Der aufgehobene raue Stein auf Wanderschaft

Vor vielen Jahren wurde in den Tiefen der Erde durch die Verbindung von liebender Wärme und starkem und unablässigem Druck ein kleiner Stein geformt. Als die Zeit reif war, wurde er – wie viele Steine vor ihm –  aus einem Vulkan der Sonne entgegengeschleudert. Doch der kleine Stein hatte Glück. In der Mulde, in der er landete, war er umgeben von viel Wärme seines Muttergesteins, welches ihn in kalten Nächten nicht frieren ließ, während ein großer Vaterstein darüber wachte, dass ihm nichts passierte. Von den Hängen des Vulkans blickte der kleine Stein hinab auf die Welt, die vor Ihm lag. 

Eines begeisterte ihn besonderes: In der Ferne sah er ein Licht, besser ein Funkeln, welches er täglich in der Morgensonne sah. Dort will ich hin, dachte sich der Stein, und er machte sich auf den Weg. Er verließ die Mulde und zog hinaus, die Welt zu entdecken und zu erfahren, was dieses Funkeln denn sei. Anfangs rollte er voll jugendlichen Leichtsinns schnell den Berg hinab. 

Natürlich, wie junge Steine so sind, holte er sich ein paar Beulen und Blessuren, aber das machte nichts. Auf dem Weg ins Tal lernte er auch andere Steine kennen. Manche wurden zu freundlichen Begleitern, andere schlugen lieber auf den kleinen Stein ein. Besonderes die Granitgang hatte es auf den kleinen Stein abgesehen. Sie stießen ihn herum und machten sich lustig über seinen Wunsch, das Funkeln zu entdecken. Doch aufgeben war nicht die Art des kleines Steins. Er ging unbeirrt seines Weges Richtung Tal, welches ihn zum Funkeln führen sollte. So dachte er jedenfalls. Als er endlich im Tal war, merkte er, dass er das Funkeln in der Ferne nicht mehr sah. 

Wohin war es verschwunden? Er blickte zurück und fragte sich selbst: War es klug, die wärmende, schützende Mulde zu verlassen? Dort oben war alles hell und freundlich und hier im Tal alles düster und kalt. Auch hatte der kleine Stein Angst vor dem dunklen, lauten blauen Strom, der sich in der Mitte des Tals dahinwand. Doch wohin, fragte er sich? Mutig sprang er in den Strom.

Im dunkeln Fluss merkte er, dass er noch weniger sah als zuvor und dass es darin immer nur eine Richtung gab, und zwar stromabwärts. Wo bin ich hier, fragte sich der kleine Stein? Du bist dort, wo du hingehörst, schrie ihn eine polternde Stimme an. Kleine Steine sind da, um uns große zu tragen. Der kleine Stein wandte sich um. Ein dicker, großer Quarz trieb auf Ihn zu. Mich musst du auch tragen, schrie ein Pyrit von nebenan. Und so hockten sich die beiden auf den kleinen Stein, der sie durch den dunklen Fluss entlang tragen musste. Ab und zu, wenn die beiden Pause machten, durfte der kleine Stein auch woanders hin. 

Eines Tages lernte er ein Konglomerat kennen. Das Konglomerat beobachtete den kleinen Stein schon etwas länger. Eines Abends fragte das Konglomerat den kleinen Stein: „Willst du ebenfalls zum Funkeln?“. Der kleine Stein war verwundert. Das Konglomerat hatte das Funkeln also auch gesehen? Gibt es also doch einen Weg dorthin? Auf einmal fiel dem kleinen Stein das Tragen von Quarz und Pyrit etwas leichter. Die Aussicht, aus dem dunklen Fluss wieder herauszukommen, gab Ihm Kraft. 

Eines Tages war es so dann so weit. Das Konglomerat nahm den kleinen Stein und führte ihn auf eine Schotterbank – damit an die Oberfläche und das Licht. Dort sah er auch andere Steine, bunte Steine. Die Steine erklärten Ihm, dass auch sie zu dem Funkeln, dem Licht wollten. Gemeinsam machten sie sich auf die Reise. Und so ging es weiter im Fluss. 

