehr, was die Menschen meiner Zeit in mich hinein interpretierten.

Gereist bin ich Zeit meines Lebens viel. – Nach meinem neapolitanischen Lehrjahr führte mich mein Weg nach Messina, wo ich mit aller Art von Betrügereien, Gauklerkunststücken und dem Fälschen von Münzen und Papieren meinen Lebensunterhalt bestritt.

Verschiedene Reisen im östlichen Mittelmeerraum ließen mich schließlich 1766 Malta erreichen, und als persönlicher Diener und Sekretär begleitete ich einen jungen Malteser-Ritter auf seinen Reisen nach Palästina und Ägypten, die er im Auftrag seines Ordens unternahm. Manche meiner Biographen meinen, ich hätte mich auch in Persien aufgehalten. Nun, wie es auch war – es ist lange her. Jedenfalls haben mich meine Aufenthalte im Orient einiges gelehrt, wie die Vertiefung meiner medizinischen Kenntnisse, der Chemie und viele in Europa unbekannte oder längst vergessene Techniken der Effekthascherei und des Trickbetruges.

Weitere Reisen, weitere Stationen. Im Grunde genommen war ich ständig auf der Flucht.

Ach, habe ich schon erzählt, dass ich am 20. April 1768 die Römerin Lorenza Feliciani heiratete? Wie ich aus einfachen Verhältnissen stammend, avancierte sie einige Jahre später zur Gräfin… Serafina, aber darüber etwas später.

Nun gingen wir – Lorenza und ich – gemeinsam auf Reisen. Wir bereisten unter wechselnden Namen ganz Europa und verkehrten häufig in den vornehmsten Häusern. Reisende in Sachen Alchemie und Geisterbeschwörung. Natürlich gab es anfänglich oft finanzielle Engpässe, doch der Not gehorchend, schreckten wir auch vor schlichter Prostitution nicht zurück. Lorenza möge mir verzeihen!

Meist waren unsere Abreisen überstürzt, sozusagen in letzter Sekunde, weil uns die örtlichen Behörden auf den Fersen waren oder weil sich anderswo günstigere Lebensumstände zu bieten schienen. So ging es einige Jahre auf diese Weise – oft unter Titel und Namen „Graf Balsamo“.

Meine schon erwähnten zahllosen Reisen quer durch Europa möchte ich nicht im Einzelnen abhandeln, aber die „highlights“, wie mein späterer Londoner Mäzen Sir Edward Hales, zu sagen pflegte, sollen diesem erlauchten Kreis nicht vorenthalten werden.

In Malta, einem weiteren „highlight“ meiner Laufbahn wurde ich schließlich der, unter dem mich die Welt kannte: Cagliostro. Hier entstand das Konzept – gemeinsam mit meinem Mentor (dem Malteser Ordensritter) – und unter der Patronanz des Großmeisters Pinto –, das mich vom Gelegenheitsgauner zum fahrenden Arzt, Magus und Freimaurer werden ließ.

Dank der Großzügigkeit Pintos und ausgestattet mit der Mitgliedschaft im altehrwürdigen Malteserorden, dem zukünftigen Entreebillet in die Londoner Großloge der Schottischen Ritter, gelangten wir m Jahre 1776 ein weiteres Mal nach London.– nach unserer „zweiten Taufe“ (man gab uns die Namen Alessandro Graf Cagliostro und Serafina Gräfin Cagliostro, geborene Prinzessin in Trapezunt).

In London lächelte uns Fortuna diesmal endlich gnädig, denn schnell wurde mir der Ruf eines außerordentlichen Wunderheilers und Wahrsagers zuteil. Zu meinen Spezialitäten zählte die Voraussage von Lotterienummern (natürlich ein ausgemachter Schwindel, der Dank erfolgreicher Bestechung eines Lotteriebeamten sehr einträglich war). Und mit dem Verkauf eines von mir entwickelten „Lebenselixiers“ klingelten endlich wieder Münzen in unseren Beuteln. So fällt in das Jahr 1776 also mein legendärer Aufstieg – seien wir ganz ehrlich – vom kleinen Betrüger zur messianischen Gestalt für weite Kreise der besseren Gesellschaft Europas.

Um diesen Qualitätssprung zu unterstützen und weil man mich berief, trat ich – wie in Malta bereits geplant und vorbereitet – 1777 der Freimaurerloge „Loge der Hoffnung“ bei, die zum Zweig der Strikten Observanz gehörte und der ebenso reichen wie mächtigen „Großloge von England“ unterstand!

Ich will mich aber nicht schlechter machen, wie meine Gegner mir üblicherweise unterstellen, denn ich habe die Idee der Humanität, Toleranz, und besonders der Wohltätigkeit – vor allem armen Bevölkerungsschichten gegenüber – sehr begrüßt. Wohl deshalb, weil eingedenk meiner eigenen Herkunft, in mir der Wunsch erwuchs, meine zahlungsunfähige Klientel kostenlos zu behandeln.

So viel zu meinem „sozialen Gewissen“, darüber verfüge auch ich, und war am Höhepunkt meiner einzigartigen Laufbahn dazu durchaus in der Lage. Mit den Prinzipien des Valentin Andreae Rosencreutz vertraut, wollte ich selbstverständlich entsprechend handeln, wonach es u.a. hieß: „Behandle die Mächtigen, Reichen und Hoffärtigen so, wie sie es verdienen; doch vergiss nie deine christliche Pflicht gegenüber ärmeren und bedürftigen Mitbrüdern und Schwestern…“.

