Einführende Worte anlässlich der Übernahme des Hammers als interimistischer Meister vom Stuhl der Loge LOGOS am 1. September 6022

Liebe Geschwister,
Vor genau 10 Jahren durfte ich bei einer Festarbeit der LGL ein BS mit dem Titel „Auf dem Weg zu einer Liberalen Freimaurerei“ halten. Als ich mit den Überlegungen zu meinen heutigen Begrüßungsworten begann, musste ich feststellen, dass ich damals einiges formuliert habe, das auch heute noch Gültigkeit besitzt, und das ich daher wieder in Erinnerung rufen will. Aktuell wird es dann im zweiten Teil, in dem ich einige Aspekte ansprechen will, die mir bei der Übernahme dieses Amtes wichtig sind.
Unserem Selbstverständnis entsprechend nennen wir uns liberale Freimaurer. Soweit ist alles klar. Angenommen ihr werdet gefragt: „Was macht denn die liberale FM aus? Worin unterscheidet sie sich von der nichtliberalen, der traditionellen FM?“ Dann wird als erste Antwort vermutlich kommen: „Wir akzeptieren auch Frauen – offiziell – als Geschwister“. Man könnte noch hinzufügen: „Wir sind als Obödienz keiner wie immer gearteten über-geordneten Institution verpflichtet und beachten die Logenautonomie“. Aber dann wird es schon schwierig.
Eine endgültige Definition, was unter Liberaler Freimaurerei zu verstehen ist, kann ich heute nicht anbieten. Was ich versuchen will ist, einige Hinweise zu geben, wie ein „Weg zur Liberalen Freimaurerei“ aussehen könnte. Diesen Titel habe ich nicht nur aus Vorsicht gewählt, sondern auch im Bewusstsein, dass sich einerseits jeder Freimaurer ständig „auf dem Weg“ befindet und andererseits ein so vielschichtiger Begriff wie der der Liberalität ohnehin nicht allgemeingültig definiert werden kann.
Genauso wie es in der traditionellen Freimaurerei ganz unterschiedliche Spielarten und Ausprägungen gibt, wird es auch in der liberalen Freimaurerei immer unterschiedliche Ausrichtungen geben. Das liegt sowohl im Wesen der Freimaurerei begründet, als auch in der Dehnbarkeit des Begriffs „liberal“. Auf gesellschaftspolitischer oder politikwissenschaftlicher Ebene kann man darunter fast alles verstehen, was nicht wertkonservativ ist. Es kann sowohl wirtschaftsliberal bedeuten, als auch einen toleranten gesellschaftlichen Umgang. Politische Parteien, die sich als liberal bezeichnen, haben uns im Laufe der Geschichte immer wieder vor Augen geführt, wie vieldeutig dieser Begriff in der Praxis angewendet werden kann.
Liberal bedeutet für uns zunächst: Wir sind als Obödienz keiner übergeordneten Institution verantwortlich und die einzelnen Logen agieren autonom. Diese Entwicklung begann 1953, als mehrere Brüder der Loge „Zukunft“ sich abspalteten und eine eigene Loge gründen wollten. Da ihnen dies verwehrt wurde, arbeiteten sie zunächst unter freiem Himmel und
gründeten schließlich 1955 die „Unabhängige Freimaurerloge Wien“. Die weitere Ent-wicklung unserer Logen bzw. unsrer Obödienz ist bekannt, wobei nicht vergessen werden soll, dass erst dreißig Jahre später, nämlich im Jahr 1985, erstmals Frauen in zwei der Logen aufgenommen wurden.
Eines der wesentlichen Merkmale, das die in der LGL vertretenen Logen als „liberal“ auszeichnet, ist für mich die im Jahr 1975 erfolgte Formulierung der so genannten „Neuen Pflichten“. Die grundsätzliche Akzeptanz der von Anderson 1723 zusammengefassten „Alten Pflichten“ steht für jeden Freimaurer außer Zweifel. Da sich jedoch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den letzten 300 Jahren massiv geändert haben, kann es klarerweise nicht um eine wörtliche Erfüllung dieser Old Charges gehen. Wenn wir als Freimaurer in Zukunft soziale Relevanz für uns in Anspruch nehmen wollen, wird es nicht zuletzt darum gehen, den Geist, der aus den Old Charges spricht, mit den Ansprüchen der „Neuen Pflichten“ in Einklang zu bringen. Dabei sollten wir uns bewusst sein, dass auch die „Neuen Pflichten“ keinen definitiven und endgültigen Wertekanon darstellen, sondern in unserer schnelllebigen Zeit vermutlich immer wieder einer Feinjustierung bedürfen.