Eines Abends lernte der kleine Stein einen weiblichen Feuerstein kennen. Er nannte sie so, denn schon bei der ersten Begegnung funkte es. Doch einen Haken hatte es. Der Feuerstein reiste auf der anderen Seite des Flusses. Hin und her gerissen, entschied sich der kleine Stein, von nun an zwischen seinem Freund Konglomerat, seinen neunen Freunden und dem Feuerstein hin und her zu reisen. Den Quarz und die Pyrit musste er dennoch weiter tragen. Doch fiel es ihm leichter. Er traf auch noch auf andere Steine. Einen großen, furchtlosen, aber sehr feinen und witzigen Glimmer traf er in der Mitte des Flusses. 

In die Gruppe der bunten Steine auf der Schotterbank fügte sich der kleine Stein gut ein. Anderes als sonst im Fluss, hauten sie weniger aufeinander ein, sondern gaben sich gegenseitig Tipps, wie man sich selbst behauen kann. Dem kleinen Stein gefiel dies. Er lernte so, während er im Fluss reiste, bei den Treffen auf der Schotterbank, welche seiner Ecken und Kanten er sich wo abhauen sollte, um ein besserer Stein zu werden. Natürlich klopften auch andere Steine auf Ihm herum, doch taten sie dies im Gegensatz zur Granitgang auf eine freundliche Art und Weise. 

Der kleine Stein erkannte mit jedem Schlag an sich selbst auch immer mehr, wer er den sei. Er war anderes als die anderen Steine. Natürlich gefiel das so manchen Steinen gar nicht. Besonderes Quarz und Pyrit hatten ein großes Problem mit der neuen Selbstständigkeit des kleinen Steines. Doch sie hatten ein Druckmittel. Leider musste der kleine Stein im Fluss auch Wegzoll bezahlen, wenn er seinen Feuerstein sehen wollte, und diesen musste er sich bei Quarz und Pyrit verdienen. Das gefiel dem kleinen Stein aber zunehmend weniger. Doch der Feuerstein war dem kleinen Stein wichtiger als alles andere. 

Als der Tag kam, an dem er und der Feuerstein beschlossen, von nun an gemeinsam im Fluss zu reisen, waren natürlich alle bunten Steine dazu eingeladen und viele fanden auch den Weg an das andere Ufer, wo der Feuerstein reiste. Besonderes dem Pyrit gefiel das gar nicht. Auch er wollte vom Quarz gefragt werden, ob er mit ihm reisen würde. 

Der kleine Stein fühlte sich inzwischen sehr wohl. Das Tragen war erträglich und dank Ton und Sand, welche er bei den bunten Steinen kennen gelernt hatte, konnte er so manche Lücken, wo nicht Kannte auf Kannte passte, zwischen sich und den anderen Steinen verbinden. Auch schaute er mehr um sich. 

Mit seinem Freund Glimmer genoss er das Leben, wenn sie zusammen andere Steine im Kreis um die Wette wirbeln ließen. Mit dem Konglomerat verbanden ihn lange und tiefe Gespräche über das Ziel – dem Funkeln in der Ferne. Er entdeckte auch immer neue Wege und Steine im Fluss, manche freundlich andre nicht so freundlich, aber aus jeder Erfahrung lernte der kleine Stein. Er lernte auch im ganzen Fluss viele andere bunte Steine kennen, alle mit demselben Ziel, das Funkeln zu erreichen. Das Leben schien für den kleinen Stein gut zu laufen. 

Was der kleine Stein nicht wusste war, dass sich ein Sturm hoch oben in den Bergen zusammenbraute und den Fluss immer reißender werden ließ. Der Anfang war, dass der Pyrit immer heftiger auf den kleinen Stein einschlug, während der Quarz zusah. Auch unter den bunten Steinen brach ein Streit aus. Der kleine Stein wusste nicht wie im geschah, wie er auf einmal mit anderen bunten Steinen zusammensaß und das Ziel des Funkelns nicht mehr das Thema war, sondern wer denn die Schotterbank aufräumen sollte. 