Ich tat nicht nur Gutes, ich sprach auch darüber! Sollte die Welt doch wissen, mit wem sie es hier zu tun hatte! So gesehen, war mein soziales Engagement auch ein probates Mittel zur Förderung meiner Popularität.

Dass die „Loge der Hoffnung“ in London auch meiner Gattin den Zutritt gewährte, hatte ich zur Bedingung meiner Mitgliedschaft gemacht. Zwar hatte der Schatzmeister Sir Archibald schwer daran zu kauen gehabt – denn nach den Statuten waren keine Frauen zugelassen -, doch schließlich hatte er meine Bedingungen akzeptiert: Als Ausdruck unserer ganz besonderen ‚Wertschätzung Ihrer hochmögenden Person und der geheimen Wissenschaft, mit der Sie unsere Loge hoffentlich beglücken werden.

Aber es kam noch besser, denn nachdem ich als neu rezipierter Lehrling die neuen Brüder von meiner „überragenden Sehergabe“ überzeugt hatte, indem ich ihnen die Botschaft eines verstorbenen Meisters übergab, rief Sir Archibald:

Archibald: „Brüder und Meister! Es dürfte unserer Loge kaum zur Ehre gereichen, einen so begnadeten Kabbalisten und Seher wie Cagliostro als Lehrling aufgenommen zu haben. In Abweichung des Rituals schlage ich vor, ihn unter Umgehung des Gesellengrades noch heute zur Meisterprüfung zuzulassen und ihn sogleich in den dritten Grad zu erheben!“

Meine Meisterprüfung legte ich – verbundenen Auges – nach außen hin mit Bravour ab (mit schlotterten die Knie, ich war in Schweiß gebadet – aus Angst, dass man mir doch noch auf die Schliche kam). Doch nichts von alledem. Nachdem ich bewusst „in Ohnmacht“ gefallen war, waren meine Schottischen Ritter nicht mehr zu halten. Begeistert schrie der Venerable Br. Archibald:

Archibald: Ich begrüße den neuen Großmeister der Strikten Observanz, seine Herrlichkeit, den Grafen Alessandro di Cagliostro‘.

So wurde ich an einem Abend vom Lehrling zum Großmeister gekürt. Doch nicht nur dies: Einige Zeit später berief mich Sir Archibald zum Grand Expert, um im Auftrag der Strikten Observanz als Visitator, die zahlreichen Schwesterlogen am Kontinent zu bereisen.

Was mir im Vorfeld gewissermaßen als eine Art Aufstiegshilfe erschien, erwies sich bald als faszinierende Möglichkeit „wundersamer“ Geldvermehrung…unter Brüdern? Das Entree nicht für die bessere, nein für die höchste Gesellschaft. Abgesehen davon, war die masonische Bruderschaft meiner Zeit durchdrungen von glanzvollem Gepränge, hehren und würdigen Auftritten, was meinen Intentionen sehr entsprach.

Deshalb reifte in mir die Idee für etwas noch Pompöseres, Mystischeres. Wie schon in Malta, wie man sich heutzutage ausdrückt, angedacht, hatte ich vor, einen eigenen Orden zu gründen, der die Weisheit des Orients und die älteste Quelle der mystischen Offenbarungen mit der christlichen Religion verband und den Mitgliedern aller Konfessionen und Glaubensrichtungen offenstehen sollte.

Zugleich sollte sein Ritus so einzig in seiner Art sein, dass ich die Konkurrenz der zahlreichen anderen Freimaurerlogen, die wie die Pilze aus dem Boden schossen, nicht mehr zu fürchten brauchte.

So entstand der „Ägyptische Orden“!

(In der Folge traten dem Orden die mächtigsten und einflussreichsten Persönlichkeiten – vor allem Frankreichs -, und erklärte Gegner der herrschenden Bourbonen, bei.)

In Lyon begegneten mir die hiesigen Freimaurer und ihre Meister vom Stuhle zu anfangs mit kühler Reserve. Dann aber vollbrachte ich ein biblisches Wunder, indem ich einen Mann und Familienvater, den Arzt und Leichenbeschauer bereits aufgegeben hatten, wieder zum Leben erweckte. Nun liefen die Brüder der zwölf Lyoner Logen scharenweise zu mir – dem „neuen Heiland“ – über, denn sie waren ganz versessen darauf, in die höheren ägyptischen Mysterien eingeweiht zu werden

So beschloss ich als „Großkophta“, wie ich mich ab nun titulierte, und auf Drängen meiner Jünger hier die Mutterloge meines ägyptischen Ordens zu errichten, den Neuen Tempel Salomonis. Mit den von mir entworfenen Logenpatenten und Logendiplomen blühte mir ein einträgliches Geschäft; mussten doch meine Adepten, die mich mit DER GROSSE ANFANG anzureden hatten, dafür tief in die Tasche greifen:

Nach dem Geheimnis des Osiris, wonach zwölf unsterbliche Magier und Eingeweihte den Erdball regieren, einer von ihnen alle hundert Jahre wiedergeboren werde, um die Menschheit zu erleuchten, sei ich, der GROSSKOFTO, eben jener, in allen morgen- und abendländischen Teilen der Erde vom Allerhöchsten gesandt, um den Menschen das Licht zu bringen, sie zu höherer Vollkommenheit zu führen und hienieden das Neue Jerusalem zu errichten.

