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Über die Würde

Helene Susanne Grohma                                                                             Baustück, 13. 10. 6022

Über die Würde

Fangen wir mit dem Ende an: „Asche zu Asche“.

So spricht der Pfarrer am offen Grab: “Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“.

So nennt sich aber auch die Firma eines australischen Pyrotechnikers. Er bietet Interessenten an, die Asche ihrer verstorbenen Lieben mit Feuerwerksraketen in den nächtlichen Himmel zu schießen – wie zu Silvester- was nur 4000 australische Dollar kosten soll. Der Firmeninhaber hat diese Explosiv- Beerdigung erfolgreich getestet: mit der Asche seines toten Hundes.

Publik wird das Internetangebot im November 2012, kurz vor Allerseelen:
WÜRDIG?

Das Ende des berühmten Würde-Denkers Marcus Tullius Cicero war extrem unwürdig:
Die Mörder schleiften den Leichnam durch Roms Straßen und stellten den abgetrennten Kopf sowie die Hände auf dem Forum Romanum aus. Fulvia, die Ehefrau des Antonius, hasste den ätzenden Redner Cicero besonders: sie soll dem Toten bei dieser Gelegenheit mit einer Haarnadel die Zunge durchstochen haben.

Der Begriff „Würde“ ist in aller Munde:
Große Fußballspieler verabschiedet man mit Stil und Würde in den Ruhestand,
Politiker verletzen die Würde ihres Amtes,
viele genießen die Würdelosigkeit von TV Shows,
die Würde des Menschen ist unantastbar,
das wissen wir sowieso.

Was die Würde des päpstlichen Amtes betrifft, so sei an Papst Johannes Paul den Ersten erinnert: als er 1978 nach nur 33 Tagen im Amt stirbt und es allerlei Gerüchte über die Todesursache gibt – angeblich plante er radikale Reformen -, beschließt der Vatikan, auf eine Obduktion des Leichnams zu verzichten. Begründung: Obduktionen widersprechen der Würde eines Papstes.

Je häufiger der Begriff Würde hochgehoben wird, desto mehr drängt sich uns der Verdacht auf, dass mit diesem Begriff Gemeinte könnte für immer bald verloren sein, vergessen, verschwendet, verkauft, verkannt von jenen, die dessen wahren Sinn verteidigen wollen. Doch was ist Würde?

Der FAZ- und SPIEGEL-Autor Matthias Schreiber meint dazu:“ Würde ist zugleich gedachter und empfundener Begriff. Ob wir die betreffende Empfindung Hochachtung, Respekt, Ehrerbietung, Staunen, Bewunderung oder gar Liebe nennen, ist definitorisch kaum zu fassen. Der Begriff der Würde hat einen definitiven Sinn, umfasst aber auch so vage Phänomene wie Anmutung der körperlichen Haltung eines Menschen, seine Stimme, seinen Umgangston, sein Verhalten in schwierigen Situationen, ja sogar seiner Kleidung.“

Wahr ist zunächst einmal: Der Mensch hat eine angeborene Würde, die sich aus einer bestimmten Gestaltung seines Lebens ergibt – bedingt durch Zufall oder Tüchtigkeit. Menschen mit zwergenhafter Statur, Menschen mit Behinderungen, Menschen aus schwierigen sozialen Verhältnissen haben es gewiss schwerer, gemäß einem gewissen Würde-Ideal zu leben und aufzutreten, und doch haben sie ihre eigene Würde, die mehr ist als Stolz oder eine unbestimmte Trotzhaltung: die humane Würde einer Gesellschaft erweist sich gerade dadurch, wie sie benachteiligten Menschen begegnet.

Die französische Filmkomödie“ Ziemlich beste Freunde“, nach einer wahren Geschichte, zeigt anhand der ungewöhnlichen Verbindung zwischen einem sehr vermögenden Querschnittsgelähmten im Rollstuhl und seinem mittellosen Pfleger, Ex-Häftling aus schwierigstem Milieu, dass der würdige Umgang mit Behinderten (Menschen mit besonderen Bedürfnissen) mehr braucht als die Perspektive des fürsorglichen Samariters. Der Protagonist des Films ist glücklich, dass sein Pfleger ihm schon bei der ersten Begegnung nicht mit triefendem Mitleid den Rollstuhl schiebt, sondern etwas frech ist, auf gleicher Augenhöhe kommuniziert und sogar Scherze über die grotesken Aspekte seiner Behinderung riskiert.

Sprachgeschichtlich wurzelt das Wort“ Würde“ im althochdeutschen „ wirdi“ und später im mittelhochdeutschen „wirde oder werde“. Es bedeutet Wert, wertvolle Beschaffenheit, Ansehen, Herrlichkeit, Ehre. Der Duden erläutert:

  1. a.  achtunggebietender Wert, der einem Menschen innewohnt, und die ihm deswegen zukommende Bedeutung

b.  Bewußtsein des eigenen Wertes und dadurch bestimmte Haltung

c.  hohe, achtunggebietende Erhabenheit einer Sache, besonders einer Institution

  • mit Titeln, bestimmten Ehren, hohem Ansehen verbundenes Amt, verbundener Rang, verbundene Stellung

Der würdige Bürger der Antike – vergessen wir einmal die Sklaven – benimmt sich weder herablassend noch anbiedernd, weder dummstolz noch unterwürfig, er zeigt sich gelassen angesichts von Ehrungen oder Kränkungen, diskret im Persönlichen, aufrichtig und weltoffen, maßvoll in seinen Bewegungen und Neigungen, kontrolliert und ausgeglichen in der Art zu reden sowie von angenehm mittlerer Statur. So charakterisiert der griechische Philosoph Aristoteles in seiner „Nikomachischen Ethik“ den „hochsinnigen Menschen“.

Der Erste, der nach Aristoteles den Hochgesinnten einen „Würdigen“ nennt, ist der eingangs erwähnte römische Senator und Meisterredner Cicero. Seine Würde-Thesen finden wir vor allem in den Schriften „Vom pflichtgemäßen Handeln (de officiis), und vom „Vom Gemeinwesen (de re publica). Der Autor ist Stoiker und betrachtet den Kosmos als eine Ordnung, die von einer göttlichen Weltvernunft beherrscht wird. Die gemeinsame Würde der Menschen rührt nun daher, dass „wir alle teilhaftig sind der Vernunft und des Vorzugs, durch den wir uns auszeichnen vor den Tieren“, wovon auch „alles Ehrenhafte und Schickliche hergeleitet“ wird, das zum pflichtgemäßen Handeln gehört. „Wenn“, so resümiert Cicero, „wir bedenken wollen, eine wie überlegene Stellung und Würde (dignitas) in unserem Wesen liegt, dann werden wir einsehen, wie schändlich es ist, in Genusssucht sich treiben zu lassen, verzärtelt und weichlich, und wie ehrenhaft andererseits, sparsam, enthaltsam, streng und nüchtern zu leben.“

Als Inbegriff der menschlichen Sonderstellung in der Natur wird die Würde zwar von Cicero ausdrücklich und wiederholt erörtert, dennoch spielt der Begriff in der Antike nicht annähernd die Rolle, die ihm seit der Renaissance in Mitteleuropa mehr und mehr zuwächst. Der wichtigste Vermittler auf diesem langen Weg ist das Christentum mit seiner Schöpfungsgeschichte und seiner Gewissenskultur.

Die frühen Kirchenväter übernahmen die griechischen und jüdisch-christlichen Vorlagen im Wesentlichen und trennten zugleich deutlicher die “wahre“ Würde von der Würde, die durch das äußere Erscheinungsbild, den Geburtsadel oder die gesellschaftliche Stellung des Menschen begründet ist. Die eigentliche Würde sei kein Ruhmestitel und kein Familienerbe, auch nicht irgendeine Amtswürde, sondern das kreatürliche Privileg, Gottes Ebenbild zu sein.

Die Überzeugung von der dem Menschen „wesenseigener“ Würde, wird von einigen Vertretern der Kirche unterschiedlich beschrieben: Augustinus meint, selbst eine sündige Seele sei noch w ü r d i g e r als der edelste menschliche Körper. Andere Kirchengelehrte betonen die Würde des Körpers unter dem Gesichtspunkt, er sei immerhin das angemessene Gefäß für eine unsterbliche Seele.

In der Renaissance verblasst dieser Gottesbezug der edlen Menschlichkeit.

Giovanni Pico (Rede über die Würde des Menschen), oder Gannozzo Manetti (über die Würde und Exzellenz des Menschen) stellen die Freiheit des einzelnen Menschen zur autonomen Lebensgestaltung in den Vordergrund.

Im 18. Jahrhundert bekommen wir durch Kants Kategorischen Imperativ den Inbegriff jener menschlichen Würde, die das moralische Handeln auszeichnet. Kant erobert den Begriff der Würde, der jahrhundertelang nur an die Idee der individuellen Selbstbestimmung eines vernunftbegabten Wesens gebunden war; entscheidend ist die Spannung zwischen Freiheit und sozialer Selbstverpflichtung, Selbstbestimmung und Gesetzestreue, die ihn bis heute auszeichnet. Selbstverwirklichung in Form eines „Ego Trips“ hat eben keine Würde, mag sie auch in einer Gesellschaft, die auf Individualisierung aller Menschen setzt als moderne Norm gelten.

Friedrich Schiller, der dichtende Denker, hat mit seinem Gedicht die „Würde der Frauen“ so mancher feministischen Idee unserer Jahre vorgegriffen, indem er uns Frauen eine besondere Kompetenz für das Zepter der Sitte und des Friedens zugesprochen hat…

Ehret die Frauen! Sie flechten und weben
himmlische Rosen ins irdische Leben,

flechten der Liebe beglückendes Band,

sicher in ihren bewahrenden Händen

ruht, was die Männer mit Leichtsinn verschwenden,

ruhet der Menschheit geheiligtes Pfand.

Ewig aus der Wahrheit Schranken

schweift des Mannes wilde Kraft,
und die irren Tritte wanken

auf dem Meer der Leidenschaft.

Gierig greift er in die Ferne,
nimmer wird sein Herz gestillt,

rastlos durch entleg‘ne Sterne

jagt er seines Traumes Bild.

Aber mir zauberisch fesselndem Blicke

winken die Frauen den Flüchtling zurücke,

in der Mutter bescheidener Hütte

sind sie geblieben mit schamhafter Sitte,

treue Töchter der frommen Natur…

Schiller ist auch derjenige Autor, der in seinen Ausführungen: „Über Anmut und Würde“ (1793) sowie „Über die Erziehung des Menschen“ (1795) Kants grundsätzliche Vorgaben in essayistische Formen gegossen hat, die zum Besten jener Epoche der deutschen Klassik gehören.

Sein Aphorismus über die Würde ist prägend:

Nichts mehr davon, ich bitt Euch.
Zu essen gebt ihm, zu wohnen.
Habt ihr die Blöße bedeckt,
gibt sich die Würde von selbst.

Für den Philosophen Hegel (1770-1831) gibt es wieder einen interessanten Ansatz:

Für ihn findet der Einzelne seine Würde nicht als unmittelbarer Wille – etwa zu Macht und Ruhm -, sondern indem er sich freiwillig einem “Substanziellen unterwirft“: Dem Staat, verstanden als objektiver Geist. „Erst durch das Aufheben der natürlichen Unbändigkeit und durch das Wissen, dass ein Allgemeines, An-und-für-sich-Seiendes das Wahre sei, erhält er eine Würde, und dann ist das Leben etwas wert“, so Hegel in seinen „Vorlesungen über die Philosophie und Religion“.

Wenn also Politiker als Repräsentanten des Staates den einzelnen Bürger an persönliche, finanzielle oder andere Interessen verraten, wenn sie das Substantielle sozusagen privatisieren, handeln sie unwürdig. Ihre Amtswürde resultiert aus der Verpflichtung zur selbstlosen Amtsführung.

Der bekannte Gegenwartsphilosoph und Romancier Peter Bieri, geb. 1944 in Bern, hat die Würde ebenfalls zum Gegenstand seines Nachdankens gemacht. Er erforscht die Würde nicht als Recht oder als Eigenschaft, sondern als eine Art zu leben, so auch der Titel seines Buches.

Die Würde des Menschen, so der Autor, ist etwas Wichtiges und etwas, was nicht angetastet werden darf. Doch was ist es eigentlich? Wenn wir versuchen Klarheit zu gewinnen, können wir zwei verschiedene gedankliche Wege gehen. Der eine ist der Weg, auf dem wir Würde als Eigenschaft von Menschen auffassen – als etwas, was sie kraft der Tatsache besitzen, dass sie Menschen sind. Bieris Zugang, die Würde des Menschen zu verstehen, ist ein anderer Weg, nämlich Würde als Lebensform zu sehen.

An der Lebensform der Würde kann man drei Dimensionen unterscheiden, die eine ist die Art, wie ich von anderen Menschen behandelt werde. Ich kann von ihnen so behandelt werden, dass meine Würde gewahrt bleibt, und sie können mich so behandeln, dass meine Würde zerstört wird. Hier ist die Würde also etwas, über das andere bestimmen.

Die zweite Dimension betrifft wiederum die anderen Menschen, mit denen ich zusammenlebe. Doch dieses Mal geht es nicht darum, wie sie mich behandeln. Jetzt ist die Würde etwas, über das nicht andere bestimmen, sondern ich selbst. Die leitende Frage lautet: welche Muster des Tuns und Erlebens den anderen gegenüber führt zu der Erfahrung, dass ich mir meine Würde bewahre, und mit welchem Tun und Erleben verspiele ich sie?

Auch in der dritten Dimension bin ich es selber, der über meine Würde entscheidet. Es geht um die Art, wie ich zu mir selbst stehe.

Die Frage, die man sich stellen muss lautet: welche Art, mich selbst zu sehen, zu bewerten und zu behandeln gibt mir die Erfahrung der Würde? Und wann habe ich das Gefühl, meine Würde durch die Art und Weise zu verspielen, wie ich mich zu mir selbst verhalte? Die drei Dimensionen lassen sich für Bieri gedanklich klar trennen. In der Erfahrung gewahrter, beschädigter, oder verspielter Würde greifen sie ineinander.

Bieri beleuchtet Würde in ausgewählten Erscheinungsformen:

Würde als Selbssttändigkeit, als Begegnung, als Achtung vor Intimität, als Wahrhaftigkeit, als Selbstachtung, als moralische Integrität, als Sinn für das Wichtige und schließlich als Anerkennung der Endlichkeit.

Ich wählte von diesen, ohne Wertung, „Würde als Selbstständigkeit“, „Würde als Achtung vor Intimität“, „Würde als Begegnung“, sowie „Würde als Anerkennung der Endlichkeit“ aus, um seine Sicht darzustellen.

Würde als Selbstständigkeit:

Wie wollen über unser Leben selbst bestimmen. Wir wollen selbst entscheiden können, was wir tun und lassen. Wir möchten nicht auf andere angewiesen sein. Wie möchten unabhängig und selbstständig sein. All diese Worte beschreiben ein elementares Bedürfnis, es ist der innere Kompass unseres Lebens. Wir sind sicher, in dieser Selbstständigkeit liegt die Würde begründet.

Aber wir sind nicht alleine und können nicht alles alleine machen. Wir hängen auf vielfältige Weise von anderen ab und sie von uns. Wir sind auf sie angewiesen. Was davon schafft natürliche Beziehungen, ohne die wir nicht sein möchten, und was davon erleben wir als Abhängigkeit die unsere Würde bedroht.

Jeder von uns ist ein Zentrum des Erlebens. Ein Wesen mit Bewusstsein, ein Subjekt. Das Selbstbild, das wir als Subjekte haben, ist nicht nur ein Bild davon, wie wir sind, sondern auch eine Vorstellung davon, wie wir sein möchten und sein sollten. Zu unseren Fähigkeiten, als Subjekten gehört das Vermögen, uns selbst bewertend zum Thema zu machen und uns zu fragen, ob wir mit unserem Tun und Erleben zufrieden sind. Dann machen wir etwas mit uns und für uns. Man könnte sagen, wir arbeiten an unserer seelischen Identität. Als Subjekte wollen wir nicht benutzt werden, das beschädigt unsere Würde.

Ein kleines Beispiel:
Auf einer Reise kam der Autor auf einem Jahrmarkt vorbei und sah dort etwas, was er nicht für möglich gehalten hätte: einen Wettbewerb im Werfen von Zwergen! Ein kräftiger Mann packte einen kleingewachsenen Menschen und schleuderte ihn so weit wie möglich auf eine weiche, federnde Matte. Der Geworfene trug eine gepolsterte Schutzkleidung mit Griffen und einen Helm. Die gaffende Menge klatschte und johlte bei jedem Wurf. Der weiteste Wurf war fast 4m. Er erfuhr, dass der Geworfene bei der Weltmeisterschaft im Zwergenwerfen dabei gewesen war. Denn das hatte es tatsächlich gegeben: eine Weltmeisterschaft im Schleudern von Menschen.

In Frankreich wurde die Praxis des Zwergenwurfes verboten, und die Kommission für Menschenrechte der UNO hatte eine Klage gegen diese Entscheidung abgewiesen. Die Begründung hatte gelautet: es gilt die Würde des Menschen zu schützen. Die spontane Reaktion des Autors auf dem Jahrmarkt war verständlich:“, Abstoßend, Unerträglich!!“
„Wieso“, entgegnet ein Zuschauer neben ihm gereizt, „niemand hat ihn dazu gezwungen, er bekommt einen Haufen Geld dafür und es ist ein Riesenspaß!“

Bieri :
Dem geworfenen Menschen wird die Würde genommen, weil außer Acht gelassen wird, dass er ein Subjekt ist. Dadurch wird er auf einen bloßen Gegenstand, auf ein Ding reduziert, und in dieser Verdinglichung liegt der Verlust der Würde.

Abends nach der Veranstaltung ergab sich folgender Dialog zwischen dem Star des Zwergenwurfes und dem Autor:

B:         Dass Sie das aushalten.
Z:         Kein Problem, man fällt weich.
B:         Das meine ich nicht, ich meine nicht die Gefahr.
Z:         Was dann?
B:         Die Würde.
Z:         Wovon reden Sie?
B:         Davon, dass man Sie beim Werfen als bloßen Gegenstand behandelt, als bloßes Ding
Z:         Manchmal wirft man Kinder. Die quietschen vor Vergnügen.
B:         Das ist etwas Anderes. Sie werden nicht als bloße Gegenstände behandelt, sondern       als Wesen, denen man ein Vergnügen bereitet. Es geht dabei um sie selbst, um         das      was sie erleben.
Z:         Ich will Ihnen mal was sagen: Wenn einer so aussieht wie ich, dann hat er es       verdammt schwer, sein Geld zu verdienen. Wer stellt schon einen Zwerg an. Und       noch etwas: Ich stelle mich der Show freiwillig zur Verfügung. Ich habe mich         entschieden, mich benutzen und begaffen zu lassen.
            Haben Sie von Manuel Wackenheim, dem französischen Zwerg gehört? Er ist bis vor      die UNO gezogen, um sich sein Recht, im Zirkus geworfen zu werden, zu erkämpfen.        Er hat verloren.
            Es verstoße gegen die Würde des Menschen, sagten die Richter.
            Ich frage Sie: „Und was ist mit der Würde, die in der Freiheit der Entscheidung liegt?“

In der Tat, will man dem Zwerg wirklich seinen Würdeanspruch nicht zubilligen, weil er der objektiven Menschenwürde widerspricht? Erringt die objektive Menschenwürde, wie immer sie auch definiert wird, ihre Siege um den Preis individuellen Würdebewusstseins? Kann es also ein menschenwürdiges Leben in menschenunwürdiger Umwelt nicht geben?

Viktor E. Frankl meint in anderem Zusammenhang: Bewusstsein und Anspruch eigener Würde ließen den Einzelnen auch in unmenschlichen Lagen trotzdem „JA“ zum Leben sagen.