Die einen Steine meinten so die, anderen so, und vergessen war das Ziel des Funkelns.

Auch der Feuerstein klopfte am kleinen Stein herum, er solle doch endlich das Schleppen von Pyrit und Quarz sein lassen. Der kleine Stein bekam Angst und verkroch sich in einer Spalte und suchte dort das, was er vor Langem verlassen hatte – die Wärme des Muttergesteines. 

Ein großer starker Eisenstein kam vorbei und sah den kleinen Stein in der Spalte. Was machst du da, fragte er mit sanfter und zeitgleich kräftiger Stimme, den kleinen Stein? Ich habe Angst, sagte der kleine Stein zum Eisenstein, den er von der Schotterbank kannte.

 „Mir wurde beigebracht an mir selbst zu klopfen, beigebracht Unterschiede auszugleichen und große Pläne zu entwerfen, aber mit all dem komme ich nicht weiter“, fuhr der kleine Stein fort. Für den kleinen Stein brach ein geistiger Damm. Er erzählte dem Eisenstein über seine Furcht vor Quarz und Pyrit, seine Angst, den Feuerstein zu verlieren und die Angst, in den Augen der anderen bunten Steine zu versagen. Der Eisenstein hörte ihm aufmerksam zu und meinte mit ruhiger Stimme: „ Ich gebe dir ein Geschenk, das dir helfen wird. Ich schenke dir Zeit!

Gleichzeitig spülte der Sturm aus den Bergen eine gefährliche Alge in den Fluss, die manche Steine auffressen konnte. Ermuntert durch die Worte des Eisensteines, tat der kleine Stein, was er sich nie hätte denken können. Er sagte Quarz und Pyrit adieu und flog als einer der Letzten auf die andere Seite des Flusses zu seinem Feuerstein. Dies tat Ihm weh, ließ er doch alles, was ihm wichtig schien am anderen Ufer zurück: Freunde, Einkommen, seine bunten Steine und die Schotterbank. 

Angekommen auf der anderen Seite, wo das Leben noch frei von Algen war, beziehungsweise sich die dortigen Steine darüber weniger Sorgen machten. Dort war er zunächst einmal erschlagen. Die ungewollten Abschläge, die er bekommen hatte, mussten erst einmal heilen. 

Während des Heilungsprozesses fragte sich der kleine Stein: „Will ich den zurück ans andere Ufer? Dort warten nur Pyrit und Quarz, welche nur getragen werden wollen und sonst? Warum nicht einfach hierbleiben und nie mehr zurückgehen auf die andere Seite

Doch da gab es etwas, was den kleinen Stein nicht losließ. Als er das erste Mal auf der Schotterbank etwas Helles sah, gaben ihm die anderen Steine dort viele Überlegungen mit. Eine davon war:  Der Weg zu hellstem Licht führt durch das tiefste Dunkel. Erkennen Sie in dieser Stunde die Zerbrechlichkeit des Seins. Werfen Sie angesichts dieser Erkenntnis von sich, was Sie an ungeprüften Wertschätzungen, an Vorurteilen mit sich tragen, damit Sie als freier Stein auf die Schotterbank treten können.

Wenn nicht auf der Schotterbank, wo dann, überlegte der Stein. Wo ist man dem funkelnden Licht näher als auf der Schotterbank? 

Dem kleinen Stein wurde mulmig. Einerseits wollte er nicht mehr zurück auf die andere Seite, doch zog es ihn zurück auf die Schotterbank. Je länger er da saß, wurde dem kleinen Stein immer mehr bewusst, wie sehr ihm die anderen Steine auf der Schotterbank fehlten. Der kleine Stein erinnerte sich an einen Zuruf eines anderen Steines:

In Dir, in Deinem Wesen, in Deinem Denken und Handeln, in Deinem Tun und Lassen spiegelt sich das Wesen der Welt. Unbeirrt durch den Lärm der Welt wandelt der Weise seinen Weg zu Wissen und Wahrheit – fest und kühn in den Stürmen des Lebens, hohe Ziele im Sinne. Aus Selbsterkenntnis erwachse auch Ihnen einst solche Weisheit.

