Der Missbrauch der Sprache und des Wortes

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Als sich Alexandria Ocasio-Cortez[1] eine Besuchserlaubnis für eines der Internierungslager an der mexikanischen Grenze besorgte und in einem Live-stream über die Zustände berichtete, gebrauchte sie das Wort „Konzentrationslager“, in der Beschreibung der Zustände in dem Lager und auf Basis einer Autorin (Andrea Pitzer –„Globalgeschichte der Konzentrationslager“), in dem sie den Vorwurf erhoben hat: „Die Vereinigten Staaten schüfen ein Konzentrationslagersystem“ aufgrund der Tatsache, dass eine Masseninternierung von Zivilisten ohne Gerichtsverfahren erfolge“.

Nach dieser Aussage von Cortez erfolgte ein Massenaufschrei von verschiedenen Organisationen und in Leserbriefen. Der Aufschrei mündete bald in der Gasse der historischen Analogien, in einem virtuellen Brüllwettbewerb über den Holocaust, in dem auch das Holocaust-Museum in Washington die Abgeordnete Cortez kritisierte: „Nichts könne schlimmer sein, als der Holocaust, deshalb dürfe auch nichts mit ihm verglichen werden“. Die andere Seite erklärte, dass wir aus der Geschichte nur dann vorsichtige Lehren ziehen können, wenn wir uns ab und zu klarmachen, dass es Ähnlichkeiten geben könne“.

Durch die Abgrenzung dieser gräulichen Straftaten, seien es Konzentrationslager oder Gulags, alleinig für bestimmt Vorkommnisse, werden diese Begriffe mythologisiert, da es unvorstellbar erscheint, dass es möglich sein köne, diese Ereignisse irgendwann einmal nur noch als Grautöne wahrzunehmen. Dadurch, dass Konzentrationslager oder Gulags überhöht und mythologisiert werden, wird der Vergleich mit heutigen angelehnten Situationen demgegenüber verharmlost, bzw. als etwas im Vergleich auf geschichtlicher Ebene Geringeres dargestellt, als etwas, dass nicht geschehen darf und kann, und es daher auch nicht geben kann. Und somit werden auch die Täter, die diese Internierungslager fordern, einrichten und mit Steuergeldern finanzieren, auch nicht zu Verbrechern, da es ja so etwas Böses nicht mehr geben darf und es daher auch nicht geben kann.  (Zitat: Masha Gessen).

Also sind die Berichterstatter, die über so etwas berichten, böse, da sie „Fake News“ verbreiten. Und schon hat sich der Spieß umgedreht und die Bösen sind die Guten und die Aufdecker, die kritischen Stimmen, sind die neuen „eigentlichen“ Feinde der Gesellschaft.

Ein Missbrauch der Sprache durch Lüge, also der bewussten und vorsätzlichen Täuschung, um die Gesellschaft zu polarisieren, abzuschotten und ein vermeintliches WIR zu schaffen, dass geheiligt und beschützt werden muss, war Anlass für mich, diese Zeilen zu Papier zu bringen.

Eine Teilung der Gesellschaft in ein WIR, die dem allgemeine „Mainstream“ folgen und dies unreflektiert gutheißen, impliziert damit auch automatisch eine Polarisation zu den Anderen, denen da draußen, die vielleicht auch rein wollen, ähnlich sein wollen, aber nicht sollen.

Worte sollten, damit diese eine soziale und kulturelle Bedeutung haben und uns als Sprache dienen, eindeutig und unmissverständliche Einheiten sein, die dazu dienen eine Kommunikation zu ermöglichen, oder etwa nicht mehr?

In jedem Wort steckt auch ein Stück Macht: Mit Wörtern macht man Politik. Doch Demokratie lebt von der Vielfalt der Sprache, denn unter Sprache versteht man im allgemeinen Sinn, alle komplexen Systeme der Kommunikation.

Wer die Sprache hat, hat die Macht. Wer die Bedeutung der Wörter bestimmt, bestimmt den Diskurs. Und wer den Diskurs beherrscht, beherrscht Meinungen und Emotionen.