Würde als Achtung vor Intimität:

Jemand kann seine Würde verspielen, indem er Intimes ohne Not preisgibt, und in roher Form, ohne gedankliche Bearbeitung an die Öffentlichkeit bringt, also vor Leute, die sonst nichts mit ihm und seinem Leben zu tun haben. Es gibt keinen Grund aus einer Begegnung heraus, es ist eine Entblößung vor wildfremden Menschen. Der Schutzwall um das eigene Erleben wird eigenhändig weggesprengt, und die grellen Lampen gehen an.

Das kann auf einer Party geschehen, in die man hineingestolpert ist, und vielleicht zu viel getrunken hat. Oder jemand breitet seine intimsten Gedanken, Gefühle oder Obsessionen vor laufenden Fernsehkameras aus, vor voyeuristischen Journalisten und Fotografen der Boulevardpresse. Ganz zu schweigen von den sozialen Netzen des Internets.

Es kommen verborgene Ängste und Hoffnungen ans Licht, religiöse Überzeugungen, skurrile Gewohnheiten und geschmackliche Neigungen. Auch Symptome von Krankheit und Zerfall, werden auf diese Weise den neugierigen, sensationslüsternen Blicken eines anonymen Publikums dargeboten.

Wenn wir unbedacht in so etwas hineingestolpert sind, kann es geschehen, dass wir daraus aufwachen wie aus einem bösen Traum. Was habe ich da mit mir machen lassen, was habe ich da nur gemacht? Es kann eine Verstörung bedeuten, die lange anhält. Wir erleben einen Verlust, und wenn wir ihn benennen müssten, würden wir sagen: Es ist ein Verlust der Würde, kein anderes Wort trifft es. Es ist ein Beispiel, dass der Begriff der Würde unverzichtbar ist.

Aber es kann auch geschehen, dass man sich mit seinen verborgensten Empfindungen vor der Öffentlichkeit zeigt und dass die eigene Würde gerade in einer solchen Offenbarung liegt. Man kann sich das vor Gericht vorstellen: Ich zeige mich in meiner Verletztheit, meinem Schmerz, und meinem Hass, der mich zu der Tat getrieben hat.

Oder am Grab: Ich lasse zu, dass jeder in meinen Tränen meine Erschütterung, meine Trauer und meine Verlassenheit sieht. Oder auch in einer politischen Rede, in der sich meine Wut und Empörung über Demütigung, Unterdrückung und Ungerechtigkeit Bahn brechen. Die Situation hat es herausgefordert, und jetzt schreie ich die Empfindung heraus. Ohne es geplant zu haben, zeige ich mich, wie man mich sonst nicht gekannt hat. Während ich mich zeige, spüre ich, meine Würde liegt in diesem Augenblick darin, mich nicht länger zu verstecken.

Würde als Begegnung:

„Reden Sie MIT mir!“

Man kann jemanden missachten und in seine Würde beschädigen, wenn man über ihn redet, statt zu ihm. Die Begegnung wird verweigert. Ein kleines Beispiel:

„Ist das die Leberzirrhose?“, fragt der Chefarzt die Assistentin als er grußlos an mein Bett tritt.

„Pankreas“, sagt die Assistentin.

Der Chefarzt beugt sich über die Krankenakte in ihrer Hand, seine Wange streift ihr Haar.

„Liegt schon ziemlich lange.“

„Wann kann ich nach Hause?“, frage ich den Chefarzt.

„Es ist noch nicht so weit“, sagt der Chefarzt zur Assistentin, den Blick in der Akte.

„Was ist denn los mit mir?“, frage ich.

„Wir müssen ihn noch einige Zeit beobachten“, sagt der Chefarzt zur Assistentin.

„Herr Professor Müller, ich möchte wissen, was mit mir los ist?“, sage ich ärgerlich.

„Ein komplizierter Fall“, sagt der Professor, mit Blick in die Krankenakte.

„Verdammt, reden sie mit mir!“, schreie ich. „Reden sie mit mir, reden sie mit mir!!“.

„Warum sind diese Patienten nur so ungeduldig?“, sagt der Professor, schüttelt den Kopf und tauscht ein Lächeln mit der Assistentin.

Da werfe ich ein Wasserglas nach ihm, es knallt gegen die Wand. Der Chefarzt nimmt den Arm der Assistentin.

„Nicht beachten. Wie wär`s mit einem Kaffee?“

Würde als Anerkennung der Endlichkeit

Durch Alter oder Krankheit kann es dazu kommen, dass wir unsere Selbstständigkeit als Subjekte verlieren. Es ist ein Prozess des langsamen Verfalls. Am Ende sind wir auch keine Partner von Begegnungen mehr, wir werden einsam, weil wir nicht mehr wissen, wie das geht, jemandem begegnen. Wir haben den Sinn für Intimität und Nähe verloren. Durch beides, die verlorene Selbstständigkeit und die verlorenen Begegnungen, gerät die Würde in Gefahr.

Was können wir uns vornehmen, um die Würde von Menschen, die sich verloren haben, zu verteidigen? Wir dürfen sie nie ganz abschreiben und dürfen ihnen nicht das Gefühl geben, dass wir sie nicht mehr als Person wahrnehmen. Dazu eine kleine Geschichte von Bieri:

Als ich eines Tages meine Tante im Pflegeheim besuchte, traf ich dort meinen Lateinprofessor, bei dem ich studiert hatte. Er war vor wenigen Tagen eingezogen, und man konnte sehen, warum. Er war wackelig auf den Beinen, musste sich wegen Schwindels oft festhalten und seine Hände zitterten heftig.

„Es ging zu Hause nicht mehr, ich habe alle hinuntergeschubst, Berge von Scherben. Und jetzt? Ja, jetzt bin ich hier.“

Ich musste weiter und schüttelte seine knochige, zitternde Hand.

Einen Monat später ging ich wieder hin, er war nicht mehr da. Zwei Tage nach meinem Besuch hatte man das Zimmer am Morgen leer gefunden. Er war bei Nacht und Nebel getürmt. Nach Athen. Seine Schwester kannte die Adresse. Ich weiß nicht warum, ich fuhr hin. Einzimmerwohnung zum Hinterhof, Kochnische mit Scherben am Boden, Sprachbücher für Neugriechisch.

„Es war diese Begebenheit“, sagte er. „Halb sechs am Nachmittag, ein heißer, heller Sommertag. Die Türe zum Nachbarzimmer stand offen, so dass ich sehen und hören konnte. Eine Schwester hatte einen Mann mit Katheter ins Bett gebracht.

‚Und jetzt nehmen wir noch ein weißes, putziges Kügelchen zum Schlafen‘, sagte sie.

Das Wasserglas schlug gegen seine Zähne. Dann ließ sie die Jalousie herunter bis es dunkel war.

‚Warum stecken Sie einen erwachsenen Mann um diese Zeit ins Bett und betäuben ihn, damit er schläft?‘. Ich erstickte fast an meiner Wut.

‚Schichtwechsel‘, sagte sie, ‚ich habe jetzt Feierabend.‘

Da wusste ich, hier würde ich nicht bleiben. Nicht an einem Ort, an dem man die alten und verlorenen Menschen einfach nur verwaltete. Wo die Zeit des Dienstplanes die einzige Zeit war, die zählte, und wo man nicht einmal mehr daran dachte, dass jeder, der dort lebt, seine eigene Zeit lebt und beanspruchen kann, dass man sie ihm lässt. Verstehst Du?“.

Er hatte mich früher nie geduzt. Es war ein kostbarer Moment. Später gingen wir in die Taverne. Ab und zu musste er sich festhalten. Es gab dort andere Männer mit zitternden Händen. Hin und wieder kehrte der Wirt Scherben zusammen.

„Hier bleibe ich jetzt“, sagte mein greiser Lehrer, „Hier, in Athen.“

Ich nickte. Einige Monate später rief mich seine Schwester an. Er war von einem Bus überfahren worden. Ein Unfall, hieß es.

Oder hat er selbstbestimmt, im Interesse seiner individuellen Würde gehandelt?

Unser Leben als denkende, erlebende und handelnde Wesen ist zerbrechlich und stets gefährdet – von außen wie von innen. Die Lebensform der Würde ist ein Versuch, diese Gefährdung in Schach zu halten. Es gilt, unser stets gefährdetes Leben selbstbewusst zu bestehen. Es kommt darauf an, sich von erlittenen Dingen nicht nur fortreißen zu lassen, sondern ihnen mit einer bestimmten Haltung zu begegnen.

Schlusswort

„Es scheint jedenfalls dringend erforderlich, den Begriff Menschenwürde immer wieder ins Gespräch zu bringen, ihn zu hinterfragen und neu zu definieren, um ihn dadurch mehr als bisher zu verinnerlichen und anzuwenden. Auch ein Bekenntnis zum Humanismus kann zu einer stärkeren Beachtung der Menschenwürde beitragen, denn seine Definition lautet sehr konkret: Humanismus ist ein Denken und Handeln das sich an der Würde des Menschen orientiert und dem Ziel menschenwürdiger Lebensverhältnisse dient.“
Rudolf Kuhr (Philosoph und Publizist)

Indolenz – sind wir Freimaurer davor gefeit?

Nun, wer hat sich darauf vorbereitet, den Begriff Indolenz in Erfahrung zu bringen, bevor er/sie sich heute zum BS niederlässt. (Anregung zur Wortmeldung)

Na, so zahlreich und vorallem zielgerichtet war die Vorbereitung der Einzelnen wohl nicht?

Damit könnte das BS eigentlich schon abgeschlossen werden, da die Verifikation gelungen ist.

FM sind vor Indolenz NICHT gefeiht.

Zumindest der lateinische Wortstamm (hier sogar –stämme) hätten im Stowasser „gegoogelt“ werden können und dann zu folgender Erhellung geführt:

Dolus,-us, der Vorsatz, oder in seiner „schlampigen“ Verneinung ‑ der In-Dolus ‑, als Vorsatzlosigkeit oder besser vielleicht Antriebslosigkeit,

Indolentia, ae ist die Schmerzfreiheit, Schmerzlosigkeit, schlicht auch Gleichgültigkeit oder wie der Wiener sagt: schmerzbefreit; hiezu noch wienerisch tiefer und wörtlich von Alfred Dorfer entlehnt:

…“ für den Buddhisten gibt es Jing und Jang, für den Wiener gibt es noch einen Bereich in der Mitte: WURSCHT“ ….

Nun, wenn auch das Folgende beinahe als eine „Spätlese“ meiner letzten 18 FM-Jahre durchgehen könnte, so soll es aber über eine Reflexion hinausgehen und vor allem auch ein Weckruf werden.

Womit wurde ich zur FM geködert?

Gedanken abseits vom Mainstream zu entwickeln, Pluralismus statt schwarz/weiß zu Gesellschafts- und Tagesthemen entwickeln, Zusammenhalt/Verschworenheit einer Gruppe, die sich auf einander verlassen kann, auch (oder obwohl) sie differenzierten soziologischen Ursprungs ist.

Mut und Zivilcourage im Innen wie im Außen, Persönlichkeitsentwicklung vor allem durch die Macht der Sprache und Rhetorik, dies alles mit gestärktem Rücken in das profane Leben getragen und umgesetzt usw. usw.usw.

In allen Ritualen steht dies wortwörtlich im Vordergrund, sodass die 3 Stufen zur Meisterschaft und die darin enthaltenen Gelöbnisse von mir leicht leistbar waren, ebenso das rituelle Erleben und ‑ über mehrere Jahre als Stuhlmeister – die Leitung dieser Mantren.

Nun, was habe ich vorgefunden?

Für die Jungen unter uns mag dies nun schockierend klingen, aber vielleicht lehrreich und ausreichend abschreckend, für die Abgestumpften und Verdränger unter uns einen Weckruf, um ein „bis repedita non placent“ (Wiederholungen gefallen nicht) allzeit vor Augen zu haben:

Erkenne Dich selbst, Beherrsche Dich selbst, Veredle Dich selbst!

Erkenne Dich selbst (und erschrick nicht) war ein Buch von Br. Andi Salcher; hier habe ich niemanden erschrecken sehen ……. und das ist eigentlich nicht gut so.

Nach einer gewissen Zeit der Eingewöhnung und des Innehaltens wurde versucht, sich vereinzelten Gruppen anzuschließen, die mehr oder weniger ähnlich waren, wie man selbst; Selbstbestäubung oder Selbstbetäubung war wichtiger als Selbstreflektion.

Diese Selbstreflektion ist aber Kern der Entwicklungsstufen;

mehr noch: ein Aufruf zur Selbsterkenntnis.

Hierbei ist der Aussen-, wie auch der Innensicht des Logenlebens gleichwertige Bedeutung zu schenken.

Im Aussen werden die Menschen insgesamt klüger. Die Welt schaut, mit allen Schwächen, besser aus als vor hundert Jahren, aber der große Kampf heißt heute Aufklärung gegen Fundamentalismus. Der aufgeklärte Mensch, der zweifelnde Mensch, entwickelt sich weiter und sorgt Stück für Stück dafür, dass die Welt besser wird.

In unseren heiligen „liberalen“ Hallen, in denen die edle Sprache zunehmend verloren geht, glauben einige, dem Fundamentalismus bzw. Dogmen die Stirne zu bieten (bzw. bieten zu müssen), schütten dabei aber den Pragmatismus gleich mit dem Bade aus.

Die FM ist und war nie fundamentalistisch oder dogmatisch, denn sie steht nicht für die Geisteshaltung oder Überzeugung einer sozialen Bewegung, die ihre inhaltliche Grundlage als einzig wahres Fundament annimmt.

Sie soll gerade eben keine letztbegründende Auslegung anbieten.

Der Pragmatismus, der die Wahrheit seiner Theorie am praktischen Erfolg misst, ist durch pragmatisches Handeln nicht an unveränderliche Prinzipien gebunden; er erfährt durch die Rituale der FM einen Korridor, auf dessen Wände lediglich Parolen gesprayt sind, die einen nicht vergessen lassen sollen, wohin man eigentlich wollte.

Der Liberalismus ist hier nur als Schmiermittel zu denken, der das Durchschreiten des Lebenskorridors geschmeidiger gestaltet; kurz dazu ein greifbares Beispiel:

Dass wir ‑ Frauen wie Männer ‑ in der Loge zusammenarbeiten, hat mit den zu erreichenden, gemeinsamen Entwicklungszielen am Ende des Korridors überhaupt nichts zu tun; die Überwindung der Ausgrenzungsdenke, die keiner Logik standhält, war deshalb von liberalen Kräften initiiert und überdies pragmatisch, da – im Sinne der Graffiti auf den Korridor-Wänden – völlig unbedenklich.

Was damit erfolgreich bekämpft wurde, war der falsche FM Fundamentalismus, der sich hinter Deutungen wie „regulär“ und „irregulär“ verbirgt. Dieser aber konnte auf diese Strömungen ex substantivo keine Antwort haben.

Das Selbstverständnis (oder Selbsterkenntnis im Aussen) kann und darf also nicht darin liegen, das Trennende zu suchen, um sich dann selbstherrlich einen pseudointellektuellen Neuanstrich zu verpassen, sondern das Einigende (sprich: dieselbe Graffiti auf den Wänden des Korridors), bis auf weiteres als Grundkonsens zu respektieren.

So, nun steht aber unsere liberale FM breitbeinig und mit verschränkten Händen da; erklärt wie ein trotziges Kind, den Brei nicht kosten zu wollen, ja nicht einmal das jahrhundertealte Kochrezept lesen zu wollen, sondern von Grund auf alles neu zu erfinden.

Um in der Methaper von oben zu bleiben, wir lesen und verstehen die Graffiti im Korridor gar nicht, übermalen sie inhaltslos und schenken dem Ende des Tunnels und damit dem Licht keine Aufmerksamkeit mehr.

Denn der Feind der Selbsterkenntnis – die Eitelkeit – hat längst (und hier sage ich bewusst) fundamental von unserem Denken Platz gegriffen; glaubt denn wirklich einer von Euch er sei etwas Besseres, weil er Teil dieses Freundeskreises ist, der mittlerweile beliebig mit Kaffee- und Kuchenkränzchen ersetzt werden könnte?

Ist es wirklich das neue Mantra, „……. das besprechen wir dann bei der WT oder an der Bar…….“,

dem wir die diskursive Entwicklung unserer Potentiale opfern wollen?

Nun, wo sollte es hingehen?

Ihr seht, ich komme langsam zur Selbsterkenntnis im Inneren, die eng verwoben ist mit der Erkenntnis, ob man von den richtigen Freunden umgeben ist. „…. Zeige mir Deine Freunde und ich sage Dir wer Du bist …..“; ein altes Mantra, dass der Jesuit Baltasar Gracian zu Beginn des 17Jh in seiner Schrift: „Handorakel, (oder) die Kunst der Weltklugheit“ noch differenzierter beschreibt bzw. von Br. Salcher interpretiert wird:

Entkomme der Automatik solcher Freundschaften. Liefere dich nicht völlig dem Zufall aus. Suche die richtigen Freunde. Er sagt aber auch (sinngemäß, Anm.): „Das Wirkliche im Leben ist die Tugend, die Selbstverwirklichung, wo du dich auch um andere kümmerst. Eben in der Rolle des Mentors. Aber wenn du mit oberflächlichen Menschen zusammen bist, kannst du das Potenzial zum Nobelpreisträger haben, du wirst es nicht!“

Sogar wissenschaftliche Studien belegen: Wer die richtigen Freunde hat, lebt länger. Das ist nicht banal. Gracián hat eine klare Antwort dazu: Du sollst mit Menschen zusammen sein, zu denen du aufschaust und von denen du lernen kannst. Um dich weiterzuentwickeln. Wenn dich ein Mensch eher hinunterzieht, soll man die Kraft haben, sich im Guten, das ist wichtig, von ihm zu trennen

Wir Gründungsmeister der Loge Logos hatten genau dies vor Augen, als wir uns vor acht Jahren von Freunden aus der Loge GE getrennt hatten und ein gemeinsames „Mission Statement“ verfasst und vorgetragen haben. Wir vermeinten, dass uns die Eitelkeit dieser Freunde den Blick auf das Wesentliche, hier das Ziel am Ende des Korridors, verstellen würde.

Vergesst nie, dass dies die Basis sein sollte, wie WIR fortan mit uns umgehen und Ziele erreichen wollen, aber Hand aufs Herz: wem von Euch war damals die Reichweite des „Mission Statement“ bewusst oder kann sich gar noch daran erinnern?

Warum nun gerade die Eitelkeit?

„Die Eitelkeit ist die Furcht, original zu erscheinen, also ein Mangel an Stolz, aber nicht notwendig ein Mangel an Originalität“ schreibt Nietzsche und fügt andernorts sinngemäß hinzu: „Man muss sich also eingestehen, dass die eitlen Menschen nicht nur Anderen gefallen wollen, sondern viel mehr sich selbst, und dass sie sogar so weit gehen, ihren Vorteil dabei zu vernachlässigen; denn es liegt ihnen oft daran, ihre Mitmenschen ungünstig, feindlich, neidisch, also schädlich gegen sich zu stimmen, nur um die Freude an sich selber, den Selbstgenuss, zu haben.“

Am Anfang unserer Neuausrichtung stand vielleicht das Wort, der Logos, aber die Realität unseres unmittelbaren Umfelds zeigte uns, wie grenzlos naiv wir die Sache begonnen hatten.

(und hier wiederhole ich bewusst Nietzsches vorheriges Zitat noch einmal ganz langsam): denn es liegt ihnen oft daran, ihre Mitmenschen ungünstig, feindlich, neidisch, also schädlich gegen sich zu stimmen, nur um die Freude an sich selber, den Selbstgenuss, zu haben.“

Unter dem Mantel der Liberalität wurde profane Frechheit und ehrenrühriges Verhalten als freie Meinungsäußerung und zu akzeptierende Fehler unter Geschwister bzw. eben Freunden missdeutet; all das, um bloß nicht selbst Stellung beziehen zu müssen oder gar ins Kreuzfeuer zu gelangen.

Unsere (aber auch die der Anderen) Eitelkeit war die die Verkennung unseres äußeren Umfelds.

Die Feigheit tat ihr Übriges.