Darüber dachte der kleine Stein, in seinem Exil auf der anderen Seiter des Flusses oft nach. Doch was bedeutete es? Eines Nachts wachte der kleine Stein auf und erkannte für sich: Wenn du wirklich zurückwillst, dann ändere was, du selbst hast es in der Hand. 

Als erstes begann der kleine Stein wieder Kontakt zu den anderen Steinen aufzunehmen. „Durchs Reden komman  d‘Leut zam“ hatte er in seiner Mulde noch gelernt. Also sprich mit allen. sagte sich der kleine Stein. Er nahm wieder Kontakt zu den Steinen auf, welche auf der anderen Seite zurückgeblieben waren, in der Hoffnung, sie würden Ihn und seine Lage verstehen. 

Doch wie sollte er den Wegzoll bezahlen? Da fiel dem kleinen Stein ein, dass er ja immer für seine Ideen von den anderen Steinen aufgezogen wurde. Doch einige wichtige, große Steingremien sagten ihm, seine Ideen seien wirklich neu für die Steinheit. 

Auch der Glimmer meldete sich wieder. Er war nicht so weit entfernt und dank seines Ausweises von der anderen Flussseite, konnte er den Glimmer besuchen. Der Glimmer sah etwas in dem kleinen Stein, wie er sagte. Auch wenn der kleine Stein den korrekten und ordentlichen Glimmer manchmal mit seiner chaotischen und kreativen Art in den Wahnsinn trieb, bemerkte er das Potential im kleinen Stein und ließ sich auf ihn ein. Gemeinsam begannen sie, eine der vielen Ideen des kleinen Steines umzusetzen und zu entwickeln. Der kleine Stein war glücklich, endlich ging es bergauf dem Licht entgegen. Viele Beulen und raue Steine, welche anderen Steine dem kleinen Stein zugefügt hatten, waren wieder mit Mörtel gekittet worden.

Doch die Freude währte nicht lange: Bei einem Treffen, stießen der Glimmer und der kleine Stein auf einen echten Assi-Stein, der die Ideen des kleinen Steines schlechtmachte. Mit einem Schlag war der ganze Mörtel wieder ab und der kleine Stein fiel. Dem Glimmer gefiel das gar nicht, wie andere Steine auf den kleinen Stein draufhauten. 

Wieder bei seinem Feuerstein zuhause dachte der kleine Stein nach. War es sein Schicksal, ewig den Quarz und Pyrit zu tragen? Glaubte er nur, gute Ideen zu haben. Denn außer Mutter- und Vatergestein und dem Glimmer glaubte keiner an seine Visionen für die Steinheit. 

Der kleine Stein versteckte sich wieder in einer Spalte. Dort unten fiel ihm ein zweiter Zuruf ein, den er vor Langem auf der Schotterbank gehört hatte:

In Dir, in Deinem Wesen, in Deinem Denken und Handeln, in Deinem Tun und Lassen spiegelt sich das Wesen der Welt. Schmal ist der Weg, der zum Ziel führt, groß die Gefahren, die Dich von ihm abzuhalten drohen. Doch aller Gefahren größte bist Du Dir selbst. In Deine Hand ist alles gegeben. So ist dies der erste Schritt auf dem Weg zur Stärke.

Der kleine Stein wollte stark sein, doch nur wie? Auch den Glimmer ließ dieses Tief nicht los, er wollte dem kleinen Stein helfen. Sein Ziel, den kleinen Stein so aufzubauen, dass er gegen Assi-Steine und die Granitgang bestehen könne, denn auch wenn der Glimmer ganz anders war, sah er etwas im kleinen Stein. Etwas, was er nicht hatte oder konnte, aber davon begeistert war. Und so wurde der kleine Stein zum Aufbautraining gesendet. Diesmal nicht mit Mörtel, sondern mit der Arbeit an sich selbst.