Da die ägyptische Loge auf dem Prinzip der Gleichheit beruhte, waren die Bürger aller Stände und aller Konfessionen zugelassen. – Als „Großkophta“ oder „Großkofto“ betrachtete ich mich selbst als Wiederhersteller der „wahren und ursprünglichen Maurerei“ sowie als Mittler zwischen dem christlichen Okzident und dem Orient – nach dem Motto: „Ex oriente lux!“

Auch Frauen waren zugelassen!

Für den später gegründeten Memphis-Misraïm-Ritus (1805 in Venedig) setzte ich durch meine Ordensgründung wichtige Impulse. Diese Memphis-Loge entstand längst nach meinem Übergang in den Ewigen Osten.

Wie gesagt, ich ließ in meinem Orden Männer und Frauen zu, wobei mir Serafina bei der Initiation weiblicher Neophyten assistierte. Sie pflegte dann die Gesichter ihrer Neophyten mit folgenden Worten anzuhauchen: „Ich hauche dir diesen Atem ins Gesicht, um in deinem Herzen die Wahrheit keimen zu lassen, in deren Besitz wir sind; ich hauche hinein, um deine guten Absichten zu stärken und dich im Glauben deiner Brüder und Schwestern zu bestätigen…“

Später erhielten die Frauen weiße Gewänder und nahmen an einer Zeremonie teil, bei der sie ermutigt wurden, die „schändlichen Bande“ ihrer männlichen Meister abzuwerfen. Danach wurden sie in den Garten und dann in einen Tempel geleitet, wo sie eine „einführende“ Begegnung mit mir selbst hatten.

Bei dieser Gelegenheit pflegte ich nackt auf einer goldenen Kugel aus dem Tempeldach herabzuschweben und meine Neophyten aufzufordern, im Namen der Wahrheit und Unschuld ihre Kleider abzulegen. Nun erklärte ich ihnen die symbolische Natur ihres Strebens nach Selbsterkenntnis, ehe ich wieder die goldene Kugel bestieg und zur Tempelkuppel empor schwebte.

Dies alles taten Serafina und ich allerdings nicht unbedingt aus reiner Nächstenliebe, denn die eingeweihten Damen bezahlten 100 Louisdor Teilnahmegebühr. Doch stammten viele der Damen aus der Aristokratie und konnten sich das durchaus leisten.

Nach dem Vorbild meiner Lyoner ägyptischen Loge sollten noch weitere Gründungen in verschiedenen Ländern Europas folgen, die sich großer Beliebtheit erfreuten, dank des phantastischen Rituals, das meine Zeitgenossen offensichtlich sehr faszinierte.

Wie mir mein späterer Inquisitor vorwarf, fand es die römische Kirche aber höchst verwerflich, dass meinem ägyptischen Orden orthodoxe Christen, Protestanten, Calvinisten, Juden, Beschnittene und Ketzer aller Art angehörten, sollte doch ein Zeichen der Versöhnung gesetzt und eine neue Ökumene gestiftet werden.

Mit immer größerem Erfolg führte mich mein Reiseweg weiter – Serafina immer an meiner Seite – meine spiritistischen Sitzungen, alchemistischen Experimente und Prophetien fanden ihre Fortsetzung in den Niederlanden, in Deutschland, in der Schweiz, sogar bis nach St. Petersburg gelangten wir.

Wie wir uns den persönlichen Zorn der Zarin Katharina der Großen zuzogen, vermag ich allerdings nicht mehr zu sagen, konnte ich doch zahlreiche Wunderheilungen und die Einrichtung eines Armen-Krankenhauses meinem Konto verbuchen. Mit knapper Not entgingen wir der Verhaftung – uns blieb nur noch die Flucht aus dem Russischen Reich.

Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Warschau nahmen wir Wohnsitz in Straßburg. In Straßburg fand ich meine treuesten Anhänger…und Finanziers: den Kardinal Rohan aus höchstem französischem Adel, den Basler Bankier und Kaufmann Jacob Sarasin und den Philosophen und Schriftsteller Johann Kaspar Lavater.

Nach einigen weiteren Etappen ließen Lorenza-Serafina und ich uns 1785 in Paris nieder – sozusagen als Nachfolger des im Jahre zuvor abgereisten Wunderheilers Messmer. Man empfing uns mit offenen Armen. Auch mein ägyptischer Ritus wurde sehr erfolgreich angenommen, alles lief nach meinen Erwartungen, bis…

Ja, bis zur Halsbandaffäre, an deren Beteiligung man mich fälschlicherweise bezichtigte und mir die Kerkerhaft in der Bastille eintrug. Der Prozess, den der französische Staat gegen mich führte, endete zwar mit Freispruch, doch der Landesverweis aus Frankreich durch den König blieb uns beiden nicht erspart.

(Doch das mir vom Illuminaten-Bund aufgetragene Ziel, das Ansehen des Herrscherhauses zu untergraben, Empörung im Volk zu schüren, war durch meine Intrige erreicht worden. Der französische Thron wackelte bedenklich.)