ABER, das „… Wurscht …“ war die Verkennung unseres inneren Umfelds.

Der BR wird das schon regeln, wir vertrauen deren Stärke, erbosen uns im Geheimen, halten sonst aber die Klappe; und mit den gemeinsamen Feinden vor Augen wird unsere Loge schon im Innen geeint und gestärkt hervorgehen. Hier der zweite Irrtum, der aus derselben Indolenz generiert wurde.

Wenn ich mein Sein delegiere, ist es so, wie den Mantel an der Garderobe abgeben.

Nun, jetzt sind die „Feinde“ außerhalb der Loge nicht mehr da. Dies haben wir aber nicht unserem Heldenmut und unserer Ethik zu verdanken, sondern der Selbstauflösung.

Im wirklich Inneren ist der Fortschritt nämlich auch erlahmt.

Dazu wieder ein kleiner Merksatz von Gracián: „Die Person soll immer wichtiger als das Amt sein, soll das Amt übertreffen. Bei vielen unserer Politiker hat man das Gefühl, sie haben überhaupt nur einen Stellenwert, weil sie das Amt haben. Es fehlt ihnen das Anliegen. Die brennende Leidenschaft.“

Und dies führt mich zum großen Brennen für die gemeinsame Sache:

Recht beiläufig werden Ämter angenommen, die seit Urzeiten in der Reihenfolge 1.A bis MvSt rotieren, da sie auch eine innere Gewahrwerdung der jeweiligen Erfahrungs- und Entwicklungsstufen beinhalten.

Die Realität ist aber: ……. „na gut, dann mach ich’s halt…“ gefolgt von einem laschen Händeheben; ähnlich wird die Verantwortung bei der Weiterentwicklung der Rituale oder Hausgesetze, der Ausbildung von Lehrlingen und Gesellen, bei Meldungen zu und Durchführung von Suchendengesprächen, der Verantwortung, ob immer Speis und Trank da ist, die Miete bezahlt wird oder gar der Bedienung der Musikanlage: „…… wurscht, …. wird’s / soll’s halt ein anderer machen!“

Großspurig wird mehr an Wissen und Lernen im Kreise eingefordert, aber eigene Beiträge, ja auch ein Perfektionierung der Analyse- und Gesprächskultur wird ‑ wie im Profanen ‑ sträflich vernachlässigt.

Erziehung ist Lehren, ewiges Lernen ist Voraussetzung für die FM. D.h. Erziehung erleben und zu akzeptieren ist die Grundvoraussetzung für ewiges Lernen.

Welcher Tempelbau kann entstehen, wenn der Lehrling es schon bei Betreten der Baustelle besser weiß, als der planende Meister, der durch lebenslangen Versuch und Irrtum zu dem wurde, was er ist?

In keinem Beruf würde der Praktikant sich trauen, Vorgaben des Werkstattleiters laufend zu hinterfragen, in keinem Beruf würde der Werkstattleiter jeden Augenblick erklären müssen, warum die Prozesse so und so ablaufen; nur in unserer ‑ vielleicht auch pseudoliberalen ‑ FM ist das möglich?

Es war bis vor ein paar Jahren ein großes Mühsal, aus diesem Kleingartenverein in der Hofburg eine halbwegs funktionierende Gemeinschaft zu zimmern, die auch international Respekt genießt. Organisationsstruktur, Finanz- und Budgetrichtlinien zu erarbeiten, sowie einen halbwegs brauchbaren Führungskader zu installieren.

Wie erleben dies unsere Mitglieder: ….. wurscht …. Obödienz und Weltenbund, was ist das? Hauptsache alle rundherum funktioniert, ja selbst das Interesse am Wie und Was wird delegiert und in noch schlimmeren Fällen, ignoriert. Wie sollen Weiterentwicklung und „….. in die Fußstapfen treten“ funktionieren, wenn die Nachfolgenden nicht einmal das bestehende Rüstzeug beherrschen wollen?

Wie kann das Geheimnis der FM ergründet werden, wenn ich zu indolent bin, mich mit den Wurzeln und Zielen zu beschäftigen?

Hier muss ich noch in einen Exkurs eintauchen, der symptomatisch für die herrschende Tempelkultur im Umgang mit durchaus wichtigen Themen ist:

Die Diskussion, was für ein „Buch“ am Altar zu erliegen kommen sollte. Denn dies ist eben nicht wurscht. Ob Gilgamesch Epos, ob Tanach, Altes oder Neues Testament, ob Koran oder Bhagavadgītā oder viele mehr. Diese sind eben keine weißen Bücher… und warum nicht?

Weil ein weißes Buch den ewigen Kampf der Menschheit gegen ein schier allgegenwärtiges Schicksal nicht abbilden kann. Und darum geht es hier: um Sammlungen von Erfahrungen und Vorgehensweisen gegen immer wiederkehrende Probleme oder das Erkenntnissuchen der Menschheit.

Unabhängig davon, ob ein Einzelner an das Schicksal glaubt oder nicht, so wird er in seinem gesamten Leben mit der Frage konfrontiert, ob er vor einer Wegegabelung nach links oder rechts geht, ob die eine oder andere Entscheidung zu einer anderen Lösung geführt hätte, diese Entscheidung ihn zu einem glücklicheren oder erfolgreicheren Menschen gemacht hätte oder nicht.

Nur der uneinsichtigste Mensch überantwortet sein Los letztlich nur dem Schicksal, weil er sein eigenes Scheitern nicht eingestehen will. In Folge wird er religiös, delegiert sich an eine höhere Macht und hört zu denken auf.

Nun wird das nicht singulär erlebt, sondern in Gemeinschaft und es ergeht jedem so.

D.h. das Zusammenleben um diesen inneren Konflikt herum, bedarf des Austausches von verprobten Erfahrungen, die sich letztlich – im jüdisch christlichen Weltenraum – in den 10. Geboten manifestierten, welche sich im Übrigen durch alle vorzitierten Schriften ziehen und in der Erklärung der Menschenrechte vollinhaltlich (mit geringfügigen Erweiterungen) wiederum Einzug gehalten haben.

Zur Wissensbildung: 620 v. Chr. wurden Moses‘ 10 Gebote sogar auf 613 Gebote (MIsrot), eigentlich Rechtsfälle ausgeweitet, da der Regelungs- und Machtwahn des Priesterkönigs Joschija dies verlangte; nur 30 Jahre später, in die babylonische Gefangenschaft konnte niemand dieses Regelwerk mitnehmen, also wurde mündlich und auswendig tradiert, was aber abermals beim Succus der 10. Gebote ausreichend Entsprechung fand.

Diese Regeln stellten sohin unabhängig vom Glauben an Schicksal, Gottheiten oder ähnliches das minimale Rüstzeug dar, an dem jede Entscheidung des Individuums zu verproben war. Wurde jede individuelle Entscheidung eines jeden Einzelnen in der Gemeinschaft an diesen Regeln gemessen und danach gelebt, war wenigstens das fast perfekte Zusammenleben dem Schicksal entzogen.

Alle anderen Geschichten die in vorgenannte Schriften Einzug hielten, waren nur mehr Beschreibungen von „richtigen“ oder „falschen“ Lösungsansätzen von und für Lebenssituationen, die sich über Jahrtausende und bis heute wiederholen, weil sich der Mensch in seinem Sein, Werden und Streben nie geändert hat.

Egal, ob es sich um die Grundregeln des Zusammenlebens ‑ u.a. abgebildet in den 10. Geboten ‑ oder um die subjektiven Irrungen des Individuums handelt, die aus Hochmut, Habgier, Genusssucht, Zorn, Selbstsucht, Missgunst oder Ignoranz, Unglück über die Mitmenschen bringen, all dies sind verkürzte Lehr- und Lernsätze, die in Erziehung und Bildung ihren festen Platz einnehmen müssen, damit das tägliche Handeln und Denken einen festen und unverbrüchlichen Rahmen erhält.

Wie Ihr sicher wisst, begründete gerade der Kampf mit dem Schicksal die griechische Tragödie, in der der „schuldlos schuldige“ Protagonist auftrat und seine Verstrickungen und vergeblichen Lösungsansätze mit dem Publikum teilte. Das Publikum sollte daraus seine eigenen Matrizen ziehen.

Ähnlich „vorbildwirklich“ verhielten sich die Lehr- und Lernsätze, die das Schicksal im Zaume halten sollten. Die Symbolik dieser Bücher in der FM haben also mit Religion per se überhaupt nichts zu tun.

In einer vor-gesetz-gebenden Zeit – und abgesehen von der griechischen Tragödie ‑ hatten sich halt ausschließlich die Religionen dieser Themen vordringlich und leider auch aus Machtstreben angenommen.

Dieses Geheimnis der unverbrüchlichen Grundsätze des Zusammenlebens haben die ersten FM in die Alten Pflichten gegossen, abgewichen sind sie aber nicht, denn sie haben Ewiggültiges erkannt.

Wenn in vorbeschriebener Weise teleologisch und analytisch an das Thema „Buch am Altar“ herangegangen wird, können pluralistisch natürlich viele Diskussionsergebnisse hervorkommen, aber ein stammtischreflexartiges „Muss einfach weg, weil ich an keinen Gott glaube!“ wird auf intellektueller Ebene nicht rauskommen.

Das ist eben nicht dogmatisch, sondern pragmatisch, denn dieser Kenntnis und Akzeptanz als Basis lag und liegt der Auftrag der und an die FM zugrunde, Neues entstehen zu lassen und sonstigen Denkverboten, die sich in religiösen oder absolutistischen Systemen und heutigen WOKE-Bewegungen eingeschlichen haben, eine Absage zu erteilen.

Dies ist ein weiteres, einfaches Geheimnis der FM und diese Merk- bzw. Erinnerungssätze finden sich u.a. in den Ritualtexten (Anm.: Graffiti an den Wänden des Korridors..).

Vielleicht ein kleines, praktisches Beispiel oder besser gesagt eine sokratische Erzählung, an der wir unser Denken, genauer gesagt unser Sprechen im Tempel ausrichten sollen, wenn wir es geschafft haben, das profane Leben im Saal der verlorenen Schritte zu lassen:

Eines Tages kam einer zu Sokrates und war voller Aufregung.
„He, Sokrates, hast du das gehört, was dein Freund getan hat? Das muss ich dir gleich erzählen.“
„Moment mal“, unterbrach ihn der Weise. „hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?“
„Drei Siebe?“ fragte der Andere voller Verwunderung.
„Ja, mein Lieber, drei Siebe. Lass sehen, ob das, was du mir zu sagen hast, durch die drei Siebe hindurchgeht.

Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?“
„Nein, ich hörte es irgendwo und . . .“
„So, so! Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst – wenn es schon nicht als wahr erwiesen ist -, so doch wenigstens gut?“
Zögernd sagte der andere: „Nein, das nicht, im Gegenteil . . .“
„Aha!“ unterbrach Sokrates. „So lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden und lass uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich erregt?“
„Notwendig nun gerade nicht . . .“

„Also“, lächelte der Weise, „wenn das, was du mir das erzählen willst, weder erwiesenermaßen wahr, noch gut, noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“

So und durch viele andere Siebe sollte unsere Rede im Tempel führen; keine Belastung für die Anderen darstellen, sondern getragen vom Bemühen, Weisheit zu verbreiten und zu erfahren.

Der Tempel ist der Ort, verdichtete Erfahrungen auszutauschen!

Nur dies – und nichts anderes ‑ hat hier herinnen etwas zu suchen; keine Befindlichkeit, kein Gelabbere, keine selbstherrliche Provokation, Höflichkeit ja, aber keine Falschheit; mit Sarastro aus Mozart’s Zauberflöte:

„in diesen heiligen Hallen kennt man die Lüge nicht!

Nochmals: Der Tempel ist der Ort, verdichtete Erfahrungen auszutauschen!

Generell – und nun schließe ich schon bald, um Handkes „Publikumsbeschimpfung“ nicht an die Spitze zu treiben – sollten wir ‑ als ersten Schritt gegen die vorhandene Indolenz  und als Lösungsansatz – die Selbstbetrachtung von Neuem beginnen und perfektionieren.

Der Lehrling schaut in sich, der Geselle um sich und der Meister über sich.

Das Meister-Sein ist vll. eine der größten Irrungen der gegenwärtigen FM; viele meinen, nun hätte das Streben ein Ende, vielmehr – wenn wir uns bei der Nase nehmen – hat kaum jemand von uns seine Selbstbetrachtung abgeschlossen, ja manche noch nicht einmal begonnen.

Das Um-Sich schauen erschöpft sich in Höflichkeitsfloskeln und unangebrachten Rücksichtnahmen, das Über-Sich / Weit vorausschauende Planen wird an irgendwelche vermeintliche Vereinsmeier (oder unermüdliche Murmeltiere) delegiert.

Für mich ist ein Suchender auch nur jemand, der sich ehrlich auf die Suche nach sich selbst gemacht hat und – wenn ihm im gewohnten profanen Umfeld die Ehrlichkeit fehlt –

ggfls. Gruppierungen, wie die FM findet.

Trotz mühsam, gemeinsam, anschaulich und umfänglich erarbeiteten Suchendenleitfäden erfahre ich nach präsentierten Interviews noch immer, dass die Interviewer tlw. weder von ihrer Existenz gewusst haben noch dass sie wussten, wie bedeutsam diese Richtlinien und Herleitungen für die Gruppe sind; dies obwohl es dazu Arbeitsgruppen gegeben hat …. oder, hat sich gar hierfür schon wieder niemand interessiert?

Hier sei Marcus Aurelius mit seinen „Selbstbetrachtungen“ (am Besten eine alte Kröner-Ausgabe) als Lektüre empfohlen; er formulierte – ausschließlich für sich selbst und fast täglich ‑ aus der Reflexion seiner Gedanken und seines Handelns, eigene Gebote, an denen er seine Entwicklung maß.

Für ihn wurden 2 Tugenden besonders wichtig: innere Gelassenheit bzw. Unaufgeregtheit und Pflichterfüllung bzw. Disziplin. Später kamen die Forderungen nach Menschlichkeit und Gerechtigkeit dazu.

Das Gegenteil von Gelassenheit sah er in Aufgeregtheit und Nervosität, ein Zustand in dem man im äußersten Fall nicht mehr Herr seiner selbst ist; Gelassenheit bewahrt einen, zu schnell zu entscheiden und dabei Fehler zu begehen und ist somit Voraussetzung, auf die Stimme der Vernunft hören zu können und seinen Pflichten qualifiziert nachzukommen.

Eklektisch wie ich bin – und daher immer auf der Suche nach Schriften, die mich weiterbringen – kann man auch in Bezug auf das heutige Baustück nicht an Immanuel Kant vorbeigehen; hier vielleicht am Traktat „Zum ewigen Frieden“ aus 1795.

Kant erkennt hierin, dass moralisches Handeln auf Vernunft gegründet sein muss und stellt – unabhängig von und 1000 Jahre nach Marcus Aurelius – auch einen Zusammenhang mit (sittlicher) Pflicht her: „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen“ Selbst denken! Sich an die Stelle jedes anderen denken! Jederzeit mit sich einstimmig denken! Darin sieht er die kardinale Notwendigkeit für sein Handeln.

Wer an einer vernunftgetragenen Überzeugung festhält, wird nicht nachlassen in dem Bemühen, sein Handeln danach auszurichten, dass es zur Maxime allgemeinen Handelns werden kann. Diesem, seinem „kategorischen Imperativ“ geht moralische Reflexion und Selbsterforschung voraus, denn ein verantwortlich Handelnder muss im Vorfeld alle Folgen seiner Handlung berücksichtigen.

Denn diese Folgen eines Handelns, die wir nicht wollen, begrenzen oder behindern uns künftig selbst.

Und hier kommt – wie auch schon bei Marcus Aurelius ‑ der für Kant so wichtige Begriff der Pflicht ins Spiel; Pflicht ist für ihn die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung für das Gesetz; also eine weder durch Eigeninteresse noch durch Opportunismus verzerrte Pflichtauffassung.

Seine Pflichten zu erkennen und Aufklärung zu leben, sah er darin, sich mit Eifer und Mut aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien und „von seinem Verstand und seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen“.

Er bringt hier ein durchaus tagesaktuelles, politisches Beispiel:

„Der moralische Politiker handelt nach den Geboten der Vernunft, und zwar so, dass die Prinzipien der Staatsklugheit stets mit der Moral im Einklang stehen. Der politische Moralist hingegen handelt nach dem Nützlichkeitsprinzip und ordnet die Moral der Politik unter“.

Nun, ebenso verhält es sich mit der Maurerei:

Die „Arbeitsphase“ im 1. Grad wird oftmals mit einer Selbstfindungsphase verwechselt und dem Austausch von Befindlichkeiten gewidmet. Wir sind aber keine gruppentherapeutischer Sitzungs-Licht-Kreis, der die „Aufstellungen“ der Anderen abarbeitet; hier gibt es genug profane Angebote und es muss diese Phase bereits vor Stellung eines Ansuchens abgeschlossen sein.

Wir sind dagegen hier herinnen, vordringlich und immerwährend angehalten, ethische Reflexion, Analyse und Selbsterforschung zu betreiben; ggflls. laufend eigene Selbstbetrachtungen und nur für uns selbst zu schreiben und daraus innere Gebote zu entwickeln und – so sie den sokratischen Sieben standhalten ‑ diese mit einander auszutauschen.

Aus dieser Selbstbetrachtungsphase des 1. Grades kommen wir nie heraus.

Selbstbetäubung hat hier keinen Platz und Nutzen.

Der 2. Grad nunmehr ist die Verprobung in unserer Gemeinschaft. Ähnlich wie in einer Familie, die einem im Grunde nie etwas Böses will, ist nun dieses „Menschenprodukt“ des 1. Grades in seiner ehrlichen Erkenntnis und Entwicklung der Gemeinschaft überantwortet und wird – wie es dem Ritual zu entnehmen ist – „Zurufen“ ausgesetzt werden.

Diese können, liebevoll oder harsch sein, verbal oder nonverbal, aber immer sollten sie als Rückmeldung und nicht als Beleidigung aufgefasst werden, denn sie dienen der eigenen Weiterentwicklung. Wer die soziologischen Mechanismen dieses freimaurerischen Um-Sich-Schauens nicht versteht oder nicht erträgt, der hat seine Entwicklung im 1. Grad noch lange nicht begonnen oder gar abgeschlossen; auch hat sich ihm dann das in diesen beiden Graden präsentierte „Geheimnis der FM“ überhaupt nicht erschlossen.

Es ist nämlich genau das Wesen dieser hermetischen Gesellschaft, gemeinsam zu werden und zu wirken, ohne jedwege Nachteile fürchten oder erleiden zu müssen.

Selbstbestäubung hat hier keinen Platz und Nutzen.

Den 3. Grad nun sollte nur derjenige suchen, dem dieses Grundverständnis der beiden ersten Grade in Mark und Bein übergegangen ist; der auch Willens ist, Über-Sich, das heißt für alle, vernunftgegründet Voraus-zu-schauen, Handlungen und Lehr- und Lernziele zu setzen.

D.h. die Gracian’sche Rolle des Mentors wahrzunehmen, aber immer in der Interaktion mit seiner Vorentwicklung verbleibend. Ein ewiger Kreislauf eben.

Eitelkeit hat hier keinen Platz und Nutzen.

Wem all dies nicht erschließbar, zu mühsam oder gar ….. wurscht ….. ist, kann weder zu seiner, noch zur gedeihlichen Entwicklung des Bundes beitragen und wird nie das Licht am Ende des eingangs erwähnten Korridors sehen. Denn die FM ist eben kein Kleingartenverein.

Ich habe gesprochen!