In der Präambel der „Neuen Pflichten“ werden drei Punkte angegeben, die sehr stringent zusammenfassen, warum die liberale Freimaurerei einer Ergänzung der Andersonschen Vorgaben bedarf. Ich möchte sie heute in Erinnerung rufen:

  1. Zur Zeit Andersons standen die Menschen unter so einem starken Zwang staatlicher und kirchlicher Mächte, dass die Äußerung freiheitlicher Gedanken gefährlich war. In den Alten Pflichten sind daher viele solcher Gedanken nur in versteckter Form enthalten. Wo heute die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung besteht, erscheint es geboten, den Sinn der Alten Pflichten deutlich auszusprechen.
  2. Durch die inzwischen eingetretene gesellschaftliche Entwicklung haben viele Menschen neue Rechte erworben. Neuen Rechten müssen aber auch neue Pflichten gegenüberstehen, sofern eine menschenwürdige Ordnung gesichert sein soll.
  3. Bisher war der Mensch vorwiegend durch die ihn umgebende Natur bedroht. In dem Maße, in dem der Mensch lernte, die ihm fremde Natur zu beherrschen, wurde seine eigene Natur zur größten Gefahr für das Überleben der Menschheit.
    Nachdem sich, wie oben erwähnt, einige Brüder im Jahr 1953 von der Loge „Zukunft“ abgespalten hatten, setzten sie eine intensive Ritualdiskussion in Gang, die auch die freimaurerischen Symbole und die Bekleidung betraf. So verzichtete man damals auf den Schurz, auf die Handschuhe und auf die beiden Säulen im Tempel. Das Ritual war knapp und sachlich gefasst. In jenen Logen, die aus der „Unabhängigen Freimaurerloge Wien“ im Lauf der Jahre hervorgegangen sind, und die heute die LGL bilden, wurden viele dieser puristi-schen Einschränkungen wieder rückgängig gemacht.
    Es bleibt unbestritten, dass in einer liberal ausgerichteten Loge bzw. Obödienz derartige Änderungen und Anpassungen legitim sind und durchgeführt werden können. Allerdings ist immer zu bedenken, dass alle Symbole, Werkzeuge, Ritualtexte und nicht zuletzt die Einrichtung der Loge einen historischen Kontext haben, der in allen Fällen sachlich begründet
    ist, oder zumindest begründet sein sollte. Jede Änderung muss daher ebenfalls durchdacht und sachlich begründet sein. Als Obödienz, die sich der liberalen Freimauerei verschrieben hat, genießen wir in dieser Hinsicht sogar einen sehr weiten Freiraum. Wir dürfen dabei jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass wir der Johannismauerei verpflichtet sind, und dass keine Änderung den allgemeinen freimaurerischen Prinzipien widersprechen darf. Überspitzt formuliert würde ich sagen: Man darf als liberaler Freimaurer die Liberalität nicht so weit treiben, dass man am Ende nur mehr liberal aber nicht mehr Freimaurer ist.
    Soweit ein Ausschnitt aus meinem Text aus dem Jahr 2012. Nun möchte ich einige Gedanken anfügen, die mir für die weitere Entwicklung unserer Loge Logos wichtig erscheinen, und die sehr allgemein beginnen:
    Wie vorhin erwähnt, sind wir als liberale Freimaurer keiner übergeordneten Organisation und deren Regeln verpflichtet.
    Wir sind also frei von etwas.
    Gleichzeitig sind wir aber auch frei für etwas.
    Dieses „für“ gilt es zu definieren.
    Dieses „für“ ist individuell und ich kann es daher nicht für euch definieren. Ich lade jedoch hier und jetzt jede Schwester und jeden Bruder ein, sich zu überlegen, was für sie oder ihn liberale Freimaurerei bedeutet.
    Ich lade ein, sich zu überlegen, wie diese Grundsätze hier in der Loge und im Leben durch die Tat umzusetzen sind.
    … sich zu überlegen, wie wir gemeinsam unser maurerisches Leben besser gestalten können.
    Unsere Schwester 2. Aufseher hat vorhin erklärt, dass wir „frei von Vorurteilen am Gebäude der Menschlichkeit arbeiten“. Dieses „Gebäude der Menschlichkeit“ können wir nicht schlüsselfertig bestellen. Wir müssen es selbst bauen. Im profanen Leben braucht ein der-artiger Bau viele und ganz unterschiedliche Gewerke. Einen Architekten, der den Plan entwirft. Maurer, die den Rohbau errichten. Elektriker, die Leitungen legen und Tischler, die schöne Möbel ins fertige Haus liefern.