Die eigentliche Hauptverantwortliche, Jeanne de la Motte-Valois, spiegelte Kardinal Rohan vor (erkennen Sie die Querverbindung? Mein Einfluss auf Rohan war Legende), er könne sich Hoffnungen auf die Gunst der Königin Marie-Antoinette machen, und bot sich als Vermittlerin an. In diesem Zusammenhang gelang es ihr, ein überaus kostbares und ein Vermögen wertes Halsband, das der Kardinal der Königin zugedacht hatte, an sich zu bringen und auf eigene Rechnung zu verkaufen.

Im letzten Abschnitt meines turbulenten Lebens überlasse ich meinem Ankläger, dem Kardinal-Staatssekretär Zelada, noch einmal das Wort:

Zelada: Heiliger Vater, verehrte Magnifizenzen und Eminenzen!

Nachdem Cagliostro aus Frankreich ausgewiesen und als gefährlicher Betrüger und Ränkeschmied erkannt worden war, irrte er mit seiner Gattin durch halb Euroipa.

Kein Land wollte ihn mehr aufnehmen, nur der Kirchenstaat war so gnädig, ihm freies Geleit nach Rom zu gewähren. Das Hl. Offizium hat ihn zunächst als Informant zur gewinnen versucht, da er als weitgereister Mann eine unschätzbare Erfahrungsquelle bezüglich der freimaurerischen Geheimgesellschaften Europas darstellt, jedoch hat er sich der Zusammenarbeit verweigert. Stattdessen hat er in Rom eine geheime Loge nach dem ägyptischen Ritus gegründet – und damit wissentlich gegen die Verdammungsbullen Clemens‘ VII. und Benedikts XIV. gegen die freimaurerischen Zusammenkünfte und Logen verstoßen.

Das Hl. Offizium ist auch im Besitze eines Schreibens Cagliostros, das dieser an die französischen Generalstände richtete:

‚Voller Bewunderung und Verbundenheit mit dem französischen Volk sowie aus Respekt gegenüber seinen Gesetzgebern und Volksrepräsentanten sehne ich mich danach, ohne Gefahr in das Land meines Herzens zurückzukehren und den Rest meines Lebens im Schoße einer Nation zu verbringen, aus dem mich ein willkürliches königliches Edikt verwiesen hat.‘

Zelada: Heiliger Vater, verehrte Magnifizenzen und Eminenzen!

Die Französische Revolution droht die bisherige Ordnung der Welt umzustürzen. Die Privilegien des Adels und des Klerus wurden abgeschafft, die Kirchen und Klöster geplündert und angezündet. Die geplante „Zivilkonstitution des Klerus“ sieht vor, alle Priester und geistlichen Würdenträger fortan dem Staate zu unterstellen. Dies ist die schlimmste Beleidigung gegen das Papsttum

Ich plädiere, an dem Sendboten der Revolution in Gestalt des Grafen Cagliostro ein Exempel zu statuieren, in dem wir, als Diener der heiligen Kirche und des Stuhls Petri, selbigen einem hochnotpeinlichen Inquisitionsprozess unterwerfen. Wir sind aufgerufen, unsere christliche Sendung und Wehrhaftigkeit zu beweisen.

In Gloriam coeli Dei!

***

Der Prozess gegen Cagliostro wegen Häresie, Zauberei und Freimaurerei zog sich bis ins Jahr 1791 hin – man konnte unter anderem auch seine Frau Lorenza/Serafina als Zeugin gegen ihn beeinflussen – und endete mit einem Todesurteil, das Papst Pius VI. in lebenslange Kerkerhaft umwandelte. In seinem Gefängnis, der Festung von San Leo bei Montefeltre im Herzogtum Urbino, ging Cagliostro am 26. August 1795 in den Ewigen Osten ein, zwei Jahre bevor die französischen Revolutionsheere in Rom einmarschierten. Seine Prophezeihung erfüllte sich: Der Kirchenstaat wurde mitsamt dem Hl. Offizium aufgelöst, Papst Pius VI. von Napoleons Truppen verschleppt und schließlich in die südfranzösischen Stadt Valence deportiert, wo er im Jahre 1799 verstarb.

Vom Schweigen, Reden, Dauerratschen

eine Auseinandersetzung mit Menschen, deren übersteigertes Mitteilungs-bedürfnis, ihre zwangsbeglückten, naturgemäß schweigenden Zuhörer sehr oft unduldsam werden lässt, verbunden mit der Erkenntnis, wie wenig  diese Menschen dazu gelernt – sich nicht selbst erkannt haben. 

Mein Weltbild räumt der Mitmenschlichkeit, der Menschenliebe großen Raum ein, so dass ich mir gerade deshalb diese Kontroverse gestatte!

Liebe Srr und Brr, dies ist ein Thema, das mir seit langem auf der Seele brennt und das mich an so mancher „Freundschaft“ zweifeln lässt. Ich empfinde in den folgenden Ausführungen nicht nur wenig Achtung und Wertschätzung vieler Gesprächspartner ihrem Zuhörer gegenüber, sondern Missbrauch und verbale Ausnutzung. 

Miteinander reden ist ein wichtiges Mittel zwischenmenschlicher Kom-munikation; doch was, wenn immer nur einer redet? Dann hat dies mit Kommunikation wenig zu tun – es gibt keinen Austausch, sondern Monolog statt Dialog.

Ihr kennt sie sicher, jene Mitbürger, Freunde, Bekannte, deren konzentrisches Weltbild nur einen Mittelpunkt kennt – nämlich sich selbst als „Nabel der Welt“! 