In letzter Zeit fällt mir jedoch auf, dass zunehmend Kunstgriffe und fast schon zauberhafte Verwandlungen der Wörter und deren Bedeutung stattfinden, um Fakten zu verändern oder anders darzustellen. Das Beispiel „Fakenews“ aus meiner letzten Rede möchte ich hier nicht wiederholen sondern anhand von einigen neuen Beispielen meinen Gedankengang erläutern.

Vorausschicken darf ich, dass ich als Naturwissenschaftler und Analytiker es gewohnt bin, dass es die absolute Wahrheit nicht gibt; und als philosophisch denkender Mensch in „unserem Literaturklub“ ist es mir auch eine Selbstverständlichkeit, dass Graubereiche und Schattierungen notwendig sind.

Ich bestreite auch nicht, dass es oft schwierig, ist das Richtige, das Wahre zu erkennen, zu oft ändert sich der Standpunkt durch die Erzählung mehrerer, d.h. den ersten Eindruck, den man gewinnt, ist immer nur eine Seite des Würfels. Durch die Erzählungen anderer verändert sich die Sicht oft um 90° bis 180° und lassen den Würfel von einer anderen Seite erscheinen.

Einige Beispiele die meine Gedanken verständlich machen sollen, wie sich Worte wandeln oder missbräuchlich verwendet werden.

Beginnen wir mit dem Wort:

EXPERTEN [2]

Experten sind definitionsgemäß Personen, die über überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem Fachgebiet oder über spezielle Fähigkeiten verfügen. In meiner Arbeitswelt habe ich es oft mit Experten zu tun, die in ihren jeweiligen Fachgebieten über entsprechend vertieftes Wissen verfügen. In der Politik schaut es da schon ganz anders aus, siehe die vielen parlamentarischen Vorträge, bei denen einzelne Abgeordnete über Themen referieren, die sie weder erlernt, noch studiert, geschweige denn über das sie ein vertieftes Wissen verfügen. Dennoch treten sie als Experten auf. Auch in Experten-Kommissionen sitzen oftmals Personen, die vielleicht erweiterte Managementfähigkeiten besitzen oder parteipolitische Funktionen, aber oftmals keine Fähigkeiten auf speziell geforderten Fachgebieten. Von Experten darf man sich auch keine parteipolitisch neutrale Sachlichkeit erwarten. Oftmals sind mehrere Sichtweisen auf Sachverhalte vertretbar und dann werden die Experten halt so ausgewählt, dass die Meinungen und Ergebnisse vertreten werden, die gewünscht sind.

Experte ist also ein inflationär gebrauchter Begriff, der rechtlich nicht geschützt ist. Daher sollte man Experten ersten googlen (CV) und zweitens deren Aussagen zunächst einmal hinterfragen, denn die sogenannten Experten sollen oftmals für eine ideologisch motivierte unsachliche Politik herhalten.

FREIHEIT [3]

Freiheit ist die Möglichkeit, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können. Somit steht individuelle Freiheit als Selbstbestimmung in einem natürlichen Zusammenhang und Spannungsverhältnis zu anderen Werten.

Da die Freiheit des Einen oftmals zu Lasten der Anderen geht, darf man sich keinen falschen Illusionen von Freiheit hingeben und muss gewählte Freiheit stets mit Blick auf das Gemeinwohl prüfen. Freiheit ist nämlich nur dann etwas Positives, wenn sie andere nicht übermäßig in ihren Interessen beeinträchtigt.

In der heutigen Zeit und in der Politik wird das Wort Freiheit oft missbraucht. Offene Grenzen, freie Religionsfreiheit, freie Wirtschaft gelten uns heute als selbstverständliche Begriffe, doch wenn wir sie uns näher betrachten, dann sieht es etwas anders aus.

Die offene Grenze, die Bewegungsfreiheit, zumindest in der EU vor COVID-19, ist für manche eine echte Freiheit, die es ihnen ermöglicht, in einem anderen Land arbeiten und die Binnengrenze ohne regelmäßige Kontrolle passieren zu können. Für andere, die sich vor Kriminellen schützen wollen oder eine weitere Zuwanderung aus kulturellen oder anderen Gründen kritisch gegenüberstehen, eine Unfreiheit, weil ihnen ein Stück Sicherheit genommen wird.

Selbiges gilt für die Religionsfreiheit und deren Einrichtungen.