    Ähnlich ist es hier im Tempel. Wir haben in unseren Reihen Geschwister, die virtuos mit Zahlenkolonnen jonglieren können. Andere schmökern gerne in verstaubten Druckwerken, deren Schrifttypen heute noch kaum jemandem geläufig sind. Andere verstehen es, den Tempel für Festarbeiten prächtig zu schmücken oder seitenlange Rituale auswendig und in perfekter Diktion vorzutragen. Nicht zu vergessen sind jene Geschwister, die es verstehen, durch ihre soziale Kompetenz den inneren Zusammenhalt der Loge zu stärken. Diese Aufzählung ist nicht vollständig und die Reihung soll nicht wertend verstanden werden.
    Was ich damit sagen will lässt sich ganz kurz zusammenfassen: jede und jeder in unseren Reihen besitzt eine Kompetenz, die für die Loge wichtig ist. Dabei geht es nicht nur um die Besetzung von Logenämtern, sondern auch um kleinere Aufgaben, die wenig zeitaufwändig, aber trotzdem wichtig sind für den Zusammenhalt der Loge.
    Apropos Zusammenhalt: Wir mussten leider in den vergangenen zweieinhalb Jahren erleben, dass der Zusammenhalt durch die Corona-Pandemie auf eine harte Probe gestellt wurde. Wir
    können nur hoffen, dass auch weiterhin die Präsenzarbeiten weitgehend gefahrlos und ohne Einschränkungen möglich sein werden. Ich persönlich schließe daran die Hoffnung, dass wir in Zukunft wieder den Spirit von 2014, als wir Logos gegründet haben, wiederbeleben, und auch die entsprechenden Präsenzen verzeichnen können. Ich sehe es, gemeinsam mit dem Beamtenrat, als unsere Aufgabe an, das Logenleben so zu gestalten, dass die organisatori-schen Agenden möglichst unauffällig und reibungslos im Hintergrund ablaufen. Die inhaltliche Auseinandersetzung muss jedoch von jedem von euch mitgetragen werden. Sei es durch interessante Baustücke, in den anschließenden Diskussionen im Tempel oder auch bei den Gesprächen an der Weißen Tafel. Das lässt sich nur durch Präsenz bei den Rituellen Arbeiten erreichen. Es ist mir bewusst, dass für jeden von uns das Zeitbudget immer herausfordernder und die Aufgaben immer vielfältiger werden. Jedoch: nur gemeinsam können wir das Logenleben so gestalten, dass jeder von uns den Tempel mit dem Gefühl verlässt, es habe sich gelohnt, den Donnerstagabend in der Hofburg verbracht zu haben.
    Seit der Gründung unserer Loge Logos im April 2014 haben wir einiges erreicht. Es ist wahrscheinlich nicht übertrieben zu sagen, dass die Loge in diesen acht Jahren „ein Gesicht bekommen hat“. Wesentlich hat dazu unser neuer Tapis beigetragen, aber auch die revidierten Ritualtexte für die Rezeption und Beförderung tragen ganz wesentlich zu unserem maurerischen Erscheinungsbild bei. Inhaltlich wichtig sind mir vor allem das überarbeitete Leitbild und der neue Leitfaden für Suchendengespräche. Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang auf die vor einem Jahr erfolgte Vereinsgründung, die zur organisatorischen Konsolidierung unserer Loge beiträgt.
    Trotz dieser Fortschritte bleibt noch einiges zu tun. So wollen wir in absehbarer Zeit auch das Ritual zur Meistererhebung revidieren, ein Vorhaben, bei dem sich hoffentlich wie bei den beiden letzten Ritualdiskussionen möglichst viele Geschwister einbringen werden. Wie schon angekündigt wollen Sr. Erna und ich in Form eines „Masonischen Forums“ kurze Einführungen und Diskussionen zu ausgewählten Themen anbieten. Sie sollen in regelmäßigen Abständen vor den Rituellen Arbeiten stattfinden und somit nicht als zusätzliche Termine den Kalender belasten. Aus der Arbeitstafel habt ihr ersehen, dass in diesem Semester ein Gast-BS eines befreundeten Bruders angesetzt ist. Ich habe vor, regelmäßig Gäste aus anderen Obödienzen als Referenten einzuladen. Es kann für unsere Loge nur von Vorteil sein, wenn wir Impulse von anderen masonischen Strömungen erhalten, Besuche aus anderen Logen empfangen und selbst vermehrt Reisen unternehmen.
    Abschließend möchte ich euch an jenen Satz erinnern, den unser Bruder 1. Aufseher heute nach dem Löschen der kleinen Lichter sprechen wird:
    Stärke im Handeln
    Ich möchte ihn in abgewandelter Form als Motto über meine Zeit im Osten dieser Loge stellen:
    Stärke im gemeinsamen Handeln
    Ich habe gesprochen.