Ich verstehe schon, dass jeder das Bedürfnis hat, sich mitzuteilen, über Eindrücke, Erlebnisse, Sachverhalte, die berühren, zu reflektieren. Die Kunst dabei ist, nicht das Maß zu verlieren und zum rechten Zeitpunkt schweigen zu können. Dies meine ich, stünde manchem oft besser an; doch ein übertriebenes Geltungsbedürfnis und/oder zwanghaftes, fast könnte man meinen pathologisches Redebedürfnis lassen dies auf keinen Fall zu.

Was soll damit kompensiert werden? Die Angst, übersehen, nicht beachtet zu werden? Oft tagelang mit niemandem ein Wort gewechselt zu haben? 

Sich unbedingt ständig in Szene setzen zu wollen? 

Den Kopf voll zu haben mit vielerlei Gedanken, Ideen, Erkenntnissen, um Raum zu schaffen – Ungesagtes unbedingt das Licht der Welt erblicken zu lassen?

Oder etwa ein Kindheitstrauma? 

Ich erinnere mich noch der antiquierten Erziehungsmethoden, wenn in früherer Zeit – zumindest in meiner Jugend war das so – ein Kind in Gesellschaft Erwachsener etwas sagen wollte, dass es hieß: „Sei still, Du redest nur dann, wenn Du gefragt wirst“. Ist es das, was vielen Menschen nachhängt? 

Sind dies all die Ursachen, warum immer mehr erwachsene Menschen zu Unternehmern geworden sind? Solchen, die Kleinst-Unternehmen in Form von Aktiengesellschaften vorstehen, also einem in einer einzigen Person vereinig-ten Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzenden der Ich-AG!

Natürlich darf und soll jeder sein Ego pflegen, doch nicht immer zu Lasten anderer Ichs! 

Dabei sind allerdings Empathie und Fingerspitzengefühl oder besser gesagt Stimmritzengefühl gefragt. Auch diese Eigenschaften ließen sich pflegen, wäre das Ego nicht allzu mächtig. So hat meist nur eines Bedeutung – das eigene Ich!

Worüber die Ich-AG spricht, hat jeden zu interessieren; und  um es überspitzt zu formulieren, selbst der Stuhlgang zum Dauerbrenner wird. 

Eine Übung in Geduld und Durchhaltevermögen ist gefordert, wird diese Schilderung auch noch langatmig dargeboten, kein Detail ausgelassen und bereits in biblischer Zeit ihren Anfang nimmt – nämlich bei Adam und Eva. Das eigentliche Thema verliert sich, der Kern der Erzählung wird oft vergessen.

So zeichne ich vermutlich für viele von uns ein vertrautes Bild der Selbstdar-steller, ohne Punkt und Komma Redenden, ja, nicht einmal Luft holend Ratschenden.

Lt. Österreichischem Wörterbuch ist eine „Ratschen“/ein  „Ratscher“ jemand, der gedankenlos viel, schnell und ausdruckslos redet; und nach meiner Wahrnehmung dabei  auch oft in eine Art Singsang verfällt. 

Doch steht dies alles nicht allein, sondern der Dauerratscher ist noch dazu bemüht, ständig dem nach langem „Rede-Beschuss“ genervten, „wortver-gewaltigten“ Zuhörer das Wort abzuschneiden, sollte der sich erlauben, zwischendurch etwas einwenden zu wollen. Dies halte ich – neben dem unablässigen „Schwafeln“ – für ungebührliches und schlechtes Benehmen von Ichs, die selbst nicht zuhören können, es aber von ihrem Gegenüber sehr wohl erwarten! 

Wenn dann, nach stundenlangem Wasserfall-Reden, zu hören ist: „Du sprichst ja heute gar nichts?“, ist der Geduldsfaden knapp vor dem Reißen.

„Wann denn?  –  Nur singen können wir gemeinsam“!

Haben wir uns endlich doch einen halben Satz erkämpft, dann heißt es, schnell zu reden, weil die Ungeduld des Gegenübers spürbar erkennen lässt, wieder zu Wort kommen zu müssen.

Der schon leicht grantige Hinweis: „Merke dir, was du sagen willst, aber lasse mich bitte ausreden und falle mir nicht ständig ins Wort“, ist lediglich ein Schuss in den Ofen.

Wenn der Ich-AG erstaunlicherweise gar nichts mehr einfallen sollte, kommt entweder das Wetter ins Gespräch oder ein anderes banales Thema.

Angesprochen auf den Vorwurf im Freundeskreis, zwei Stunden lang ununterbrochen von sich geredet und den bereits in Resignation verfallenen Zuhörern nicht die kleinste Chance geboten zu haben, auch etwas beizutragen oder loszuwerden, folgte als Antwort des Dauerredners lediglich: „Das habe ich gar nicht bemerkt“! – 

Soweit zum Profanen, zu Erlebnissen im eigenen privaten Umfeld, und im Vertrauen gesagt, ich habe mir von dem Erzählten rein gar nichts gemerkt! 

Fazit: So wünsche ich mir sowohl im Profanen als auch in unserem Kreis, dass jeder eingedenk sei seiner … nein, diesmal nicht Pflicht, oder doch? …, also seiner Verantwortung, des Respekts und der Achtung im Umgang mit anderen!  