FMei in anderen Ländern – Blick über unsere Grenzen

Liebe Geschwister, lasst uns heute eine masonische Reise in andere Länder und andere
freimaurerische Traditionen unternehmen:
Bei jeder Rezeption hören wir es (zit.): „Die Freimaurerei besteht in ihrer gegenwärtigen
Form seit Jahrhunderten, aber der freimaurerische Gedanke ist uralt. Er ist nicht gebunden an
Form, Zeit und Ort und wurzelt tief in der Seele des Menschen. Wenn sich auch im Laufe der
Zeit hier und dort äußere Verschiedenheiten herausgebildet haben, die wesentlichen inneren
Grundsätze sind immer und überall dieselben geblieben…“
Wir alle gehören dem Maurerbund an, egal wer jetzt wen offiziell als solchen anerkennen
mag und wer nicht. Die Rituale bei uns in der RSG unterscheiden sich nur unwesentlich von
den Ritualen Eurer Loge und das liegt nicht zuletzt auch daran, dass wir bis in die 1950-er
Jahre ja eine gemeinsame frm. Geschichte hatten. Wir alle sind Glieder einer Kette, die sich
um den ganzen Erdball schlingt. Doch der Blick über die Grenzen des Vertrauten, jener
Freimaurerei, in die wir einst hineingeboren wurden, die wir teils bis in die tiefsten Fasern
unseres Wesens verinnerlicht haben, kann auch eine ganz andere, fremdartige masonische
Welt offenbaren, in der lediglich Symbole, zumindest ein paar davon, vertraut erscheinen.
Freimaurerei in anderen Ländern kann sich von unserer gewohnten frm. Arbeitsweise oft
sehr stark unterscheiden.
Das kann verunsichern, aber auch neugierig machen. Nähern wir uns nun so oft gehörten
und vielleicht nicht immer genau verstandenen Begriffen, wie „Emulationsritual“, Arbeit
nach Schröder, der Andreasmaurerei oder auch dem „französisch-schottisches Ritual“. Um
die Eigenheiten und Verschiedenheiten der frm. Ritualistik verstehen zu lernen, um das
englische Emulationsritual von unserem Ritual nach Schröder, dieses wiederum vom frz.-
schottischen Ritual zu unterscheiden und damit auch unser eigenes Ritual besser
einschätzen zu können, müssen wir in groben Sprüngen die Historie der spekulativen
Freimaurerei von ihren offiziellen Anfängen im Jahre 1717 in London bis in die Gegenwart
Revue passieren lassen:
Die Logenversammlungen der angenommenen Maurer fanden im England des frühen
18.Jhds. in den Hinterzimmern von Wirtshäusern statt und noch lange nicht in eigenen
Tempelräumen. Eine Loge wurde dort errichtet, man sagte „gezeichnet“ – to draw the lodge.
Gezeichnet wurde wirklich, meist mit Kreide auf den Boden. Zuerst ein Viereck in der Mitte
des Raumes, in das danach ganz primitiv einzelne Symbole eingefügt wurden. Zum Ende der
Arbeit wurde alles wieder fein säuberlich gelöscht.
Auch heute noch wird die Loge in England und vielen anderen nach dem Englischen Ritual
arbeitenden Ländern zu Anfang erst errichtet. Doch anstelle von Zeichnungen auf dem
Boden werden heute im Zuge der Eröffnung der Loge sog. Tracing boards aufgestellt. Das
sind Tafeln mit den Symbolen des jeweiligen Grades. Woher kennen wir das Tracing-board,
zu Deutsch das Zeichen- oder Reißbrett? Es ist auch bei uns bekannt als das dritte
unbewegliche Kleinod der Loge, neben dem glatten und dem rauen Stein. Bei uns ist dieses 3. Kleinod im ersten Grad versinnbildlicht im Tapis. Den Tapis gibt es in den englischen Logen
nicht, dafür eben das Tracing board. Und dieses wird vor dem Pult des 2.A aufgestellt. Die
Pulte der hammerführenden Beamten stehen dabei nicht so im Tempel wie bei uns. Der
MvSt. sitzt auch in England im Osten, der 1.A ihm gegenüber im W, der 2. A im Süden. Der
Sekretär, der in England eigentlich das zentrale Element und damit wichtigste Glied in der
maurerischen Kette ist, sitzt dem 2.A gegenüber im N (Anlage 1).
Der Tempelraum selbst ist im Gegensatz zu unserem Tempel im Englischen freimaurerischen
System vor Eröffnung der Loge einfach nur ein profaner Raum. Die Brüder treten ohne
irgendeine Ordnung ein und setzen sich auf frei gewählte Plätze. Dann ruft der ZM zur
Ordnung und geleitet den MvSt., die Aufseher und die sog. Deacons, das sind die
Laufburschen der Aufseher, prozessionsartig zu deren fixen Plätzen im Tempel.
Äußere und innere Türwache überprüfen nun durch Klopfzeichen die Deckung nach außen,
dann überprüfen die beiden A die Deckung nach innen, indem sie auf Aufforderung ihre
Deacons die Kolonnen abschreiten und die Brr. das Zeichen geben lassen.
Danach wird gemeinsam jenes Lied gesungen, das wir vorhin zur Einstimmung auf mein
Baustück gehört haben. Dieses Lied ist eigentlich ein gesungenes Gebet, gerichtet an den
„Architect Dinive“ den „göttlichen Architekten“, bei uns bekannt als das Symbol des GBaW.
Dieser ist ein zentrales maurerisches Symbol, der oberste Meister, zu dem zu Anfang und am
Ende der Arbeit Gebete gesungen werden. Das ist ein großer Unterschied zur Maurerei in
unseren Breiten, da wir das Symbol des GBAW keinesfalls anbeten, sondern beim Öffnen
und Schließen der Loge lediglich erwähnen. Erst durch die Eröffnung der Loge und das
Aufstellen des Tracing boards wird der Raum in England zum „heiligen Raum“, dem
Freimaurertempel.
Traditionell werden – wie ein paar von Euch schon gehört haben – in England alle Rituale auf
Punkt und Beistrich genau, auswendig gesprochen. Die Ritualtexte sind dabei umfangreich
und lang, einzelne Passagen bis zu 20 Minuten ohne Unterbrechung und durch teils uralte
Phrasen und altenglische Ausdrücke höchst komplex. Diese Texte sind nicht im Geringsten
vergleichbar mit den wenigen Sätzen, die uns in unseren Ritualen abverlangt und dennoch
meist heruntergelesen werden. Die englischen Ritualtexte beinhalten stets eine ausführliche
rituelle Instruktion über die Aufgaben der Freimaurerei im Allgemeinen, sowie über die
Funktion eines jeden Beamten der Logenarbeit und die dem Grad entsprechenden Symbole.
Dies geschieht in Wechselrede zwischen dem MvSt. und den Aufsehern.

Die Ritualtexte sind unverändert mehrere hundert Jahre alt und in entsprechend barockem
altem Englisch gehalten.
Mit dem Auswendigsprechen dieser langen Rituale folgt man in der Englischen FM der
historischen, noch aus der Zeit der Werkmaurer stammenden Tradition der strikt
mündlichen Überlieferung der Passwörter und aller Rituale. Stets und ausschließlich from
mouth to ear – vom Mund zum Ohr. Das war mühevoll, dafür aber sicher. Und zudem nicht
unpraktisch, konnten doch viele Freimaurer, besonders aus den britischen Kolonien bis in die
Mitte des vergangenen Jahrhunderts nicht lesen und schreiben. Die Rituale wurden stets
vom Immediate Past Master an den Whorshipfull Master, den MvSt weitergegeben.
Der Vorgänger des aktuellen MvSt. sitzt deswegen auch heute noch immer im Osten gleich
neben dem Stuhlmeister, um diesem im Notfall soufflieren zu können. Einsager zu brauchen,
wird aber als besondere Schande empfunden und kommt daher nur sehr selten vor.
Die erste offizielle Niederschrift des englischen Emulationsrituals datiert erst aus den 1970er
Jahren. In Lodges of trainee, eigenen Übungsarbeiten kann ein werdender MvSt. noch vor
seiner Einsetzung sein Ritualkönnen üben, ernsthaft unterstützt, korrigiert und kontrolliert
von älteren erfahrenen Pastmastern. Im Rahmen einer Logenreise habe ich selbst einer
solchen Übungsloge beigewohnt und mir dabei gedacht, dass ich dort ganz sicher niemals
MvSt. geworden wäre.
Die englische Freimaurerei kennt im Gegensatz zu uns keine Baustücke. In der Arbeit selbst
wird eine sog. Agenda abgearbeitet, d.h. organisatorisches und auch karitatives besprochen
bzw. Initiationen oder Lohnerhöhungen vorgenommen. Bei jeder Graderteilung ist eine
ebenfalls auswendig und frei gesprochene Instruktion Teil der Arbeit. Doch nicht in unserem
Sinn, also vom jeweiligen VM selbst verfasst, sondern ebenfalls nach uralten Vorlagen über
die Jahrhunderte überliefert stets das gleiche.
Wie wirkt nun die FM im englischen System auf die dortigen Brüder, so ganz ohne Baustücke
mit Diskussion, so ganz auf das Gestrige fixiert? Mir wurde gesagt, dass durch das stete
Wiederholen bei jeder Arbeit die Inhalte des im Ritual gesagten mehr und mehr in das
Unbewusstsein dringen und so das Handeln des FM positiv beeinflussen sollen. Für Maurer
unserer Breiten ist das alles kaum vorstellbar. Funktionieren dürfte es aber dennoch, denn
die Anzahl der Logen und auch jene der Freimaurer ist im englischsprachigen Kulturkreis
unvergleichlich größer, als in unseren Breiten. Obwohl die Mitgliederzahlen – im Gegensatz
zu jenen bei uns – heutzutage stetig zurückgehen.
Logenarbeiten finden in England selten mehr als einmal im Monat, in manchen Logen auch
nur alle 2-3 Monate statt. Das höchste der Gefühle für dortige Maurer sind dabei die Lodges
of Emuation, die sog. Emulationsarbeiten.
Bei diesen Emulationsarbeiten werden an einem Abend alle Grade bearbeitet. Es beginnt
ganz gewöhnlich mit Eröffnung der Loge im ersten Grad. Nun werden die Entered
apprendices, die Lehrlinge in den Tempelvorraum geschickt, und die Loge in den II. °
umgewandelt. Dann werden auch die Fellows of the Craft, die Gesellen hinausgeleitet und
danach in den III. Grad umgewandelt. Bei Vereidigung des neuen MvSt. werden danach nun
auch die übrigen Master Masons, die gewöhnlichen Meister, vor die Türe geschickt. Lediglich die Pastmaster Masons, alle ehemaligen Stuhlmeister, die stets an einem eigenen Past-
Master – Schurz erkennbar sind, verbleiben im Tempel. Sie wandeln die Meisterloge in den Pastmaster-Degree um, holen danach den werdenden Stuhlmeister in den Tempel, vereidigen und instruieren ihn. Wobei jeder Bruder einer Loge einmal Stuhlmeister wird, und das relativ früh – weil da das Hirn noch fit genug ist für das viele auswendig lernen – und Stuhlmeister ist man in England immer nur für ein Jahr. Das Emulations-Ritual steigt nach dem Pastmaster-Degree wieder schrittweise hinab bis in den ersten Grad. Die ganze Zeit dazwischen warten all jene, die den Grad nicht mitbearbeiten dürfen, also Brüder Lehrlinge, Gesellen und ggf. auch die anderen Meister geduldig und schweigend – beaufsichtigt von der äußeren Türwache – im Vorraum des Tempels. Die Rituale sind alle sehr ausführlich und lange, das Ganze kann damit einige Stunden dauern.
Diese Tradition und die Ritualistik der Emulationslogen sind in Großbritannien und vielen
ehemaligen britischen Kolonien und zum Teil auch den USA seit dem Jahre 1816, also seit
mehr als 200 Jahren praktisch unverändert. Damals wurde das Ritual der „Lodge of
Improvement“ nach der Wiedervereinigung der „Ancients“ und der „Moderns“ zur „United
Grand Lodge of England – UGLE“ festgelegt und – damals eben nicht – niedergeschrieben.
Fassen wir zusammen: die Loge wird im englischen System erst errichtet, die Aufseher sitzen
anders als bei uns, alles wird auswendig gesprochen. Gearbeitet wird auf- und absteigend in
allen Graden, es gibt kein Baustück, die Arbeiten dauern sehr lange. Ach ja, an der WT nach
der Arbeit gibt es keine Diskussion, weil es ja kein Baustück gibt.
Dafür gibt es jede Menge Toasts, vom König, über den Großmeister, den Regional-GM, den
Distrikts-GM bis hinunter zum eigenen Stuhlmeister, oft gespickt mit teils scherzhaften
Einlagen und jeder Menge Whisky …..
Am Tag nach einer solchen Arbeit war mir schnell klar, warum diese so selten stattfinden,
man würde es öfters nicht lange überleben.
Im Gegensatz zu England ist die Entwicklung der FM in Kontinentaleuropa ungleich
vielfältiger verlaufen. Die FMei hat sich ab Mitte der 1720er Jahre sprunghaft auf den
Britischen Inseln und in der Folge auch auf dem Europäischen Festland ausgebreitet. Doch
mit der Einheit war es in der spekulativen FMei sehr bald vorbei: dafür sorgten primär
heftige innerenglische Auseinandersetzungen über die Zulassung und Intensität religiöser
Inhalte in der FMei.

Sie führten in England im Jahr 1756 sogar zur Gründung einer Gegen-Großloge, der stark
religionsaffinen „Ancients“ (= sog. Altmaurer), religiösen Fundamentalisten als Gegenpol zu
den „Moderns“ (= Neumaurer) genannten der 1717 gegründeten GL von London.
Besonders die von diesen Ancients ausgehenden heroisierenden und idealisierenden
Theorien zur Entstehung der FMei, alles natürlich wilde Spekulationen und Phantasien,
führen in Kontinental-Europa, und hier besonders den deutschsprachigen Ländern zu
mannigfaltigen und teils paradoxen Strömungen und Entwicklungen unterschiedlichster
einander heftig anfeindender freimaurerischen 3-Grad und Hochgradsysteme mit teils
höchst obskuren Auswüchsen. So sind in den Deutschen Ländern neben der „Strikten
Observanz“ hier als Beispiele die „Asiatischen Brüder“, die „Afrikanischen Bauherren“, Graf
Caligostros „Ägyptische GL“, der Illuminatenorden oder auch die Goldmacher zu nennen.
Nach diesen fast 30-jährigen Wirren innerhalb der FMei in Deutschland setzten sich im Jahre
1782 beim sog. Wilhelmsbader Kongress letztlich die Reformer um Friedrich Ludwig
Schröder gegen die Brüder der „Strikten Observanz“ durch und schufen ein wohl
strukturiertes und auf die Grundsätze des alten englischen 3-Grad Systems zurückgeführtes
Ritual, das sog. „Schrödersche Ritual“.
Auf diesem basiert auch weitgehend unser heutiges Ritual in der GLvÖ und auch das Eure,
das – zwar um einiges abgespeckt – ja unserem fast gleich ist. Und denkt bitte kurz in diesem
Kontext an G.E. Lessing und seine Kritik an den Zuständen der damaligen zeitgenössischen
FMei in seinem berühmten Werk „Ernst + Falk“! Lessing hat wenige Tage nach seiner
Aufnahme wieder gedeckt und ist tragischer Weise ziemlich genau ein Jahr vor diesem
Wilhelmsbader Reformkongress verstorben.
Die religiöse Bindung war bei Schröder – so wie auch ursprünglich in der Konstitution von
Anderson festgelegt – nicht mehr streng christlich. Der Glaube an ein „Supreme Being“ – also
den Großen Baumeister war zwar weiterhin obligat, der GBaW wurde bei Schröder aber
nicht mehr angebetet. Die Bibel liegt zwar als eines der 3 großen Lichter auf dem Altar,
aufgeschlagen beim Johannes-Evangelium. Sie dient aber lediglich als Symbol alten
überlieferten Wissens und nicht mehr als religiöses Werkzeug. Unser gegenwärtiges 3-Grad
Ritual basiert weitgehend auf Schröder. Es wurde Ende des 19. Jhds. von Br. Johannes Beigl
modifiziert, darauf komme ich gleich zu sprechen. Doch stellt sich zuvor die Frage: Wie sind
die Baustücke in unsere Maurerei gekommen?
Ein wichtiger Zeitgenosse Schröders war der Wiener Freimaurer Ignaz von Bohrn. Er war in
den 1770-er Jahren ein bedeutender Mineraloge in Wien, Aufklärer und Freimaurer und ab
1782 MvSt. der Wiener L. “Zur Wahren Eintracht“. Eigentlich wollte Ignaz von Bohrn in Wien
eine freie Akademie der Wissenschaften gründen. Doch dies wurde von Kaiserin Maria
Theresia, die in Österreich keine unzensurierten Wissenschaften zulassen wollte, nicht
erlaubt.
Quasi als Ersatz begründete Bohrn im Freiraum der damaligen Maurerei Übungslogen, in
denen wissenschaftliche Vorträge als „Baustücke“ gehalten wurden. Diese Struktur der frm.
Arbeit (= Ritual + Baustück) fand vielfach in Europa Nachahmung und ist bei uns – im
Gegensatz zu englischen Freimaurerlogen – bis heute ein wesentlicher Teil der frm. Arbeit im
Tempel. Die Baustücke haben damit auch das in unseren Breiten heute so wichtige Element
der Individualität in die FM eingebracht, ohne die unsere Kette wahrscheinlich genauso
schrumpfen würde, wie dies heute im so traditionell orientierten englischen Kulturkreis der
Fall ist.
Im Windschatten der französischen Revolution wurde im Jahr 1795 die Freimaurerei in
Österreich durch Kaiser Franz II/I verboten und konnte erst nach dem Ausgleich mit Ungarn
1867 in den sogenannten „Grenzlogen“ wieder auferstehen. Als erste rein deutschsprachige
Loge wurde 1871 in Neudörfl/ Leitha – damals ungarischer Reichsteil der Monarchie – die
Loge Humanitas gegründet und diese ist damit die eigentliche Mutterloge der neueren
österreichischen FMei.
Die L. Humanitas und ihre zahlreichen Tochter – und Enkellogen – dazu gehört unter anderem
auch meine im Jahr 1907 gegründete Loge Kosmos – arbeiteten vorerst nach dem klassischen
Schröder ́schen Ritual. Doch dieses wurde durch Einfluss der Symbolischen Großloge von
Ungarn, unter deren Schutz die Grenzlogen damals arbeiteten, sowie des christlichen
Freimaurerordens zunehmend mit religiöser Symbolik überfrachtet. Auch der nach dem
französisch-schottischem Ritual arbeitende Großorient von Ungarn hat christliche, aber auch
französische Spuren in die damalige Ritualistik der Grenzlogen eingebracht, wie
beispielsweise bis heute den „Schrecklichen Bruder“ in der Dunklen Kammer und das „kleine
Licht“ bei unserer Rezeption.
Ab dem Jahr 1874 wurde das österreichische Grenzlogen-Ritual im sog. Ritualstreit (synonym
auch Atheismus-Streit) unter Federführung des Br. Hermann Beigel (ZUK) wieder zahlreicher
christlich-religiöser Inhalte, wie Gebeten, Niederknien etc., die sich zwischendurch
„eingeschlichen hatten“, entledigt. Dies vor allem deswegen, da sich die damals mehrheitlich
jüdischen Brüder der Kette nicht mit christlich-geprägten Ritualteilen identifizieren konnten
und wollten. Wie die damaligen Brüder der Grenz-Logen danach genau gearbeitet haben, ist
leider nicht bekannt, aus dieser Zeit sind keine Rituale überliefert. Daher lässt sich auch nicht
rekonstruieren, wann genau bei uns die obligate Abfrage von Zeichen, Griff und Wort beim
Betreten des Tempels, die es auf Grund französischer Einflüsse einst gegeben hat, aus
unsrem heutigen Ritual verschwunden ist oder sich die Sitzpositionen einiger Beamter im
Tempel geändert haben. Die nach dem 1. Weltkrieg gegründete „Großloge von Wien“
arbeitete schon sehr ähnlich, wie wir es heute tun. Nur „Siezten“ einander die Brüder damals
noch.
Es folgten später noch Justierungen wie das Weglassen der körperlichen Strafandrohung bei
Nichterfüllung frm. Pflichten im Gelöbnis oder die Änderung der Stellung des GBaW im
Ritual: so sagen wir heute beim Eröffnen der Loge: „in Ehrfurcht vor dem GBaW“ an Stelle
von: „im Namen des GBaW“, was einen großen Unterschied ausmacht, wenn man es
genauer betrachtet. All diese Modifikationen haben der Großloge im Jahr 1952 auch
beträchtliche Schwierigkeiten bei der Wiederanerkennung durch die UGLE bereitet.
Im Gegensatz zur Eurer Obödienz arbeiten in der GLvÖ alle Logen einheitlich nach denselben
Ritualen. Die vom Großmeister festgelegten Rituale sind für alle unsere Logen verbindlich.
Änderungen der Rituale finden heute nur sehr selten statt. Vorschläge dazu aus den
Kolonnen werden von einer Ritual-Kommission der Großloge bearbeitet, im Falle einer
positiven Empfehlung der Konstitution gemäß vom GM genehmigt und dann gilt das
veränderte Ritual ab sofort für alle unsere derzeit 78 Logen, die unter dem Schutz unserer
Großloge arbeiten.
Zusammenfassend arbeiten wir heute in der GLvÖ nach einem mehrfach modifizierten, sehr
abgespeckten Schröder-Beigel Ritual, das sich im Vergleich zu anderen von der UGLE
anerkannten Logen durch ein international gerade noch toleriertes hohes Maß an
Humanismus und Laizismus auszeichnet. Keinerlei Gebete, kein Niederknien beim Gelöbnis,
aber natürlich die Bibel als Symbol bei den 3 großen Lichtern, wie bei allen anerkannten
Obedienzen. „in Ehrfurcht“ anstelle von „im Namen des GBaW“ habe ich schon erwähnt.
Wie auch bei Euch ist unser Tempel ist immer ein ritueller Raum, wenn der Tapis vollständig
ausgelegt ist. Die Einrichtung des Tempels mit der Anordnung der Säulen „B“ und „J“, die
Position der Kleinen Lichter um den Tapis und auch die Sitzordnung der Aufseher entspricht
sowohl bei Euch als auch bei uns nicht mehr der ursprünglichen Form wie im Emulationsritus
und auch bei Schröder.
Hier bei Euch befindet sich die Säule „J“ im SW mit dem 2.A davor und die Säule „B“ im NW
mit dem 1.A davor. Jeder Aufseher ist für die Kolonne vis-a-vis zuständig, hat so seine
Kolonne besser im Blick.
Das war auch in GL vor dem 2. Weltkrieg in etwa so, heute steht bei uns die Säule „B“ vor
der Südkolonne mit dem 1.A davor und die Säule „J“ vor der Nordkolonne mit dem 2.A
davor. So wie hier gibt es dazu auch bei uns schlüssige Erklärungen dafür, warum das so sein
muss. Schaut man sich in anderen Obödienzen um, werden fast alle mathematisch
möglichen Varianten verwendet. Für Vielbesucher erfordert das ein wenig mehr an
Konzentration beim Eintritt und verfestigt einem das Gefühl, dass auch in der Maurerei
letztlich alle Wege nach Rom führen.
Lasst mich zum Schluss in der Geschichte nun nochmals zurück in die frühen Zeiten der
kontinentaleuropäischen Maurerei springen. Ebenfalls kontrovers entwickeln sich wegen der