Auch auf der Schotterbank tat sich was. Der glänzende Rubin wollte nicht mehr länger die Schotterbank leiten, warum auch immer, und er bat alle anderen Steine, es ihm gleich zu tun. Doch der kleine Stein sagte sich: „Warum? Wäre es nicht wichtiger gemeinsam weiterzukommen? Warum nicht Stärke zeigen?“. Der kleine Stein dachte dabei an seine Beziehung zum Glimmer. Der Glimmer war ordentlich und korrekt, also das Gegenteil des kleinen Steines, und dennoch konnten sie gut gemeinsam an etwas arbeiten. Da fiel dem kleinen Stein ein Versprechen ein, welches er den anderen Steinen auf der Schotterbank gegeben hatte: 

Ich gelobe, als Stein von Ehre und mit dem Gewissen eines freien Steines, den mir bekannten Zwecken der Schotterbank meine besten Kräfte zu widmen, mich zu bemühen, den sittlichen Forderungen des Bundes jederzeit gerecht zu werden, die Bankdisziplin zu achten, meinen Mitsteinen geschwisterlich und allen Steinen steinlich zu begegnen.

Das konnte nur heißen, weiterzumachen, Stärke zu zeigen und alle gegebenen Werkzeuge und sich selbst zu nutzen. Also, voran! Obwohl der kleine Stein nicht wusste, was Winter und Algen im Fluss noch bringen würden. 

Den Vorsitz der Schotterbank übernahm ein langgedienter Basalt, der bekannt war für seine spezielle Form. Die Muschelverwaltung übernahm der Bauxit, mit dem der kleine Stein so manche Schwierigkeiten in der Vergangenheit hatte. Dem kleinen Stein fielen die Worte eines anderen erfahrenen Steins ein, welche er mitbekommen hatte: Du bist der Verwalter und du kannst frei gestalten – mach etwas daraus! 

Das Verbindende über das Trennende stellen, und reden, denn dies könnte der Weg sein, wie diese Schotterbank wieder dem Licht näherkommen könnte, dachte sich der kleine Stein, denn wer es nicht versucht, hat schon verloren. 

Auch der Basalt war dahinter, sich alle vierzehn Tage zu treffen, sagte er; ihr habt alle Handys, wir halten so Sitzungen ab, gab er vor.

Inzwischen zog der Herbst an den Fluss, die Algenplage war – wie erwartet – noch immer nicht zu Ende. Und wieder saß der kleine Stein bei seinem Feuerstein auf der anderen Flussseite und blickte einem kalten und langen Winter entgegen. Doch auch Wärme erfuhr er.

Das Team Schotterbank begann unter den strengen Worten des Basalts zusammen zu wachsen. Verbindendes wurde über Trennendes gestellt und es baute sich langsam Vertrauen auf. Auch konnte ein wenig auf der Schotterbank gearbeitet werden. Das Problem mit dem Quarz und Pyrit konnte der kleine Stein lösen, denn ein Jahr zur Fortbildung durfte er sich nehmen. Dank des Glimmers konnte der kleine Stein auch immer mehr an Profil gewinnen und sich selbst erkennen. Er lernte viele andere Steine kennen, die ihm auf seinem Weg begleiteten und gut zusprachen. 

Doch eine Frage quälte den kleinen Stein. Was passiert nach diesem Jahr? Wie soll ich den Wegzoll in Zukunft begleichen? Eines war klar, zurück zu Quarz und Pyrit war ausgeschlossen. Wieder waren es Geister, die im kleinen Stein aufstiegen. Doch da fiel ihm wieder ein Satz ein: 

Die Schotterbank ist keine religiöse Sekte und keine politische Vereinigung. Sie denkt nicht dogmatisch. Sie strebt den Fortschritt der Steinheit an auf dem friedlichen Wege der Belehrung und Bildung, die Veredelung der Steinheit auf dem Wege der Veredelung des Einzelnen. Das Ziel der Schotterbank ist, alle Steine zu einer Gemeinschaft zu vereinen, so dass sie einander als Geschwister anerkennen, lieben und helfen

Dies gab dem kleinen Stein Kraft und zumindest die Gewissheit, dass das Klopfen an seinen Ecken und Kanten ihn irgendwo hinführen und zumindest den Status quo verändern würde.