Verhalten wir uns so, wie wir erwarten, gehört zu werden, nämlich aufmerk-sam. Geben wir unserem Gegenüber rechtzeitig die Gelegenheit zum Nachdenken, das Gehörte zu „verdauen“ und lassen wir zu, selbst aufmerksam und wertschätzend zuzuhören.

Vergessen wir unsere Ichs, denn nur gemeinsam, in der Vielfalt vieler Ichs, können wir das sein, was uns miteinander verbindet – wahre Maurer, wahre Menschen!

Soweit zur Ich-AG, doch dem Titel des BS bis jetzt noch immer nicht ganz gerecht geworden zu sein, nämlich dem Schweigen

Wie auch, bedeutet Schweigen still, wortlos zu sein. Im rechten Augenblick schweigen zu können!

Wikipedia & Co. zum Beispiel bieten umfangreiche Informationen über die Bedeutung des Wortes Schweigen mit dessen Synonymen – für Profane! Wie beredtes Schweigen, missbilligendes Schweigen uvm.

Spirituell Fortgeschrittene jedoch, also jenen, die in der Oberflächlichkeit des Alltags/der Welt wenig oder keinen Sinn sehen, begeben sich auf die Suche – sie verlangen Antworten. Wo sind sie zu finden? – In der Stille, im Schweigen! 

So stehen unsere Existenz – also unser Da-Sein im wahrsten Sinne des Wortes –, des hier auf dieser Erde inkarniert Seins und das Erkennen dieses Seins in enger Verbindung mit dem SCHWEIGEN!

Schweigend inne zu halten, zur Ruhe zu kommen, mit den inneren Ohren hörend und der inneren Stimme Zeit und Raum zu schaffen, um dem meditativen, verinnerlichten und  kontemplativen Schweigen die Tür zu öffnen zu sich selbst, um der Kontaktaufnahme mit dem wahren Selbst/dem inneren Tempel Platz einzuräumen zur eigenen Entwicklung und zur Erkenntnis!

Erkenne Dich selbst!

Obwohl die Ströme der Worte

uns unablässig überschwemmen,

in den Tiefen unseres Ich

herrscht das Schweigen auf immer.

Khalil Gibran

Der Schritt vom Schweigen zur Verschwiegenheit ist nur ein kurzer, für uns FM nicht nur Tugend, sondern ebenso Verpflichtung:

Eine der wichtigsten Tugenden im gesellschaftlichen Leben und die wirklich täglich seltener wird, ist die Verschwiegenheit. Man ist heutzutage so äußerst trügerisch in Versprechungen, ja in Beteuerungen und Schwüren, dass man ohne Scheu ein unter dem Siegel des Stillschweigens uns anvertrautes Geheimnis gewissenloserweise ausbreitet. Andre Menschen, die weniger pflichtvergessen, aber höchst leichtsinnig sind, können ihrer Redseligkeit keinen Zaum anlegen. Sie vergessen, dass man sie gebeten hat zu schweigen, und so erzählen sie, aus unverzeihlicher Unvorsichtigkeit, die wichtigsten Geheimnisse ihrer Freunde an öffentlichen Wirtstafeln.“ …


 meint Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr von Knigge: „Über den Umgang mit Menschen“ (1788)

Gedenken wir unseres Gelöbnisses zur Verschwiegenheit bei unserer Aufnahme oder an die immer wiederkehrende Aufforderung des MvSt nach der Arbeit:

„Ehe wir auseinandergehen, wollen wir unser Gelöbnis erneuern, die maurerische Tugend der Verschwiegenheit zu üben und Menschlichkeit und Brüderlichkeit walten zu lassen – so wie hier drinnen durch das Wort, im Leben durch die Tat“.

Und Br. Goethes einfacher Reim bringt es auf den Punkt:

Niemand soll und wird es schauen,

Was einander wir vertraut.

Denn auf Schweigen und Vertrauen

Ist der Tempel aufgebaut.

So ist auch das Wort ein weiterer wichtiger Baustein unseres Bundes – das Wort im Sinne von Sprache. Unverzichtbar im  konstruktiven Miteinander, genauso, wie die gemeinsame Tempelarbeit, worin wir uns der Sprache bedienen, um uns  mit dem Ritual  zu verbinden und  somit die Sprache Zugang zu dessen tieferer Bedeutung schafft. 

Eingedenk unliebsamer und immer wiederkehrender Begegnungen mit Dauerrednern, halte ich es für heute so, wie der österreichische Beamte in der k. k. Hofkammer und Dramatiker Franz Seraphicus Grillparzer in „König Ottokars Glück und Ende“ im „Loblied auf Österreich“:

„…da tritt der Österreicher hin vor jeden, denkt sich sein Teil und lässt die anderen reden!“

ICH – LICHT – PFLICHT

Die Zeit des Corona-Lockdowns bescherte manchen von uns – fernab des Homeoffices – viel freie Zeit. So auch für mich!  Nachdem pflichterfüllend der Wohnungsputz erledigt und pflichtbewusst seit langem vorgenommene Bücher ausgelesen waren, der neue Hometrainer die erste Freude eingebüßt hatte, pflichtgemäß die Yoga-Matte aufgelegt worden war, kam das große Grübeln:

Was nun? Vielleicht doch wieder einmal – als selbstauferlegte Pflicht – zu malen? Nein, ich fühle mich nicht besonders inspiriert. – Also dann: hinein ins Internet!