strittigen Frage nach Religion und dem GBaW die FMei auch in Schweden und in Frankreich.
Da es im Norden keinen Reformator a ́ la Schröder gegeben hat, dürfen auch heute in den
nordischen – schwedisch geprägten – Ländern der Andreas-Maurerei nur Christen unserem
Weltenbund beitreten!
In Frankreich wurde die FMei frühzeitig von den Idealen der Aufklärung und schließlich auch
von den Idealen der französischen Revolution geprägt. Der Grand Orient de France (GOF)
wurde 1773 gegründet, wiederum aufgelöst und unter Napoleon schließlich
wiederbegründet. Im Zuge der napoleonischen Feldzüge wurde die französische Spielart der
FM besonders im südlichen und östlichen Europa bis nach Russland weit verbreitet [Krieg +
Frieden – Tolstoi].
Die 1871 – also knapp 100 Jahre später – in Folge des Deutsch-französischen Kriegs
gegründete 3. Republik brachte Frankreich die strikte Trennung von Kirche und Staat, die bis
heute zum französischen Selbstverständnis gehört. In diesem Fahrwasser der Trennung von
Kirche und Staat strich der Grand Orient de France im Rahmen eines Reform-Konvents 1877
den GBaW aus dem Ritual und verbannte auch die Bibel aus dem Tempel.
Dies führte zum Abbruch der wechselseitigen Anerkennung zwischen der UGLE (UK) und
dem GOF (F), ein Bruch, der bis heute andauert. Seit damals, seit 145 Jahren schwelt die
Frage nach Regularität und Anerkennung durch die UGLE über der Freimaurerei auf der
ganzen Welt.
Wie arbeiten also nun die französischen Brüder? Wirklich erleben dürfen wir Brüder der GL
es derzeit kaum, da nicht nur der GOF, sondern auch die anderen französischen Großlogen –
„Grand Lodge de France“ und zuletzt auch die „Grand Lodge National de France“ – von der
UGLE und damit auch von uns nicht anerkannt sind. Doch in der RSG haben wir eine unter
dem Schutz der GLvÖ französisch arbeitende Loge, die „Aux trois canons“ – ATC, die eine
Form des frz.-schottische Rituals – den Rité Ecossais Ancien et Accepté (REAA) bearbeitet,
dessen geläufigste Form ich Euch nun kurz vorstellen möchte:
Das frz.-schottische Ritual heißt so, weil es sich einerseits vom englischen System
unterscheidet und andererseits auch um seine Nähe und Abkunft von den schottischen
Hochgraden anzudeuten. Von diesem frz.-schottischen Ritual, das in den frz. Obedienzen
weit verbreitetet in verschiedenen Varianten bearbeitet wird, ist lediglich der viel seltener
Rité Ecossais Rectifié, der eine der Templermaurerei nahestehende Geschichte hat, zu
differenzieren und den lasse ich hier aus.
Im klassischen frz.-schottischen Ritual versammeln sich die Maurer im Vorraum des Tempels,
bekleiden sich maurerisch und betreten den T einzeln, um bei der Inneren Torwache auf
Zeichen, Griff und Wort geprüft zu werden. Der Tempel ist vorerst ein profaner Raum, in
dem die L. erst rituell errichtet wird. Man geht daher ohne Zeichen auf den Platz, der aber
stets vom ZM gewiesen wird. Erst danach betreten die Beamten in aufsteigender Wichtigkeit
bis hin zum MvSt. den Tempel. Die Loge wird eröffnet, wobei Großexperte (in etwa unser
VM) und ZM die kleinen Lichter entzünden und den Tapis entrollen. Anstelle der Bibel findet
sich bei den drei großen Lichtern ein leeres Buch. Gemeinsam wird nun das Zeichen gegeben
und die Batterie geklatscht, dazu gemeinsam ausgerufen: „Liberté – Egalité – Fraternité“.
Baustücke werden nicht überall gehalten, auch reine Verwaltungs-Arbeiten sind möglich.
Zum Schluss wird neben dem Sack der Witwe auch ein Sack der Vorschläge herumgereicht.
Der Tempel wird nach Schließen der Arbeit durch Einrollen des Tapis wieder profanisiert. Der
MvSt. verlässt allen anderen voran als erstes den Raum.
Im Vorraum versammeln sich alle nochmals, legen gemeinsam die Maurerische Bekleidung
ab und begeben sich danach in den Speisesaal, wo es – wenn es ein Baustück gegeben hat –
eine Diskussion darüber gibt und erst danach das gemeinsamen Mahl.
Um den Erfordernissen der UGLE gerecht zu werden, hat unsere ATC die Bibel bei den 3
großen Lichtern aufliegen. Die Position der Säulen „B“ und „J“ ist ident wie bei uns und nicht
– wie dies in der klassischen französischen Maurerei der Fall ist – umgekehrt. Der 1.A sitzt
allerdings im NW vor der Säule „J“, der 2.A im SW vor der Säule „B“, um – wie bei Euch –
seine Kolonne besser im Blick zu haben. Wie schon gesagt – variatio delectat!
Liebe Geschwister, ich habe mich bemüht, Euch nun drei unterschiedliche FM Ritualsysteme
näher zu bringen, eine übergroße Vielzahl an weiteren Varianten habe ich ausgelassen, teils,
weil mir dazu keine Unterlagen zugänglich sind und auch, um meine Zeichnung nicht noch
mehr zu überfrachten.
Was soll man nun tun, wenn man eine Loge besucht, in der anders, als man es von der
eigenen Bauhütte gewohnt ist, gearbeitet wird? Vorerst zur Sicherheit sich selbst wieder
Zeichen, Wort, Griff und auch das passende Passwort in Erinnerung rufen. Eventuell einen
der Gastgeber nach Besonderheiten im dortigen Ritual fragen. Aber vor allem: authentisch
bleiben!
Es kann vorkommen, dass Gäste uns fremden rituellen Handlungen ihrer eigenen Obedienz
folgen, weil sie es nicht anders kennen und wissen. Ich denke da an einen englischen Bruder
aus Oxford, der unlängst bei uns in meiner Loge zu Besuch war. Er ist ohne Zeichen
eingetreten und gegen die Richtung im Tempel gegangen. Nach dem heute gehörten ist es
verständlich, warum er das so gemacht hat. Aber was immer man auch falsch machen kann,
geschwisterliche Liebe und Toleranz werden darüber hinwegsehen. Daher machen wir uns
keine Sorgen.
Jeder Besuch anderer Obedienzen und das Erleben anderer Rituale bringen jeden von uns in
seiner maurerischen Entwicklung weiter. Und die stete Weiterentwicklung ist schließlich das,
was uns als Maurer ausmacht!

Anlage 1: typical Layout of an English Lodge

Anlage 2: Tempelordnung im alten Schröder-Ritual

Anlage 3: Blick in den Westen – alle gängigen Varianten der
Positionen der Säulen und der Aufseher im Tempel

SW Obödienz NW

Säule B 1.A GLvÖ Säule J 2.A
Säule B 2.A ATC (schottisch/GLvÖ) Säule J 1.A
Säule J 1.A Humanitas, Hermetica
DH alt/schottisch

Säule B 2.A

Säule J 2.A LGL, DH neu,
GOÖ/Schröder

Säule B 1.A

Einführende Worte anlässlich der Übernahme des Hammers als interimistischer Meister vom Stuhl der Loge LOGOS am 1. September 6022

Liebe Geschwister,
Vor genau 10 Jahren durfte ich bei einer Festarbeit der LGL ein BS mit dem Titel „Auf dem Weg zu einer Liberalen Freimaurerei“ halten. Als ich mit den Überlegungen zu meinen heutigen Begrüßungsworten begann, musste ich feststellen, dass ich damals einiges formuliert habe, das auch heute noch Gültigkeit besitzt, und das ich daher wieder in Erinnerung rufen will. Aktuell wird es dann im zweiten Teil, in dem ich einige Aspekte ansprechen will, die mir bei der Übernahme dieses Amtes wichtig sind.
Unserem Selbstverständnis entsprechend nennen wir uns liberale Freimaurer. Soweit ist alles klar. Angenommen ihr werdet gefragt: „Was macht denn die liberale FM aus? Worin unterscheidet sie sich von der nichtliberalen, der traditionellen FM?“ Dann wird als erste Antwort vermutlich kommen: „Wir akzeptieren auch Frauen – offiziell – als Geschwister“. Man könnte noch hinzufügen: „Wir sind als Obödienz keiner wie immer gearteten über-geordneten Institution verpflichtet und beachten die Logenautonomie“. Aber dann wird es schon schwierig.
Eine endgültige Definition, was unter Liberaler Freimaurerei zu verstehen ist, kann ich heute nicht anbieten. Was ich versuchen will ist, einige Hinweise zu geben, wie ein „Weg zur Liberalen Freimaurerei“ aussehen könnte. Diesen Titel habe ich nicht nur aus Vorsicht gewählt, sondern auch im Bewusstsein, dass sich einerseits jeder Freimaurer ständig „auf dem Weg“ befindet und andererseits ein so vielschichtiger Begriff wie der der Liberalität ohnehin nicht allgemeingültig definiert werden kann.
Genauso wie es in der traditionellen Freimaurerei ganz unterschiedliche Spielarten und Ausprägungen gibt, wird es auch in der liberalen Freimaurerei immer unterschiedliche Ausrichtungen geben. Das liegt sowohl im Wesen der Freimaurerei begründet, als auch in der Dehnbarkeit des Begriffs „liberal“. Auf gesellschaftspolitischer oder politikwissenschaftlicher Ebene kann man darunter fast alles verstehen, was nicht wertkonservativ ist. Es kann sowohl wirtschaftsliberal bedeuten, als auch einen toleranten gesellschaftlichen Umgang. Politische Parteien, die sich als liberal bezeichnen, haben uns im Laufe der Geschichte immer wieder vor Augen geführt, wie vieldeutig dieser Begriff in der Praxis angewendet werden kann.
Liberal bedeutet für uns zunächst: Wir sind als Obödienz keiner übergeordneten Institution verantwortlich und die einzelnen Logen agieren autonom. Diese Entwicklung begann 1953, als mehrere Brüder der Loge „Zukunft“ sich abspalteten und eine eigene Loge gründen wollten. Da ihnen dies verwehrt wurde, arbeiteten sie zunächst unter freiem Himmel und
gründeten schließlich 1955 die „Unabhängige Freimaurerloge Wien“. Die weitere Ent-wicklung unserer Logen bzw. unsrer Obödienz ist bekannt, wobei nicht vergessen werden soll, dass erst dreißig Jahre später, nämlich im Jahr 1985, erstmals Frauen in zwei der Logen aufgenommen wurden.
Eines der wesentlichen Merkmale, das die in der LGL vertretenen Logen als „liberal“ auszeichnet, ist für mich die im Jahr 1975 erfolgte Formulierung der so genannten „Neuen Pflichten“. Die grundsätzliche Akzeptanz der von Anderson 1723 zusammengefassten „Alten Pflichten“ steht für jeden Freimaurer außer Zweifel. Da sich jedoch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den letzten 300 Jahren massiv geändert haben, kann es klarerweise nicht um eine wörtliche Erfüllung dieser Old Charges gehen. Wenn wir als Freimaurer in Zukunft soziale Relevanz für uns in Anspruch nehmen wollen, wird es nicht zuletzt darum gehen, den Geist, der aus den Old Charges spricht, mit den Ansprüchen der „Neuen Pflichten“ in Einklang zu bringen. Dabei sollten wir uns bewusst sein, dass auch die „Neuen Pflichten“ keinen definitiven und endgültigen Wertekanon darstellen, sondern in unserer schnelllebigen Zeit vermutlich immer wieder einer Feinjustierung bedürfen.
In der Präambel der „Neuen Pflichten“ werden drei Punkte angegeben, die sehr stringent zusammenfassen, warum die liberale Freimaurerei einer Ergänzung der Andersonschen Vorgaben bedarf. Ich möchte sie heute in Erinnerung rufen:

  1. Zur Zeit Andersons standen die Menschen unter so einem starken Zwang staatlicher und kirchlicher Mächte, dass die Äußerung freiheitlicher Gedanken gefährlich war. In den Alten Pflichten sind daher viele solcher Gedanken nur in versteckter Form enthalten. Wo heute die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung besteht, erscheint es geboten, den Sinn der Alten Pflichten deutlich auszusprechen.
  2. Durch die inzwischen eingetretene gesellschaftliche Entwicklung haben viele Menschen neue Rechte erworben. Neuen Rechten müssen aber auch neue Pflichten gegenüberstehen, sofern eine menschenwürdige Ordnung gesichert sein soll.
  3. Bisher war der Mensch vorwiegend durch die ihn umgebende Natur bedroht. In dem Maße, in dem der Mensch lernte, die ihm fremde Natur zu beherrschen, wurde seine eigene Natur zur größten Gefahr für das Überleben der Menschheit.
    Nachdem sich, wie oben erwähnt, einige Brüder im Jahr 1953 von der Loge „Zukunft“ abgespalten hatten, setzten sie eine intensive Ritualdiskussion in Gang, die auch die freimaurerischen Symbole und die Bekleidung betraf. So verzichtete man damals auf den Schurz, auf die Handschuhe und auf die beiden Säulen im Tempel. Das Ritual war knapp und sachlich gefasst. In jenen Logen, die aus der „Unabhängigen Freimaurerloge Wien“ im Lauf der Jahre hervorgegangen sind, und die heute die LGL bilden, wurden viele dieser puristi-schen Einschränkungen wieder rückgängig gemacht.
    Es bleibt unbestritten, dass in einer liberal ausgerichteten Loge bzw. Obödienz derartige Änderungen und Anpassungen legitim sind und durchgeführt werden können. Allerdings ist immer zu bedenken, dass alle Symbole, Werkzeuge, Ritualtexte und nicht zuletzt die Einrichtung der Loge einen historischen Kontext haben, der in allen Fällen sachlich begründet
    ist, oder zumindest begründet sein sollte. Jede Änderung muss daher ebenfalls durchdacht und sachlich begründet sein. Als Obödienz, die sich der liberalen Freimauerei verschrieben hat, genießen wir in dieser Hinsicht sogar einen sehr weiten Freiraum. Wir dürfen dabei jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass wir der Johannismauerei verpflichtet sind, und dass keine Änderung den allgemeinen freimaurerischen Prinzipien widersprechen darf. Überspitzt formuliert würde ich sagen: Man darf als liberaler Freimaurer die Liberalität nicht so weit treiben, dass man am Ende nur mehr liberal aber nicht mehr Freimaurer ist.
    Soweit ein Ausschnitt aus meinem Text aus dem Jahr 2012. Nun möchte ich einige Gedanken anfügen, die mir für die weitere Entwicklung unserer Loge Logos wichtig erscheinen, und die sehr allgemein beginnen:
    Wie vorhin erwähnt, sind wir als liberale Freimaurer keiner übergeordneten Organisation und deren Regeln verpflichtet.
    Wir sind also frei von etwas.
    Gleichzeitig sind wir aber auch frei für etwas.
    Dieses „für“ gilt es zu definieren.
    Dieses „für“ ist individuell und ich kann es daher nicht für euch definieren. Ich lade jedoch hier und jetzt jede Schwester und jeden Bruder ein, sich zu überlegen, was für sie oder ihn liberale Freimaurerei bedeutet.
    Ich lade ein, sich zu überlegen, wie diese Grundsätze hier in der Loge und im Leben durch die Tat umzusetzen sind.
    … sich zu überlegen, wie wir gemeinsam unser maurerisches Leben besser gestalten können.
    Unsere Schwester 2. Aufseher hat vorhin erklärt, dass wir „frei von Vorurteilen am Gebäude der Menschlichkeit arbeiten“. Dieses „Gebäude der Menschlichkeit“ können wir nicht schlüsselfertig bestellen. Wir müssen es selbst bauen. Im profanen Leben braucht ein der-artiger Bau viele und ganz unterschiedliche Gewerke. Einen Architekten, der den Plan entwirft. Maurer, die den Rohbau errichten. Elektriker, die Leitungen legen und Tischler, die schöne Möbel ins fertige Haus liefern.
    Ähnlich ist es hier im Tempel. Wir haben in unseren Reihen Geschwister, die virtuos mit Zahlenkolonnen jonglieren können. Andere schmökern gerne in verstaubten Druckwerken, deren Schrifttypen heute noch kaum jemandem geläufig sind. Andere verstehen es, den Tempel für Festarbeiten prächtig zu schmücken oder seitenlange Rituale auswendig und in perfekter Diktion vorzutragen. Nicht zu vergessen sind jene Geschwister, die es verstehen, durch ihre soziale Kompetenz den inneren Zusammenhalt der Loge zu stärken. Diese Aufzählung ist nicht vollständig und die Reihung soll nicht wertend verstanden werden.
    Was ich damit sagen will lässt sich ganz kurz zusammenfassen: jede und jeder in unseren Reihen besitzt eine Kompetenz, die für die Loge wichtig ist. Dabei geht es nicht nur um die Besetzung von Logenämtern, sondern auch um kleinere Aufgaben, die wenig zeitaufwändig, aber trotzdem wichtig sind für den Zusammenhalt der Loge.
    Apropos Zusammenhalt: Wir mussten leider in den vergangenen zweieinhalb Jahren erleben, dass der Zusammenhalt durch die Corona-Pandemie auf eine harte Probe gestellt wurde. Wir
    können nur hoffen, dass auch weiterhin die Präsenzarbeiten weitgehend gefahrlos und ohne Einschränkungen möglich sein werden. Ich persönlich schließe daran die Hoffnung, dass wir in Zukunft wieder den Spirit von 2014, als wir Logos gegründet haben, wiederbeleben, und auch die entsprechenden Präsenzen verzeichnen können. Ich sehe es, gemeinsam mit dem Beamtenrat, als unsere Aufgabe an, das Logenleben so zu gestalten, dass die organisatori-schen Agenden möglichst unauffällig und reibungslos im Hintergrund ablaufen. Die inhaltliche Auseinandersetzung muss jedoch von jedem von euch mitgetragen werden. Sei es durch interessante Baustücke, in den anschließenden Diskussionen im Tempel oder auch bei den Gesprächen an der Weißen Tafel. Das lässt sich nur durch Präsenz bei den Rituellen Arbeiten erreichen. Es ist mir bewusst, dass für jeden von uns das Zeitbudget immer herausfordernder und die Aufgaben immer vielfältiger werden. Jedoch: nur gemeinsam können wir das Logenleben so gestalten, dass jeder von uns den Tempel mit dem Gefühl verlässt, es habe sich gelohnt, den Donnerstagabend in der Hofburg verbracht zu haben.
    Seit der Gründung unserer Loge Logos im April 2014 haben wir einiges erreicht. Es ist wahrscheinlich nicht übertrieben zu sagen, dass die Loge in diesen acht Jahren „ein Gesicht bekommen hat“. Wesentlich hat dazu unser neuer Tapis beigetragen, aber auch die revidierten Ritualtexte für die Rezeption und Beförderung tragen ganz wesentlich zu unserem maurerischen Erscheinungsbild bei. Inhaltlich wichtig sind mir vor allem das überarbeitete Leitbild und der neue Leitfaden für Suchendengespräche. Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang auf die vor einem Jahr erfolgte Vereinsgründung, die zur organisatorischen Konsolidierung unserer Loge beiträgt.
    Trotz dieser Fortschritte bleibt noch einiges zu tun. So wollen wir in absehbarer Zeit auch das Ritual zur Meistererhebung revidieren, ein Vorhaben, bei dem sich hoffentlich wie bei den beiden letzten Ritualdiskussionen möglichst viele Geschwister einbringen werden. Wie schon angekündigt wollen Sr. Erna und ich in Form eines „Masonischen Forums“ kurze Einführungen und Diskussionen zu ausgewählten Themen anbieten. Sie sollen in regelmäßigen Abständen vor den Rituellen Arbeiten stattfinden und somit nicht als zusätzliche Termine den Kalender belasten. Aus der Arbeitstafel habt ihr ersehen, dass in diesem Semester ein Gast-BS eines befreundeten Bruders angesetzt ist. Ich habe vor, regelmäßig Gäste aus anderen Obödienzen als Referenten einzuladen. Es kann für unsere Loge nur von Vorteil sein, wenn wir Impulse von anderen masonischen Strömungen erhalten, Besuche aus anderen Logen empfangen und selbst vermehrt Reisen unternehmen.
    Abschließend möchte ich euch an jenen Satz erinnern, den unser Bruder 1. Aufseher heute nach dem Löschen der kleinen Lichter sprechen wird:
    Stärke im Handeln
    Ich möchte ihn in abgewandelter Form als Motto über meine Zeit im Osten dieser Loge stellen:
    Stärke im gemeinsamen Handeln
    Ich habe gesprochen.