Durch Zufall fand er auf der anderen Seite des Flusses eine kleine, aber feine Schotterbank, die dem kleinen Stein Zutritt gewährte, wenn er auf der anderen Flussseite war. Der kleine Stein merkte, wie sehr ihm die Arbeit auf der Schotterbank im langen und kalten Winter gefehlt hatte, als er zwischen den ihn unbekannten, aber dennoch vertrauten Steinen stand, die noch dazu eine sehr komische Sprache sprachen. 

Auch seine Sorge um den Wegzoll löste sich. Ein Bimsstein, den der kleine Stein schon länger kannte, gab Ihm eine neue Aufgabe. Nicht mehr tragen wie bei Pyrit und Quarz, sondern ein miteinander auf gleicher Ebene. Mit seinen Ideen hatte sich der kleine Stein auch bei Wettbewerben beworben und kam dabei voran. Und so verging ein langer Winter, ohne dass der kleine Stein fror und das Frühjahr zog wieder ins Land. Auch die Arbeit an der Schotterbank ging voran. Anstatt einander zu misstrauen, war die Arbeit zwischen Basalt, Bauxit und dem kleinen Stein immer mehr von einem Miteinander statt einem Gegeneinander geprägt. Man hörte zu und arbeitete gemeinsam. Auch mit den Vertretern der einzelnen Steingruppen. Es wurde wieder miteinander gesprochen. Das Gemeinsame über das Trennende gestellt und Kompromisse gesucht. 

Eine Mahnung fiel dem kleinen Stein wieder ein: 

Der Bund der Schotterbank ist eine Gemeinschaft freier Steine. Weder Stand noch Vermögen, weder Alter noch Bildung räumen in diesen Reihen ein Vorrecht ein. Höhere Fähigkeiten verpflichten alleine zu höheren Leistungen. Ehrgeiziges Machtstreben oder eitle Neugier werden in diesen Reihen keine Befriedigung finden. 

Ein angenehmes Gefühl fand der kleine Stein, wenn es nur um das Tun und Handeln geht und nicht das wer man sei und aus welcher Mulde man entstamme. 

Beim Verdienen seines Wegzolles tat sich der kleine Stein auch immer leichter. Ein Termin jagte den anderen, aber dank der Aufbauarbeit des Glimmers und der Schotterbank kann er diese langen Tage gut bewältigen. Auch wurden die Tage immer besser mit dem Maßstab eingeteilt. Schlafen, Reisen, Termine, Feuerstein, Schotterbank und vieles mehr passten dank Einteilung immer besser in die Tage des kleinen Steines. 

Auch eine Reise zum jährlichen Treffen aller Schotterbänke ging sich nun terminlich aus. Auf dem Heimweg ließ der kleine Stein die Jahre Revue passieren und dabei fiel ihm ein dritter Zuruf ein, den er vor Jahren vernommen hatte und den er selbst einmal sprechen durfte:

 In Dir, in Deinem Wesen, in Deinem Denken und Handeln, in Deinem Tun und Lassen spiegelt sich das Wesen der Welt. Die Wenigen prägen das Antlitz der Zeiten. Sie schaffen die Werke, sie bringen die Opfer, von ihnen strahlt der Glanz der Welt. In Dich ist alle Hoffnung gesetzt. So ist dies der erste Schritt zur Schönheit.

Ich bin eben anders, genauso wie alle anderen, und das ist gut so, sagte sich der kleine Stein. Manches kann ich, manches nicht. Beim Gegenüber ist es umgekehrt, aber gemeinsam ergänzen wir uns und kommen weiter. Langsam erkannte der kleine Stein, was dieses Funkeln da in der Ferne sein könnte. Viel Arbeit an sich selbst, die wohl nie ausgehen wird, um zur Schönheit zu gelangen.

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