Beim Stöbern und Herumsurfen tauchte u.a. auch das Textbuch der „Zauberflöte“ auf. Ich habe es nicht nur wieder einmal gelesen, sondern dabei auch mitgesungen, na ja, ging früher besser!

Was auffällt, dass Emanuel Schikaneder in seinem Libretto sehr oft das Wort „Pflicht“ verwendet – aber eigentlich logisch, waren er und Wolfgang Amadeus Mitglieder des Bundes  Mozart zur damaligen Zeit aktiv, Schikaneder vermutlich von seiner Regensburger L.: gedeckt, aber dennoch der FM treu verbunden.

Durch die „Zauberflöte“ war ich nun wirklich inspiriert – inspiriert für eine Zeichnung.

Doch wie kamen beide – Librettist und Kompositeur – dazu, eine Oper reich an FM- Symbolik, aufgezeigten FM-Idealen und -Pflichten aufführen zu wollen?

Dass einige Jahre vorher der Hamburger Schauspieler, Theaterdirektor, Autor und Freimaurer,  Friedrich Ludwig Schröder 1781 – 1785 am Wiener Burgtheater engagiert – mit dem Stück „Die FM“ reüssierte, ist wohl Zufall und nur am Rande erwähnt.

Am 20. Februar 1790 stirbt Kaiser Joseph II.; sein Bruder Leopold, Großherzog der Toskana, tritt die Nachfolge an. Für Leopold sind FM-L.: „gesellschaftliche Verbindungen und Cliquen zur gegenseitigen Unterstützung und als solche, wie andere Vereinigungen“. Leopold plant sogar, die FM zu verstaatlichen!Schikanader meinte dazu – aus Pflichtgefühl, oder?

„Meine Brüder und ich, also wir Wiener FM erkennen, dass wir ob dieser Einstellung dem neuen Kaiser unsere Ergebenheit demonstrieren müssen und wir uns unmissverständlich von allen anderen profanen Vereinigungen abzugrenzen haben, die sich gegen Kirche und Monarchie wenden. Beste Gelegenheit bieten die Bretter, die die Welt bedeuten – die Bühne“.

Mozart und Schikaneder hatten mit dieser Oper ein Ziel vor Augen, sie wollten dem Publikum „in Zeiten dräuender Gewalt und Not“ vor Augen führen, wie wichtig und wertvoll die Werte LIEBE und MENSCHLICHKEIT sind. – Offenbar doch FMPflicht!

Der vorangegangene Abschnitt ist sozusagen als Introduktion zum eigentlichen Thema zu verstehen, zum Thema „Pflicht“ in der FM, im täglichen Leben und in der „Zauberflöte“. So lässt Schikaneder das Publikum durch seine Akteure/Sänger folgendes wissen:

SARASTRO (MvSt):

Tamino wandelte an der nördlichen Pforte unseres Tempels…

Diesen Tugendhaften zu bewachen, ihm freundschaftlich die Hand zu reichen, sei heute eine unserer wichtigsten Pflichten.

SARASTRO (MvSt) zum Sprecher (Redner):

… vollziehe dein heiliges Amt und lehre durch die Weisheit beide (Tamino und Pamina), was Pflicht der Menschheit sei…

Erster und zweiter Priester (Aufseher):

Bewahret euch vor Weibertücken,

dies ist des Bundes erste Pflicht;

manch weiser Mann ließ sich berücken,

er fehlte und versah sich’s nicht.

Verlassen sah er sich am Ende,

vergolten seine Treu’ mit Hohn! –

Vergebens rang er seine Hände,

Tod und Verzweiflung war sein Lohn.)

Die Königin der Nacht                                                                                                                          

erzählt Pamina von ihrem (verblichenen?) Vater und dessen (letzten?) Worten an sie, die KdN: „…deine Pflicht ist, dich und deine Tochter der weisen Führung weiser Männer zu überlassen.“ (Sarastro als dessen Nachfolger und seine Priesterschaft)

Tamino:

Sie ist ein Weib, hat Weibersinn!

Sei still, mein Wort sei dir genug,

denk deiner Pflicht, und handle klug.

SARASTRO (MvSt)

In diesen heil’gen Hallen

kennt man die Rache nicht!

Und ist ein Mensch gefallen,

führt Liebe ihn zur Pflicht.

Offensichtlich  war den Brüdern des 18. Jahrhunderts das Thema „Pflicht“ wichtig, so sehr, dass es Eingang in die Opernliteratur fand! – Doch nicht nur dort; erinnern wir uns an Lessings „Narthan“ – auch hier ist z.B. in einem Gespräch zwischen Nathan und dem Tempelherrn ebenfalls vom Pflichtbewusstsein die Rede.

Nun gibt die „Zauberföte“ nicht immer genaue Antworten welche Pflichten gemeint sind! …dass sich Pamina, der weisen Führung weiser Männer überlassen muss; sich die Brüder vor Weibertücken pflichtgemäß zu bewahren haben, ist wohl der Denkungsart des 18. Jahrhunderts geschuldet.

Doch wie sieht es heutzutage „in Zeiten dräuender Gewalt und Not“  mit menschlichen Pflichten aus?

Beziehungsweise wie/wann ist der Terminus Pflicht und deren Ausübung in das Bewusstsein und Leben der Menschheit gelangt?