1000 Jahre in 1000 Schritten

15.9.2022 Zusammenfassung einer Arbeit unter Freiern Himmel
1000 Jahre in 1000 Schritten
Begonnen hat unser abendlicher Spaziergang beim Denkmal des
Wiener Bürgermeisters Andreas von Liebenberg, der sich während
der zweiten Türkenbelagerung von Wien im Jahr 1683 grosse
Verdienste erwarb, als er den Durchhaltewillen der Wiener Bürger
entscheidend förderte und zu erhalten verstand. Den Erfolg erlebte
er allerdings nicht mehr, 2 Tage vor der entscheidenden Schlacht
starb er. Das Denkmal bezieht sich auf ihn als Sieger über die
Türken.
Weiter führt uns der Weg in Richtung historischer Mölkerbastei,
womit unsere 1 OOOjährige Wanderung beginnt. Die unten liegenden
Quadersteine des Fundamentes gehen möglicherweise sogar auf
die Keltenzeit und später auf die Römer zurück. Ursprünglich
Schattenbastei genannt, erstreckte sie sich entlang der Ringstrasse
als Erdwerk, später vergößert und verstärkt als Ziegelbau. Lehrlinge
waren Zubringer des Materials, Gesellen setzten die Ziegel Stein auf
Stein zu einer Mauer, die Meistern überwachten streng die
Arbeiten. Verschiedentlich durch Kriegseinwirkungen beschädigt,
wurde der größte Teil schließlich im Zuge der Stadterweiterung
1870/ 71 demoliert.
Auf dem Weg hinauf zur Bastei kommen wir am Mahnmal der
„Trümmerfrauen“ vorbei. So wurden jene Frauen bezeichnet, die
nach dem Zweiten Weltkrieg die durch den Krieg angerichteten
Schäden beseitigten,
Angekommen oben auf der Bastei bleiben wir gleich bei Haus
Nummer 10 stehen. Ottilie von Goethe, die Schwiegertochter von
Johann Wolfgang von Goethe lebte fast 30 Jahre vornehmlich in
Wien mit einem großen Wiener Freundeskreis. Goethes Enkelin
Alma, die er über alles liebte, verstarb hier mit nur 17 Jahren und
wurde am Ortsfriedhof von Währing- dem heutigen Schubertparkbeigesetzt.
40 Jahre später wurde ihr Leichnam nach Weimar
überführt, wo sie zu Füßen des Großvaters ruht. Kurz vor ihrem Tod
stand das hübche, junge Mädchen dem Münchner Bildhauer Ludwig
Schwanthaler Modell. Wofür- davon etwas später.
Das Nachbarhaus führt den Namen des Besitzers Pasqualatti,
einem Gönner von Ludwig van Beethoven. Der Künstler lebte mit
Unterbrechungen acht Jahre in diesem Haus, bedeutende Werke
sind dort entstanden wie Symphonien, Klavierkonzerte und die Oper
Eleonore.
Weiter führt unsere Route an hübschen Biedermeierischen
Bürgerhäusern vorbei – ein kurzer Blick auf das sogenannte 3
Mäderlhaus, in dem angeblich die Schwestern Fröhlich gewohnt
haben sollen. Franz Grillparzer und auch Franz Schubert sollen auch
häufig Gäste gewesen sein. Romantische Filme, kitschige Romane
wurden darüber verfasst: alles nicht wahr, wie wir heute wissen!
Und jetzt nach wenigen Schritten sind wir angelangt – auf der
Freyung , dem großen Platz vor dem Schattenstift, das ursprünglich
noch ausserhalb der Stadtmauer gelegan war. Ehe wir uns den
„Schotten“ widmen gilt unser Besuche einem der eindrucksvollsten
Wiener Barockpalästen – dem Palais Kinsky.
Schon beim Betreten wird einem die enorme Ausdehnung des
Baues bewusst und wenn man dann noch das Glück hat und die
riesigen Türen zur Freitreppe pffen sind, kann man die köstlichen
Figuren des genialen Bildhauers Raphael Donner bewundern,
Wir wollen aber weiter hinüber zum Schattenstift. Von Herzog
Heinrich Jasomirgott waren lro-schottische Mönche aus
Regensburg nach Wien berufen worden im Jahr 1155. Er
bestätigte die Schenkungen in einem Stiftsbrief und bestimmte das
Schattenstift zur Begräbnisstätte für sich und seine Familie.
Ausserdem ließ er ein Spital für erkrankte Kreuzfahrer errichten.
Neben der Gewährung des Asylrechtes dachte Herzog Heinrich II.
.auch an das leibliche Wohl der Mönche und ließ ihnen täglich
Speise und Trank aus der Hofküche bringen. Das erregte die
Neugier der Wiener und schnell versuchte man die Deckel von den
Töpfen zu heben. Daher stammt der Wiener Ausdruck
„Häferlgucker“.
Das nachbarlicht Prioritätshaus hat von den Wienern den
Spitznamen Schubladkastenhaus bekommen wegen seiner
Ähnlichkeit mit dem gleichnamigen Möbelstüsk =Kommode mit
Laden.
Im Zentrum des Platzes steht als Blickfang der Austria Brunnen
aus dem Jahr 1844 vom Münchner Bildhauer Schwanthaler
entworfen und in München gegossen. Modell für die Austria soll wie
schon erwähnt, Alma von Goethe gestanden haben. Eine Anekdote
erzählt , dass Schwanthaler die Figuren vor dem Versand in
München mit Tabak und Zigaretten habe füllen lassen, um alles
nach Österreich zu schmuggeln. Als dann alle Teile in Wien
zusammengebaut werden sollten, sei der Meister erkrankt und
verhindert gewesen, die Tabakwaren wieder aus den Statuen zu
nehmen. Anläßlich des Baues der Tiefgarage auf der Freyung wurde
der Brunnen abgebaut. Angeblich hat man dabei echte Tabakkrümel
in einzelnen Teilen der Statuen gefunden – so hat es mir einer der
Archäologen zumindest erzählt.
Wir queren denPlatz und wandern über die Innenhöfe des Palais
Harrach, einem weiteren prunkvollem Beispiel hochbarocker
Palastbauten in das benachbarte Palais Ferstel. Unterschiedlicher
kann Architektur kaum sein: vom Hochbarock des Palais Harrach
in den Romantischen Historismus des Heinrich von Ferstel. Geplant
als Gebäude für die Österreichische – Ungarische Bank, der Börse,
einem Kaffehaus und als absolute Novität eine Passage mit einem
Basar. Einen deutlichen Hinweis gibt auch der Donaunixenbrunnen
im Zentrum. Praktische Erfordernisse verbinden sich meisthaft zu
eine künstlerischen Komposition. Im 2. Weltkrieg schwer bescädigt
und im laufe der Jahre mehrfach verwahrlost wurde das Gebäude
letztlich Generalsaniert, das Cafe Central neu eröffnet. Das Gebäude
befindet sich im Besitz der Stiftung von Karl Wlaschek, der in der
Wiener Innenstadt 11 Palais erworben hatte und ohne Rücksicht
auf die finanziellen Kosten mit großem Aufwand alle hervorragend
sanieren ließ.
Am Cafe Central vorbei stehen wir jetzt in der Herrengasse gleich
vis a vis des Palais Batthanyi, dem späteren Hotel Klomser. Dort hat
sich im Mai 1913 einer der größten Spionageskandale in der
Geschichte der Habsburgermonarchie zugetragen.
Generalstabsoberst Alfred Redl, wegen seiner homosexuellen
Lebensführung schon seit zwölf Jahren vom russischen
Geheimdienst erpresst, wurde entlarvt. Anstatt ihn zu verhaften,
Vernehmungen durchzuführen, entschied man sich für eine
unauffällig Lösung des Fallles. Redl wurde auf seinem Zimmer
gestellt und ihm nahe gelegt, dass ein ehrenvoller Abgang von ihm
erwartete würde. Man übergab dem überführten Verräter einen
Revolverund beendete unrühmlich diesen Skandal„ Dass Russland
sämtliche Aufmarschpläne der österreichisch- ungarischen Armee
kannte, hat sich in der Folge des Ersten Weltkrieges als fatalen
Fehler erwiesen.
Die Herrengasse ist eine wirklich noble Gasse: Als wichtiges Zeugnis
der Österreichischen Geschichte gilt das Niederösterreichische
Landhaus . nicht nur dass seine Baugeschichte bis in das 16.
Jahrhundert reicht war es immer ein Zentrum wichtiger
monarchischer, historischer und politischer Ereignisse. Als Beispiel
sei das Jahr 1848 genannt, hier begann die Märzrevolution, nach
1918 bis 1997 Sitz des niedeösterreichischen Landtages. Heute
dient es als Veranstungszentrum, Kongresse und Feierlichkeiten. In
direkter Nachbarschaft im Palais Mollard findet man das weltweit
einzige öffentliche Globenmuseum mit der faszinierenden Welt der
Erd- und Himmelskunde, historischer Globen und diverser
globenverwandter Instrumente.
Noch sind wir nicht am Ende angelangt, das Palais Wilczek in der
Herrengasse 5 liegt noch vor uns. Es ist eines der ganz wenigen
Adelspaläste in Wien, der sich noch nach fast 200 Jahren im
Eigentum der Grafen Wilczek befindet. Hans Graf Wilczek, aufgeklärt
und liberal denkend wurde zu einem der engsten Vertauten des
unglücklichen Kronprinz Rudolf von Habsburg.
Leider existiert das im Nachbarhaus beheimatete berühmte Cafe
Griensteidll nicht mehr. Im späten 19. Jahrhundert ein berühmtes
Künstlerlokal auch bekannt als „Cafe Größenwahn, wurde es 2017
geschlossen, 2020 eröffnete in den Räumen des ehemaligen
Kaffeehauses eine große Supermarktkette eine Filiale. Dieses
Schicksal wird dem gegenüberliegenden Looshaus aus 1909
sicherlich verwehrt bleiben. Das Gebäude von Wenigen bejubelt von
der Bevölkerung und Stadtregierung geschmäht ist es ein zentraler
Bau der Moderne in Wien. Deutlich markiert es die Abkehr vom
Althergebrachtem, dem Historismus aber auch von dem blumigen
Schmuck der Secessionisten. Als nobler Modesalon und eleganter
Herrenschneider errichtet hatte es mit dem Zusammenbruch der
Monarchie und der folgenden Rezession seine Bedeutung verloren.
Der 1941 geborene Architekt Burkhardt Rukschcio, einer der
bekanntesten Spezalisten für Leben und Werk Adolf Laos‘, erkannte
die Bedeutung des vollkommen heruntergekommenen Baukörpers .
Ihm und den großzügigen Geldgebern ist es zu verdanken, dass der
Bau wieder in den Originalzustand versetzt werden konnte. Heute
bedeutet das Looshaus einen weltweiten Fixpunkt in der
Geschichte der Internationalen Architektur des vergangenen
Jahrhunderts.
Nun wollen wir unsere Zeitreise beenden und wenden uns dabei der
Vder Mitte zu, die auf dem Michaelerplatz so deutlich und
eindrucksvoll zu erleben ist. Die Reste eines römischen LagerDorfes
konnten freigelegt werden, die nicht nur den Familien und
Konkubinen der römischen Legionäre als Lebensraum dienten,
sondern gleichzeitig neben Geschäften und Schenken oft auch
Bordelle aufwiesen. Gleichzeitig verliefen zwei Strassenzüge über
den Kohlmarkt und Michaelerplatz. Hier kreuzte sich die
Bernsteinstrasse als Nord-Süd Verbindung mit der Handelsstrasse ,
der an der Donau entlangführenden Limesstrasse. Ein wichtiger
Verkehrsknotenpunkt in Mitteleuropa!
Vindobona so hiess das Legionslager, das der römische Kaiser
Marc Aurel um das Jahr 180 besucht hatte und vielleicht auch hier
gestorben ist. In der Nachwelt als Philosophenkaiser präsentiert
möchte ich meine Arbeit mit einem Zitat aus seinen
Selbstbetrachtungen beenden:
SCHAUT ZURÜCK AUF DIE VERGANGENHEIT MIT IHREN SICH
VERANOERTEN REICHEN,
DIE AUF- UNO ABFIELEN,
UNO IHR KÖNNT AUCH DIE ZUKUNFT VORHERSEHEN

Der aufgehobene raue Stein auf Wanderschaft

Vor vielen Jahren wurde in den Tiefen der Erde durch die Verbindung von liebender Wärme und starkem und unablässigem Druck ein kleiner Stein geformt. Als die Zeit reif war, wurde er – wie viele Steine vor ihm –  aus einem Vulkan der Sonne entgegengeschleudert. Doch der kleine Stein hatte Glück. In der Mulde, in der er landete, war er umgeben von viel Wärme seines Muttergesteins, welches ihn in kalten Nächten nicht frieren ließ, während ein großer Vaterstein darüber wachte, dass ihm nichts passierte. Von den Hängen des Vulkans blickte der kleine Stein hinab auf die Welt, die vor Ihm lag. 

Eines begeisterte ihn besonderes: In der Ferne sah er ein Licht, besser ein Funkeln, welches er täglich in der Morgensonne sah. Dort will ich hin, dachte sich der Stein, und er machte sich auf den Weg. Er verließ die Mulde und zog hinaus, die Welt zu entdecken und zu erfahren, was dieses Funkeln denn sei. Anfangs rollte er voll jugendlichen Leichtsinns schnell den Berg hinab. 

Natürlich, wie junge Steine so sind, holte er sich ein paar Beulen und Blessuren, aber das machte nichts. Auf dem Weg ins Tal lernte er auch andere Steine kennen. Manche wurden zu freundlichen Begleitern, andere schlugen lieber auf den kleinen Stein ein. Besonderes die Granitgang hatte es auf den kleinen Stein abgesehen. Sie stießen ihn herum und machten sich lustig über seinen Wunsch, das Funkeln zu entdecken. Doch aufgeben war nicht die Art des kleines Steins. Er ging unbeirrt seines Weges Richtung Tal, welches ihn zum Funkeln führen sollte. So dachte er jedenfalls. Als er endlich im Tal war, merkte er, dass er das Funkeln in der Ferne nicht mehr sah. 

Wohin war es verschwunden? Er blickte zurück und fragte sich selbst: War es klug, die wärmende, schützende Mulde zu verlassen? Dort oben war alles hell und freundlich und hier im Tal alles düster und kalt. Auch hatte der kleine Stein Angst vor dem dunklen, lauten blauen Strom, der sich in der Mitte des Tals dahinwand. Doch wohin, fragte er sich? Mutig sprang er in den Strom.

Im dunkeln Fluss merkte er, dass er noch weniger sah als zuvor und dass es darin immer nur eine Richtung gab, und zwar stromabwärts. Wo bin ich hier, fragte sich der kleine Stein? Du bist dort, wo du hingehörst, schrie ihn eine polternde Stimme an. Kleine Steine sind da, um uns große zu tragen. Der kleine Stein wandte sich um. Ein dicker, großer Quarz trieb auf Ihn zu. Mich musst du auch tragen, schrie ein Pyrit von nebenan. Und so hockten sich die beiden auf den kleinen Stein, der sie durch den dunklen Fluss entlang tragen musste. Ab und zu, wenn die beiden Pause machten, durfte der kleine Stein auch woanders hin. 

Eines Tages lernte er ein Konglomerat kennen. Das Konglomerat beobachtete den kleinen Stein schon etwas länger. Eines Abends fragte das Konglomerat den kleinen Stein: „Willst du ebenfalls zum Funkeln?“. Der kleine Stein war verwundert. Das Konglomerat hatte das Funkeln also auch gesehen? Gibt es also doch einen Weg dorthin? Auf einmal fiel dem kleinen Stein das Tragen von Quarz und Pyrit etwas leichter. Die Aussicht, aus dem dunklen Fluss wieder herauszukommen, gab Ihm Kraft. 

Eines Tages war es so dann so weit. Das Konglomerat nahm den kleinen Stein und führte ihn auf eine Schotterbank – damit an die Oberfläche und das Licht. Dort sah er auch andere Steine, bunte Steine. Die Steine erklärten Ihm, dass auch sie zu dem Funkeln, dem Licht wollten. Gemeinsam machten sie sich auf die Reise. Und so ging es weiter im Fluss. 