Daher ist die Gesellschaft darum bemüht, einen einheitlichen Wortbegriff für Freiheit zu schaffen, einen gemeinsamen Nenner, bei dem zwangsläufig nicht alle „freier“, sondern in Wirklichkeit alle „unfreier“ werden.

Damit werden verschiedene Interessen gleichgestellt, damit jeder, eingeschränkt zwar, aber dennoch möglich, eine allgemein verträgliche Freiheit leben kann.

Die Ungleichstellung einzelner Interessen, sei es politisch, religiös, geographisch, wirtschaftlich oder sonst wie, wird auch heute immer öfter gelebt, was zu einer Radikalisierung führt, die ausgenutzt wird, um andere „Äußere“ zu unterdrücken. Dies geschieht heutzutage v.a. in autokratischen Strukturen, aber auch in demokratischen Strukturen, in denen mit Unwahrheiten Ängste geschürt werden, Feinde hochstilisiert werden, um damit eine Unfreiheit zu etablieren, die weitere Beschneidungen im Namen der Freiheit zulassen. Selbiges gilt natürlich für wirtschaftliche Prozesse, in denen Arbeiter ausgebeutet werden (Stichwort: Billiglohnländer) oder im Umweltbereich (Mülltourismus, …).

Um es nicht zu lang zu machen, möchte ich noch das Wort TOLERANZ anführen.

TOLERANZ [4] – also das Gelten und Gewähren lassen anderer oder fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten.

Die Geschichte hat uns gelehrt, dass die Menschen von Natur aus wenig tolerant sind. Andersgläubige wurden und werden oft diffamiert, ausgegrenzt und verfolgt, bis zur Tötung oder Auslöschung hin. Daher musste die Menschheit die Toleranz, die Duldung und die Akzeptanz erfinden und definieren, also das Gewähren lassen abgelehnter Sachverhalte aus dem Grund, da eine Bekämpfung aufgrund von Gesetzen und gesellschaftlichen Verhältnissen bzw. aus moralischen Gründen nicht möglich ist.

Heutzutage werden Duldung oder Akzeptanz oft missbräuchlich als Toleranz bezeichnet und so manche Gruppierungen, wie politische Ausrichtungen, rühmen sich mit dem Begriff Toleranz. 

Die Flüchtlingsbewegung, die zur Migration verkommen ist, also von der Notwendigkeit zur Flucht gezwungen, um oftmals dem Tod zu entgehen, zur freiwilligen selbstbestimmten Not-losen Reise wird oftmals in der Politik und Gesellschaft mit dem Begriff der Toleranz belegt.

Weder humanitäre Hilfeleistungen noch die Facharbeiterdefinitionen sind zulässige Argumente für den Begriff Toleranz. Für beide Argumente gibt es besser Lösungen. Toleranz im Bereich der Sexualität stigmatisiert Homosexuelle oder Transgende-Personen.

Toleranz wird aus einer persönlichen, vermeintlich höheren Position gewährt und befeuert, damit das Hervorheben von Unterschieden. Nicht das Selbstverständnis der natürlichen Diversität steht im Vordergrund, sondern der persönliche oder gesellschaftliche Standpunkt der Differenzierung.

Muss ich Toleranz auch dicken oder dünnen, großen oder kleinen Menschen oder auch normalen, dem Durchschnitt entsprechenden Menschen aussprechen und wird nicht erst die Andersartigkeit damit betont?

2018 veröffentlichte Michiko Kakutani[5], eine ehemalige Literaturkriterin der NY Times, ein Buch mit dem Titel „Der Tod der Wahrheit[6], in welchem sie argumentiert, dass postmoderne[7] Denker, Trump und andere Autokraten erst den Weg geebnet hätten.

Vereinfacht gesagt, bestreitet die postmoderne Argumentation, dass jenseits menschlicher Wahrnehmung eine objektive Realität existiert, und behauptet vielmehr, dass Wissen durch die Prismen von Rasse, Geschlecht und andere Variablen gefiltert wird.

Dadurch, dass sie die Möglichkeit einer objektiven Realität abstritt und den Wahrheitsbegriff durch die Konzepte von Perspektive und Positionierung ersetzt, schrieb die Postmoderne das Prinzip der Subjektivität fest.