Dass der Mensch immer sehr auf  seine Rechte gepocht und eingefordert hat, ist nachvollziehbar, doch dass er sich diese Rechte erst verdienen muss, war spätestens dann klar, als ihm bewusst geworden ist, dass er auch geben muss, um sich (s)ein Recht herausnehmen zu können. Sprich: „Er in die Pflicht genommen wurde“.

Der Mensch hat sich im Laufe der Evolution schließlich  zum denkenden, mit Vernunft behafteten Wesen entwickelt, sein Wollen und Wohl erkannt und damit einhergehend begriffen, dass ihm damit Verpflichtungen erwachsen, indem man Regeln ersonnen hat, um ein friktionsfreies Miteinander zu ermöglichen. Diese Regeln, Gesetze einzuhalten, war demnach also Pflicht.

Immanuel Kant stellt in seiner „Metaphysik der Sitten“ einen Ansatz vor, der im Prinzip Neigung und Pflicht stark voneinander abgrenzt. Dabei betont er, dass eine Handlung nur dann moralisch wertvoll sei, wenn sie aus Pflicht ausgeführt werde. Neigung hingegen keinen sittlichen Wert darstelle.

Friedrich Schiller hingegen schreibt  in seinem Werk „Über Anmut und Würde“ von der Harmonie zwischen Pflicht und Neigung.

Dabei sieht sich die Menschheit oft in der Zwickmühle gefangen, zwischen beiden Prinzipien unterscheiden zu müssen: Lebe ich nach meiner Neigung – der einfachere und bequemere Weg – oder aber fühle ich mich zur Pflicht verpflichtet, die mir lästig und zwanghaft erscheint, oft mit Mühsal und Arbeit – nicht nur der an mir selbst -, sondern mit Aufwand, körperlichem und/oder geistigem Einsatz  einhergeht. Hier kommt also ein angeborenes, anerzogenes oder erworbenes Pflichtgefühl mit  ins Spiel. – Doch diese Entscheidung trägt jeder für sich selbst!

Aber es lässt sich sehr wohl zwischen von außen an uns herangetragenen, vielleicht oft unangenehmen, und den selbstauferlegten – mitunter auch freudvollen – Pflichten unterscheiden. Zum Beispiel Pflichten, die wir gerne übernehmen und ausfüllen.

Wie sieht es nun  „in Zeiten dräuender Not“, wie wir sie eben erleben, mit unserem Pflichtgefühl, der Wahl zwischen Pflicht, Menschenliebe und Neigung aus? Leben wir die Liebe zu unserem Nächsten oder lässt uns das Leid, die Verzweiflung, die Not und der Tod Tausender Menschen wegsehen – lässt uns das alles unberührt?

Für einen Teil der Menschheit trifft das ganz gewiss zu: die Unwissenden, Ungebildeten, Einfältigen, Jugendliche, die sich um ihre „Bespaßung“  betrogen fühlen, die ganz Rechten, die Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker, …

Nicht so – um beispielweise eine Gruppe  zu erwähnen – für  jene Menschen, die in Heil- und Pflegeberufen bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit ihre Pflicht erfüllen – im Dienste am Menschen!  

Gerade und besonders für uns FM sind wir der Menschheit verpflichtet! So gesehen, bedeutet Pflicht auch, Verantwortung zu tragen – in der Welt, der Menschheit, dem Bund/der L.:, uns selbst  gegenüber!

Erinnern wir uns noch an jene Ritual-Textstellen in der Eröffnung und am Ende der rituellen Arbeit?

MvSt    Zweiter Aufseher, was ist Deine Pflicht vor Beginn der Arbeit?

           und  weiter: Erster Aufseher, was ist nunmehr Deine Pflicht?

Und am RA-Ende:

MvSt    Ihr habt gehört, wozu wir berufen sind. Sei jeder eingedenk seiner Pflicht!

… und dies nicht nur im Tempel!

Auch in unserem „Bundeslied“ heißt es (W.A. Mozarts „Freimaurer-

musik [+ Musik der heutigen österreichischen Bundeshymne] ; Text von Emanuel Schikaneder)  in der letzten Strophe:

„Tugend und die Menschheit ehren,

Sich und andere Liebe lehren, das sei uns’re erste Pflicht.

Dann strömt nicht allein im Osten,

Dann strömt nicht allein vom Westen,

Auch im Süd‘ und Norden Licht!“

Erinnern wir uns unserer Pflicht(en), erkennen und leben wir  sie. Nehmen wir uns selbst nicht zu wichtig, stehen wir treu zu uns, unseren Maximen und unseren Mitgeschwistern,  erfüllen wir also unsere Pflicht(en), indem wir tun, was wir tun müssen als Verantwortung, frei von Gedankenlosigkeit, Egoismus und Machtstreben!

Zum Abschluss möchte ich noch (m)ein Gedankenmuster mit auf den Weg geben:

Betrachtet man das deutsche Wort „Pflicht“ wertfrei, ist zu sehen, dass darin noch ein anderes Wort steckt, nämlich LICHT.

LICHT als übergeordneter Begriff stellt für mich die Emanation des alles durchdrin-genden geistigen Lichtes dar – das Licht der Fülle, der Heilung, der Vollkommenheit, das Licht der Liebe. Leben wir dieses Licht und geben es gedanklich/geistig an jene weiter, die es am Nötigsten brauchen. So gesehen, ist PFLICHT auch als Auftrag zu verstehen  – als Auftrag an uns alle!