Eines Abends lernte der kleine Stein einen weiblichen Feuerstein kennen. Er nannte sie so, denn schon bei der ersten Begegnung funkte es. Doch einen Haken hatte es. Der Feuerstein reiste auf der anderen Seite des Flusses. Hin und her gerissen, entschied sich der kleine Stein, von nun an zwischen seinem Freund Konglomerat, seinen neunen Freunden und dem Feuerstein hin und her zu reisen. Den Quarz und die Pyrit musste er dennoch weiter tragen. Doch fiel es ihm leichter. Er traf auch noch auf andere Steine. Einen großen, furchtlosen, aber sehr feinen und witzigen Glimmer traf er in der Mitte des Flusses. 

In die Gruppe der bunten Steine auf der Schotterbank fügte sich der kleine Stein gut ein. Anderes als sonst im Fluss, hauten sie weniger aufeinander ein, sondern gaben sich gegenseitig Tipps, wie man sich selbst behauen kann. Dem kleinen Stein gefiel dies. Er lernte so, während er im Fluss reiste, bei den Treffen auf der Schotterbank, welche seiner Ecken und Kanten er sich wo abhauen sollte, um ein besserer Stein zu werden. Natürlich klopften auch andere Steine auf Ihm herum, doch taten sie dies im Gegensatz zur Granitgang auf eine freundliche Art und Weise. 

Der kleine Stein erkannte mit jedem Schlag an sich selbst auch immer mehr, wer er den sei. Er war anderes als die anderen Steine. Natürlich gefiel das so manchen Steinen gar nicht. Besonderes Quarz und Pyrit hatten ein großes Problem mit der neuen Selbstständigkeit des kleinen Steines. Doch sie hatten ein Druckmittel. Leider musste der kleine Stein im Fluss auch Wegzoll bezahlen, wenn er seinen Feuerstein sehen wollte, und diesen musste er sich bei Quarz und Pyrit verdienen. Das gefiel dem kleinen Stein aber zunehmend weniger. Doch der Feuerstein war dem kleinen Stein wichtiger als alles andere. 

Als der Tag kam, an dem er und der Feuerstein beschlossen, von nun an gemeinsam im Fluss zu reisen, waren natürlich alle bunten Steine dazu eingeladen und viele fanden auch den Weg an das andere Ufer, wo der Feuerstein reiste. Besonderes dem Pyrit gefiel das gar nicht. Auch er wollte vom Quarz gefragt werden, ob er mit ihm reisen würde. 

Der kleine Stein fühlte sich inzwischen sehr wohl. Das Tragen war erträglich und dank Ton und Sand, welche er bei den bunten Steinen kennen gelernt hatte, konnte er so manche Lücken, wo nicht Kannte auf Kannte passte, zwischen sich und den anderen Steinen verbinden. Auch schaute er mehr um sich. 

Mit seinem Freund Glimmer genoss er das Leben, wenn sie zusammen andere Steine im Kreis um die Wette wirbeln ließen. Mit dem Konglomerat verbanden ihn lange und tiefe Gespräche über das Ziel – dem Funkeln in der Ferne. Er entdeckte auch immer neue Wege und Steine im Fluss, manche freundlich andre nicht so freundlich, aber aus jeder Erfahrung lernte der kleine Stein. Er lernte auch im ganzen Fluss viele andere bunte Steine kennen, alle mit demselben Ziel, das Funkeln zu erreichen. Das Leben schien für den kleinen Stein gut zu laufen. 

Was der kleine Stein nicht wusste war, dass sich ein Sturm hoch oben in den Bergen zusammenbraute und den Fluss immer reißender werden ließ. Der Anfang war, dass der Pyrit immer heftiger auf den kleinen Stein einschlug, während der Quarz zusah. Auch unter den bunten Steinen brach ein Streit aus. Der kleine Stein wusste nicht wie im geschah, wie er auf einmal mit anderen bunten Steinen zusammensaß und das Ziel des Funkelns nicht mehr das Thema war, sondern wer denn die Schotterbank aufräumen sollte. 

Die einen Steine meinten so die, anderen so, und vergessen war das Ziel des Funkelns.

Auch der Feuerstein klopfte am kleinen Stein herum, er solle doch endlich das Schleppen von Pyrit und Quarz sein lassen. Der kleine Stein bekam Angst und verkroch sich in einer Spalte und suchte dort das, was er vor Langem verlassen hatte – die Wärme des Muttergesteines. 

Ein großer starker Eisenstein kam vorbei und sah den kleinen Stein in der Spalte. Was machst du da, fragte er mit sanfter und zeitgleich kräftiger Stimme, den kleinen Stein? Ich habe Angst, sagte der kleine Stein zum Eisenstein, den er von der Schotterbank kannte.

 „Mir wurde beigebracht an mir selbst zu klopfen, beigebracht Unterschiede auszugleichen und große Pläne zu entwerfen, aber mit all dem komme ich nicht weiter“, fuhr der kleine Stein fort. Für den kleinen Stein brach ein geistiger Damm. Er erzählte dem Eisenstein über seine Furcht vor Quarz und Pyrit, seine Angst, den Feuerstein zu verlieren und die Angst, in den Augen der anderen bunten Steine zu versagen. Der Eisenstein hörte ihm aufmerksam zu und meinte mit ruhiger Stimme: „ Ich gebe dir ein Geschenk, das dir helfen wird. Ich schenke dir Zeit!

Gleichzeitig spülte der Sturm aus den Bergen eine gefährliche Alge in den Fluss, die manche Steine auffressen konnte. Ermuntert durch die Worte des Eisensteines, tat der kleine Stein, was er sich nie hätte denken können. Er sagte Quarz und Pyrit adieu und flog als einer der Letzten auf die andere Seite des Flusses zu seinem Feuerstein. Dies tat Ihm weh, ließ er doch alles, was ihm wichtig schien am anderen Ufer zurück: Freunde, Einkommen, seine bunten Steine und die Schotterbank. 

Angekommen auf der anderen Seite, wo das Leben noch frei von Algen war, beziehungsweise sich die dortigen Steine darüber weniger Sorgen machten. Dort war er zunächst einmal erschlagen. Die ungewollten Abschläge, die er bekommen hatte, mussten erst einmal heilen. 

Während des Heilungsprozesses fragte sich der kleine Stein: „Will ich den zurück ans andere Ufer? Dort warten nur Pyrit und Quarz, welche nur getragen werden wollen und sonst? Warum nicht einfach hierbleiben und nie mehr zurückgehen auf die andere Seite

Doch da gab es etwas, was den kleinen Stein nicht losließ. Als er das erste Mal auf der Schotterbank etwas Helles sah, gaben ihm die anderen Steine dort viele Überlegungen mit. Eine davon war:  Der Weg zu hellstem Licht führt durch das tiefste Dunkel. Erkennen Sie in dieser Stunde die Zerbrechlichkeit des Seins. Werfen Sie angesichts dieser Erkenntnis von sich, was Sie an ungeprüften Wertschätzungen, an Vorurteilen mit sich tragen, damit Sie als freier Stein auf die Schotterbank treten können.

Wenn nicht auf der Schotterbank, wo dann, überlegte der Stein. Wo ist man dem funkelnden Licht näher als auf der Schotterbank? 

Dem kleinen Stein wurde mulmig. Einerseits wollte er nicht mehr zurück auf die andere Seite, doch zog es ihn zurück auf die Schotterbank. Je länger er da saß, wurde dem kleinen Stein immer mehr bewusst, wie sehr ihm die anderen Steine auf der Schotterbank fehlten. Der kleine Stein erinnerte sich an einen Zuruf eines anderen Steines:

In Dir, in Deinem Wesen, in Deinem Denken und Handeln, in Deinem Tun und Lassen spiegelt sich das Wesen der Welt. Unbeirrt durch den Lärm der Welt wandelt der Weise seinen Weg zu Wissen und Wahrheit – fest und kühn in den Stürmen des Lebens, hohe Ziele im Sinne. Aus Selbsterkenntnis erwachse auch Ihnen einst solche Weisheit.

Darüber dachte der kleine Stein, in seinem Exil auf der anderen Seiter des Flusses oft nach. Doch was bedeutete es? Eines Nachts wachte der kleine Stein auf und erkannte für sich: Wenn du wirklich zurückwillst, dann ändere was, du selbst hast es in der Hand. 

Als erstes begann der kleine Stein wieder Kontakt zu den anderen Steinen aufzunehmen. „Durchs Reden komman  d‘Leut zam“ hatte er in seiner Mulde noch gelernt. Also sprich mit allen. sagte sich der kleine Stein. Er nahm wieder Kontakt zu den Steinen auf, welche auf der anderen Seite zurückgeblieben waren, in der Hoffnung, sie würden Ihn und seine Lage verstehen. 

Doch wie sollte er den Wegzoll bezahlen? Da fiel dem kleinen Stein ein, dass er ja immer für seine Ideen von den anderen Steinen aufgezogen wurde. Doch einige wichtige, große Steingremien sagten ihm, seine Ideen seien wirklich neu für die Steinheit. 

Auch der Glimmer meldete sich wieder. Er war nicht so weit entfernt und dank seines Ausweises von der anderen Flussseite, konnte er den Glimmer besuchen. Der Glimmer sah etwas in dem kleinen Stein, wie er sagte. Auch wenn der kleine Stein den korrekten und ordentlichen Glimmer manchmal mit seiner chaotischen und kreativen Art in den Wahnsinn trieb, bemerkte er das Potential im kleinen Stein und ließ sich auf ihn ein. Gemeinsam begannen sie, eine der vielen Ideen des kleinen Steines umzusetzen und zu entwickeln. Der kleine Stein war glücklich, endlich ging es bergauf dem Licht entgegen. Viele Beulen und raue Steine, welche anderen Steine dem kleinen Stein zugefügt hatten, waren wieder mit Mörtel gekittet worden.

Doch die Freude währte nicht lange: Bei einem Treffen, stießen der Glimmer und der kleine Stein auf einen echten Assi-Stein, der die Ideen des kleinen Steines schlechtmachte. Mit einem Schlag war der ganze Mörtel wieder ab und der kleine Stein fiel. Dem Glimmer gefiel das gar nicht, wie andere Steine auf den kleinen Stein draufhauten. 

Wieder bei seinem Feuerstein zuhause dachte der kleine Stein nach. War es sein Schicksal, ewig den Quarz und Pyrit zu tragen? Glaubte er nur, gute Ideen zu haben. Denn außer Mutter- und Vatergestein und dem Glimmer glaubte keiner an seine Visionen für die Steinheit. 

Der kleine Stein versteckte sich wieder in einer Spalte. Dort unten fiel ihm ein zweiter Zuruf ein, den er vor Langem auf der Schotterbank gehört hatte:

In Dir, in Deinem Wesen, in Deinem Denken und Handeln, in Deinem Tun und Lassen spiegelt sich das Wesen der Welt. Schmal ist der Weg, der zum Ziel führt, groß die Gefahren, die Dich von ihm abzuhalten drohen. Doch aller Gefahren größte bist Du Dir selbst. In Deine Hand ist alles gegeben. So ist dies der erste Schritt auf dem Weg zur Stärke.

Der kleine Stein wollte stark sein, doch nur wie? Auch den Glimmer ließ dieses Tief nicht los, er wollte dem kleinen Stein helfen. Sein Ziel, den kleinen Stein so aufzubauen, dass er gegen Assi-Steine und die Granitgang bestehen könne, denn auch wenn der Glimmer ganz anders war, sah er etwas im kleinen Stein. Etwas, was er nicht hatte oder konnte, aber davon begeistert war. Und so wurde der kleine Stein zum Aufbautraining gesendet. Diesmal nicht mit Mörtel, sondern mit der Arbeit an sich selbst.

Auch auf der Schotterbank tat sich was. Der glänzende Rubin wollte nicht mehr länger die Schotterbank leiten, warum auch immer, und er bat alle anderen Steine, es ihm gleich zu tun. Doch der kleine Stein sagte sich: „Warum? Wäre es nicht wichtiger gemeinsam weiterzukommen? Warum nicht Stärke zeigen?“. Der kleine Stein dachte dabei an seine Beziehung zum Glimmer. Der Glimmer war ordentlich und korrekt, also das Gegenteil des kleinen Steines, und dennoch konnten sie gut gemeinsam an etwas arbeiten. Da fiel dem kleinen Stein ein Versprechen ein, welches er den anderen Steinen auf der Schotterbank gegeben hatte: 

Ich gelobe, als Stein von Ehre und mit dem Gewissen eines freien Steines, den mir bekannten Zwecken der Schotterbank meine besten Kräfte zu widmen, mich zu bemühen, den sittlichen Forderungen des Bundes jederzeit gerecht zu werden, die Bankdisziplin zu achten, meinen Mitsteinen geschwisterlich und allen Steinen steinlich zu begegnen.

Das konnte nur heißen, weiterzumachen, Stärke zu zeigen und alle gegebenen Werkzeuge und sich selbst zu nutzen. Also, voran! Obwohl der kleine Stein nicht wusste, was Winter und Algen im Fluss noch bringen würden. 

Den Vorsitz der Schotterbank übernahm ein langgedienter Basalt, der bekannt war für seine spezielle Form. Die Muschelverwaltung übernahm der Bauxit, mit dem der kleine Stein so manche Schwierigkeiten in der Vergangenheit hatte. Dem kleinen Stein fielen die Worte eines anderen erfahrenen Steins ein, welche er mitbekommen hatte: Du bist der Verwalter und du kannst frei gestalten – mach etwas daraus! 

Das Verbindende über das Trennende stellen, und reden, denn dies könnte der Weg sein, wie diese Schotterbank wieder dem Licht näherkommen könnte, dachte sich der kleine Stein, denn wer es nicht versucht, hat schon verloren. 

Auch der Basalt war dahinter, sich alle vierzehn Tage zu treffen, sagte er; ihr habt alle Handys, wir halten so Sitzungen ab, gab er vor.

Inzwischen zog der Herbst an den Fluss, die Algenplage war – wie erwartet – noch immer nicht zu Ende. Und wieder saß der kleine Stein bei seinem Feuerstein auf der anderen Flussseite und blickte einem kalten und langen Winter entgegen. Doch auch Wärme erfuhr er.

Das Team Schotterbank begann unter den strengen Worten des Basalts zusammen zu wachsen. Verbindendes wurde über Trennendes gestellt und es baute sich langsam Vertrauen auf. Auch konnte ein wenig auf der Schotterbank gearbeitet werden. Das Problem mit dem Quarz und Pyrit konnte der kleine Stein lösen, denn ein Jahr zur Fortbildung durfte er sich nehmen. Dank des Glimmers konnte der kleine Stein auch immer mehr an Profil gewinnen und sich selbst erkennen. Er lernte viele andere Steine kennen, die ihm auf seinem Weg begleiteten und gut zusprachen. 

Doch eine Frage quälte den kleinen Stein. Was passiert nach diesem Jahr? Wie soll ich den Wegzoll in Zukunft begleichen? Eines war klar, zurück zu Quarz und Pyrit war ausgeschlossen. Wieder waren es Geister, die im kleinen Stein aufstiegen. Doch da fiel ihm wieder ein Satz ein: 

Die Schotterbank ist keine religiöse Sekte und keine politische Vereinigung. Sie denkt nicht dogmatisch. Sie strebt den Fortschritt der Steinheit an auf dem friedlichen Wege der Belehrung und Bildung, die Veredelung der Steinheit auf dem Wege der Veredelung des Einzelnen. Das Ziel der Schotterbank ist, alle Steine zu einer Gemeinschaft zu vereinen, so dass sie einander als Geschwister anerkennen, lieben und helfen

Dies gab dem kleinen Stein Kraft und zumindest die Gewissheit, dass das Klopfen an seinen Ecken und Kanten ihn irgendwo hinführen und zumindest den Status quo verändern würde.

Durch Zufall fand er auf der anderen Seite des Flusses eine kleine, aber feine Schotterbank, die dem kleinen Stein Zutritt gewährte, wenn er auf der anderen Flussseite war. Der kleine Stein merkte, wie sehr ihm die Arbeit auf der Schotterbank im langen und kalten Winter gefehlt hatte, als er zwischen den ihn unbekannten, aber dennoch vertrauten Steinen stand, die noch dazu eine sehr komische Sprache sprachen. 

Auch seine Sorge um den Wegzoll löste sich. Ein Bimsstein, den der kleine Stein schon länger kannte, gab Ihm eine neue Aufgabe. Nicht mehr tragen wie bei Pyrit und Quarz, sondern ein miteinander auf gleicher Ebene. Mit seinen Ideen hatte sich der kleine Stein auch bei Wettbewerben beworben und kam dabei voran. Und so verging ein langer Winter, ohne dass der kleine Stein fror und das Frühjahr zog wieder ins Land. Auch die Arbeit an der Schotterbank ging voran. Anstatt einander zu misstrauen, war die Arbeit zwischen Basalt, Bauxit und dem kleinen Stein immer mehr von einem Miteinander statt einem Gegeneinander geprägt. Man hörte zu und arbeitete gemeinsam. Auch mit den Vertretern der einzelnen Steingruppen. Es wurde wieder miteinander gesprochen. Das Gemeinsame über das Trennende gestellt und Kompromisse gesucht. 

Eine Mahnung fiel dem kleinen Stein wieder ein: 

Der Bund der Schotterbank ist eine Gemeinschaft freier Steine. Weder Stand noch Vermögen, weder Alter noch Bildung räumen in diesen Reihen ein Vorrecht ein. Höhere Fähigkeiten verpflichten alleine zu höheren Leistungen. Ehrgeiziges Machtstreben oder eitle Neugier werden in diesen Reihen keine Befriedigung finden. 

Ein angenehmes Gefühl fand der kleine Stein, wenn es nur um das Tun und Handeln geht und nicht das wer man sei und aus welcher Mulde man entstamme. 

Beim Verdienen seines Wegzolles tat sich der kleine Stein auch immer leichter. Ein Termin jagte den anderen, aber dank der Aufbauarbeit des Glimmers und der Schotterbank kann er diese langen Tage gut bewältigen. Auch wurden die Tage immer besser mit dem Maßstab eingeteilt. Schlafen, Reisen, Termine, Feuerstein, Schotterbank und vieles mehr passten dank Einteilung immer besser in die Tage des kleinen Steines. 

Auch eine Reise zum jährlichen Treffen aller Schotterbänke ging sich nun terminlich aus. Auf dem Heimweg ließ der kleine Stein die Jahre Revue passieren und dabei fiel ihm ein dritter Zuruf ein, den er vor Jahren vernommen hatte und den er selbst einmal sprechen durfte:

 In Dir, in Deinem Wesen, in Deinem Denken und Handeln, in Deinem Tun und Lassen spiegelt sich das Wesen der Welt. Die Wenigen prägen das Antlitz der Zeiten. Sie schaffen die Werke, sie bringen die Opfer, von ihnen strahlt der Glanz der Welt. In Dich ist alle Hoffnung gesetzt. So ist dies der erste Schritt zur Schönheit.

Ich bin eben anders, genauso wie alle anderen, und das ist gut so, sagte sich der kleine Stein. Manches kann ich, manches nicht. Beim Gegenüber ist es umgekehrt, aber gemeinsam ergänzen wir uns und kommen weiter. Langsam erkannte der kleine Stein, was dieses Funkeln da in der Ferne sein könnte. Viel Arbeit an sich selbst, die wohl nie ausgehen wird, um zur Schönheit zu gelangen.

Vom Schweigen, Reden, Dauerratschen

eine Auseinandersetzung mit Menschen, deren übersteigertes Mitteilungs-bedürfnis, ihre zwangsbeglückten, naturgemäß schweigenden Zuhörer sehr oft unduldsam werden lässt, verbunden mit der Erkenntnis, wie wenig  diese Menschen dazu gelernt – sich nicht selbst erkannt haben. 

Mein Weltbild räumt der Mitmenschlichkeit, der Menschenliebe großen Raum ein, so dass ich mir gerade deshalb diese Kontroverse gestatte!