Sprache wird als unzulässig und instabil betrachtet – als Teil der unüberbrückbaren Kluft zwischen dem, was gesagt, und dem was gemeint ist – und selbst die Vorstellung von Menschen als vollständig rational handelndes, autonomes Individuum wird wiederlegt, da jeder von uns, bewusst oder unbewusst, durch eine bestimmt Zeit und eine bestimmte Kultur geprägt wird.

Aus Erfahrung wissen wir, dass niemand ganz alleine die objektive Welt in ihrer vollen Realität adäquat erfassen kann, weil sich die Welt dem Einzelnen stets aus nur einer Perspektive zeigt und offenbart, welche mit dem Standpunkt in der Welt korrespondiert und von diesem bestimmt wird.

Wer die die Welt, so wie sie „wirklich“ ist, sehen und erfahren will, so kann er es nur, indem er sie als etwas versteht, was vielen gemeinsam ist, zwischen ihnen liegt, sie trennt und verbindet, sich jedem anders zeigt, und daher nur in dem Maß verständlich wird, als viele miteinander über sie reden und ihre Meinung und Perspektiven miteinander und gegeneinander austauschen.

Nur mit dem Wissen des Erlernten und Erfahrenen als Experte, nur durch die Freiheit, miteinander zu sprechen, der Toleranz einander zuzuhören, erscheint die Welt als das, worüber wir sprechen, in ihrer Objektivität und ihrer Sichtbarkeit und zwar von allen Seiten!“


[1] Alexandria Ocasio-Cortez (* 13. Oktober 1989 in New York City), häufig auch bei ihren Initialen AOC genannt,[1] ist eine US-amerikanische Politikerin der Demokratischen Partei. Sie gehört seit Januar 2019 für den 14. Kongresswahlbezirk von New York dem Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten als dessen jüngste Abgeordnete an, nachdem sie in der Vorwahl den an vierter Stelle in der Parteiführung amtierenden Mandatsinhaber Joe Crowley geschlagen hatte. Ocasio-Cortez bezeichnet sich als demokratische Sozialistin.

[2] Experte (auch Fach- oder Sachkundiger oder Spezialist) oder Expertin ist eine Person, die über überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem Fachgebiet oder mehreren bestimmten Sacherschließungen oder über spezielle Fähigkeiten verfügt. Neben dem theoretischen Wissen kann dessen kompetente Anwendung, also praktisches Handlungswissen, für einen Experten kennzeichnend sein.

[3] Freiheit (lateinisch libertas) wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können. Der Begriff benennt in Philosophie, Theologie und Recht der Moderne allgemein einen Zustand der Autonomie eines Subjekts.

[4] Toleranz, auch Duldsamkeit,[1] ist allgemein ein Gelten lassen und Gewähren lassen anderer oder fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten.[2] Umgangssprachlich ist damit heute häufig auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung gemeint, die jedoch über den eigentlichen Begriff („Duldung“) hinausgeht.[3]

Das zugrundeliegende Verb tolerieren wurde im 16. Jahrhundert aus dem lateinischen tolerare („erdulden“, „ertragen“) entlehnt.[4] Das Adjektiv tolerant in der Bedeutung „duldsam, nachsichtig, großzügig, weitherzig“ ist seit dem 18. Jahrhundert, der Zeit der Aufklärung, belegt,[5] ebenso die Gegenbildung intolerant, als „unduldsam, keine andere Meinung oder Weltanschauung gelten lassend als die eigene“.[5]

[5] Michiko Kakutani (geboren am 9. Januar 1955 in New Haven, Connecticut) ist eine amerikanische Publizistin und Literaturkritikerin. Als Hauptrezensentin der New York Times zählte sie bis 2017 zu den einflussreichsten, zugleich aber auch umstrittensten Literaturkritikern der USA.

[6] Der Tod der Wahrheit: Gedanken zur Kultur der Lüge, aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel (original: The Death of Truth. Notes on Falsehood in the Age of Trump), Klett-Cotta 2019, 197 S., ISBN 978-3-608-96403-5

[7] Dienten in der Moderne die Metaerzählungen noch dazu, gesellschaftliche Institutionen, politische Praktiken, Ethik und Denkweisen zu legitimieren, so geht in der Postmoderne dieser Konsens verloren und löst sich auf in eine Vielzahl von nicht miteinander zu vereinbarenden Wahrheits- und Gerechtigkeitsbegriffen.