Liebe Srr und Brr, dies ist ein Thema, das mir seit langem auf der Seele brennt und das mich an so mancher „Freundschaft“ zweifeln lässt. Ich empfinde in den folgenden Ausführungen nicht nur wenig Achtung und Wertschätzung vieler Gesprächspartner ihrem Zuhörer gegenüber, sondern Missbrauch und verbale Ausnutzung. 

Miteinander reden ist ein wichtiges Mittel zwischenmenschlicher Kom-munikation; doch was, wenn immer nur einer redet? Dann hat dies mit Kommunikation wenig zu tun – es gibt keinen Austausch, sondern Monolog statt Dialog.

Ihr kennt sie sicher, jene Mitbürger, Freunde, Bekannte, deren konzentrisches Weltbild nur einen Mittelpunkt kennt – nämlich sich selbst als „Nabel der Welt“! 

Ich verstehe schon, dass jeder das Bedürfnis hat, sich mitzuteilen, über Eindrücke, Erlebnisse, Sachverhalte, die berühren, zu reflektieren. Die Kunst dabei ist, nicht das Maß zu verlieren und zum rechten Zeitpunkt schweigen zu können. Dies meine ich, stünde manchem oft besser an; doch ein übertriebenes Geltungsbedürfnis und/oder zwanghaftes, fast könnte man meinen pathologisches Redebedürfnis lassen dies auf keinen Fall zu.

Was soll damit kompensiert werden? Die Angst, übersehen, nicht beachtet zu werden? Oft tagelang mit niemandem ein Wort gewechselt zu haben? 

Sich unbedingt ständig in Szene setzen zu wollen? 

Den Kopf voll zu haben mit vielerlei Gedanken, Ideen, Erkenntnissen, um Raum zu schaffen – Ungesagtes unbedingt das Licht der Welt erblicken zu lassen?

Oder etwa ein Kindheitstrauma? 

Ich erinnere mich noch der antiquierten Erziehungsmethoden, wenn in früherer Zeit – zumindest in meiner Jugend war das so – ein Kind in Gesellschaft Erwachsener etwas sagen wollte, dass es hieß: „Sei still, Du redest nur dann, wenn Du gefragt wirst“. Ist es das, was vielen Menschen nachhängt? 

Sind dies all die Ursachen, warum immer mehr erwachsene Menschen zu Unternehmern geworden sind? Solchen, die Kleinst-Unternehmen in Form von Aktiengesellschaften vorstehen, also einem in einer einzigen Person vereinig-ten Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzenden der Ich-AG!

Natürlich darf und soll jeder sein Ego pflegen, doch nicht immer zu Lasten anderer Ichs! 

Dabei sind allerdings Empathie und Fingerspitzengefühl oder besser gesagt Stimmritzengefühl gefragt. Auch diese Eigenschaften ließen sich pflegen, wäre das Ego nicht allzu mächtig. So hat meist nur eines Bedeutung – das eigene Ich!

Worüber die Ich-AG spricht, hat jeden zu interessieren; und  um es überspitzt zu formulieren, selbst der Stuhlgang zum Dauerbrenner wird. 

Eine Übung in Geduld und Durchhaltevermögen ist gefordert, wird diese Schilderung auch noch langatmig dargeboten, kein Detail ausgelassen und bereits in biblischer Zeit ihren Anfang nimmt – nämlich bei Adam und Eva. Das eigentliche Thema verliert sich, der Kern der Erzählung wird oft vergessen.

So zeichne ich vermutlich für viele von uns ein vertrautes Bild der Selbstdar-steller, ohne Punkt und Komma Redenden, ja, nicht einmal Luft holend Ratschenden.

Lt. Österreichischem Wörterbuch ist eine „Ratschen“/ein  „Ratscher“ jemand, der gedankenlos viel, schnell und ausdruckslos redet; und nach meiner Wahrnehmung dabei  auch oft in eine Art Singsang verfällt. 

Doch steht dies alles nicht allein, sondern der Dauerratscher ist noch dazu bemüht, ständig dem nach langem „Rede-Beschuss“ genervten, „wortver-gewaltigten“ Zuhörer das Wort abzuschneiden, sollte der sich erlauben, zwischendurch etwas einwenden zu wollen. Dies halte ich – neben dem unablässigen „Schwafeln“ – für ungebührliches und schlechtes Benehmen von Ichs, die selbst nicht zuhören können, es aber von ihrem Gegenüber sehr wohl erwarten! 

Wenn dann, nach stundenlangem Wasserfall-Reden, zu hören ist: „Du sprichst ja heute gar nichts?“, ist der Geduldsfaden knapp vor dem Reißen.

„Wann denn?  –  Nur singen können wir gemeinsam“!

Haben wir uns endlich doch einen halben Satz erkämpft, dann heißt es, schnell zu reden, weil die Ungeduld des Gegenübers spürbar erkennen lässt, wieder zu Wort kommen zu müssen.

Der schon leicht grantige Hinweis: „Merke dir, was du sagen willst, aber lasse mich bitte ausreden und falle mir nicht ständig ins Wort“, ist lediglich ein Schuss in den Ofen.

Wenn der Ich-AG erstaunlicherweise gar nichts mehr einfallen sollte, kommt entweder das Wetter ins Gespräch oder ein anderes banales Thema.

Angesprochen auf den Vorwurf im Freundeskreis, zwei Stunden lang ununterbrochen von sich geredet und den bereits in Resignation verfallenen Zuhörern nicht die kleinste Chance geboten zu haben, auch etwas beizutragen oder loszuwerden, folgte als Antwort des Dauerredners lediglich: „Das habe ich gar nicht bemerkt“! – 

Soweit zum Profanen, zu Erlebnissen im eigenen privaten Umfeld, und im Vertrauen gesagt, ich habe mir von dem Erzählten rein gar nichts gemerkt! 

Fazit: So wünsche ich mir sowohl im Profanen als auch in unserem Kreis, dass jeder eingedenk sei seiner … nein, diesmal nicht Pflicht, oder doch? …, also seiner Verantwortung, des Respekts und der Achtung im Umgang mit anderen!  

Verhalten wir uns so, wie wir erwarten, gehört zu werden, nämlich aufmerk-sam. Geben wir unserem Gegenüber rechtzeitig die Gelegenheit zum Nachdenken, das Gehörte zu „verdauen“ und lassen wir zu, selbst aufmerksam und wertschätzend zuzuhören.

Vergessen wir unsere Ichs, denn nur gemeinsam, in der Vielfalt vieler Ichs, können wir das sein, was uns miteinander verbindet – wahre Maurer, wahre Menschen!

Soweit zur Ich-AG, doch dem Titel des BS bis jetzt noch immer nicht ganz gerecht geworden zu sein, nämlich dem Schweigen

Wie auch, bedeutet Schweigen still, wortlos zu sein. Im rechten Augenblick schweigen zu können!

Wikipedia & Co. zum Beispiel bieten umfangreiche Informationen über die Bedeutung des Wortes Schweigen mit dessen Synonymen – für Profane! Wie beredtes Schweigen, missbilligendes Schweigen uvm.

Spirituell Fortgeschrittene jedoch, also jenen, die in der Oberflächlichkeit des Alltags/der Welt wenig oder keinen Sinn sehen, begeben sich auf die Suche – sie verlangen Antworten. Wo sind sie zu finden? – In der Stille, im Schweigen! 

So stehen unsere Existenz – also unser Da-Sein im wahrsten Sinne des Wortes –, des hier auf dieser Erde inkarniert Seins und das Erkennen dieses Seins in enger Verbindung mit dem SCHWEIGEN!

Schweigend inne zu halten, zur Ruhe zu kommen, mit den inneren Ohren hörend und der inneren Stimme Zeit und Raum zu schaffen, um dem meditativen, verinnerlichten und  kontemplativen Schweigen die Tür zu öffnen zu sich selbst, um der Kontaktaufnahme mit dem wahren Selbst/dem inneren Tempel Platz einzuräumen zur eigenen Entwicklung und zur Erkenntnis!

Erkenne Dich selbst!

Obwohl die Ströme der Worte

uns unablässig überschwemmen,

in den Tiefen unseres Ich

herrscht das Schweigen auf immer.

Khalil Gibran

Der Schritt vom Schweigen zur Verschwiegenheit ist nur ein kurzer, für uns FM nicht nur Tugend, sondern ebenso Verpflichtung:

Eine der wichtigsten Tugenden im gesellschaftlichen Leben und die wirklich täglich seltener wird, ist die Verschwiegenheit. Man ist heutzutage so äußerst trügerisch in Versprechungen, ja in Beteuerungen und Schwüren, dass man ohne Scheu ein unter dem Siegel des Stillschweigens uns anvertrautes Geheimnis gewissenloserweise ausbreitet. Andre Menschen, die weniger pflichtvergessen, aber höchst leichtsinnig sind, können ihrer Redseligkeit keinen Zaum anlegen. Sie vergessen, dass man sie gebeten hat zu schweigen, und so erzählen sie, aus unverzeihlicher Unvorsichtigkeit, die wichtigsten Geheimnisse ihrer Freunde an öffentlichen Wirtstafeln.“ …


 meint Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr von Knigge: „Über den Umgang mit Menschen“ (1788)

Gedenken wir unseres Gelöbnisses zur Verschwiegenheit bei unserer Aufnahme oder an die immer wiederkehrende Aufforderung des MvSt nach der Arbeit:

„Ehe wir auseinandergehen, wollen wir unser Gelöbnis erneuern, die maurerische Tugend der Verschwiegenheit zu üben und Menschlichkeit und Brüderlichkeit walten zu lassen – so wie hier drinnen durch das Wort, im Leben durch die Tat“.

Und Br. Goethes einfacher Reim bringt es auf den Punkt:

Niemand soll und wird es schauen,

Was einander wir vertraut.

Denn auf Schweigen und Vertrauen

Ist der Tempel aufgebaut.

So ist auch das Wort ein weiterer wichtiger Baustein unseres Bundes – das Wort im Sinne von Sprache. Unverzichtbar im  konstruktiven Miteinander, genauso, wie die gemeinsame Tempelarbeit, worin wir uns der Sprache bedienen, um uns  mit dem Ritual  zu verbinden und  somit die Sprache Zugang zu dessen tieferer Bedeutung schafft. 

Eingedenk unliebsamer und immer wiederkehrender Begegnungen mit Dauerrednern, halte ich es für heute so, wie der österreichische Beamte in der k. k. Hofkammer und Dramatiker Franz Seraphicus Grillparzer in „König Ottokars Glück und Ende“ im „Loblied auf Österreich“:

„…da tritt der Österreicher hin vor jeden, denkt sich sein Teil und lässt die anderen reden!“

Diskussionskultur


„Ohne den Austausch mit anderen würde unser Denken sehr begrenzt sein“.
Nur dort, wo Menschen sich miteinander bewusst austauschen:
Perspektivenerweiterung möglich — neue gemeinsame Horizonterweiterung !
Dieses Referat ist dem kommenden „Quo vadis“ gewidmet!
Gefühl: Heutzutage immer schwieriger und seltener, ein erfüllendes /inspirierendes
Gespräch zu führen.
Wieso?? bin ich selbst es, die sich verändert hat? Habe ich verlernt, mich auf den anderen
einzulassen?
Wollen wir nicht alle eine fruchtbare Diskussion!?
Persönl. Bsp:

Ich möchte gern in der Diskussion überrascht werden
Sehen, dass gemeinsam neue Ideen entstehen – etwas Neues dazulernen
Im Idealfall möchte ich mich durch diese/unsere Diskussion verändern, innerlich
weiterkommen
Was aber für mich ‚gute‘ Diskussion für einen anderen noch lange nicht „gut“: Paul
Watzlawick, konstruktivistische Sichtweise: Jeder von uns nimmt unsere Diskussion anders wahr!!!
Insofern wäre es anmaßend, würde ich jetzt beschreiben , was eine gute Diskussion
ausmacht.
Also erstmal Frage:
Welche Wortmeldungen bremsen eine Diskussion?
Gemeinsam in der L schon einiges festgelegt (Stichworte: keine Gegenbaustücke, kein
‚Loben’ der Baustücke…)
„Hit-Liste“ von Verhaltensweisen, die Diskussion ggf. negativ beeinflussen:
1. mit Wissen beeindrucken!!!!!

2. abstrakt bleiben/verallgemeinern,
3.möglichst unpersönlich
4.fixe Position einnehmen

5. Werbung für sich selbst
und 6. -sich selbst ja nie infrage stellen J
Watzlawick :“Man kann nicht nicht kommunizieren“.
Ein Beispiel dazu: wenn einer oder eine aus unseren Reihen z.B. während einer Diskussion im T. in der ersten Reihe sitzt und zu den Aussagen anderer die Augen verdreht, sagt dies mehr aus, als sich zu Wort zu melden.
Ergo…Frage: Wie kann nun eine für Diskussion gelingen, die möglichst viele von uns als
inspirierend empfinden?
Hier nun 4 MeisterInnen des Dialoges/der Diskussion, die mich zu diesem umfangreichen
Thema bes. bewegen (hier nicht Ur-Väter: Sokrates , Platon etc. u.a. Philosophen: nicht nur
aus Zeitgründen, sondern so, wie ein Bstck nie den Anspruch auf Vollständigkeit haben
muss.): und auch wegen Zeit (max. 15 Min wg. Zoom): daher von jeder/jedem
Philosophen/Psychologinnen jetzt nur bruchstückhaft eine Idee…

Martin Buber (Erwähnung schon hier zuvor- im T Bstck dazu!) fordert: von Herzen zu
sprechen. Wenn die Gesprächspartner „einander in Wahrheit zugewandt sind und
vom Scheinen wollen frei sind“.
Für ihn (zusätzlich zur geforderten Authentizität) also auch eine Haltung einnehmen,
dass man den anderen nicht beeindrucken will!!
Dieses Sprechen von Herzen im Sinne Bubers ist in der heutigen Zeit kostbarer denn je
geworden (ggf. Bsp)
Es ist eben so:
Manche Wortmeldungen eröffnen Räume, Denkweisen, … beflügeln, befruchten eine
Diskussion… und manche WM töten sie eher ab.
Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber mir ist es wichtig, hier darzulegen, dass die „GÜTE“ der
WM in keiner Weise mit dem Wissen oder den rhetorischen Fähigkeiten des Sprechenden
korreliert!
Jetzt : 2 typische Beispiele von Wortmeldungen in einer Diskussion („verfremdet“) zitieren..
1.WM : Also, das wie im von Baustück geschildert hab ich auch schon mal selbst erlebt. Aber für mich war das gar nicht so locker wie geschildert , sondern persönlich ganz schlimm, na ja, ich gestehe, mir war es eigentlich vor allem peinlich, weil…
Wie geht es euch nach so einer Wortmeldung? ….
Für mich spricht so eine Wortmeldung von Herzen, ganz im Sinne Bubers. Sie tut es mit
ganz einfachen Mitteln, spricht persönlich über sich, will mit dem Geständnis nicht toll
wirken, sondern von sich erzählen, öffnet sich vertrauensvoll der Gruppe und eröffnet so
eine Ebene, in der wahrer Austausch möglich ist, in der etwas sich in uns bewegen kann.
Bildlich gesprochen: Sie öffnet Türen der Begegnung.

Wortmeldung, hier stellvertretend für viele ihrer Art:
„Der Philosoph, über den du im Baustück gesprochen hast, hat damals tatsächlich dies
und jenes bewirkt. Er galt nämlich zu seiner Zeit als einer der führenden Vertreter
von… Dazu gibt es übrigens ein gutes Buch, das ich gelesen habe.“
Wie geht es euch nach dieser Wortmeldung? Drängt es euch danach, darauf etwas zu
erwidern? Eröffnet sie für euch Türen für eine weitere Diskussion?
Ein kleiner Einschub: Leider kann ich die zum Teil unterschiedlich gezogenen Trennlinien zwischen Gespräch, Diskussion, Dialog, Kommunikation etc. hier nicht genauer herausarbeiten, und verwende sie daher aus Zeitgründen größtenteils (wo es passt) synonym.

Philosoph: Der Quantenphysiker David Bohm, er übersetzt „ Dialog“ folgendermaßen:
LOGOS als Sinn, DIA als ‚Hindurch‘: Dialog hier mehr als Sinnfluss durch eine Gruppe (anders als Buber…erklären) es geht ihm darum, einen neuen Sinn des betreffenden Themas zu entwickeln. In Gruppe!
Für Bohm : Qualität einer Diskussion durch unsere Bewertungen, mit denen wir in Diskussion einsteigen, bestimmt :
Idee des SUSPENDIERENS, ohne vorgefasste Bewertungen über den anderen, aber auch über das Thema in eine Diskussion hineingehen!!! „Vorurteil wegdenken“.
Frage? Vorurteilsfreiheit in einem Gespräch? Oft merken wir doch nicht einmal…
Vorurteile…Bsp..! Vorurteilsfreiheit: in Bezug auf das diskutierte Thema? Wie soll man das
schaffen?
Jedenfalls empfehlen „eigenen“ Bohm und Buber: Nicht so sehr an Wortwahl in einer Diskussion zu basteln, sondern an eigener Haltung!

  • Die anderen als gleichwertig sehen! – Stichwort Toleranz, Stichwort Wasserwaage
    Nun 2 Frauen (gendergerecht):
    Ruth Cohn, eine der bek. humanist. Psychologinnen 20.JH
    „Wenn du eine Frage stellst, sage, warum du fragst, und was deine Frage für dich bedeutet.“
    Einschub: Wie wir wissen, können die richtigen Fragen ein äußerst effektives Mittel sein, um
    einen Erkenntnisprozess in Gang zu setzen. Bsp Psychotherapie (ggf. psychoth.
    Fragetechniken)
    Ruth Cohn: „echte“ und „unechte“ Fragen. Auch Sie plädiert für bestimmte Haltung in einem
    Gespräch: „Wichtig ist es, ,authentisch zu sein . Wenn ich aus dem Gefühl, andere von meiner Meinung überzeugen zu müssen, spreche, dann rede ich nur nach dem
    Siegerprinzip“(gekürzt).Hier ggf. Bsp. „Rede nicht per man“, ggf. ihre Flucht vor Nazis bringen.

    Verena Kast, Schweizer Psychologin, Jungianerin (Institut)
    hebt sich (für mich) ein wenig von den anderen ab (J, nicht nur, weil sie als einzige noch
    lebt), sondern sie fragt nicht, was du für deine Diskussion tun kannst sondern, was die Diskussion für dich tun kann. :-).
    Kast: Dialog dazu nutzen, die eigenen „Untergründe unseres Denkprozesses“ aufzudecken:
    In sich hineinhorchen, wann im Laufe der Diskussion welche Emotion in uns
    hochkommt…hier Bsp..(Ärger, Müdigkeit,…): da, wo Reaktion auftritt, da „liegt der Hund begraben“ (forsche in dir selbst, ggf. geht das aber nur mit Hilfe von anderen).
    Schattenanteile (ggf. hier Bsp Demian, Bsp. Selbsterfahrung- Parallelen zu Fm?): verleugnete Anteile unserer Persönlichkeit, die wir selbst nicht wahrhaben wollen: genau diese Merkmale, stören uns beim anderen!! Bewusstmachung zur Selbstfindung, Idee schon bei Jung, etc. Frage: Mein eigener Schatten?
    Aber (Schlusswort einleiten): Diskussion niemals planbar!! …das genau macht sie ja so spannend.
    Zuletzt wieder Watzlawick: das, was ich meine zu sagen (bei einer Wortmeldung, in einer Diskussion oder mit meinem Referat jetzt), wird beim Empfänger – bei euch – nicht exakt so ankommen, wie ich es gemeint habe. Und zwar niemals.
    Zitat PW:
    „Ich weiß nicht, was ich gesagt habe, bevor ich die Antwort meines Gegenüber gehört habe.“
    Meine Paraphrasierung dieses Zitates als Schlusssatz:
    „Ich weiß nicht, worüber ich jetzt referiert habe, bis ihr euch gleich zu Wort meldet“.